Exakt acht Tage hatte er nun hier zugebracht, im Kerker von Ersont. Acht einsame und ruhige Tage, bis es zur Aufnahme der Klage am gestrigen Tage kam - und dem tapferen Versuch ihm Unbekannter, ihn zurück in die Freiheit zu holen. Gescheitert war das nun, und die Aussichten sahen nicht gerade blendend aus: Delarie hatte geflucht und geschimpft und ihm nach der Schmerzensfolter im publikumsfernen Kerker geschworen, ihn zu einem Unfreien "Stück Fleisch" zu machen. Ein unfreier Diener des Freisten der Freien, Ventus. Sonnacker, Custodias, hatte ihm gedroht, dass er dafür sorgen würde, dass alle seine Schriften ihre Tinte verlieren würde. Ein Lebenswerk in Ruinen, hunderte Seiten voll Wissen unwiderbringlich und unrettbar verloren. Gemeinsam malten sie ihm lebhaft aus, wie der von ihnen gefundene Ventusschrein geschändet werden sollte. Die Sternsaphire - fort, in Besitz genommen von den Dienern Astraels, der Schrein selbst durch die blutlustigen und von Ersont gelenkten Orken geschändet.
Acht Tage umgeben von den dicken Kerkerwänden, in Riens Leib, gefangen und ausgehungert. Die letzten Reste der Pilzsuppe hatte er schon lange ausgekratzt, nur die Birnen nach sechs Tagen kamen genau rechtzeitig um ihn vor einem qualvollen Hungertod zu bewahren. Er hatte viel Blut verloren, was ihm immer noch zu schaffen machte - ohne Seraphina wäre er wohl schon gestorben. Zweimal dem Tod knapp entronnen in so vergleichsweise kurzer Zeit.
Sie wollten ihn zu einem Bittgebet an die Viere zwingen, dazu bringen, dass er sich in der Not eher an die Sa'Hor als an seinen Herren Ventus richtet. Und Gorem, dieser ehemals so gutmütige Riese, hatte Unaussprechliches getan. Was mit einer stoffumwickelten Faust begann und mit der fast vollendeten Drohung endete, ihm das Kinn abzubrennen.
Schon als Nicolai und Custodias in die Zelle hineinkamen wusste er, wie in etwa sie urteilen würden. Die Nichtigkeiten sollten endlich aufhören, aber heraus aus diesem Keller würde er auch nicht mehr kommen. Nicht, weil er es so wollte, nicht, weil sie es so wollten - sondern weil er im Schlafe wieder gesehen hatte. Wie damals, als er Litheths nebelverborgenes Antlitz im Schlaf erblickte in der Nacht vor seiner Priesterweihe. Oder als er den Traum hatte vom Greifen, der kurz danach zu seiner Weihe zum Hohepriester führte. Nun hatte er gesehen, wie sein Herr die Hand nach ihm ausstreckte. Wie damals, als Er sein Leben zum Besseren wandte. Seitdem hatte er erfüllte drei Jahre auf Tare zugebracht, erfüllter, als alles, was er sich damals hätte vorstellen können.
Er hatte Dämonen gegenübergestanden, während der Dunkeltieftage Seite an Seite mit den Anderen gegen die Kreaturen des Einen gefochten. Hatte Sturm über Falkensee und Ödland gebracht, und mit den Magiern damals gegen die anrückenden Gargylen. Er hatte diplomatisch agiert, manchmal als Architekt noch dazu - Semaphore sah man nun immer dann, wenn man den Horizont etwas genauer inspizierte. Bücher hatte er geschrieben, so viele, über so viel: Dämonenbannung, Geographie, Mens, Theologische Fragen.. Und er hatte verdammt viel und verdammt viele überlebt.
Jetzt war es Zeit, 'Lebwohl' zu sagen, mit den richtigen Worten. All' dieses Gelaber über rechtliche Haarspaltereien ging an ihm vorbei, bis es zu seinem eigenen Plädoyer kam. Ein paar höfliche Floskeln, ein paar halbherzige Versuche das Unvermeidliche noch abzuwenden. Dann:
Nun bleibt mir nurnoch eines zu sagen: Ihr Menschen habt nie aufgehört, mich zu faszinieren. Auf eure ganz eigene Art und Weise war ein jeder von euch.. großartig. Und wisst ihr was? Das war ich auch. (...) Die Insel braucht mich nicht mehr und sie hat mich nicht mehr verdient. Dieser Moment ist perfekt - Ich gehe in Frieden.
Ein paar letzte Gedanken huschten durch seinen Kopf - war es tatsächlich so, dass man im Angesicht des unmittelbar bevorstehenden Todes sein Leben vor seinen Augen vorbeiziehen sah?
Versteckter Inhalt bzw. Spoiler :
Aria - sie nahm die erste Stelle ein in seinem Herzen. Die erste und einzige Frau, die er wahrhaft und aufrichtig geliebt hatte. Was war damals nur schiefgegangen.. War es, dass sie schon in einem Bund war mit seinem Lehrmeister? Nun war sie fort, und er war nicht mehr da, um sie weiterhin beschützen zu können.
Noralis und Vencurius - seine alten Lehrmeister. Wieviel hatte er ihnen zu verdanken. Als Grünschnabel war er vor zwei Jahren auf die Insel gekommen und verließ sie, und die erste Sphäre, nun als Hohepriester im Zeichen des Ventus. Weise, alte Männer durch und durch und großartige Lehrer.
Lazalantin Georgssohn - sein Studienkollege, der sich nie auf die Insel getraut hatte. Was hatte er doch damals für feuchtfröhliche Feiern mit ihm an der Akademie gehalten. Mit den anderen Dozenten durchgezecht um sich am Morgen drauf schon wieder den eifrigen Novizen zu widmen. "O floreat Ventria, Ventria floreat.", wahrhaftig.
Erin Caoimme - immernoch so heißköpfig wie damals, als er sie zum ersten Mal kennen gelernt hatte.. Wie sie ihm, als neuem Wandersmann auf der Insel, das Leben rettete als ein Bär in den dichten Wäldern vor Värnskapp ihn zu seinem Frühstück auserkoren hatte. Gemeinsam hatten sie schon so viel durchlebt und gemeinsam miteinander geplant. Die Alusis-Schleuse, Brandensteins Semaphor, die Goblinschlachten, die Diplomatie des ehemaligen Dreivölker-Bundes. Er bereute es lediglich, nicht noch einmal die Möglichkeit zu haben ihren Vorderen eine verpassen zu können für die Frechheit, eine solche tatkräftige Frau zu deklassieren.
Lilium und all' die anderen Waldbewohner - Merkwürdige Gesellen. Manchmal konnte er nie so recht verstehen, warum sie sich auf Einer komm raus von der Zivilisation fernhielten. Dann waren sie aber immer da, wenn das Gleichgewicht der Natur bedroht war. Wie gut und erfolgreich hatte er damals mit ihnen zusammengearbeitet im Angesicht des verdorbenen Südfallwaldes.
Die vernünftigen Vieregeweihten - Stundenlange, freundliche Diskussionen mit Terenas Lichtenwind. Gute Umgangsformen mit Lorence. Streichespielen mit 'Gnaden' Tarnuk. Das Mysterium der Ertrunkenen besprechen mit Ionas. Mit Grom Eisenfaust kämpfen und danach kräftig anstoßen. Tatkräftige Zusammenarbeit mit Proveus Herand. Lachen mit Benion. Gute Männer und Frauen. Der Löwenorden - Er bereute es, erst so spät sich angeschlossen zu haben. Er hätte Arias und Noralis Beispiel früher folgen sollen, denn in ihren Reihen fand er wahre Freunde und Kameradschaft, Verlässlichkeit im Angesicht der tödlichen Gefahr durch die Schergen des Einen, die er an ihrer Seite eins ums andere Mal abwehrte.
Seine Schüler, die Novizen - Was war er doch immer unzufrieden mit ihnen gewesen. Doch jetzt, im Angesicht des Todes, da wusste er: Er hatte die Ehre gehabt, die klügsten und eifrigsten Köpfe auf der Insel auszubilden zu dürfen. Er hatte sie näher an ihre Herren heranführen können um ihr Leben für immer zu bereichern und sie würden nie ihren ständig unzufriedenen Lehrer vergessen. Er hatte sie zu wahrer Größe angespornt und vielleicht auch zwei von ihnen zur baldigen Priesterweihe verholfen. Saphira, Isaar und Kedja vom Zweige Xans. Damals Roku und Ancabeth und nun Fjeron vom Zweige des Ignis. Cizra, Kellan und Ada vom Zweige des Ventus. Johannes und Gorion für Rien.. Die Liste war so lang, und jeder war auf seine Weise großartig gewesen.
Seine fortgangenen Geschwister - Lyranon Lodhrell, der nach Lothorien aufbrach. Saj und Elodril Myrtholis, die nun auf dem Festland in Frieden und Einklang lebten. Und dann natürlich die Namen der Legenden unter ihresgleichen: Karn Shareth, Winter di Luce, Inglorion, Valshir; vielleicht war auch er nur ein ganz klein wenig ihren Fußstapfen gefolgt.
Zuletzt: Seinen Eltern - Mögen sie in Frieden ruhen. Vielleicht sehe ich sie wieder.
Seine Feinde und Übeltäter fanden keinen Platz in den letzten Gedanken.
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"So beginnt es also.", stellt er mit ruhigem Interesse und tiefem inneren Frieden fest während er seine Hand vor dem Gesicht hin und her dreht. Flocken goldener Schuppen, transparent, lösen sich von der Haut und schweben für einen Moment wie Nachgedanken an der Stelle ehe sie wieder vergehen, in einem Schauer kleiner Partikel. Der goldene Staub beginnt Bahnen um seinen Körper herumzuziehen, in einem Takt der ihm nur allzusehr bekannt war: Der Takt, den er jedes Mal irgendwann anschlug, wenn er ein Instrument zu Ehren seines Herren oder für den Tanzunterricht in die Hand nahm. Der Takt, der ihn durch die Prüfung der Hohepriester geführt hatte. Wie ein anfangs noch zögerlicher Tanzpartner ließ die Hand sich Finger um Finger mitreißen und verging - die Handfesseln die ihn an der Wand hielten vergingen dabei. Den Zehen und Füßen widerfuhr ein ähnliches Schicksal.
Noch bevor ihm das Geschehen um den Kopf herum den Blick nahm, sah er, wie Funken aus den Ärmeln des kurzen, dreckigen Gefangenenhemds hervorschossen, in einer unaufhaltbaren Fontäne gleißender Elektrizität. Das Hemd dabei war die einzige Konstante in dem chaotischen letzten "Schwanensang" - um ihn herum tobte, mit ihm als Auge des Sturms, der Funkenschauer der sich in das Metall der ehemaligen Fesseln fraß und als Spannungsbögen darübertänzelte, sie durch den Widerstand des Eisens einfach weißglühend schmelzend. "Ich will nicht gehen."
Dachte er noch leise ehe ein mannsdicker Blitz aus der schweren Steindecke heraus durch ihn fuhr und die Funken in einer einzigen strahlenden Säule vereinte - vor der Erdung verzweigte er noch und brandete mit den verzweigten Ausläufern der puren Energie gegen Custodias und Nicolai, Ankläger und Richter, an.
Der Windflüsterer war fort. Für immer - nurnoch Asche und das unbeschädigte Hemd verblieben auf der Gefangenenpritsche. Stille hüllte die nun unbewohnte Kerkerzelle ein.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..."
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