Auf dem ersten Blick nur ein Zettel von vielen, den Felis von ihrem Arbeitstisch im Obergeschoss ihres alten Hauses aufhob, als sie weitere Kleinigkeiten für den Umzug einpackte und einen Blick darauf warf. Notizen, recht flink niedergeschrieben und nur wenige Zeilen, die vornehmlich Namen darstellten. Der oberste Name, Louis, war dabei auffällig unterstrichen. Sie legte ihn in eine rötliche Kladde zu weiteren Zetteln mit nicht selten ähnlichen Inhalten und schloss sie sorgfältig. Der Inhalt der Kladde war unzweifelhaft etwas, was nicht jedem in die Hände oder unter die Augen geraten sollte. Zuviele Zettel darin enthielten schlicht zu eigenartige Notizen, bei denen manch einer sich fragen würde, wie sie an diese kam und warum sie sich dafür überhaupt interessierte.
Doch dieser Zettel, auf dem sie erste Details notiert hatte, bereitete Felis im Geheimen ein gewisses Vergnügen, was sie allerdings nicht offen zugeben würde. Vermutlich würden es die meisten eh falsch verstehen und denken, sie hätte sich mal wieder hoffnungslos in irgendeinen Kerl verguckt.
Ja, Louis machte sie durchaus neugierig und es gab da einen Punkt in seiner Persönlichkeit, der sie an sich selbst erinnerte. Sofern er bei der Wahrheit geblieben war. Und das war eben der Knackpunkt. Sie traute diesem Mann kein Stück weit. Vielleicht war er kürzlich nur in ihr Leben oder eher in den "Kessel" getreten, weil ihn jemand geschickt hatte. Vielleicht um ihr einen schmerzhaften Schlag zu versetzen. Daher auch seine Komplimente ihr gegenüber vom ersten Moment an? Nicht zu vergessen sein stetes Lächeln und Schmunzeln, als wenn ihn immer etwas im Stillen amüsieren würde. Sie wusste selber nur zu genau, wie falsch so ein Lächeln sein konnte. Lag sie richtig mit dem, was sie ihm am gestrigen Tag im Hafen bei ihrem kleinen, gemeinsamen Frage-Antwort-Spielchen gesagt hatte, als sie versucht hatte ihn zu analysieren? Oder lag sie komplett falsch und er hatte sich bloß ins Fäustchen gelacht, weil er glaubte, sie wäre nun etwas tiefer in sein Netz geraten?
Und da war noch ein Punkt, der ihn interessant machte. Sie ähnelten sie sich auch beide in der Art ihres Könnens. Zu einer anderen Zeit hätte sie wohl wieder den alten Fehler gemacht und sich in diesen umgarnenden Charmeur heillos verguckt. Gewiss, er hatte unleugbar seinen eigenen Reiz, aber glücklicherweise hatte sie nun genug Lehrgeld gezahlt und es gab noch einen weiteren, von ihr gut gehüteten Grund, warum sie es ließ.
Mehr war er momentan ein kleiner Zeitvertreib und auch eine Art Übung. Es gab da noch ein oder vielleicht zwei Personen, über die sie etwas herausfinden musste oder eher wollte. Dieser selbst gestellte Auftrag war durchaus riskanter. Louis war ein ... naja, hart ausgedrückt ein "Nichts" auf dieser Insel momentan. Oder schien zumindest ein Nichts zu sein. Ein Mensch, der scheinbar keinen politischen Einfluss hatte, keine großartige Macht besaß.
Vorsicht, mahnte sie sich im Stillen, nicht jeder ist das, was er vorgibt. Zumindest erweckte er erstmal den Anschein, ein gutes Übungsobjekt zu sein, denn zu lange war sie dieser Art von Arbeit nicht mehr nachgegangen. Vielleicht konnte sie ja sogar seine Lügen bald enttarnen.
Ein Spiel nannte er es, als sie im Obergeschoss des Astraelschreines am Schachtisch gesessen hatten. Katzen spielen nur zu gerne, doch ihre Art von Spiel ist grausamer. Nun bleibt abzuwarten, wer die Oberhand gewinnen würde.