Verdrehte Eindrücke berauschter Sinne,
rufen uns an,
mit flüsternder Stimme -
den kleinen Tod und Verderben,
in Gedanken,
winden sich empor,
wunderschöne und doch giftige Ranken.
Die junge Frau hatte, am Thresen der Taverne sitzend, gerade jene Zeile fertig auf das Stück Pergament gekratzt, als sie sich zurücklehnte um einen tiefen Schluck aus ihrem Krug zu nehmen. Ihre dunkelbraunen und wirren Locken hingen ihr teilweise widerspenstig und spöttisch ins Gesicht, aber zumindest in jenem Moment schien sie dies nicht weiter zu beachten.
Es war eine nun fast typische Szene. Es war früher Morgen. Und wie so oft war Uvarya an jenem morgen leicht benommen aus dem öffentlichen Schlafsaal geschlendert, dabei eine leise Melodie vor sich hersummend ~ um da anzufangen wo sie gestern aufgehört hatte: Der Taverne.
Vitamas Lachen hatte dem Land den begehrten und herbeigesehnten Frühling beschert. Felder, Bäume, Tiere, Menschen ~ alles atmete wieder erleichtert auf, denn die kalte Jahreszeit war überstanden. Und auch Uvarya fühlte sich in jenen Tagen einerseits wieder ruhiger, andererseits aber auch rastlos.
Endlich konnte sie den Hauch des Windes wieder auf ihren Wangen spüren ohne im Angesicht der Kälte zu erzittern. Allerdings lockte sie dieser auch wieder in die Ferne. Und wenn es nur in Gedanken war.
"Wie lange soll das eigentlich so weitergehen, Kind?" sprach Erwin, der Schankwirt, während er beiläufig mit einem Lappen über die Theke wischte.
Der subtile Geruch vermischten Kräuterschnapses drang an Uvaryas Nase und versicherte ihr, dass Erwin von seinem "Geheimrezept" bezüglich eines geeigneten Putzmittels für die Theke nicht ablassen würde. Aber ihr war weder übel noch war ihr Krug leer - sie musste sich also keine Sorgen machen.
"Wovon redest du?" entgegnete sie ehrlich unwissend und mit unschuldiger Miene.
"Du kommst jetzt schon seit fast über zwei Wochen fast jeden Tag hierher...setzt dich an die Theke, trinkst, schreibst, trinkst... ab und zu übst du auf deiner Laute und wenn dann aber Gäste kommen und dafür etwas springen lassen möchten, verweigerst du das Gold...". Einem aufmerksamem Beobachter wäre in diesem Moment nicht entgangen, dass Erwin bei diesen Ausführungen aufhörte zu wischen und sie einen Moment eindringlich ansah und es so wirkte, als würde er sich vielleicht ein wenig Sorgen um die junge Frau machen.
"Meine Lieder bedeuten mir halt etwas...es ist nicht einfach nur...sich dahinstellen und zu konfusem Geklimper im Versuch einer Melodie etwas in den Raum schreien das sich gut anhört... jedes Einzelne davon bedeutet mir etwas...natürlich... vielleicht ist es für die meisten Zuhörer nur leichte Unterhaltung... aber was sage ich denn bitte für die Wenigen darunter die es verstehen, aus, wenn ich am Ende herumgehe und hechelnd die Goldmünzen vom Boden aufsammel? Und das Letztens war...etwas vollkommen anderes. Da habe ich nur geübt...ich brauche schließlich Melodien zum Singen... meistens komme ich mit musikalischer Begleitung besser auf sowas...das war nun wirklich keine...Meisterleistung oder dergleichen... wenn du mit dem Herzen bei einer Sache bist...willst du doch auch mit dem zufrieden sein, was du den Menschen verkaufst, oder?" entgegnete sie daraufhin, während sie den mit Wein gefüllten Becher der vor ihr auf der Theke ruhte mit der linken Hand etwas auf der Stelle drehte.
"Aber wovon willst du leben? Hast du in den letzten Tagen überhaupt irgendetwas irgendwie verdient? Seit Tagen kommst du jeden Morgen hierher... mindestens alle paar Tage schaffst du es nicht einmal auf eigenen Beinen aus der Taverne. Und an allen anderen zieht es dich in den öffentlichen Schlafsaal...wenn überhaupt - denk nur an das eine Mal als du halb erfroren hier reinkamst" meinte der Schankwirt nunmehr wieder in beiläufigem Ton, während er wieder begann über die Theke zu wischen.
"Hey! Ich habe immer alles bezahlt was ich hier getrunken habe! Und ich hab immernoch Ersparnisse! Und wer weiss schon was morgen passiert? Und ich brauche keine feste Bleibe oder so! Hatte ich schon seit Jahren nicht mehr, wofür auch?" entgegnete sie etwas energischer.
Erwin schüttelte einen Moment resignierend mit dem Kopf, während Uvarya nahezu trotzig wieder zu ihrem schmucklosen Federkiel griff um einige weitere Zeilen auf das Pergament zu kratzen.
In wundervollen Farben,
die verführerische Blüte,
und lähmenden Entzückens,
auf dass es in schwindelnder Tollheit
im unschuldigen Geist wüte.
Vom Gefühl belächelt und vom Geiste verlacht,
und in tausenden Weisheiten
in althergebrachter Weise und Blindheit
mit Spott bedacht
Vom Winde verweht,
und im Sturm gesäht,
von Wassern genährt,
und in Flüssen ertrunken,
vom Feuer gewärmt
und in Flammen versunken,
mit Klarheit getötet
und im Lichtschein befleckt,
im Dunkeln unsichtbar
und im Schatten versteckt.
"Hör zu Uvarya...ich mache mir nur Gedanken. Ich höre dich gerne singen und du gehörst schon irgendwie nahezu zur Einrichtung. Aber manchmal...wirkst du wie von Sinnen. Du bist nicht sonderlich gut darin alleine zu sein, oder?" unterbrach Erwin beim Putzen der Theke das emsige Kratzgeräusch von Uvaryas Federkiel.
"Ich...brauche nur meine Ruhe um zu schreiben..." entgegnete sie dann in ruhigem Ton, während ihr Federkiel regungslos in ihrer rechten Hand lag. Es war die Wahrheit. Nun, zumindest zur Hälfte. Erwin hatte recht, sie war tatsächlich nicht gut darin alleine zu sein, zumindest nicht, wenn sie nicht gerade auf der Reise war, wo neue Eindrücke sie andauernd ablenkten. Aber im Moment wehte der Wind für sie in die Richtung...und sie wusste, dass sie dies dem Schankwirt kaum erklären können würde. Und er hatte Recht. 'Wie von Sinnen' - ein Zustand den sie oft sogar suchte. Er war nicht unwichtig für das was sie schrieb.
"Magst du meine Lieder nicht?" fragte sie dann mit ruhiger Stimme, ihren Blick nun auf Erwin richtend.
"Ich...schon. Auch wenn manche deiner Texte ziemlich komisch klingen." entgegnete Erwin daraufhin ehrlichen Tones.
Erwin hatte natürlich zweifellos Recht. Jahrelang war sie mit einer Schauspielertruppe unterwegs gewesen und nun war sie hier und allein.
Als wäre dies Uvarya Antwort genug, begann sie wieder die Spitze des Federkiels über das Pergament eilen zu lassen.
Das Licht das nicht leuchtet,
und der Wind der nur haucht,
im Feuer das nicht knistert,
und brennt ohne Rauch.
Eine seltsame Gabe
und ein ursprungloses Geschenk,
und seltsames Überbleibsel von vergessenem, unachtsamem Moment...
Erwin sprach noch zu ihr. Sie konnte vage an der Peripherie ihrer Wahrnehmung bemerken, dass er ihr etwas sagte. Doch in jenem Moment war sie vollkommen in ihre Gedanken vertieft. Es hätte sich jemand neben sie setzen können und sie hätte kaum davon Notiz genommen.
"...ich weiss du bist eine Bardin und du bist noch jung aber wenn du so weitermachst..."
...im Kopfe so unnütz,
und im Herzen so treu,
du seltsame Schwester,
mit vielfarbigem Haar,
sind in Treue zueinander,
solch unstetes Paar...
"...also? Was hälst du von dem Vorschlag?" beendete Erwin seine Ausführungen.
Mit einem unschuldigen, erfreuten Lächeln richtet sie sich nun auf und sah ihn an, während sie ihm kurz das Pergament auf Augenhöhe hielt.
"Fertig!" entgegnete sie lediglich enthusiastisch und erfreut, als schiene plötzlich alles andere unwichtig. Noch ehe der entgeisterte Schankwirt etwas erwidern konnte, hatte Uvarya den Rest ihres Weines heruntergestürzt, einige Goldmünzen auf dem Thresen hinterlassen, und mit den Worten "...ich muss mir dringend ein paar Sachen für die Melodie einfallen lassen! Bis später!" durch die Tür entschwunden.
Es heisst immer, dass kein Barde wie der andere sei.
Zumindest in diesem Moment bestand für den Schankwirt an jenem Ratschlag kein Zweifel.