Unendlich müde und doch hellwach liegt sie steif auf dem, was sie ihr Bett nennt: eine Steinbank mit einer dünnen Strohmatte und einem Kopfkissen. Die Augen fallen ihr immer mal wieder zu, aber all die ungeordneten Gedanken im Kopf lassen sie keine Ruhe finden und halten sie wach.
Endlich, endlich hatte sie heute Abend das Amt als Statthalterin von Falkensee niedergelegt. Endlich war nicht nur ihre Stellvertreterin bereit, sondern auch sie selbst. Es ist, als würde diese imaginäre, schwere eiserne Kette um ihr Fußgelenk jetzt weniger wiegen. An Falkensee, diese Stadt die sie immer mehr verabscheute, blieb sie natürlich weiterhin gefesselt. Ohne die Bürde des einen Amtes würde sie sich umso tiefer ins Andere knien. Oder eher: die anderen. Zwiespältig sind die taufrischen Erinnerungen an die Arbeit im Rathaus: befriedigend und erfüllend, wenn man wieder mal was geschafft hatte. Das strahlende Gesicht eines Menschen, der sich mit seiner ersten Werkstadt oder einem Haus am Ziel seiner bescheidenen bürgerlichen Träume wähnt, war immer mehr Belohnung als das mickrige Gehalt eines Provinzverwalters. Man hat es ihr oft geschenkt, das Lächeln der Dankbarkeit. Und während sie daran denkt, lächelt sie selbst beim starren Blick an die Zimmerdecke der Burg. Aber ebenso oft hatte sie die Arbeit verflucht. Ignoranten die meinten, dass es ein Kinderspiel sei. Ungeduldige Leute, die kurz nach Bezug eines Hauses verschwanden und neben einem wüsten Haus auch noch Schulden hinterließen. Würdenträger, die über ihren Kopf hinweg entschieden hatten oder es versäumt hatten, sie über wichtige Dinge zu informieren und damit die Arbeit erschwerten. Und immer wieder hatte es sie schier überfordert, bis ihre Gesundheit darunter litt. War es in der Anfangszeit nur eine Mattigkeit, wuchs es sich zu permanenter Müdigkeit aus. Spätestes mit der Übernahme des Ratspostens im Ersonter Bund wurde es schlimmer. Aus sporadischer Müdigkeit wurde permanenter Schlafmangel, den man ihr auch ansah. Auch jetzt steigt ihr die Schamesröte ins Gesicht wenn sie daran denkt, auf offener Straße vor den Augen der Leute zusammengeklappt zu sein, einfach so. Den Schwächeanfall zwei Tage später hatte zum Glück keiner gesehen, auch wenn die dicke Beule an der Stirn von ihrem Zusammenprall mit einer Tischkante verkündete. Ach, wie süß war doch der Schlaf gewesen, den sie nach Einnahme von Samiras Trunk gefunden hatte. Sicher, er roch verdächtig, sie weiß nur zu gut wonach, aber es war Medizin aus den Händen einer Heilerin, oder nicht?! Sie ballt die Fäuste während die weiter im funzeligen Kerzenschein an die Zimmerdecke starrt. Selbst das hatte man ihr weggenommen. Was hatte ER sich überhaupt eingebildet, ihre Wohnung zu durchwühlen und ihre Medizin dann unter allerhand blödem Geschwafel in den Burggraben auszugießen. Sie hatte ihm ohnehin kaum zugehört. Dieses hohle Gerede...als ob sie nicht wüsste was sie tat, als ob sie Ratschläge und Fürsorge brauchte. Ruhe braucht sie! Sie hatte ihn ja nett gefunden, Maske hin oder her, aber jetzt kann sie ihn genauso wenig leiden wie...wie...die Auswahl fiel schwer: täglich wurde die Liste derer die sie nicht leiden konnte länger. Es wäre leichter eine Liste mit Leuten zu schreiben, die sie mochte. Eine sehr überschaubare Liste wäre das. Ihre Zähne knirschen während weitere Wut in ihr aufsteigt. Immer öfter entglitt ihr die Laune in den letzten Tagen, sie war es leid sie unter der Höflichkeit zu bedecken. Aber, Ach. Mit tiefen Atemzügen zwingt sie sich wieder zur Ruhe. Zum Zorn gesellt sich plötzliche Wehmut als die Gedanken zum Rathaus zurück gleiten. Sie wusste: bei aller Freude die Last hinter sich zu lassen würde sie es vermissen. Der 16. Carmar 18 nach Hilgorad, ihr erster Arbeitstag als Secretaria. Der 8. Oner 19 nach Hilgorad, die rasche Beförderung zur Stadtconsula. Und noch schneller darauf am 27. Onar 19 nach Hilgorad schon die Beförderung zur Statthalterin. Daten und Zahlen, die fliegen ihr nur so zu. Gute zwei Götterläufe im Rathaus, gar eineinhalb an seiner Spitze. Sie kann es selbst kaum glauben. Das war nie ihr Ziel gewesen, mit dem sie herkam. Aber so kam es halt, und so kommt es noch heute. Ausdruckslos ihr Gesicht, wenn sie überlegt, ob sie dafür aber nicht ihre eigentliche Bestimmung aus den Augen verloren hatte? Darüber muss sie nicht mal lange nachdenken, die Antwort ist zu offensichtlich. Den ganzen letzten Abend und heutigen Vormittag hatte sie sich im Zimmer eingeschlossen. Wann immer Schritte in den Gängen der Burg hallten hielt sie still und die Luft an, regte sich nicht. Niemand sollte hören, dass sie da war, um sie mit dem Schicksal von Sire Laske zu behelligen. Noch etwas nagt in ihrem Hinterkopf am Gedächtnis. Etwas mit dem Mädchen, das für die Stadt arbeitet, aber Hitta ging es doch gut? Was soll's... Und am Abend hatte sie sich in andere Arbeit gestürzt nur um zu verdrängen, dass Laske da war. Er, und zig andere Sorgen und Probleme und Nöte, die sie anpacken müsste. So, wie man es von ihr erwarten konnte. Wie sie es von sich erwartet. Aber sie kann einfach nicht. Nicht jetzt...nicht ohne ihre Medizin, die für so kurze Zeit die scharfen Kanten und das Bedrückende von den Dingen nahm. - Verdammt, war es so schlimm? Zeug des Einen, gut dass es fort ist! - Nein, die Menge macht's. Neue holen, und diesmal nur so viel nehmen wie es ihr gesagt wurde. -
Sie pustet die Kerze aus. Und doch dauert es, bis sie in unruhigen Schlaf fällt. Scham ist der bestimmende Gedanke, der ihr vorher noch lange durch den Kopf spukt.
_________________ Danke fürs Char-Portrait an Awa
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