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 Betreff des Beitrags: Die letzte Wacht
BeitragVerfasst: 21.09.10, 18:29 
Edelbürger
Edelbürger
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Um sie war nur Stille. Eine unheimliche, dumpfe Stille. Eine solche, die entsteht, wenn man die Hände auf seine Ohren presst, wie es ein Kind macht, dass Lärm nicht länger ertragen will. Jeder kennt das.

Ihre Augen schlugen langsam auf. In der Konzentration, in der sie sich befand, reichte ihr das difus flackernde Licht der abgebrannten Kerzen, die vor ihr auf dem Boden aufgereiht waren, in deren weißem Wachs die geprägten elfischen Schutzrunen aufgeregt schimmerten. Vergewissernd betrachtete sie ihren Sitzplatz – den sauberen, hölzernen Boden. Das milde Schimmern des magischen Schutzes, den sie sprach, um sich vor neugierigen oder übermütigen Interventionen zu schützen. Das Flackern des Bannspruches, der vor dieser, kaum mit dem Auge sichtbaren, Kuppel lag. Der verhindern sollte, dass irgendetwas in seinem Inneren hinaus gelangt, ohne ihn überwinden zu müssen. Und die elfischen Schutz- und Bannrunen, die um sie zirkelten, nur um ihre Wirkung aufrecht zu erhalten.

Es war perfekt. Es war, wie es sein musste, wie es stets war.

Ihr Blick senkte sich herab auf den alten, abgewetzten schwarzledrigen Einband des Folianten, vor dem sie kniete.
Sie hatte ihn irgendwann wiedergefunden, inmitten des Papierhaufens eines umgefallenen Bücherstapels.
Durch Zufall, hätte sie gedacht, wenn sie es nicht besser wüsste. So wie man zufällig über eine unscheinbare Kostbarkeit stolpert, auf dem Weg durch eine wenig besuchte Gasse und sich erst nichts dabei denkt, bevor man irgendwann feststellt, dass dieser alte, wertlose Kupferring einem anderen viel bedeutete.
Doch Zufälle gab es keine. Oder kaum welche; so gut wie nie eben, musste sie sich irgendwann eingestehen und einen kleinen Teil einer Philosophie, nach der man eine Ewigkeit lebte, korrigieren.
Vielleicht gibt es etwas, das man Zufall nennen kann, weil es nicht von den Göttern, nicht von irgendeinem Wesen gelenkt worden ist, ob bewusst oder unbewusst.

Jetzt sah sie herab auf diesen alten Folianten, den sie schon einmal in den Händen gehalten hat. Damals hatte sie versucht, ihn an einem sicheren Ort verschwinden zu lassen und wagte nicht, ihn zu öffnen. Doch Zeiten ändern sich.

Ihre Fingerspitzen strichen über den ledrigen Einband, über die eingeprägten Lettern, die in keiner ihr bekannten Sprache eine Bedeutung hatten.

Sie murmelte konzentriert einige leise, elfische Silben. Ein fahles Schimmern zog jäh über das Leder, floß wie trübes Wasser durch Fugen und Einkerbungen und gab einen Zirkel feiner Schutzrunen preis, die sich über den Einband legten.

Ein magischer Schutz. Nicht ungewöhnlich für ein Buch, wenn es von großer Bedeutung für einen Magier ist.
Sie strich erneut über die Schutzrunen. Eine Rune nach der anderen erlöschte unter ihren Fingerspitzen und ein aufgeregtes Gefühl der Neugierde machte sich in ihr breit. Sie hatte schon lange kein solches Werk mehr in den Händen gehabt. War schon lange nicht mehr der bewussten Gefahr ausgesetzt und konnte schon lange nicht mehr ihren Dienst auf diese Weise erfüllen.

Maelve verschloss ihre Augen. Die letzte Rune erlosch.
Konzentriert und behutsam fuhren ihre Fingerspitzen an die ersten Seiten des Buches und schlugen es auf.

Sie las die einzige Zeile, die auf der ersten Seite stand und erstarrte noch im selben Augenblick.

Cyrris lo'ai Enlil dar Wis azag'ai Quil


"Du Närrin, mein Kind. Was habe ich dich gelehrt?"


Vielleicht war es dieses unheimliche Gefühl der Vorsehung oder einfach nur ein plötzlicher Schrecken, der sie dazu veranlasste, das Buch augenblicklich zu schließen und seine Schutzrunen zu erneuern.

Jedenfalls war es zu spät. Die Seiten schlugen auf, ein scharfer, hitziger Wind sauste um ihre Ohren.
Erst flackerte der innere Schutz ihres Sanktums, als eine plötzliche, fremde Macht versuchte hinaus zu drängen. Die elfischen Runen um sie herum flammten violett auf, bäumten sich dieser Macht entgegen, um sie im Zaum zu halten, während im Inneren der Elfenblick in aufgeregter Wachsamkeit umher ging.

Sie konnte nicht ausmachen, was Es war. Nur woher es kam, dass Es versuchte, hinaus zu gelangen und dass Es kraftvoll war.

Was dann folgte, hatte sie hunderte male getan, spielte sie tausende male vor ihrem geistigen Auge durch.

Ein ruhiger, konzentrierter Schwall beschwörerischer, elfischer Silben floß nur so über ihre Lippen. Magische Kräfte manifestierten sich, ließen sich von ihren Fingern formen und verweben, die dann mehr die eines Spielmannes glichen, der in reiner Intuition seine Figuren an Stricken lenkte.

Noch einmal bäumte sich die fremde Macht gegen ihren magischen Schutz auf, entflammten die Schutz- und Bannrunen in grellem Violett, erloschen einige von ihnen, als sie ihrer Kraft beraubt wurden.

"Nein...!", sprach sie nur in bloßem, konzentriertem Befehlston und verstärkte ihre Bemühungen noch ein letztes mal – und dann wurde es ruhig.

Das Buch schloß sich, die Seiten blätterten zurück, der schwere Einband schlug dumpf zu. Auf ihm erglimmten die vielen Runen aufgeregt. Dann erloschen auch sie.

Maelve schloß erleichtert die Augen – sie vergewisserte sich noch in einem kurzen Augenblick, das keine andere Macht als die eigene zugegen war, dann ließ sie die Schutz- und Bannsprüche fallen.

Sie atmete tief durch, wie jemand, der nach einer großen Anstrengung zum Rasten kommt. Frische Luft strömte in ihre Lungen und das Fiepsen des Sperlings, das ihr sonst auf den Geist ging, drang von draußen herein.

Sie strich durch ihr Gesicht. Ihre Hand fühlte sich taub an, das Atmen frischer Luft schmerzte und in ihrem Kopf spürte sie eine seltsame, unangenehme Schwere. Sie sah herab auf den schwarzen Folianten, der nun wieder unscheinbar und gewöhnlich war.

Die Elfe überlegte nicht lange. Es gab nicht viele Möglichkeiten, wie sie nun weiter verfahren könnte. Und sie entschied sich für die einzig Richtige.
Sie musste ihn an einen sicheren Ort bringen, bis sie erfahren könnte, was in ihm verborgen liegt und wie sie Es aus Mandon vertreiben konnte. Das war ihre Aufgabe.


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 Betreff des Beitrags: Re: Die letzte Wacht
BeitragVerfasst: 22.09.10, 20:46 
Edelbürger
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Die Last wog immer schwerer, zog wie ein Bündel Steine an ihrem Geist und an ihrem Körper. Zog herab einen Abgrund von Dunkelheit und Trauer.

Es war schwer dieser Tage, einen klaren Verstand zu bewahren. Seit sie von ihrer Reise nach Laf'ays Stab zurückkehrte, um nach Rat und Hilfe zu suchen. Sie erhielt keines von beidem. Nur einige gutgemeinte und ermahnende Worte sprach man ihr zu, als ob man glaubte, dass die Elfe langsam aber sicher senil würde auf ihre alten Tage hin. Man gab ihr eine Aufgabe und dazu zwei Bücher und schickte sie damit zurück nach Siebenwind. Eine belanglose Aufgabe. Nur um sie zu beschäftigen. Es gab dieser Tage andere Diener, die nicht nur zuverlässiger, sondern auch rascher Aufgaben bewältigten, die manche nicht erfüllen würden. Sie würden sie nicht erfüllen, weil sie einst anderes gelehrt worden sind. Weil sie ihr gesamtes Leben über einer Philosophie und einem heiligen Dienst folgten, der es einfach nicht erlaubte.

Doch Zeiten und Philosophien ändern sich... .

Sie hatte jetzt keinen sicheren Ort mehr und keine helfenden, vertrauten Hände, mit deren Hilfe sie die Last, die sie nun tragen musste, ablegen und vernichten konnte.

Der Foliant war nun ihr ständiger Begleiter. Sie hatte es selbst so gewollt, hatte ihn mit einem schützenden, eisernen Band an ihre Büchertasche gekettet. Es war nicht unbedingt die Furcht vor dem Diebstahl ihrer dunklen Habseligkeit oder die Sorge um den Dieb, der damit mehr auf sich lasten würde, als er erhoffte zu stehlen.
Vielmehr befürchtete sie, es vor lauter Gedankenlosigkeit irgendwo liegen zu lassen. Es zu verlieren und nicht wieder zu finden. Und damit die einzige Möglichkeit zu verlieren, diese Angelegenheit aus Mandon zu schaffen. Nein, um Diebe sorgte sie sich nicht.

Die Menschen kümmerten sie nur noch wenig. Weniger als je zuvor. Sie verabscheute sie sogar manchmal – und das erschrak sie. Ihre ganze Art widerte sie dann nur noch an.
Ihre Selbstgerechtigkeit, ihre Ignoranz. Diese Herrschsucht und offenkundige Selbstverherrlichung jedes Menschen, der es in seinen Augen zu etwas gebracht hat, das nur darauf hinauslief einen netten Titel oder goldene Kleider zu tragen. Während er auf den leblosen, kranken und schmutzigen Leibern derjenigen lief, auf deren Kosten er das vollbrachte.

Manchmal, wenn sie ihre Last kaum spürte, erinnerte sie sich daran, wie es sie erfreute, der Menschheit einfach nur zu zusehen oder mit einem zu sprechen und zu beraten und zu diskutieren, der nur einen Augenblick ihres Lebens sah. Sie hatte einen Blick für das Schöne im Menschen. Jetzt war sie blind.

Nur dieser Junge. Dieser seltsame, fürchterliche Junge weckte dieses Gefühl, diesen Blick noch in ihr. L. Lergoh, in roten Roben, immer mit einem Lächeln auf den Lippen und einer Leichtigkeit in seinen Worten, die so manches mal verkennen lassen, dass sein Wesen ein so ernstes und aufrichtiges sein kann.

Sie hätte sich ihm beinahe anvertraut – doch dann wich sie wieder zurück, wie ein ängstliches Kind, das sich nicht traute seinem Vater etwas zu beichten. Sie.

Doch selbst Adowen konnte sie sich nicht anvertrauen. Selbst ihm? Vielleicht jedem außer ihm. Sie konnte den Schmerz in seinen Augen noch nie ertragen, ohne mit ihm zu leiden und ihm helfen zu wollen.
Wenn sie ihm heute aber vor die Augen trat, dann sah sie nur mehr den Schmerz, den ihr bloßer Anblick bei ihm hervorrief. Seine Hilflosigkeit, ihr nicht helfen zu können und sein Unverständnis, das ihn von ihr forttrieb.

Sie Beide wussten, dass Mandon nicht mehr lange währte. Das gab ihr ein wenig Kraft. Doch helfen, konnte sie nun selbst nicht. Er musste ihr helfen. Er könnte ihr helfen. Doch sie würde es nicht zulassen.
Eine zweischwänzige Katze, oder wie man sagt. Ein schlechter Vergleich... .

Maelve öffnete ihre Augen in der Dunkelheit, in der sie sich befand. Sie stand stand vor einer feuchten Felswand, die bereits zu einem guten Teil mit elfischen Schriftzeichen bemalt war. Ihre Finger schmerzten, sie hielt sie vor ihre Augen, um dem Schmerz auf den Grund zu gehen.

Ihre Fingerspitzen waren blutig und von weißer Kreide befleckt, die kurz zuvor ihr Ende fand und die blasse Haut ihrer Fingerspitzen sich am Felsen aufschrammte.

Sie musste ihren Kopf unzufrieden schütteln, als sie zurück trat und ihr Werk betrachtete. Nein – das war noch nicht vollendet. Noch lange nicht. Es musste mehr geben, es musste irgendeinen Weg geben.

Sie trat hinaus aus der feuchten Höhle in schwarze, aschige Erde. Die fahle Luft schmerzte in ihren Lungen, aber wenigstens war es unheimlich ruhig und niemand störte einen. Hinter ihr erloschen die Kerzen im Höhleneingang und machten sie der übrigen Dunkelheit gleich.

Sie brauchte neue Kreide. Oder...?


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