Kapitel 1 – Kinderstreiche
Vergangenheit. Tief im Walde Aurens, Jahr 4895, kurz vor Sonnenaufgang
Die drei sahen sich an. Verschwörerisch und ernst, wie sie dort im tiefen Schatten der Nacht am Fuße des nordöstlichen Turms standen. Sie hatten feine, lederne Handschuhe an die sich eng um ihre kleinen Finger schmiegten. Dann sahen sie den Turm hinauf. „Es wird bald hell“, sagte der Älteste von ihnen, das gewisse Zittern der Aufregung in der Stimme. „Dann sollten wir uns auf den Weg machen!“, erwiderte Feanthil, ungestüm und eifrig während er den Kopf in den Nacken hob und die steile Wand des Turmes hinauf sah. Der mittlere Bruder sagte nichts, grinste jedoch verstohlen in sich hinein. Dann wandten sich die drei Elfenjungen der Wand des Turms zu und begannen.
Feanthil kletterte als Erster los. Seine Finger griffen in den dichten Bewuchs aus klebrigem Efeu hinein und zogen an den biegsamen, nachgiebigen Pflanzen. Als er sie so rüttelte, schienen sie ihre Blätter zu öffnen und eine süße Duftwolke über die drei hinüber zu gießen. Ein leises Husten ertönte. „Schhhh“, flüsterte er leise. „Wenn sie uns erwischen, werden wir Ärger bekommen“, dann zog er sich an einigen Ranken hinauf und setzte den Fuß in das dichte Geflecht. Er schwankte ein wenig, als die Pflanzen unter seinem geringen Gewicht nachgaben. Dann streckte er erst eine Hand nach oben um sich eine neue Ranke zu suchen, dann die nächste. Und wieder nach oben ziehen. Unermüdlich kletterte der Jüngste der Arinths die Wand des Turms hinauf, seine Brüder folgten ihm. Je höher sie kamen, desto stärker wehte der Nachtwind um sie herum und trug die Geräusche der Dunkelheit mit sich. Sie hörten die Klänge der Nacht, eine jagende Eule kreiste über der Festung, die verlassen im goldenen Licht des Weidemonds lag. Ein Waldkauz rief nach seinem Partner, der ihm aus den Tiefen des Waldes antwortete. Glühwürmchen lösten sich aus den Ranken, aufgescheucht durch die Bewegungen der Kinder und umschwirrten diese nun in einem verliebt scheinenden Tanz. Immer höher bewegten sich die drei Elfen, bis sie am Rande des Turmdaches ankamen. Ein leicht schräges Dach führte zu einer Stange aus Stahl, an dem ein Banner im Wind flatterte. Ein Drache mit einer silbernen Sanduhr auf blauem Grund. Die Jungen erklommen das Dach, betrachteten kurz das Banner und grinsten einander verstohlen zu. Dann holten sie es ein. „Hast du es?“, flüsterte der Älteste dem mittleren Bruder zu, der ihn mit einem stummen Grinsen ansah, dann unter sein Hemd griff und etwas aufrollte. Eine große Stoffplane, von den gleichen Maßen wie das Banner breitete sich vor ihnen aus. „Wunderschön.“, kommentierte der Älteste. „Großartig“, meinte der Mittlere anerkennend. Der Jüngste beschränkte sich auf ein Grinsen, als sie das neue Banner an die Stelle des alten hievten. Dann gingen sie zum Rand des Daches und ließen sich dort nieder. Ihre Blicke waren nach Osten gerichtet, aufmerksam und voller Erwartung, während die von Pflanzenresten dreckigen Beine über die Kante hinunter baumeln. „Meinst du, wir werden Ärger bekommen?“, erkundigte sich Feanthil unsicher, fast schon ein wenig ängstlich. Der Älteste hob eine Augenbraue und sah zu seinem Bruder hinüber. „Machst du Witze? Vater wird wahnsinnig wütend auf uns sein. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es an dem Banner liegt oder daran, dass wir mitten in der Nacht einen vierzig Schritt hohen Turm erklettert haben. Und Mutter, sie wird vermutlich still lächeln.“, erläuterte er dann und lehnte sich zurück. „Und wenn, ich finde das war es wert. Die Aussicht ist großartig.“ Dann wandten sich ihre Blicke langsam gen Osten.
Das Schauspiel begann. Die Sonne erhob sich langsam und majestätisch über den Wald und tauchte ihn in eine Flut von Licht. Der helle Atem Felas strich über die Blätter und für einen Moment färbten sich diese in das silbrige Gold des beginnenden Tages. Träge erhob sich der alte Drache über das Waldreich. Nein, nicht träge, sondern voller Würde, so wie sie es seit Jahrtausenden tat. Uninteressiert an all dem, was auf der Welt vorging. Sie beleuchtete diesen Winkel der Welt, dann die drei schwarzhaarigen Jungen auf dem Dach. Dann schob sich für einen Moment lang eine Silhouette vor die Sonne, ein langgezogener Schatten in der Ferne. Die Elfen sahen einander an, dann rangen sie aufgeregt ihre Hände ineinander. „Das war er!“, flüsterte der Mittlere aufgeregt. Die anderen beiden konnten nur sprachlos nicken, als sie sahen wie der Schatten weit in der Ferne eine Schleife flog und dann wieder verschwand. Die drei verharrten noch eine Weile in ehrfürchtigem Zittern, dann sahen sie einander an und beschworen mit einem ernsten Nicken niemandem je von diesem speziellen Anblick zu erzählen. Einen Moment später schwangen sie sich über die Dachbrüstung und kletterten nach unten. Zurück blieb ein Banner, das sich träge aufbauschte und einen etwas konsterniert wirkenden Drachen zeigte, der keine Sanduhr in den Klauen trug sondern ein Weinglas. Seinem geröteten Gesicht und dem etwas diffusen Blick nach zu urteilen, war der Drache unheimlich betrunken, als er sich in den frühen Morgenstunden über der Feste Arinth in den Wind erhob.
„Interessantes Wetter heute.“, bemerkte der Elf zu der Frau an seiner Seite. Er blickte hinauf zu dem Turm und zu dem Banner, das auch seiner Gemahlin nicht verborgen geblieben war. Sie lachte leise und griff nach seiner Hand. Sie standen einen Moment lang in stiller Eintracht dort, ehe beide wie synchron den Kopf schüttelten. „Meinst du wir haben etwas falsch gemacht?“, fragte der Mann, obgleich er sich eines leichten Grinsens nicht erwehren konnte. Hier, in den Hallen seiner Familie tat es gut, manch einmal etwas Unangemessenes zu sehen. „Nein, nicht bei ihnen. Sie sind die drei besten Söhne, die wir uns wünschen konnten. Auch wenn… sie manchmal etwas viel Unsinn im Kopf haben.“, erklärte die Frau und schmiegte sich an ihren Gemahl. Der lächelte und legte seinen Arm um sie herum und beide versanken wieder in Schweigen.
„Wisst Ihr, gestern ist etwas merkwürdiges passiert.“, begann der Patron, als sie um den Esstisch herum saßen. Es gab mehrere Säle, die zum Essen geschaffen waren in der Festung. Aber die meisten waren auf eine große Anzahl ausgelegt, die die Familie Arinth schon lange Zeit nicht mehr aufbringen konnte. „Was denn Vater?“, erkundigte sich der Älteste beiläufig, als er nach einem Stück Brot griff und vorsichtig ein wenig Honig darauf strich. „Gestern Nacht war ein Einbrecher in der Festung.“ „Ein Einbrecher?“, Feanthil sah nun auch von seinem Frühstück auf. Er trug eine übertrieben fassungslose Miene zur Schau. „Ja, ein Einbrecher.“, bestätigte ihm sein Vater mit einem ersten und würdevollen Nicken. „Er hat unser Banner von einem der Türme gestohlen.“, der ältere Elf hielt kurz inne, dann legte er seine Fingerspitzen aneinander und sah über seine Söhne hinweg. „Er hat mir eine Nachricht zukommen lassen, müsst ihr wissen. Er sagte, er würde es wieder geben, wenn wir ihm sämtliche Honigbonbons aushändigen würden die wir in der Festung haben. Für die nächsten drei Monde…“, der Vater verfiel in düsteres Schweigen. Die Jungen sahen einander über den Tisch hinweg an, dann zuckten sie die Schultern. „Und?“, erkundigte sich der mittlere dann gelassen. „Nun, wir haben drei Tage Zeit eine Antwort zu finden. Ich dachte, Ihr solltet das wissen.“, mit diesen Worten widmete er sich wieder seinem Frühstück.
Die Jungen rannten in das Zimmer des Ältesten. „Es ist nicht mehr hier!“ „Unfug, es muss hier sein. Wir haben es doch hier versteckt.“ „Aber es ist nicht mehr hinter dem Bücherregal.“, aufgeregt riefen sie durcheinander, als sie das Zimmer durchsuchten. Dann in den anderen Zimmern nachsahen, ob ihre Beute letzter Nacht dort aufgetaucht sei. Doch kein Drachenbanner fand sich dort. Verzweifelt kamen sie wieder zusammen. „Es kann nicht einfach weg sein. Jemand muss es genommen haben.“, stellte der Mittlere fest. „Aber wer, Telaress?“, verzweifelt rang Feanthil sich bei den Worten die Hände. „Der Einbrecher!“, schoss es dem Ältesten durch den Kopf, eine Vermutung die er sogleich aussprach. Die drei sahen sich an und seine beiden jüngeren Brüder wiegten skeptisch ihre Köpfe hin und her. „Meinst du nicht, dass Vater den nur erfunden hat?“ „Unmöglich, er muss hier eingebrochen sein. Bestimmt hat er uns beobachtet und dann, weil er schlecht klettern kann, den Drachen aus meinem Zimmer entwendet.“ „Und was tun wir nun?“ „Na einfach, wir suchen nach Hinweisen, finden ihn und klauen ihm den Drachen. Dann bringen wir ihn zurück.“ Der Plan klang einfach, dann nickten die drei Brüder und begannen mit der Suche nach Spuren. Geschichten kamen ihnen in Erinnerung, von den findigen Waldläufern von denen sie gehört hatten, von den Elfen aus den Städten, klugen Ermittlern die bisher jedem Verbrechen auf die Spur gekommen waren. Und als sie das Zimmer nach Hinweisen auf den geheimnisvollen Erpresser durchstöberten fühlten sie sich, als würden sie selber einem Geheimnis auf der Spur sein, einem ungelösten Fall, der die Sicherheit einer Nation bedrohte. Die Sicherheit ihrer Nation.
Die beiden Elfen lagen nebeneinander auf einer Liege, eng aneinander geschmiegt und umspielt vom Licht des Astreyon. Die Frau drückte ihrem Mann einen Kuss auf den Hals. „Meinst du nicht, das war ein wenig gemein Liebster?“, flüsterte sie in sein Ohr, als sie den Kopf etwas hob und ihre Nase seine spitzen Ohrmuscheln entlang wandern ließ. „Aber, sie werden doch darauf kommen oder?“, er klang ein wenig unsicher, obgleich in seinen Augen eine gewisse Freude aufblitzte. „Oh, natürlich werden sie das. Sie sind sehr klug, alle drei. Aber der Wald…?“ „Mach dir keine Sorge, meine Brüder werden auf sie Acht geben… Sie waren sehr begeistert von meinem Plan.“, beruhigte er seine Gefährtin und spielte gedankenverloren mit ihren Haaren. „Ranion will Feanthil beobachten oder?“ „Ja… das auch. Es ist wichtig.“ „Ich weiß nicht, er erscheint mir nicht der Richtige zu sein.“ „Er ist noch jung. Aber er ist aufgeweckt. Und ernst. Ich war mit ihm im Turm, ich glaube er hat dessen Geschichte sofort verstanden. Er wird es gut machen – aber, er soll seine Kindheit genießen so lange er kann.“
„Ha!“, triumphierend hielt Telaress seinen beiden Brüdern seinen Fund unter die Nase. Die beiden sahen einander an, nicht sicher was sie dort sahen. Der Bruder schüttelte den Kopf leicht und wedelte mit seinem Fundstück herum. „Aaaaaalso?“, traute sich Feanthil vorsichtig zu fragen. „Das ist unser Hinweis! Ein Stück Umhang, er muss es verloren haben.“ „Aaaahh“, die beiden anderen Brüder nickten einstimmig und besahen sich das abgerissene Stück Stoff etwas aufmerksamer. Es war ein Stück eines Umhangs oder Mantels, von grüner Farbe und durchrieben mit Dreck. Kleine Blätter gingen an einem Stück scheinbar im Stoff fest. „Es ist dreckig.“, stellte der Älteste fest. „Kein Wunder, er kommt ja auch aus dem Wald. Dort wird man dreckig“, bemerkte Feanthil mit kluger Stimme. Dann drehte er den Stofffetzen etwas zwischen den Händen. „Habt Ihr die Blätter bemerkt, die sich verfangen haben?“, fragte er und lenkte die Aufmerksamkeit seiner Brüder darauf. Vorsichtig lösten sie die kleinen, winzigen Blätter von dem Umhang. „Autsch!“ „Sie haben am Stiel kleine Dornen. Sei vorsichtig.“ „Hättest du mir das nicht früher sagen können?“, maulte Telaress und saugte an seinem Finger. „Hm, das muss dann Stichblatt sein.“, beendete der Älteste seine Begutachtung der Pflanzen. Er nickte leicht, zu Bestätigung seiner ausgezeichneten Deduktion und legte die Blätter vorsichtig auf ihren Tisch. „Dasch hilft unsch wie?“, nuschelte Telaress, den blutenden Finger immer noch im Mund. „Stichblatt gibt es nur in einem Teil des Waldes. Ich erinnere mich, dass Ranion davon erzählt hat“, bemerkte Feanthil und schloss die Augen. Er versuchte sich angestrengt an die Worte zu erinnern, die sein Onkel gesprochen hatte. „Er erzählte, dass die Elfen der Wälder große Stichblattpflanzen ziehen würden um aus ihnen ihre Pfeile zu fertigen. Und er sagte, er habe einmal einen großen Busch etwa drei Meilen im Norden gesehen!“, rekonstruierte die Geschichte und sah sich um. „Dann ist es wohl klar.“, Telaress hatte den Finger aus dem Mund genommen und nickte seinen Brüdern in jugendlichem Ernst zu. „Wir müssen in den Wald. Dort finden wir weitere Hinweise. Und vielleicht sogar den Übeltäter“
Die Brüder begannen zu packen, sie nahmen etwas Brot mit, einen kleinen Topf Honig und etwas Schinken. Ein kurzes Stück Seil, vielleicht drei Schritt lang, fand ebenfalls den Weg in ihre Ausrüstung. Außerdem füllten sie einen kleinen Beutel mit Honigbonbons aus der Speisekammer. Wie sie wussten, dienten Süßigkeiten vielerlei Zwecke. Sie besänftigten Kobolde, man konnte sich mit ihnen Auskünfte von Feen erkaufen und einen Troll verwirren, indem man ihn bat sie zu zählen. Außerdem schmeckten sie gut. Dann kleideten sie sich alle in etwas ausgebeulte, braune und grüne Kleidung und nahmen ihre Umhänge. Ausgerüstet mit Proviant, Süßigkeiten und drei Messern, mit denen sie sich dunkler Paladine, schwarzer Zauberer und all den Monstern die sich ihrer noblen Queste entgegen stellen würden erwehren wollten, brachen die drei Brüder in den Wald auf.
Ein Schatten löste sich von einem Baum und huschte den drei Jungen hinterher. Lautlos bewegte er sich über den Waldboden, gekleidet in dunkelbraunes Leder. Der lange Griff eines Elfenschwertes ragte über seiner linken Schulter in die Höhe, an seiner rechten Seite hing ein langer Stiel in einer Lederschlaufe. Er tastete kurz nach dem Knauf der Waffe, dann verschluckte ihn auch schon das dämmrige Zwielicht des Waldes.
„Wir müssen über den Baumstamm, dann noch etwas weiter in diese Richtung und dort ist die Stelle.“, Feanthil sah zurück zu seinen Brüdern, die den Blick zweifelnd erwiderten. „Über den morschen Baumstumpf? Bist du sicher Fea?“, Telaress klang zweifelnd, als er die tiefe Schlucht im Wald musterte und dann den mit glitschigem Moos bewachsenen Baumstumpf. Die Umgebung war mit dichtem Pflanzenbewuchs angefüllt, Farne kuschelten sich auf den lichtarmen Boden, Moose wucherten wild umher und Büsche aller Art fristeten ihr Dasein im Schatten der Bäume. Ihre Kleider waren zerkratzt und aufgerissen vom Unterholz, die Gesichter dreckig. Efeu wucherte um die hohen Baumriesen hindurch, die alles in das ewige Zwielicht des Waldes hüllten. Der Jüngste nickte nachdrücklich. „Keine Sorge, es wird nichts passieren. Onkel Ranion hat diesen Baumstamm schon hundertmal überquert. Und wir sind einen Turm hinaufgeklettert. Wie schwer kann das schon sein?“, aber er hielt doch inne und nahm das Seil, das er sich um den Bauch gewickelt hatte, hervor. Er rollte es ab, dann führte er es durch seinen Gürtel hindurch und reichte den beiden Brüdern das Stück. „Bindet Euch damit fest. So können wir einander hochziehen, wenn einer fällt“. Dann betrat er den Baumstumpf. Er bewegte ihn vorsichtig über das glitschige Holz hinweg, dann beugte er sich herab und setzte seine Hände auf den Stamm auf. Er spürte die Unebenheit unter dem weichen Moosteppich, dann bewegte er sich vorsichtig auf allen Vieren vorwärts. Schritt für Schritt. Vorsichtig reckte er den Kopf zur Seite und erschrak, als er die 20 Schritte in die Tiefe blickte, hinunter auf den reißenden Bach der sich tief in die Schlucht gegraben hatte. Mit einem Schaudern zog er den Kopf zurück und setzte seinen Weg noch langsamer fort. Dann war er am Ende angelangt und blickte zurück. „Na kommt schon! Macht es mir nach und seid vorsichtig. Ich passe auf, dass uns von dieser Seite kein Monster überfällt“, mit diesen Worten drehte er sich zu dem Wald herum und zog mit ernster Miene seinen Dolch, bereit den Übergang gegen Horden von anrückenden Dämonen zu verteidigen. Als Erster kam Telaress hinüber, er stellte sich breitbeinig neben seinen jüngeren Bruder und zog ebenfalls den Dolch. Sie nickten sich zu und sicherten dann den Übergang für ihren ältesten Bruder. Als dieser nachkam, atmeten sie erleichtert auf und steckten die Dolche weg. Vor ihnen lag der dunkelste Teil des Waldes. Sie sahen einander an, dann fassten sie sich für einen Moment lang bei den Händen. Nach einem sanften Druck lösten sie sie und setzten ihren Weg fort.
Der Verfolger betrachtete die drei, dann löste er sich aus dem Unterholz und ging mit einer todesverleugnenden Selbstsicherheit aufrecht über den Baumstamm. Er folgte den Jungen tiefer in den Wald.
Für einen Menschen wäre es wohl bereits düsterste Nacht gewesen, doch für die drei Elfen war es hell genug. Sie konnten die Stämme der Baumriesen erahnen, das dichte Unterholz sehen. Einen Pfad gab es längst nicht mehr, der Wald hatte kein Verständnis für das Markieren von Wegen. Er ließ seine Pflanzen und Sträucher gnadenlos über Schneisen hinweg wuchern und nahm jeden Wildwechsel, wurde er nicht oft benutzt, wieder in Beschlag. Es knackte unter den Füßen der drei Elfen, als sie tiefer und tiefer in den dunklen Wald hinein drangen. Sie hielten an, lauschten atemlos. Dann richteten sie ihre Augen auf ein Rascheln vor ihnen im Busch. „Ein Ork.“, flüsterte der Erste. „Ein Troll“, der Zweite. „Ein Dämon!“, triumphierte der Dritte über seine Brüder, die Stimmen waren zu einem Wispern angstvoller Erwartung herabgesunken. Feanthil hob die Hand um seine Brüder zurück zu halten, dann huschte er geduckt zur Seite um den gefährlichen Feind zu umrunden. Gespannt hielt er den Atem an und sah zu dem Busch hinüber. Wieder raschelte es. Er pirschte sich vorsichtig heran, bis auf einen Schritt, ehe er den Dolch zog und mit einem lauten Ruf in den Busch hinein sprang. Zu seinen Füßen raschelte es, als der furchtbare Dämon sich aus dem Nichts erhob… und sich dann entschied in Gestalt zweier Igel schnell das Weite zu suchen. Feanthil sah zu seinen Brüdern zurück, die dann näher kamen. Sie nickten in Einverständnis. Es war ein großer Ork mit Stacheln auf dem Rücken gewesen.
Sie erreichten die Stelle nach einer weiteren Stunde. Am Rande einer kleinen Lichtung hielten sie sich hinter einer großen Wurzel versteckt. Vorsichtig streckten sie den Kopf über das alte Holz hinweg und beobachteten, was dort auf der Lichtung vor sich ging. Sie sahen eine kleine Plane, die an einem Baum angebracht war. Darunter eine Bettrolle, eine erkaltete Feuerstelle und eine lederne Rolle. Die Lichtung war ansonsten von dichtem, smaragdgrünem Gras bewachsen. Gras, das bestimmt halb so hoch war die Feanthil, der Jüngste. Gras, in dem sich Feinde verbergen konnten. Vorsichtig ließen sich die drei wieder hinter die Wurzel zurück sinken. „Und was machen wir jetzt?“, flüsterte Telaress. Der Älteste hob die Schultern ratlos an, ihm war der Wald nicht geheuer. „Wir teilen uns auf. Jeder aus einer Richtung. Ich bleibe hier, ihr umrundet das Lager je zu einem Drittel nach rechts und links. Wenn Ihr da seid, ahmt Ihr einen Kauz nach. Ich antworte und wir kriechen durch das Gras.“, schlug Feanthil dann mit leiser Stimme vor. Seine Brüder stimmten zu und entfernten sich durch den Wald. Er atmet tief durch und sah sich, ein wenig zögerlicher, um. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen seine Brüder wegzuschicken, dachte er, als ihn die Geräusche des Waldes einhüllten und er das Knacken und Knirschen von Zweigen überall um sich herum wahrnahm. Die Meisten nehmen an, nachts in einem Wald wäre es still. Aber das stimmt nicht, Feanthil. Überall knackt etwas, Blätter rascheln und Tiere rufen. Wenn du diese Geräusche hörst, ist alles in Ordnung. Hörst du die Nachtrufe der Tiere jedoch nicht, dann sei vorsichtig. Dann ist etwas in der Nähe., schoss es ihm durch den Kopf, dann atmete er tief durch und sah zurück durch den Wald. Vorsichtig krabbelte er auf die Wurzel hinauf und rückte an den Stamm des Baumes. Dann hörte er ein leises Heulen, zuerst von der rechten, dann von der linken Seite. Er verband seine Hände, verschränkte die Finger ineinander und formte damit eine Höhle. Er legte die Daumen aneinander, nur einen schmalen Spalt zwischen ihnen frei lassend. Dann blies er seinen Odem durch diesen Spalt, an der Höhle seiner Hände vorbei. Ein hohes, leicht fragendes Geräusch erklang. Der Ruf eines einsamen Kauzes.
Sie pirschten sich durch das Gras vor, mit langsamen Bewegungen, angespannt in die Nacht hinein lauschend. Jeder hatte die Hand an seinem Dolch, während sie mit geübten Bewegungen durch das Gras krochen. Schritt um Schritt bogen sie die großen Halme zur Seite, um sich ihrem Ziel zu nähern. Je näher sie dem Lager an dem großen Stichblattstrauch kamen, desto leiser atmeten sie, wagten es kaum Luft zu holen. Ein Feind konnte jederzeit auftauchen, um seine Lagerstatt zu verteidigen. Der Räuber, der Einbrecher. Sie hatten ihm in ihrer Fantasie bereits die schrecklichsten Gesichter gegeben, das Antlitz eines Dämons. Oder eines Orks. Ein Wesen von so abgrundtiefer Bosheit, dass es nicht zögern würde sie anzugreifen. Und sie waren die drei Streiter des Guten, die dem Feind gegenüber treten würden um ihm die Beute seines Raubzuges abzunehmen. Sie trafen bei dem Lager wieder zusammen. „Nichts“, gaben sie einander zu verstehen, dann näherten sie sich vorsichtig, ehe Feanthil sie zurück hielt. Er deutete auf einen Kreis aus trockenem Holz um das Lager herum. Dann stieg er vorsichtig über jenen hinweg. Seine Brüder folgten ihm in unter die Plane, dann begannen sie das Lager zu durchsuchen. In der ledernen Rolle wurden sie fündig, ein zusammengerolltes Stück Stoff war dort zu sehen. Sie rollten es vorsichtig auf und vor ihnen zeigte sich der Drache in seiner ganzen, majestätischen Pracht. Gewoben in Silber, das in der Dunkelheit noch zu leuchten schien. Atemlos betrachteten sie ihren Fund, gefangen in dieser Demonstration der Handwerkskund. Es war fast, als würde der Drache sie aus dem Banner heraus ansehen und ihnen auf seine würdevolle Art danken, dass sie ihn erretteten. Nein, sie wussten, dass er das tat. „Wir bringen dich zurück nach Hause“, flüsterte Telaress, dann rollten sie das Banner zusammen und verstauten es in der Lederhülle.
Ein trockener Zweig zerbarst. Blätter raschelten. Die Brüder hielten den Atmen an, als sich etwas stampfende Schritte näherten. „Hrrrrm“, erklang ein leises Schnauben, etwa fünf Schritt entfernt. Sie starrten einander erschrocken an, dann blickten sie zurück zu der großen Wurzel und wie ein einziges Wesen huschten sie durch das Gras zurück. „Hrr…?“, ertönte wieder das Schnauben hinter ihnen. „WO SEIN BANNER?!“, grunzte die Stimme dann voll wütender Lautstärke. Feanthil drehte den Kopf und sah zurück, eine große, ungeschlachtet wirkende Gestalt stand in dem Lager und riss eine Axt in die Höhe. „ES IST EIN TROLL, LAUFT!“, rief er seinen Brüdern zu, dann rannten sie. Der Troll wandte sich zu den Geräuschen herum, ehe er ihnen mit schweren Schritten hinterher jagte. Unterholz krachte unter seinen Schritten.
Die drei Kinder rannten wie schon lange nicht mehr, ihre Herzen hämmerten in ihren Ohren während sie über Wurzeln und Steine hinweg setzten, sich durch Büsche drängelten. Hinter ihnen war das laute Geräusch ihres Verfolgers zu hören, sein schnaubender, feuchter Atem und die Urgewalt, mit dem er durch Büsche und Sträucher brach. Sie kamen zu der Brücke, ohne zu überlegen rannten sie über den Baumstamm hinweg. Es war, als würde die Furcht vor dem Troll ihnen Flügel verleihen, den Baumstamm unbeschadet zu überqueren. Ohne zurück zu sehen hetzten sie den Weg zu ihrem Zuhause zurück.
Atemlos kamen sie vor der Festung an und durchquerten die offenen Tore in den Innenhof. Erst dort, auf den weißen Steinen, teilweise überwuchert von Unkraut und Ranken, hielten sie inne und rangen nach Atem. „Er… er ist… weg.“, keuchte der Älteste, beugte sich nach vorne und stützte die Hände auf die Knie. „Puh… Wir… sind… ihm entwischt…“, bestätigte Feanthil ebenso atemlos und ließ sich auf den Rücken fallen, um alle Viere von sich zu strecken. Sie brauchten einige Minuten um zu Atem zu kommen, dann sahen sie ängstlich zurück zu dem Tor, in der Erwartung des gewaltigen Trolls, der bald durch die Tore brechen würde um sie zu holen. „Ich habe gehört Elfenkinder essen sie am liebsten…“, murmelte Telaress mit leiser Stimme und ein Schauer überlief die drei Brüder. Sie malten sich aus, wie der Troll durch das Tor herein stapfen würde, mit seiner riesigen Axt und sich auf sie stürzen würde. Sie einen nach dem anderen schnappen um sie dann in einen großen Kochtopf zu werfen. Der Gedanke brachte die Elfen zum Erschauern, dann sahen sie sich an. „Vielleicht können wir ihn besänftigen…?“, schlug Telaress vorsichtig vor. „Womit denn?“, ratlos blickte Feanthil seine beiden älteren Brüder an. Der Älteste klatschte dann mit einem Mal in die Hände. „Er wollte doch Honigbonbons haben oder? Wie wäre es, wir legen ihm welche an die Brücke… Er wird sie zuerst zählen wollen. Das wird ihn Tage beanspruchen. Und danach ist er damit vielleicht zufrieden…?“, schlug er seinen Brüdern vor. „Hängt Ihr das Banner wieder auf, ich werde die Bonbons an die Brücke legen“, mit den Worten verschwand Feanthil, immer noch außer Atem, am Tor. Er atmete tief ein und aus, als er sein Herz zur Ruhe zwang und langsamer, als bei ihrer kopflosen Flucht. Er schlich sich durch das Unterholz zurück zu der Schlucht.
Die Abenddämmerung senkte sich über den Wald, obgleich der einzige Unterschied war, dass das dichte und dunkle Unterholz noch dichter und bedrohlicher zu sein schien. Der Elfenjunge sah sich aufmerksam um, während er Fuß um Fuß vor sich setzte. Er hörte das beginnende Zirpen der Grillen, in einem nahen Teich quakten einige Frösche träge vor sich hin. Hin und wieder raschelten nahe Blätter und knackten Zweige, während die Nacht langsam zu erwachen begann. Als er bei dem Baumstamm ankam, war es schon dunkel. Er verengte die leicht mandelförmigen Augen, dann robbte der Elf mit vorsichtigen Bewegungen über den Baumstamm. Am anderen Ende angekommen, löste er einen kleinen Beutel von seinem Gürtel. „Wenn… wenn… wenn du hier bist, Troll.“, begann er mit stotternder Stimme in den Wald zu sprechen. „Bitte verfolge uns nicht… Wir haben dir auch ein Geschenk mitgebracht… Aber bitte friss uns nicht.“, erläuterte er seinem unsichtbaren Gegner und legte den Beutel vorsichtig vor sich nieder. Atemlos sah Feanthil sich um, in der Erwartung, dass ein riesiger Troll jäh über ihn herein brechen würde. Er wartete einen Moment, zwei, dann drei. Schließlich drehte er sich um und krabbelte über die Brücke zurück, um dann im Eiltempo zurück zur Festung zu laufen…
Der Beobachter löste sich aus dem Schatten und hob den Beutel auf. Ein schmaler Streifen Mondlicht schien herab und erhellte die feingeschnittene Mundpartie. Er sah in den Beutel, dann zog sich ein Lächeln über seine schmalen Lippen, ehe er die Schlucht wieder überquerte.
„Und, dann haben wir einen Ork mit Stacheln auf dem Rücken gefunden und ihn vertrieben, kurz vor dem Lager des Trolls! Der Troll, der das Banner geklaut hatte. Wir schlichen uns durch das hohe Gras, von drei Seiten, auf sein Lager zu. Unsere Schritte waren leise wie der Morgentau, als wir seine Fallen umrundeten und seinen Lagerplatz betraten. Große Knochen lagen dort, von verschiedenen Tieren, die der Troll gejagt hatte und inmitten, auf einem steinernen Podest, hatte er unser Banner abgelegt. Wir eilten durch das Lager, an seinen Kochgerätschaften, einem großen Kessel und einem gewaltigen Beil, vorbei und schnappten uns das Banner. Natürlich hätten wir auf den Troll warten können, um ihn zu töten“, die Stimme des Ältesten Sohns klang selbstsicher, während er seinen Eltern und ihren Onkeln die Geschichte mit großen Augen und tragender Stimme erzählte. „Aber wir konnten nicht sicher sein, dass es nur ein Troll war. Also haben wir das Lager wieder verlassen, um wenigstens das Banner zurück zu bringen. Und dann“, er klatschte laut in die Hände, ein Knall durchzog den gemütlichen Raum der eine Eule auf einem Fenstersims zu einem verärgerten Federrascheln heranließ. „dann brachen sie hervor. Fünf riesige Trolle, halb so hoch wie unsere Mauern, die uns durch den Wald jagten. Wir rannten vor ihnen fort, da ihre Übermacht zu groß war. An der Schlucht konnten wir sie dann abhängen, aber noch lange hörten wir ihr wütendes Knurren, als sie uns Verwünschungen in ihrer hässlichen Sprache hinterher brüllten und ihre Äxte voller Wut und Enttäuschung schwangen.“ Der Sohn endete, sah zu seinen Brüdern die bestätigend und eifrig nickten. Es war eine gute Geschichte gewesen und auch wenn die Anzahl der Feinde, die sie mit List und Klugheit umgangen hatten, vielleicht nicht ganz so hoch gewesen war, waren sie sich einig, dass dies das größte Abenteuer war, das sie jemals erlebt hatten.
Spät in der Nacht fanden sich die erwachsenen Elfen zusammen. „Schlafen sie?“, erkundigte sich ein etwas abseits stehender Elf. Er hatte die Kapuze zurück geschlagen und betrachtete einen Pokal in seiner Hand. „Ja, sie waren sehr erschöpft. Aber auch glücklich.“, antwortete die Frau, die durch eine verzierte Türe auf den Balkon trat und sich ein langes Stofftuch um die Schultern legte. „Unsere kleinen Helden…“, zufrieden blickte sich der Vater der Rasselbande um. „Danke für Eure Hilfe.“ „Gerne Farnion. Es war interessant ihnen zuzusehen. Und es hat ihnen viel Freude bereitet“, erklärte ein anderer Elf, der es sich auf der Balustrade des Balkons bequem gemacht hatte. Dann schweifte ihr Gespräch in andere Richtungen ab.
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