Unter anhaltendem Zittern führte die linke Hand den verbeulten Becher mit dem billigen Schnaps an die Lippen. Der unsicheren Hand war es geschuldet, dass ein Teil der klaren, stechend riechenden Flüssigkeit nicht allein über die Lippen rann, sondern schlussendlich vom Kinn troff. Was für gewöhnlich Anstoß erregt und eine umgehende Bereinigung des Zustandes zur Folge gehabt hätte, blieb nun schlichtweg unbeachtet. Der Blick der rot geäderten Augen, umrahmt von dunklen Schatten, ruhte starr und unbewegt auf der Türe. In der Stille gab es nichts anderes zu hören als den erbarmungslosen Klang des eigenen Herzens.
Ein unwilliges Knurren endete jäh alle Trägheit und nachdem sich der geschundene Leib mit Mühe empor gewuchtet hatte, fegte eine von Zorn geprägte Geste das ohnehin lädierte Trinkgefäß unter blechernem Poltern vom Tisch. Als hätte es dieses einen Reizes bedurft, begannen die Sinne zu erwachen. Die alte Wachsamkeit schlich sich in den Blick, der nun prüfend durch die mit Unrat beladene Stube wanderte und der Geruch von menschlichen Ausdünstungen, abgestandenem Schnaps stach in die Nase. Darunter lag, ungleich schwächer zwar, doch zweifelsfrei noch vorhanden, der zarte Dunst eines anderen Rauschmittels. Schließlich war auch der Verstand vollends erwacht. "Lange ist sie noch nicht fort."
Der Falke zog seine Kreise. Langsam und bedächtig durchflog er sein Revier. Wachsam, lauernd gar. Wenn auch ein wenig mühevoll, hatte man ihm das einstweilen das Flügelchen gestutzt. Trotz der körperlichen Beeinträchtigung wohnte dem Falken noch immer der Geist eines Beutejägers inne. Gewiss, die letzten Tage hatten ihn gezeichnet und auf vielfältige Weise ihren Tribut gefordert. Darum pflegte sich der Falke zu schonen und nicht selbst zu jagen. Die Füchsin würde sich darum kümmern müssen, zumindest für eine Weile. Und dann war da noch die kleine Katze…
In den Schatten eines Hauseinganges zurückgezogen, presste er die linke Hand mit zittrigen Fingern auf die viel zu langsam heilende Hüftwunde und unterdrückte ein Husten. Die Rechte krallte sich um den Knauf des Gehstockes und die Lippen verzogen sich zu einem unwilligen Grinsen. Unweit der Südmauer war ein leises Rascheln zu vernehmen und die Aufmerksamkeit war geweckt.
Klack.
Klack.
Klack.
Drei Schritte waren ihm gelungen. Dann musste er, entnervt vom metallischen Klacken der beschlagenen Stockspitze auf den Pflastersteinen, innehalten. Jemand würde über kurz oder lang bezahlen müssen für das elende Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, welches nunmehr in Form des Gehstockes Gestalt angenommen hatte. Das Rascheln war erneut zu vernehmen, dann flitzte die Ratte aus dem Haufen Unrat unterhalb der Südmauer, welcher ihr als zeitweiliges Versteck gedient hatte.
Der Falke hatte die Gelegenheit bereits gewittert, noch ehe die Beute in Sicht war. Dann stürzte er in steilem Flug herab und schlug geschwind und mit scharfen Krallen zu.
Mit unbewegter Miene blickte er auf das Nagetier herab, welches durchbohrt von der Spitze des Gehstockes auf dem Pflaster sein Leben aushauchte. Dann gönnte er sich ein schmales Lächeln. Eine Ratte weniger. Und es gab noch so viele mehr…
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