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 Betreff des Beitrags: Der dritte Sohn
BeitragVerfasst: 28.08.10, 15:36 
Edelbürger
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Prolog – Stammbaum der Ungeborenen

Tief in den Wäldern Aurens befindet sich eine Festung. Verborgen von Blattwerk und Bäumen und teilweise überwuchert von seltenen Efeuarten harrt sie dort der Jahrhunderte, die noch kommen mögen. Drei Türme erheben sich über die Mauern der Festung und stoßen leicht durch das Dach der sie umgebenden Baumriesen hinauf in Richtung Fela…

Der südliche Turm, Jahr 4896

Der Raum war seltsam faszinierend. Eigentlich war es ein Turm, aber ein Turm der nur einen einzigen, zentralen Raum besaß. Ein Turm ohne Dach, letzten Endes eher eine langer, nach oben offener Zylinder der über die hohen Bäume hinausragte, die die restlichen Gebäude umgaben. Im Innern wies dieser Turm zwei Besonderheiten auf: Zum einen die Treppe, die sich spiralförmig an der Wand nach oben wand und die Schriftzeichen an den Wänden. Von unten beginnend zogen sich kurze Vermerke in geschwungener Schrift nach oben, verbunden durch Linien…

„Vater, was ist dies hier für ein Ort?“, fragte der Junge mit neugieriger Stimme, während seine dunklen Augen voller Staunen hinauf blickten, den Kopf hatte er in den Nacken gelegt um die Höhe des Turmes abzumessen. Ein wenig blinzelte er, zum einen weil sein kohlrabenschwarzes Haar ihm ins Gesicht hing, zum anderen weil die Sonne fast genau über dem Turm stand und ihn durch die obere Öffnung mit strahlendem Licht erfüllte. „Dies, mein Sohn,“, sagte ein Mann, der seine schlanken Hände ruhig auf die Schultern seines Sprösslings legte und dessen staunende Mimik mit einer gewissen Melancholie belächelte, „Ist ein Monument.“. Die Worte klangen schwer, folgenschwer und inhaltsreich. Der Junge blinzelte, dann drehte er sich zu seinem Vater herum und sah ihm ins Gesicht. Die beiden ähnelten sich unverkennbar, die gleichen dunkelblauen, fast schwarzen Augen, der gleiche schmale Mund und die ernsten Züge. Die des Jungen waren jedoch weicher, freundlicher und von einer noch tiefen Unschuld. Die des Vaters dagegen, der nun auf ihn hinunter sah, eingehüllt in die güldene Korona des Mittagslichtes, von hartem Ernst und der Weisheit eines langen Lebens, das hier und da tiefe Sorgenfalten in seine Züge gegraben hatte. Das einzig freundliche, weiche daran war sein Blick der sich immer verwandelte, wenn er den Jungen ansah. Er wusste, welche Frage nun folgen würde. „Ein Monument für was?“, erklang die kindliche Stimme neugierig, während ein Paar kleiner Hände nach den seinen griffen. Der Elf lächelte wieder sein geheimnisvolles, trauriges Lächeln das einen Schatten über seine Augen trieb. „Komm, setzen wir uns. Ich werde dir eine Geschichte erzählen.“ Er führte seinen Sohn zu der Mitte des Raumes, in dem steinerne Stühle und eine große Tischplatte standen. Möbel, die vom gelegentlichen Regen und Unwetter, das frei durch den Turm ziehen durfte, glatt poliert und von kundiger Hand erhalten waren. Keine Verzierungen waren angebracht, keine Ornamente oder Bilder, nicht einmal Initialen die einen Hinweis auf die Besitzer oder den Schöpfer dieser, wahrscheinlich uralten, Möbelstücke geben könnten. Es gab genau fünf Stühle an dem Tisch, die gegenüber auf den langen Seiten aufgereiht waren. Zwei auf der einen, drei auf der anderen Seite. Der Vater führte seinen Sohn zu der Seite mit den drei Stühlen und ließ seine Hände los. Mit einer Geste bedeutete er dem Jüngling sich zu setzen. Er selber nahm mit einer langsamen, zeremoniell und würdevoll wirkenden Bewegung einen Platz an der anderen Seite des Tisches ein. „Es ist eine traurige Geschichte, voller Wut und Leid mein Sohn. Keine schöne, die man an einem Tag wie diesem erzählen sollte. Bist du dir sicher, dass du sie hören willst?“ Der Junge überlegte einen Moment, dann blickte er hinauf zu den beschrifteten Wänden des Turms. Er mochte traurige Geschichten nicht, wer in seinem Alter mochte die schon. Er mochte Geschichten von strahlenden Helden, weisen Magiern und klugen Ratgebern. Er mochte aber auch keine Geschichten, die einfach waren, die sich von selber lösten. Und er mochte das Unbekannte, Dinge die seine Neugier erweckte. Wie dieser Turm. „Ja, ich möchte sie gerne hören.“

„Es war vor langer, langer Zeit. Noch ehe du, ich, dein Groß- oder Urgroßvater geboren waren. Es war Krieg zu dieser Zeit, musst du verstehen. Ein großer Krieg, der das Angesicht der Welt veränderte. Wir hatten damals ein Heim, eine große und prächtige Stadt. Ich könnte sie mit Worten beschreiben, aber das würde ihr nicht gerecht werden. Und die Geschichte dieser Stadt, obgleich sie mit der Geschichte dieses Turms untrennbar verbunden ist, soll ein andermal erzählt werden. Es begab sich, dass die Horden des Bösen, des alten Feindes der sich damals erst unsere Feindschaft erwarb, unsere Stadt belagerten. Und durch tragische Ereignisse schafften sie es jene Stadt einzunehmen.“, er hielt für einen Moment inne und sah zu dem Elfenjungen hinüber. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Nein, Feanthil, keine Frage. Die Geschichte der Stadt ist eine andere und du wirst sie hören. Ein anderes Mal.“, erklärte er seinem Sohn mit dem warmen Lächeln. Dann blinzelte er einmal, ein langsames und kontrolliertes Senken seiner Augenlider, ehe er fortfuhr und den Blick wieder in die Ferne zu richten schien. Die Stimme war voller Klang und Leben, es schien fast, als würde sie das Licht der Mittagssonne dämpfen und die beiden schwarzhaarigen Elfen in einen Schleier aus Geheimnissen und Alter hüllen. Es war eine Stimme, der man gerne zuhörte, eine Stimme die dazu gemacht war Geschichten zu erzählen. „Die wenigen Überlebenden flohen in die tiefen und dichten Wälder. Und sie waren uneins darüber, was nun zu tun sei. Einige unter ihnen, voller Wut und Zorn über die Geschehnisse, wollte weiterkämpfen. Ja, um ehrlich zu sein, sie wollten noch härter kämpfen als zuvor. Eine andere Gruppe hatte genug von den Schrecken des Krieges, sie fürchtete um das Fortbestehen des Volkes und zog sich in die Wälder zurück um sich vor den Schrecken des Feindes zu verbergen. Die erste Gruppe jedoch ergriff ihre Waffen und zog los. Vorher, musst du wissen, waren oft Schlachten auf offenem Feld geführt worden. Weit mehr als solche mit Hinterhalten, verdeckten Schützen und dergleichen. Dies änderte sich jedoch, diese Elfen legten ihre Vorstellung davon ab, dass man einem Feind von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten hätte. Sie verbargen sich in den Schatten und schlugen aus dem Verborgenen zu. Bei Nacht schlichen sie sich in die Lager des Feindes und vergifteten ihr Essen und sangen ihre Lieder, während die Soldaten und Magier des Gegners unter Krämpfen verendeten. Es waren grausige Zeiten, aber die Natur des Feindes rechtfertigte solche Maßnahmen allemal genau wie die Taten seiner Untergebenen musst du wissen. Es ist nicht so, dass man Böses stets mit Bösem vergelten und aufwiegen kann. Aber es gibt Geschöpfe die Taten von solcher Bosheit verübt haben, dass eine gewisse Rücksichtslosigkeit ihnen gegenüber angebracht ist. Nun, diese Gruppe war sehr erfolgreich in dem was sie tat. Viele Feinde vielen ihnen zum Opfer und bald schon war ihre Erwähnung Grund genug für die meisten der feindlichen Soldaten sich zu fürchten. Doch, ihre Taten hatten unvorhergesehene Konsequenzen. Sie lenkten die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich, dessen glühende Augen jeden Schatten der Täuschung durchbrachen. Er erblickte sie und sprach folgende Worte:


Ihr habt gewagt mir zu trotzen!
Vernehmet die Worte eures Untergangs:
Ich verdamme Euch, Geschlecht und Sippe.
Ich verdamme einen jeden Eures Blutes.
Ich verdamme einen jeden Eures Namens.
Drei Nachkommen seien Euch gewährt.
Drei um Euer Geschlecht zu erhalten.
Drei, damit Ihr zusehen könnt, wie die Welt mein wird.
Drei, damit Ihr Eurer Machtlosigkeit gewahr werdet.


Als die Rebellen diese Worte vernahmen geschah etwas Schreckliches. Viele von ihnen starben unter schrecklichen Schmerzen und am Ende blieb nur eine kleine Gruppe zurück, die voller Angst in die Wälder floh. Der Fluch des Feindes hatte bereits zu wirken begonnen und jeden Elfen in jeder Generation getötet und nur die Eltern und ihrer drei Kinder am Leben gelassen. Doch statt sie zu zu brechen, weckte er durch den Gram den er über die einst zahlreiche Familie gebracht hatte nur noch mehr Zorn. Tief zogen sie sich in die Wälder zurück, um ihrer Toten und jener, die niemals das Licht der Welt erblicken würden zu gedenken…“, der Elf hielt mit der Erzählung inne und sah zu seinem Sohn hinunter, der ihm mit ernster Miene zugehört hatte. Dann erhob sich der Junge und ging langsam, fast wie im Traum, zu einer der Wände hinüber. „Maerana Arinth, Jahr 12 nach Ende der Amulettkriege“, las er mit leiser Stimme einen Namen vor, der ihm auf Augenhöhe erschien. Dann wandte er den Kopf langsam herum und fing den Blick seines Vaters ein. „Das waren wir – oder?“, flüsterte er mit einem Mal und trotz der warmen Mittagssonne fröstelte es ihm. „Ja mein Sohn, das waren wir“, antwortete ihm sein Vater mit ebenso leisem Klang und erhob sich. Es schien als würde sich ein Flüstern aus den Mauern des Turmes erheben, leise Rufe aus der Vergangenheit und der Zukunft. Rufe von Stimmen, die niemals auf Tare hatten erklingen durfen, die sie beide in ein gespenstisches Netz einwoben und in ihrem leisen Klang umhüllte. „Ich… ich höre sie…“, flüsterte Feanthil und sah mit einer Miene in der sich jähe Angst spiegelte zu seinem Vater hinauf. Dieser nickte ernst und legte seinem Sohn die Hände auf die Schultern, verständnisvoll und gleichzeitig traurig. „Was wollen sie Vater…?“, wisperte der junge Elf und sah sich angstvoll um. Sein Vater blickte einen Moment lang die Wände hinauf, lauschte der Stimme des Turmes. „Nur eines, liebster Feanthil. Sie wollen, dass du sie niemals vergisst.“


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 Betreff des Beitrags: Zwischenspiel 1 - Unbekanntes Terrain
BeitragVerfasst: 28.08.10, 22:33 
Edelbürger
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Zwischenspiel I – Unbekanntes Terrain

Gegenwart, 24. 8. Dunkelzyklus Querlar 5021

„Wir müssen nach oben!“, rief der Mann durch das allgegenwärtige Chaos hindurch. Krachen und Knarzen der überanspruchten Steine, die einem steten Beschuss ausgesetzt waren. Es knirschte, als ein weiterer Felsen gegen die Mauern prallte. Der Angesprochene war seltsam ruhig, dann sah er zu der Treppe die durch eine Flammenwand versperrt wurde. Kurz schloss er die Augen und tat einen tiefen Atemzug, um sich auf das Kommende vorzubereiten. Es gibt Ideen, die sind rundheraus schlecht. Aber sie sind das Beste, was man tun kann., dachte er. Als er die Augen öffnete, waren die Flammen verschwunden. „Nach oben! Rasch!“, rief er den anderen zu, dann sprintete er die Treppen hinauf in den obersten Raum hinein. Er wusste, was ihn erwartete, hatte es bereits durch das Donnern des Beschusses gehört. Mit einer beiläufigen Bewegung wich er einem Stein aus, der von der Decke fiel, dann eilte er in den Raum hinein. Die Kreaturen, drei große Golems aus braunem Gestein, ein Gargoyle aus schwarzem Marmor, wandten sich herum und stürzten sich wie ein einziges Wesen auf den Elf. Einem wuchtigen Hieb des ersten Golems wich er aus, hieb in einer fließenden Bewegung nach dem Arm. Ein leichter Kratzer auf dem Gestein, nichts, was der Kreatur Einhalt geboten hätte. Dann wurde er einen Schritt zurück geschleudert, als eine steinerne Faust ihn in die Seite traf. Auf den Ballen wendete sich der Elf herum, einen dritten Angriff mehr erahnend und mit dem Schild zur Seite ablenkend. Erneut taumelte er von der Wucht des Angriffes. Dann spürte er eine plötzliche Hitze über seinen Leib peitschen, als ihn ein Feuerball für einen Moment in glühende Flammen hüllte. Ein weiterer brutaler Hieb krachte auf seine Schultern nieder und ließ ihn in die Knie gehen. Er erhob den Schild, der unter einem fünften Angriff knirschte. Dann fegte ihn ein Fußstoß eines Golems beiseite und ließ ihn gegen eine Wand prallen. Dunkelheit breitete sich wie ein sanftes Tuch über den Elfen, als das Getöse des Katapultbeschusses, die Rufe seiner Gefährten, das Knistern von Zaubersprüchen und Klingen der Waffen langsam seinen Sinnen entglitt. Dann kippte er langsam zur Seite als die herannahende Finsternis seine Wahrnehmung endgültig betäubte. Eine wirklich schlechte Idee, dachte er noch, bevor auch seine Gedanken verstummten.

Lager der Streitkräfte, Lilienwall. 9. Dunkelzyklus des 24. Querlar 5019

Es gab unterschiedliche Arten zu erwachen. Manche waren angenehm, andere weniger. Wenn er sich hätte entscheiden müssen, war diese Art zu erwachen unangenehm. Nicht, weil es etwas Schlechtes gewesen wäre in den Armen einer Waldelfe zu erwachen. Noch weniger, weil sie einen sanft auf die Stirn küsste und einem das Haar streichelte. Zumindest nicht wegen dieser Sachen an sich. Das Unangenehme war, dass ihm so eine Situation vollkommen neu war, unbekannt. Und unbekannte Situationen waren gefährliches Terrain. „Du bist wach! Du dummer, dummer Mann! Wie konntest du mir nur solche Sorgen bereiten?“, wies ihn die weißhaarige Elfe zurecht, die Stimme war jedoch frei von Schärfe oder Enttäuschung. Sie klang erleichtert, fürsorglich, warm. Der Elf sah sich einen Moment lang in seiner Umgebung um, er war in einem kleinen Zelt, auf dem Boden waren Decken überall ausgebreitet. Vorsichtig erhob er einen Arm um sich aufzusetzen, als plötzlicher Schmerz durch seinen Oberkörper schoss. Schmerz, der ihn daran erinnerte, dass sein wie wundersames Überleben dennoch mit einem Preis verbunden war. Er spürte gleich daraufhin wieder die Arme der kleinen Waldelfe um sich herum. Ein Zucken glitt durch seinen Körper, keines voll Schmerz sondern eines voller Überraschung. Er fand es befremdlich berührt zu werden, selbst von jemandem wie ihr. Vorsichtig versuchte er von ihr fort zu rücken, der unvertrauten Nähe zu entrinnen und sich wieder auf den sicheren vertrauten Grund seiner Distanz zurück zu ziehen. Sie zog sich von ihm zurück, half ihn aufzurichten und gegen die Wand neben sich zu lehnen.

„Was ist passiert?“, erkundigte er sich mit leiser Stimme und sah zu dem Zeltausgang hinüber. Er hörte verschiedene Gespräche dort draußen, eine Stimme gehörte einem Bekannten, Adowen. Sie waren unwichtig, entschied er und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Worte der Waldelfe. „Du bist dort hochgerannt und alle sind dir gefolgt. Die Wesen haben dich niedergeschlagen und Leaniel schwer verletzt. Der Magier hat die ganze Zeit versucht dieses Signal zu entfachen, aber dann mussten wir aus dem Turm fliehen. Das obere Stockwerk ist eingestürzt. Du wurdest dort heraus gezogen und ich habe dich hierher gebracht.“, endete sie mit einer nüchterner werdenden Stimme. „Vielen Dank“, entgegnete er ehrlich, wenngleich noch etwas benommen. Die Elfe sah kurz zur Seite, dann winkte sie leicht ab. Der erste Moment der Vertrautheit war verflogen, wie es schien. Ihre Stimme klang vielmehr sachlich „Das war meine Aufgabe“, erläuterte sie kühl. Irritiert huschte eine Falte über seine Stirn. „Das war wahrscheinlich eine dumme Idee, die ich hatte. Aber die Beste, die es im Moment gab.“, die sonst so ernste Stimme klang etwas zerstreut, als der Elf vorsichtig seine Ellenbeugen um die aufgestellten Knie legte. „Stimmt. Manche Ideen sind auch nach dem zweiten Hinsehen noch schlecht. Warum hast du es getan?“, fragte sie. Er spitzte die Lippen zu einer Art selbstironischem Lächeln, auch wenn es in seinem Gesicht dabei schmerzte. Ja, warum habe ich das getan? „Irgendjemand musste es tun. Und wie kann ich erwarten, dass irgendjemand anders vorgeht? Wie soll ich von Anderen etwas erwarten können, das ich selber zu tun nicht bereit bin?“, entgegnete er dann und er spürte, dass diese Antwort im Grunde eine Wahrheit war. Nicht seine Wahrheit, aber es war eine, die man durchaus preisgeben durfte. Der andere Grund ist noch einfacher…, huschte es ihm durch den Kopf.

„Diese Insel verändert einen… Mir geht es auch so, dass von mir erwartet wird Entscheidungen zu treffen. Das ist ungewohnt.“, gab sie zu, ihren schneeweißen Kopf zur Seite neigend um sich an seine linke Schulter zu lehnen. Er unterdrückte die Regung von ihr fortzurücken, unternahm aber auch nichts um sie in ihrer Annäherung zu bestätigen. „Mir geht es auch so. Ich bin es gewohnt andere Leute, Krieger, als Ressourcen zu betrachten, mit ihnen so zu planen als würde ich eine Partie Schach spielen. Hier auf der Insel fällt es mir immer schwerer.“ Die Waldelfe griff nach einigen Steinen und warf sie in einer fast zornigen Geste hinaus, den Kopf nahm sie wieder zurück. Er wusste nicht, was sie dazu bewog. Seine Distanz, sein Nichteingehen auf ihre Nähe oder einfach eine andere Regung wie die Frustration und Wut die er in ihrer Stimme hörte, als sie die aufgesammelten Steine aus dem Zelteingang warf. „Deswegen fühle ich mich dir oft so nah. Das sind die verdammten zwei Seiten derselben Medaille, die man so selten findet.“, brachte sie hervor. Er war überrascht, die Worte die sie benutzte klangen beinahe menschlich, obgleich ihm voller Unbehagen eine Ahnung kam, als sie die „Nähe“ erwähnte. „Du klingst ganz anders als die meisten Waldelfen die ich kenne. Weniger… verklärt“, versuchte er vorsichtig seine Gedanken in Worte zu fassen. Sie sah zur Seite und betrachtete ihn beinahe spöttisch. „Ich bin von Zuhause fortgezogen, als ich etwa hundert war. Ich konnte nie etwas wirklich und bin dann mit den Kriegen der Menschen in Berührung gekommen. Ich bin ihnen hinterher gezogen, habe mich um jene gekümmert die liegen geblieben sind. Ich war einsam und ich war damit zufrieden. Je länger ich jedoch hier bin, desto mehr sehne ich mich nach einem Heim und nach Freunden.“, die Stimme klang resigniert und traurig, während sie ihn von der Seite ansah. Er blinzelte und blickte hinaus, als sich die Abenddämmerung langsam über das kleine Lager legte. Ein Soldat stapfte an ihnen vorbei um sich in einer anderen Ecke des großen Zeltes schlafen zu legen. Normalerweise hätte er einen Ort gemieden, an dem die Menschen ihm so nah waren. Dank seiner Verletzungen jedoch blieb ihm vorläufig nichts anderes übrig als hier zu verharren.
„Ich würde auch gerne etwas anderes tun. Ich würde gerne den Grund herausfinden, warum Dinge von oben nach unten fallen, warum Blätter über einem heißen Feuer aber in der Luft tanzen. Ich würde gerne studieren, Philosophie, Sprache, die Naturwissenschaften. In einem Haus wohnen, das eine Bibliothek sein eigen nennt und einen Dachgarten besitzen, von dem aus ich nachts Sterne und Monde beobachten kann.“, entgegnete er, das Beste was ihm einfiel. Es war wie ein Tauschhandel, ein Geheimnis, eine Sorge von ihr gegen einen Wunsch oder eine Sorge von ihm. Er war mit diesen Situationen nicht vertraut, denn in seiner Familie gab es solche Probleme nie. Sie alle waren sich nahe, verbunden durch das Band der Verwandtschaft und der Treue und liebten einander. Aber es war etwas anderes, mit jemandem den man erst so kurz kannte, über solche Dinge zu sprechen. Er schämte sich seines Wunsches zwar nicht, aber der Tatsache, dass er ihn auch geäußert hatte ein wenig. Die Waldelfe, aus ihren düsteren Gedanken gerissen, sah zu ihm hinüber. „Aber warum kannst du das denn nicht?“, erkundigte sie sich, ein wenig belustigt offenbar. Er zögerte einen Moment, dann hob er innerlich die Schultern wie um sich selber zu signalisieren, dass es ihm gerade egal sei. „Ich kann nicht. Ich bin der dritte Sohn meiner Generation. Mein ältester Bruder wird die Familie fortführen, mein zweitältester Bruder wird ein Gelehrter. Meine Aufgabe ist dies.“, er nickte hinüber zu dem Bündel, wo er unlängst seine Ausrüstung und seine Waffen identifiziert hatte. Die Waldelfe überraschte ihn, als sie ihn auf diese ernste Offenbarung hin auslachte. Er hätte gekränkt sein sollen, in gewisser Weise war er es auch, aber er verzieh ihr ihr Lachen indem er ihrer Unwissenheit gedachte. „Ihr Hochelfen“, wunderte sie sich. „Ihr seid immer so gefangen in Eurer Pflicht. Weißt du denn nicht, dass es Zeiten des Krieges gibt in denen wir kämpfen müssen aber auch Zeiten des Friedens, in denen wir im Gras liegen dürfen um die Blätter beim Fallen zu beobachten?“ „Doch, das weiß ich Safiriel. Aber bei mir liegen die Dinge anders. Sie haben mit einer alten Geschichte zu tun, eine Geschichte meiner Familie…“, begann er und wusste in dem Augenblick, wo dieses Gespräch enden würde. Er fürchtete, dass es eines von vielen sein würde, von vielen Gesprächen in denen er erzählen würde, wenn sie fragte. Stück für Stück, bis sich ein ganzes Bild ergab. Er sah zur Seite. Sie sagte etwas. Natürlich wollte sie die Geschichte hören. Er rang einen Moment mit sich selbst, begann dann aber sie zu erzählen.


Falkensee, nahe des Südtores
Sie wollte gehen, suchte nach einem Grund es nicht zu tun. Er hätte vieles sagen können, vieles das er gerne gesagt hätte. Aber all dies wäre selbstsüchtig gewesen. Sie war so kühl, hatte sich verabschiedet um ihm dann etwas zu übergeben, eine verbeulte Urne, sorgfältig verpackt. „Ich brauche jemanden, der sich darum kümmert.“ Er erschrak innerlich, was ihn verwunderte. Er wusste, was sie damit sagte und fürchtete sich davor. Furcht hatte er nie leiden können, sie sorgte dafür, dass er sich verletzlich fühlte. Sie sprachen… Dann sagte er etwas. „Habe ich etwas getan um dich zu verärgern?“, die Stimme des Elfen war leise, unsicher, als würde er jene Worte oder die Überlegung dahinter zum ersten Mal äußern. Er wurde nicht schlau aus seiner Gegenüber, sie war ihm ein großes Rätsel. Nun, ein kleines Rätsel, das in der Dunkelheit fast an einen Geist erinnerte. Sie antwortete ihm…

„Bitte“, so viel mehr klang in diesem einfachen Wort mit, als er ausdrücken konnte. So vieles, das er weder sagen konnte noch wollte. Er spürte die kleine Waldelfe in seinen Armen und dachte fieberhaft nach, während sich Fela langsam über diesem Teil der Welt erhob und die seltsame Szene beleuchtete. Eine Waldelfe, weiße Haut und weißes Haar, stand in einer Gasse und hatte die Arme um einen wesentlich größeren Hochelfen gelegt. Beide hielten sich fest, allerdings mit einer Vorsicht, die den Eindruck verwarf den ein vorbeigehender Beobachter gehegt hätte. Eine Szene, die nicht hierher gehörte, an die kleine Seitenstraße am Tor neben dem Seiltänzer. Eine Szene, die in einem Wald, in den luftigen Marmorgebäuden des Elfenviertels oder zwischen den flatternden Glühwürmchen des Auenelfendorfes wesentlich echter und natürlicher gewirkt hätte.
„Bitte was?“, erkundigte sie sich mit leiser Stimme, den Kopf leicht hebend um in sein Ohr zu flüstern. Geh! Geh nicht. Lass mich alleine. Bleib hier. Versprich dir nichts, der Anfang einer Myriade von Antworten die der Hochelf auf diese Frage hätte ausspeien können. Er schwieg wieder, wie er es so oft tat. Meistens war sein Schweigen beobachtender Natur – er hätte viel sagen können, aber entschied sich sehr oft dafür es nicht zu tun. Er sagte nur dann etwas, wenn es nötig war. Aber nun schwieg er, weil er die Antworten auf ihre Frage kannte, sie aber nicht preisgeben wollte. Ich sollte sie wegstoßen, weit fort. Es wird sie verletzen, aber sie wird darüber hinweg kommen. „Überleg es dir…“, antwortete er lediglich, mit einer etwas flacheren Stimme. Nein, ich hätte sagen sollen: Geh fort und komm nicht zurück. Hier ist nichts für dich. Was habe ich gesagt? „Ich wäre gerne dein Freund.“, wieder einmal schalt sich der Hochelf für die Worte, diese unbestimmten Worte die keine Gewissheit schufen sondern nur mehr Fragen, mehr Unerwünschtes. Die Waldelfe nickte vorsichtig, ehe sie ihm einen zarten Kuss auf die Wange gab.
Sie lösten ihre deplatzierte Umarmung. Sie sagte etwas, irgendetwas, eine Antwort der schon kannte und die ihm nicht wichtig war. Dann veränderte sie ihre Gestalt, so leicht und mühelos als sei das gefiederte Wesen, der weiße Adler, ihr ebenso vertraut wie ihr kleiner, weißer Leib. Ohne Anstrengung erhob sie sich in die Lüfte und kreiste einen Moment lang über dem Viertel, über dem Stadttor, über ihm. Er sah hinauf und schämte sich für das, was er getan hatte. Daraus wird nichts Gutes erwachsen… Und ich begebe mich in Gefahr. Gefahr jemanden zu verletzen für dessen Verteidigung ich mein Leben geben würde. Nein, keine Gefahr. Es ist Gewissheit.

Ein düsterer Gesichtsausdruck glitt über die Züge des Elfen hinweg, als er die Szene noch einmal durchging. Er schüttelte danach den Kopf und führte sein Pferd in das Viertel hinein und zog eine Birne aus der Tasche. Abwesend hielt er sie seinem Pferd hin. Halte deine Gesinnung im Lichte, deine Taten im Dunkel mein Sohn, er erinnerte sich an diese Worte, als sie, wie aus einer vergangenen Epoche zu ihm drangen. Diesen Satz bekamen alle dritten Söhne zu hören.


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 Betreff des Beitrags: Kapitel 1 - Kinderstreiche
BeitragVerfasst: 29.08.10, 17:09 
Edelbürger
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Kapitel 1 – Kinderstreiche

Vergangenheit. Tief im Walde Aurens, Jahr 4895, kurz vor Sonnenaufgang

Die drei sahen sich an. Verschwörerisch und ernst, wie sie dort im tiefen Schatten der Nacht am Fuße des nordöstlichen Turms standen. Sie hatten feine, lederne Handschuhe an die sich eng um ihre kleinen Finger schmiegten. Dann sahen sie den Turm hinauf. „Es wird bald hell“, sagte der Älteste von ihnen, das gewisse Zittern der Aufregung in der Stimme. „Dann sollten wir uns auf den Weg machen!“, erwiderte Feanthil, ungestüm und eifrig während er den Kopf in den Nacken hob und die steile Wand des Turmes hinauf sah. Der mittlere Bruder sagte nichts, grinste jedoch verstohlen in sich hinein. Dann wandten sich die drei Elfenjungen der Wand des Turms zu und begannen.

Feanthil kletterte als Erster los. Seine Finger griffen in den dichten Bewuchs aus klebrigem Efeu hinein und zogen an den biegsamen, nachgiebigen Pflanzen. Als er sie so rüttelte, schienen sie ihre Blätter zu öffnen und eine süße Duftwolke über die drei hinüber zu gießen. Ein leises Husten ertönte. „Schhhh“, flüsterte er leise. „Wenn sie uns erwischen, werden wir Ärger bekommen“, dann zog er sich an einigen Ranken hinauf und setzte den Fuß in das dichte Geflecht. Er schwankte ein wenig, als die Pflanzen unter seinem geringen Gewicht nachgaben. Dann streckte er erst eine Hand nach oben um sich eine neue Ranke zu suchen, dann die nächste. Und wieder nach oben ziehen. Unermüdlich kletterte der Jüngste der Arinths die Wand des Turms hinauf, seine Brüder folgten ihm. Je höher sie kamen, desto stärker wehte der Nachtwind um sie herum und trug die Geräusche der Dunkelheit mit sich. Sie hörten die Klänge der Nacht, eine jagende Eule kreiste über der Festung, die verlassen im goldenen Licht des Weidemonds lag. Ein Waldkauz rief nach seinem Partner, der ihm aus den Tiefen des Waldes antwortete. Glühwürmchen lösten sich aus den Ranken, aufgescheucht durch die Bewegungen der Kinder und umschwirrten diese nun in einem verliebt scheinenden Tanz. Immer höher bewegten sich die drei Elfen, bis sie am Rande des Turmdaches ankamen. Ein leicht schräges Dach führte zu einer Stange aus Stahl, an dem ein Banner im Wind flatterte. Ein Drache mit einer silbernen Sanduhr auf blauem Grund. Die Jungen erklommen das Dach, betrachteten kurz das Banner und grinsten einander verstohlen zu. Dann holten sie es ein. „Hast du es?“, flüsterte der Älteste dem mittleren Bruder zu, der ihn mit einem stummen Grinsen ansah, dann unter sein Hemd griff und etwas aufrollte. Eine große Stoffplane, von den gleichen Maßen wie das Banner breitete sich vor ihnen aus. „Wunderschön.“, kommentierte der Älteste. „Großartig“, meinte der Mittlere anerkennend. Der Jüngste beschränkte sich auf ein Grinsen, als sie das neue Banner an die Stelle des alten hievten. Dann gingen sie zum Rand des Daches und ließen sich dort nieder. Ihre Blicke waren nach Osten gerichtet, aufmerksam und voller Erwartung, während die von Pflanzenresten dreckigen Beine über die Kante hinunter baumeln. „Meinst du, wir werden Ärger bekommen?“, erkundigte sich Feanthil unsicher, fast schon ein wenig ängstlich. Der Älteste hob eine Augenbraue und sah zu seinem Bruder hinüber. „Machst du Witze? Vater wird wahnsinnig wütend auf uns sein. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es an dem Banner liegt oder daran, dass wir mitten in der Nacht einen vierzig Schritt hohen Turm erklettert haben. Und Mutter, sie wird vermutlich still lächeln.“, erläuterte er dann und lehnte sich zurück. „Und wenn, ich finde das war es wert. Die Aussicht ist großartig.“ Dann wandten sich ihre Blicke langsam gen Osten.

Das Schauspiel begann. Die Sonne erhob sich langsam und majestätisch über den Wald und tauchte ihn in eine Flut von Licht. Der helle Atem Felas strich über die Blätter und für einen Moment färbten sich diese in das silbrige Gold des beginnenden Tages. Träge erhob sich der alte Drache über das Waldreich. Nein, nicht träge, sondern voller Würde, so wie sie es seit Jahrtausenden tat. Uninteressiert an all dem, was auf der Welt vorging. Sie beleuchtete diesen Winkel der Welt, dann die drei schwarzhaarigen Jungen auf dem Dach. Dann schob sich für einen Moment lang eine Silhouette vor die Sonne, ein langgezogener Schatten in der Ferne. Die Elfen sahen einander an, dann rangen sie aufgeregt ihre Hände ineinander. „Das war er!“, flüsterte der Mittlere aufgeregt. Die anderen beiden konnten nur sprachlos nicken, als sie sahen wie der Schatten weit in der Ferne eine Schleife flog und dann wieder verschwand. Die drei verharrten noch eine Weile in ehrfürchtigem Zittern, dann sahen sie einander an und beschworen mit einem ernsten Nicken niemandem je von diesem speziellen Anblick zu erzählen. Einen Moment später schwangen sie sich über die Dachbrüstung und kletterten nach unten. Zurück blieb ein Banner, das sich träge aufbauschte und einen etwas konsterniert wirkenden Drachen zeigte, der keine Sanduhr in den Klauen trug sondern ein Weinglas. Seinem geröteten Gesicht und dem etwas diffusen Blick nach zu urteilen, war der Drache unheimlich betrunken, als er sich in den frühen Morgenstunden über der Feste Arinth in den Wind erhob.

„Interessantes Wetter heute.“, bemerkte der Elf zu der Frau an seiner Seite. Er blickte hinauf zu dem Turm und zu dem Banner, das auch seiner Gemahlin nicht verborgen geblieben war. Sie lachte leise und griff nach seiner Hand. Sie standen einen Moment lang in stiller Eintracht dort, ehe beide wie synchron den Kopf schüttelten. „Meinst du wir haben etwas falsch gemacht?“, fragte der Mann, obgleich er sich eines leichten Grinsens nicht erwehren konnte. Hier, in den Hallen seiner Familie tat es gut, manch einmal etwas Unangemessenes zu sehen. „Nein, nicht bei ihnen. Sie sind die drei besten Söhne, die wir uns wünschen konnten. Auch wenn… sie manchmal etwas viel Unsinn im Kopf haben.“, erklärte die Frau und schmiegte sich an ihren Gemahl. Der lächelte und legte seinen Arm um sie herum und beide versanken wieder in Schweigen.

„Wisst Ihr, gestern ist etwas merkwürdiges passiert.“, begann der Patron, als sie um den Esstisch herum saßen. Es gab mehrere Säle, die zum Essen geschaffen waren in der Festung. Aber die meisten waren auf eine große Anzahl ausgelegt, die die Familie Arinth schon lange Zeit nicht mehr aufbringen konnte. „Was denn Vater?“, erkundigte sich der Älteste beiläufig, als er nach einem Stück Brot griff und vorsichtig ein wenig Honig darauf strich. „Gestern Nacht war ein Einbrecher in der Festung.“ „Ein Einbrecher?“, Feanthil sah nun auch von seinem Frühstück auf. Er trug eine übertrieben fassungslose Miene zur Schau. „Ja, ein Einbrecher.“, bestätigte ihm sein Vater mit einem ersten und würdevollen Nicken. „Er hat unser Banner von einem der Türme gestohlen.“, der ältere Elf hielt kurz inne, dann legte er seine Fingerspitzen aneinander und sah über seine Söhne hinweg. „Er hat mir eine Nachricht zukommen lassen, müsst ihr wissen. Er sagte, er würde es wieder geben, wenn wir ihm sämtliche Honigbonbons aushändigen würden die wir in der Festung haben. Für die nächsten drei Monde…“, der Vater verfiel in düsteres Schweigen. Die Jungen sahen einander über den Tisch hinweg an, dann zuckten sie die Schultern. „Und?“, erkundigte sich der mittlere dann gelassen. „Nun, wir haben drei Tage Zeit eine Antwort zu finden. Ich dachte, Ihr solltet das wissen.“, mit diesen Worten widmete er sich wieder seinem Frühstück.

Die Jungen rannten in das Zimmer des Ältesten. „Es ist nicht mehr hier!“ „Unfug, es muss hier sein. Wir haben es doch hier versteckt.“ „Aber es ist nicht mehr hinter dem Bücherregal.“, aufgeregt riefen sie durcheinander, als sie das Zimmer durchsuchten. Dann in den anderen Zimmern nachsahen, ob ihre Beute letzter Nacht dort aufgetaucht sei. Doch kein Drachenbanner fand sich dort. Verzweifelt kamen sie wieder zusammen. „Es kann nicht einfach weg sein. Jemand muss es genommen haben.“, stellte der Mittlere fest. „Aber wer, Telaress?“, verzweifelt rang Feanthil sich bei den Worten die Hände. „Der Einbrecher!“, schoss es dem Ältesten durch den Kopf, eine Vermutung die er sogleich aussprach. Die drei sahen sich an und seine beiden jüngeren Brüder wiegten skeptisch ihre Köpfe hin und her. „Meinst du nicht, dass Vater den nur erfunden hat?“ „Unmöglich, er muss hier eingebrochen sein. Bestimmt hat er uns beobachtet und dann, weil er schlecht klettern kann, den Drachen aus meinem Zimmer entwendet.“ „Und was tun wir nun?“ „Na einfach, wir suchen nach Hinweisen, finden ihn und klauen ihm den Drachen. Dann bringen wir ihn zurück.“ Der Plan klang einfach, dann nickten die drei Brüder und begannen mit der Suche nach Spuren. Geschichten kamen ihnen in Erinnerung, von den findigen Waldläufern von denen sie gehört hatten, von den Elfen aus den Städten, klugen Ermittlern die bisher jedem Verbrechen auf die Spur gekommen waren. Und als sie das Zimmer nach Hinweisen auf den geheimnisvollen Erpresser durchstöberten fühlten sie sich, als würden sie selber einem Geheimnis auf der Spur sein, einem ungelösten Fall, der die Sicherheit einer Nation bedrohte. Die Sicherheit ihrer Nation.

Die beiden Elfen lagen nebeneinander auf einer Liege, eng aneinander geschmiegt und umspielt vom Licht des Astreyon. Die Frau drückte ihrem Mann einen Kuss auf den Hals. „Meinst du nicht, das war ein wenig gemein Liebster?“, flüsterte sie in sein Ohr, als sie den Kopf etwas hob und ihre Nase seine spitzen Ohrmuscheln entlang wandern ließ. „Aber, sie werden doch darauf kommen oder?“, er klang ein wenig unsicher, obgleich in seinen Augen eine gewisse Freude aufblitzte. „Oh, natürlich werden sie das. Sie sind sehr klug, alle drei. Aber der Wald…?“ „Mach dir keine Sorge, meine Brüder werden auf sie Acht geben… Sie waren sehr begeistert von meinem Plan.“, beruhigte er seine Gefährtin und spielte gedankenverloren mit ihren Haaren. „Ranion will Feanthil beobachten oder?“ „Ja… das auch. Es ist wichtig.“ „Ich weiß nicht, er erscheint mir nicht der Richtige zu sein.“ „Er ist noch jung. Aber er ist aufgeweckt. Und ernst. Ich war mit ihm im Turm, ich glaube er hat dessen Geschichte sofort verstanden. Er wird es gut machen – aber, er soll seine Kindheit genießen so lange er kann.“

„Ha!“, triumphierend hielt Telaress seinen beiden Brüdern seinen Fund unter die Nase. Die beiden sahen einander an, nicht sicher was sie dort sahen. Der Bruder schüttelte den Kopf leicht und wedelte mit seinem Fundstück herum. „Aaaaaalso?“, traute sich Feanthil vorsichtig zu fragen. „Das ist unser Hinweis! Ein Stück Umhang, er muss es verloren haben.“ „Aaaahh“, die beiden anderen Brüder nickten einstimmig und besahen sich das abgerissene Stück Stoff etwas aufmerksamer. Es war ein Stück eines Umhangs oder Mantels, von grüner Farbe und durchrieben mit Dreck. Kleine Blätter gingen an einem Stück scheinbar im Stoff fest. „Es ist dreckig.“, stellte der Älteste fest. „Kein Wunder, er kommt ja auch aus dem Wald. Dort wird man dreckig“, bemerkte Feanthil mit kluger Stimme. Dann drehte er den Stofffetzen etwas zwischen den Händen. „Habt Ihr die Blätter bemerkt, die sich verfangen haben?“, fragte er und lenkte die Aufmerksamkeit seiner Brüder darauf. Vorsichtig lösten sie die kleinen, winzigen Blätter von dem Umhang. „Autsch!“ „Sie haben am Stiel kleine Dornen. Sei vorsichtig.“ „Hättest du mir das nicht früher sagen können?“, maulte Telaress und saugte an seinem Finger. „Hm, das muss dann Stichblatt sein.“, beendete der Älteste seine Begutachtung der Pflanzen. Er nickte leicht, zu Bestätigung seiner ausgezeichneten Deduktion und legte die Blätter vorsichtig auf ihren Tisch. „Dasch hilft unsch wie?“, nuschelte Telaress, den blutenden Finger immer noch im Mund. „Stichblatt gibt es nur in einem Teil des Waldes. Ich erinnere mich, dass Ranion davon erzählt hat“, bemerkte Feanthil und schloss die Augen. Er versuchte sich angestrengt an die Worte zu erinnern, die sein Onkel gesprochen hatte. „Er erzählte, dass die Elfen der Wälder große Stichblattpflanzen ziehen würden um aus ihnen ihre Pfeile zu fertigen. Und er sagte, er habe einmal einen großen Busch etwa drei Meilen im Norden gesehen!“, rekonstruierte die Geschichte und sah sich um. „Dann ist es wohl klar.“, Telaress hatte den Finger aus dem Mund genommen und nickte seinen Brüdern in jugendlichem Ernst zu. „Wir müssen in den Wald. Dort finden wir weitere Hinweise. Und vielleicht sogar den Übeltäter“

Die Brüder begannen zu packen, sie nahmen etwas Brot mit, einen kleinen Topf Honig und etwas Schinken. Ein kurzes Stück Seil, vielleicht drei Schritt lang, fand ebenfalls den Weg in ihre Ausrüstung. Außerdem füllten sie einen kleinen Beutel mit Honigbonbons aus der Speisekammer. Wie sie wussten, dienten Süßigkeiten vielerlei Zwecke. Sie besänftigten Kobolde, man konnte sich mit ihnen Auskünfte von Feen erkaufen und einen Troll verwirren, indem man ihn bat sie zu zählen. Außerdem schmeckten sie gut. Dann kleideten sie sich alle in etwas ausgebeulte, braune und grüne Kleidung und nahmen ihre Umhänge. Ausgerüstet mit Proviant, Süßigkeiten und drei Messern, mit denen sie sich dunkler Paladine, schwarzer Zauberer und all den Monstern die sich ihrer noblen Queste entgegen stellen würden erwehren wollten, brachen die drei Brüder in den Wald auf.

Ein Schatten löste sich von einem Baum und huschte den drei Jungen hinterher. Lautlos bewegte er sich über den Waldboden, gekleidet in dunkelbraunes Leder. Der lange Griff eines Elfenschwertes ragte über seiner linken Schulter in die Höhe, an seiner rechten Seite hing ein langer Stiel in einer Lederschlaufe. Er tastete kurz nach dem Knauf der Waffe, dann verschluckte ihn auch schon das dämmrige Zwielicht des Waldes.

„Wir müssen über den Baumstamm, dann noch etwas weiter in diese Richtung und dort ist die Stelle.“, Feanthil sah zurück zu seinen Brüdern, die den Blick zweifelnd erwiderten. „Über den morschen Baumstumpf? Bist du sicher Fea?“, Telaress klang zweifelnd, als er die tiefe Schlucht im Wald musterte und dann den mit glitschigem Moos bewachsenen Baumstumpf. Die Umgebung war mit dichtem Pflanzenbewuchs angefüllt, Farne kuschelten sich auf den lichtarmen Boden, Moose wucherten wild umher und Büsche aller Art fristeten ihr Dasein im Schatten der Bäume. Ihre Kleider waren zerkratzt und aufgerissen vom Unterholz, die Gesichter dreckig. Efeu wucherte um die hohen Baumriesen hindurch, die alles in das ewige Zwielicht des Waldes hüllten. Der Jüngste nickte nachdrücklich. „Keine Sorge, es wird nichts passieren. Onkel Ranion hat diesen Baumstamm schon hundertmal überquert. Und wir sind einen Turm hinaufgeklettert. Wie schwer kann das schon sein?“, aber er hielt doch inne und nahm das Seil, das er sich um den Bauch gewickelt hatte, hervor. Er rollte es ab, dann führte er es durch seinen Gürtel hindurch und reichte den beiden Brüdern das Stück. „Bindet Euch damit fest. So können wir einander hochziehen, wenn einer fällt“. Dann betrat er den Baumstumpf. Er bewegte ihn vorsichtig über das glitschige Holz hinweg, dann beugte er sich herab und setzte seine Hände auf den Stamm auf. Er spürte die Unebenheit unter dem weichen Moosteppich, dann bewegte er sich vorsichtig auf allen Vieren vorwärts. Schritt für Schritt. Vorsichtig reckte er den Kopf zur Seite und erschrak, als er die 20 Schritte in die Tiefe blickte, hinunter auf den reißenden Bach der sich tief in die Schlucht gegraben hatte. Mit einem Schaudern zog er den Kopf zurück und setzte seinen Weg noch langsamer fort. Dann war er am Ende angelangt und blickte zurück.
„Na kommt schon! Macht es mir nach und seid vorsichtig. Ich passe auf, dass uns von dieser Seite kein Monster überfällt“, mit diesen Worten drehte er sich zu dem Wald herum und zog mit ernster Miene seinen Dolch, bereit den Übergang gegen Horden von anrückenden Dämonen zu verteidigen. Als Erster kam Telaress hinüber, er stellte sich breitbeinig neben seinen jüngeren Bruder und zog ebenfalls den Dolch. Sie nickten sich zu und sicherten dann den Übergang für ihren ältesten Bruder. Als dieser nachkam, atmeten sie erleichtert auf und steckten die Dolche weg. Vor ihnen lag der dunkelste Teil des Waldes. Sie sahen einander an, dann fassten sie sich für einen Moment lang bei den Händen. Nach einem sanften Druck lösten sie sie und setzten ihren Weg fort.

Der Verfolger betrachtete die drei, dann löste er sich aus dem Unterholz und ging mit einer todesverleugnenden Selbstsicherheit aufrecht über den Baumstamm. Er folgte den Jungen tiefer in den Wald.

Für einen Menschen wäre es wohl bereits düsterste Nacht gewesen, doch für die drei Elfen war es hell genug. Sie konnten die Stämme der Baumriesen erahnen, das dichte Unterholz sehen. Einen Pfad gab es längst nicht mehr, der Wald hatte kein Verständnis für das Markieren von Wegen. Er ließ seine Pflanzen und Sträucher gnadenlos über Schneisen hinweg wuchern und nahm jeden Wildwechsel, wurde er nicht oft benutzt, wieder in Beschlag. Es knackte unter den Füßen der drei Elfen, als sie tiefer und tiefer in den dunklen Wald hinein drangen. Sie hielten an, lauschten atemlos. Dann richteten sie ihre Augen auf ein Rascheln vor ihnen im Busch. „Ein Ork.“, flüsterte der Erste. „Ein Troll“, der Zweite. „Ein Dämon!“, triumphierte der Dritte über seine Brüder, die Stimmen waren zu einem Wispern angstvoller Erwartung herabgesunken. Feanthil hob die Hand um seine Brüder zurück zu halten, dann huschte er geduckt zur Seite um den gefährlichen Feind zu umrunden. Gespannt hielt er den Atem an und sah zu dem Busch hinüber. Wieder raschelte es. Er pirschte sich vorsichtig heran, bis auf einen Schritt, ehe er den Dolch zog und mit einem lauten Ruf in den Busch hinein sprang. Zu seinen Füßen raschelte es, als der furchtbare Dämon sich aus dem Nichts erhob… und sich dann entschied in Gestalt zweier Igel schnell das Weite zu suchen.
Feanthil sah zu seinen Brüdern zurück, die dann näher kamen. Sie nickten in Einverständnis. Es war ein großer Ork mit Stacheln auf dem Rücken gewesen.

Sie erreichten die Stelle nach einer weiteren Stunde. Am Rande einer kleinen Lichtung hielten sie sich hinter einer großen Wurzel versteckt. Vorsichtig streckten sie den Kopf über das alte Holz hinweg und beobachteten, was dort auf der Lichtung vor sich ging. Sie sahen eine kleine Plane, die an einem Baum angebracht war. Darunter eine Bettrolle, eine erkaltete Feuerstelle und eine lederne Rolle. Die Lichtung war ansonsten von dichtem, smaragdgrünem Gras bewachsen. Gras, das bestimmt halb so hoch war die Feanthil, der Jüngste. Gras, in dem sich Feinde verbergen konnten. Vorsichtig ließen sich die drei wieder hinter die Wurzel zurück sinken. „Und was machen wir jetzt?“, flüsterte Telaress. Der Älteste hob die Schultern ratlos an, ihm war der Wald nicht geheuer. „Wir teilen uns auf. Jeder aus einer Richtung. Ich bleibe hier, ihr umrundet das Lager je zu einem Drittel nach rechts und links. Wenn Ihr da seid, ahmt Ihr einen Kauz nach. Ich antworte und wir kriechen durch das Gras.“, schlug Feanthil dann mit leiser Stimme vor. Seine Brüder stimmten zu und entfernten sich durch den Wald. Er atmet tief durch und sah sich, ein wenig zögerlicher, um. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen seine Brüder wegzuschicken, dachte er, als ihn die Geräusche des Waldes einhüllten und er das Knacken und Knirschen von Zweigen überall um sich herum wahrnahm. Die Meisten nehmen an, nachts in einem Wald wäre es still. Aber das stimmt nicht, Feanthil. Überall knackt etwas, Blätter rascheln und Tiere rufen. Wenn du diese Geräusche hörst, ist alles in Ordnung. Hörst du die Nachtrufe der Tiere jedoch nicht, dann sei vorsichtig. Dann ist etwas in der Nähe., schoss es ihm durch den Kopf, dann atmete er tief durch und sah zurück durch den Wald. Vorsichtig krabbelte er auf die Wurzel hinauf und rückte an den Stamm des Baumes. Dann hörte er ein leises Heulen, zuerst von der rechten, dann von der linken Seite. Er verband seine Hände, verschränkte die Finger ineinander und formte damit eine Höhle. Er legte die Daumen aneinander, nur einen schmalen Spalt zwischen ihnen frei lassend. Dann blies er seinen Odem durch diesen Spalt, an der Höhle seiner Hände vorbei. Ein hohes, leicht fragendes Geräusch erklang. Der Ruf eines einsamen Kauzes.

Sie pirschten sich durch das Gras vor, mit langsamen Bewegungen, angespannt in die Nacht hinein lauschend. Jeder hatte die Hand an seinem Dolch, während sie mit geübten Bewegungen durch das Gras krochen. Schritt um Schritt bogen sie die großen Halme zur Seite, um sich ihrem Ziel zu nähern. Je näher sie dem Lager an dem großen Stichblattstrauch kamen, desto leiser atmeten sie, wagten es kaum Luft zu holen. Ein Feind konnte jederzeit auftauchen, um seine Lagerstatt zu verteidigen. Der Räuber, der Einbrecher. Sie hatten ihm in ihrer Fantasie bereits die schrecklichsten Gesichter gegeben, das Antlitz eines Dämons. Oder eines Orks. Ein Wesen von so abgrundtiefer Bosheit, dass es nicht zögern würde sie anzugreifen. Und sie waren die drei Streiter des Guten, die dem Feind gegenüber treten würden um ihm die Beute seines Raubzuges abzunehmen.
Sie trafen bei dem Lager wieder zusammen. „Nichts“, gaben sie einander zu verstehen, dann näherten sie sich vorsichtig, ehe Feanthil sie zurück hielt. Er deutete auf einen Kreis aus trockenem Holz um das Lager herum. Dann stieg er vorsichtig über jenen hinweg. Seine Brüder folgten ihm in unter die Plane, dann begannen sie das Lager zu durchsuchen. In der ledernen Rolle wurden sie fündig, ein zusammengerolltes Stück Stoff war dort zu sehen. Sie rollten es vorsichtig auf und vor ihnen zeigte sich der Drache in seiner ganzen, majestätischen Pracht. Gewoben in Silber, das in der Dunkelheit noch zu leuchten schien. Atemlos betrachteten sie ihren Fund, gefangen in dieser Demonstration der Handwerkskund. Es war fast, als würde der Drache sie aus dem Banner heraus ansehen und ihnen auf seine würdevolle Art danken, dass sie ihn erretteten. Nein, sie wussten, dass er das tat. „Wir bringen dich zurück nach Hause“, flüsterte Telaress, dann rollten sie das Banner zusammen und verstauten es in der Lederhülle.

Ein trockener Zweig zerbarst. Blätter raschelten. Die Brüder hielten den Atmen an, als sich etwas stampfende Schritte näherten. „Hrrrrm“, erklang ein leises Schnauben, etwa fünf Schritt entfernt. Sie starrten einander erschrocken an, dann blickten sie zurück zu der großen Wurzel und wie ein einziges Wesen huschten sie durch das Gras zurück. „Hrr…?“, ertönte wieder das Schnauben hinter ihnen. „WO SEIN BANNER?!“, grunzte die Stimme dann voll wütender Lautstärke. Feanthil drehte den Kopf und sah zurück, eine große, ungeschlachtet wirkende Gestalt stand in dem Lager und riss eine Axt in die Höhe. „ES IST EIN TROLL, LAUFT!“, rief er seinen Brüdern zu, dann rannten sie. Der Troll wandte sich zu den Geräuschen herum, ehe er ihnen mit schweren Schritten hinterher jagte. Unterholz krachte unter seinen Schritten.

Die drei Kinder rannten wie schon lange nicht mehr, ihre Herzen hämmerten in ihren Ohren während sie über Wurzeln und Steine hinweg setzten, sich durch Büsche drängelten. Hinter ihnen war das laute Geräusch ihres Verfolgers zu hören, sein schnaubender, feuchter Atem und die Urgewalt, mit dem er durch Büsche und Sträucher brach. Sie kamen zu der Brücke, ohne zu überlegen rannten sie über den Baumstamm hinweg. Es war, als würde die Furcht vor dem Troll ihnen Flügel verleihen, den Baumstamm unbeschadet zu überqueren. Ohne zurück zu sehen hetzten sie den Weg zu ihrem Zuhause zurück.

Atemlos kamen sie vor der Festung an und durchquerten die offenen Tore in den Innenhof. Erst dort, auf den weißen Steinen, teilweise überwuchert von Unkraut und Ranken, hielten sie inne und rangen nach Atem. „Er… er ist… weg.“, keuchte der Älteste, beugte sich nach vorne und stützte die Hände auf die Knie. „Puh… Wir… sind… ihm entwischt…“, bestätigte Feanthil ebenso atemlos und ließ sich auf den Rücken fallen, um alle Viere von sich zu strecken. Sie brauchten einige Minuten um zu Atem zu kommen, dann sahen sie ängstlich zurück zu dem Tor, in der Erwartung des gewaltigen Trolls, der bald durch die Tore brechen würde um sie zu holen. „Ich habe gehört Elfenkinder essen sie am liebsten…“, murmelte Telaress mit leiser Stimme und ein Schauer überlief die drei Brüder. Sie malten sich aus, wie der Troll durch das Tor herein stapfen würde, mit seiner riesigen Axt und sich auf sie stürzen würde. Sie einen nach dem anderen schnappen um sie dann in einen großen Kochtopf zu werfen. Der Gedanke brachte die Elfen zum Erschauern, dann sahen sie sich an. „Vielleicht können wir ihn besänftigen…?“, schlug Telaress vorsichtig vor. „Womit denn?“, ratlos blickte Feanthil seine beiden älteren Brüder an. Der Älteste klatschte dann mit einem Mal in die Hände. „Er wollte doch Honigbonbons haben oder? Wie wäre es, wir legen ihm welche an die Brücke… Er wird sie zuerst zählen wollen. Das wird ihn Tage beanspruchen. Und danach ist er damit vielleicht zufrieden…?“, schlug er seinen Brüdern vor. „Hängt Ihr das Banner wieder auf, ich werde die Bonbons an die Brücke legen“, mit den Worten verschwand Feanthil, immer noch außer Atem, am Tor. Er atmete tief ein und aus, als er sein Herz zur Ruhe zwang und langsamer, als bei ihrer kopflosen Flucht. Er schlich sich durch das Unterholz zurück zu der Schlucht.

Die Abenddämmerung senkte sich über den Wald, obgleich der einzige Unterschied war, dass das dichte und dunkle Unterholz noch dichter und bedrohlicher zu sein schien. Der Elfenjunge sah sich aufmerksam um, während er Fuß um Fuß vor sich setzte. Er hörte das beginnende Zirpen der Grillen, in einem nahen Teich quakten einige Frösche träge vor sich hin. Hin und wieder raschelten nahe Blätter und knackten Zweige, während die Nacht langsam zu erwachen begann. Als er bei dem Baumstamm ankam, war es schon dunkel. Er verengte die leicht mandelförmigen Augen, dann robbte der Elf mit vorsichtigen Bewegungen über den Baumstamm. Am anderen Ende angekommen, löste er einen kleinen Beutel von seinem Gürtel. „Wenn… wenn… wenn du hier bist, Troll.“, begann er mit stotternder Stimme in den Wald zu sprechen. „Bitte verfolge uns nicht… Wir haben dir auch ein Geschenk mitgebracht… Aber bitte friss uns nicht.“, erläuterte er seinem unsichtbaren Gegner und legte den Beutel vorsichtig vor sich nieder. Atemlos sah Feanthil sich um, in der Erwartung, dass ein riesiger Troll jäh über ihn herein brechen würde. Er wartete einen Moment, zwei, dann drei. Schließlich drehte er sich um und krabbelte über die Brücke zurück, um dann im Eiltempo zurück zur Festung zu laufen…

Der Beobachter löste sich aus dem Schatten und hob den Beutel auf. Ein schmaler Streifen Mondlicht schien herab und erhellte die feingeschnittene Mundpartie. Er sah in den Beutel, dann zog sich ein Lächeln über seine schmalen Lippen, ehe er die Schlucht wieder überquerte.

„Und, dann haben wir einen Ork mit Stacheln auf dem Rücken gefunden und ihn vertrieben, kurz vor dem Lager des Trolls! Der Troll, der das Banner geklaut hatte. Wir schlichen uns durch das hohe Gras, von drei Seiten, auf sein Lager zu. Unsere Schritte waren leise wie der Morgentau, als wir seine Fallen umrundeten und seinen Lagerplatz betraten. Große Knochen lagen dort, von verschiedenen Tieren, die der Troll gejagt hatte und inmitten, auf einem steinernen Podest, hatte er unser Banner abgelegt. Wir eilten durch das Lager, an seinen Kochgerätschaften, einem großen Kessel und einem gewaltigen Beil, vorbei und schnappten uns das Banner. Natürlich hätten wir auf den Troll warten können, um ihn zu töten“, die Stimme des Ältesten Sohns klang selbstsicher, während er seinen Eltern und ihren Onkeln die Geschichte mit großen Augen und tragender Stimme erzählte. „Aber wir konnten nicht sicher sein, dass es nur ein Troll war. Also haben wir das Lager wieder verlassen, um wenigstens das Banner zurück zu bringen. Und dann“, er klatschte laut in die Hände, ein Knall durchzog den gemütlichen Raum der eine Eule auf einem Fenstersims zu einem verärgerten Federrascheln heranließ. „dann brachen sie hervor. Fünf riesige Trolle, halb so hoch wie unsere Mauern, die uns durch den Wald jagten. Wir rannten vor ihnen fort, da ihre Übermacht zu groß war. An der Schlucht konnten wir sie dann abhängen, aber noch lange hörten wir ihr wütendes Knurren, als sie uns Verwünschungen in ihrer hässlichen Sprache hinterher brüllten und ihre Äxte voller Wut und Enttäuschung schwangen.“ Der Sohn endete, sah zu seinen Brüdern die bestätigend und eifrig nickten. Es war eine gute Geschichte gewesen und auch wenn die Anzahl der Feinde, die sie mit List und Klugheit umgangen hatten, vielleicht nicht ganz so hoch gewesen war, waren sie sich einig, dass dies das größte Abenteuer war, das sie jemals erlebt hatten.

Spät in der Nacht fanden sich die erwachsenen Elfen zusammen. „Schlafen sie?“, erkundigte sich ein etwas abseits stehender Elf. Er hatte die Kapuze zurück geschlagen und betrachtete einen Pokal in seiner Hand. „Ja, sie waren sehr erschöpft. Aber auch glücklich.“, antwortete die Frau, die durch eine verzierte Türe auf den Balkon trat und sich ein langes Stofftuch um die Schultern legte. „Unsere kleinen Helden…“, zufrieden blickte sich der Vater der Rasselbande um. „Danke für Eure Hilfe.“ „Gerne Farnion. Es war interessant ihnen zuzusehen. Und es hat ihnen viel Freude bereitet“, erklärte ein anderer Elf, der es sich auf der Balustrade des Balkons bequem gemacht hatte. Dann schweifte ihr Gespräch in andere Richtungen ab.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der dritte Sohn
BeitragVerfasst: 10.09.10, 12:48 
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Fest der Blütenträume

Vergangenheit. Tief im Walde Aurens, Jahr 4895, kurz vor Sonnenaufgang, Beginn des Carmar

Er erwachte, als Fingerspitzen seine Stirn streichelten. „Aufwachen, mein Lieber. Heute ist ein wichtiger Tag“, flüsterte seine Mutter leise, wie um die Ruhe des gerade erst dämmernden Morgens nicht zu stören. Dann küsste sie ihn sachte auf die Stirn. „Zieh dir feste Kleidung an und dann komm auf den Hof“, mit einem letzten zärtlichen Streicheln über seine Wangen erhob sich die blonde Elfe und verließ den Raum. Der gerade erst erwachende Feanthil sah ihr aus etwas schläfrigen Augen hinterher. Seine Mutter sah, für seine Begriffe, seltsam aus. Es war das gleiche Gesicht, die gleiche unbeugsame, herrschaftlich wirkende Körperhaltung aber etwas an ihr war anders. Er hob die Hände und rieb sich über die von Schlafsand verklebten Augen. Dann fiel es ihm schlagartig ein: Sie trug andere Kleidung. Eine Banalität, die sie dennoch so grundlegend anders wirken ließ.
Statt der üblichen farbenfrohen Gewänder hatte sie ein silbrig schimmerndes Wams angelegt und trug darunter ein Hemd mit Fellbesätzen an dem Armen und Schultern. Ein dunkelbrauner Umhang aus Fell, er konnte nicht sagen welches Fell, schmiegte sich von ihren schmalen Schultern hinab um ihre feengleiche Gestalt. Die Füße steckten in Wildlederstiefeln mit einer dazu passenden Hose die mit Leder gegürtet war. Ein langes Jagdmesser steckte in einer mit feinen Ornamenten und Perlen verzierten Scheide an dem Gürtel. Dieser völlig neue Aufzug verlieh ihr etwas Verwegenes, das Aussehen einer Abenteurerin, fand Feanthil. Und gleichzeitig wusste er, dass dieser Tag bestimmt aufregend werden würde. Mit einem Satz war er aus dem Bett und hastete zu seinem Kleiderschrank.

Nicht nur seine Mutter war anders gekleidet, seine ganze Familie – sein Vater, die beiden Onkel, sein Großvater und seine Großonkel und natürlich seine beiden Brüder – hatte sich auf diese Art gekleidet. Während es an Onkel Ranion vertraut und natürlich aussah, wirkte der mittlere Bruder der väterlichen Generation, Noenor Arinth, in der Jagdkleidung etwas unvertraut. Feanthil und seine Brüder kannten ihn lediglich mit den bequemen schlichten Roben die er so gerne trug, während er durch die Bibliothek wanderte, Bücher katalogisierte, Abhandlungen verfasste oder sich über gelehrte Themen Gedanken machte. „Dann sind mir ja komplett.“, stellte Feanthils Vater mit einem leichten Nicken fest, als die ersten Sonnenstrahlen das Dunkel aufzuweichen begannen. „Gehen wir“, beschied er und die Großfamilie wandte sich dem Burgtor zu, um zu verlassen.

„Wohin gehen wir?“ „Was machen wir?“ „Warum sind alle so anders angezogen?“ – die Kinder bestürmten ihre Verwandten unablässig mit Fragen, während sie wie ein Rudel aufgeregter junger Hunde um sie herum sprangen. Als würde dieser arg seltsame Familienspaziergang ihnen ungeahnte Energie verleihen rannten sie vor bis zu Biegungen des schmalen Waldpfades, den sie entlang gingen. Neugierig steckten sie ihre Köpfe um Bäume herum, nur um zu hoffen endlich zu sehen was der Grund für diese ungewohnte Reise war. „Und warum kommen alle mit?“ „Wie lange ist es noch?“ – die Fragerei ging weiter, während die Erwachsenen sie in würdevollem Schweigen ertrugen, schien sich der Nachwuchs nicht von der Beharrlichkeit der Eltern irritieren zu lassen. „Also, wir gehen alle in wetterfester Kleidung in den Wald hinaus. Die Festung lassen wir einfach so zurück, mit offenen Toren.“, überlegte Feanthil laut vor sich hin und sah in den Wald hinein. „Die Kleidung ist nicht nur wetterfest, sie sieht auch irgendwie besonders aus. Verziert. Es muss wichtig sein.“, setzte Telaress die Überlegungen seines jüngeren Bruders fort. „Aber alle tragen vielleicht ein Jagdmesser, nicht mehr, als Waffen mit sich. Also ist es wohl nicht wegen der Trolle…“, der Älteste. Seit ihrem Abenteuer im Wald waren die drei Brüder fest davon überzeugt, dass es in ihrem Wald Trolle geben musste. Eine ganze Horde davon, die nur darauf wartete über die Festung herzufallen. Das hielt sich natürlich nicht davon ab, wann immer es ihnen möglich war, durch das Tor in das Unterholz der Umgebung zu entfliehen und sich gegenseitig in erfundenen Spielen durch den Wald zu jagen. „Wartet einfach ab, Ihr werdet es sehen“, Ranion sprach mit einem unverhohlenem Vergnügen in der Stimme, als er die immer aufgeregter werdenden Elfenjungen beobachtete.

Nach einigen Wegstunden kamen sie auf eine weite Lichtung, ein Ort der aussah, als wären die Bäume ringsherum einen Schritt zurück gewichen, um diesen hellen Kreis in ihrer Mitte zu schaffen. Grünes, langes Gras bedeckte den dichten Erdboden und ein würziger Geruch nach frischer Erde hing in der noch kühlen Morgenluft. Tautropfen die langsam in der erstarkenden Sonne zu Dunst vergingen zauberten in dem Moment noch das Bild funkelnder Diamanten auf die Wiese. Dann erhob sich ein Windhauch und brachte das Gras sachte zum Wiegen. Ein rasselndes Geräusch erklang, wie viele hundert kleine Blätter die aneinander rieben, und erfüllte die Luft mit einer eigentümlichen Melodie. Ein hellerer Ton mischte sich darunter, eine einzelne, klare und helle Note einer Flöte.
Staunend blieben die Jungelfen stehen und sahen mit großen Augen über dieses Schauspiel hinweg, beobachteten wie das Gras im Wind zu tanzen begann, hin und her geworfen von dem launischen Spielmann, der auch vergnügt die Wolken am Himmel ganz nach Lust und Laune hin und her scheuchte.

„Sah’lien Valar Arinth“, die Stimme war leise und warm, ein respektvoller Klang der sich in die Melodie der Natur einzuweben schien, als würde er dazu gehören, ein untrennbarer Teil des Ganzen sein. Die Brüder drehten sich um, nicht jedoch erschrocken von dieser Ansprache, denn sie hatte nichts Überraschendes an sich. Sie schien dazu zu gehören, zum Reigen von Wind und Gras, zum Funkeln des Morgentaus und zu dem einsamen Ton der weit entfernten Flöte. „Sah’lien, Ulion Buchenfreund“, begrüßte der Vater den Neuankömmling. Ein hochgewachsener Elf mit langem, weißem Haar. Er trug eine Robe, die in saftigem Grün zu leuchten schien. Bei genauerem Hinsehen erkannte man die feinen Blätter die, scheinbar zusammenwachsend, dieses Kleidungsstück bildeten. „Und dies müssen deine Söhne sein.“, er ging in die Hocke um die drei Brüder aus dunkelgrünen Augen einen Moment lang zu mustern, dann lächelte er ihnen freundlich zu. Eine Mimik, die Güte und Weisheit vermittelte. Vor allem aber Sicherheit. „Ja, wir sind Feanthil, Telaress und mein Name ist Elcaron“, stellte der Älteste sie vor und deutete mit seiner Hand auf jeden, dessen Namen er nannte. „Nun, dann freut es mich Euch kennen zu lernen.“, er hielt kurz inne, dann hauchte er sachte über seine Handflächen. „Ulion Buchenfreund erklingt mein Lied“, stellte er sich dann vor und der Waldboden schien diese melodischen Töne der Elfensprache mit leiser Genugtuung mitzugrummeln.

„Wir bringen Euch und die anderen Erwachsenen zu dem Platz, Valar Arinth“, Ulion sprach mit ruhiger Gewissheit, in der ein freundliches Angebot mitklang. Er trat einen Schritt zur Seite, wie um der Gruppe Platz zu machen und wies dann in den Wald hinein. „Was ist denn mit uns?“, Elcaron sah fragend zwischen den Eltern und dem Waldelfen hin und her. Letzterer lächelte, dann sah er sich einen Moment um. „Ich denke, für Euch wird sich auch etwas finden.“, beschied er, dann führte er die Erwachsenen über einen schmalen Wildwechsel an der Lichtung vorbei. Die drei Kinder sahen sich einen Moment an, dann vernahmen sie ein Geräusch, es klang… unvertraut. Leise Füße, ein Wispern des hohen Grases, als sich etwas leise näherte. Dann brach es im nächsten Augenblick unvermittelt über die drei Jugendlichen herein. Gesanghafte Stimmen und Hände, freundliches Lachen und tausende von Fragen, als eine Gruppe von anderen Kindern von der Lichtung kam und die drei Brüder sofort in Beschlag nahm. „Wie erklingen eure Lieder?“ „Wo kommt ihr her?“ „Wollt ihr mit uns Wipfellauf spielen?“

Er hielt den Atem an und presste sich eng an den Baum, blickte dann vorsichtig den Stamm der mächtigen Eiche hinauf. Eine Bewegung in den Ästen. Er verengte die Augen, verharrte weiter an dem Stamm, in der Hoffnung nicht gesehen zu werden. Einen Augenblick später verebbte das Zittern der Äste und Ruhe herrschte um ihn herum. Helles Sonnenlicht fiel in Flecken auf den Boden und beleuchtete Smaragdgrüne Mose, die über uralte Steine wucherten. Ein leises Flüstern erfüllte den Wald, als ein ferner Windhauch durch die Blätter streifte und sie zum Rascheln brachte. Dicke Wurzeln durchzogen den Boden, wie ein festes und uraltes Adersystem. Langsam ließ er die angestaute Luft aus seinen Lungen entweichen, sah noch einmal nach oben und huschte dann zum nächsten Baum. Die Stiefel überquerten flink die zahlreichen Hindernisse, während er sich mit den Händen auf dem Boden abstützte. Im Schatten des nächsten Baumes angelangt lauschte er wieder. Nichts rührte sich, nur einige Spechte hämmerten munter gegen einen Baumstamm. Wo sind sie nur?, dachte er, während er sich langsam aus seinem neuen Versteck vorwagte. Schritt um Schritt, vorsichtig den Vorderfuß stets zuerst aufsetzend und so tief gebückt wie möglich schlich er unter einer großen Wurzel hindurch. In einiger Entfernung flatterte etwas, ein grüner Mantel. Selbstzufrieden nickte er und bewegte sich weiter nach vorne, die Augen feste auf sein Ziel gerichtet. Er spreizte die Finger, lockerte sie ein wenig und pirschte weiter voran, setzte über einen glatten Stein hinweg und umrundete mehrere Büschel Farne. Eine Berührung an seiner Schulter. Er fuhr herum. „HAB DICH!“, rief ein fröhliches Gesicht, ehe es sich in den Wald davon machte. „Tharlin!“, fluchte Feanthil, dann setzte er dem weglaufenden Waldelfen hinterher, dessen frohes Lachen von den Bäumen ringsherum widerhallte.

„Meine Mutter hat mir Geschichten von Euch erzählt – stimmt es, dass Ihr in einem Berg wohnt?“, das Mädchen sah ihn mit großen Augen an, während sie gemeinsam auf einem Ast saßen und die Beine baumeln ließen. Jeder hielt einen großen Apfel in der Hand, angebissen, und sie sahen hinunter auf den fernen Waldboden. „Ein Berg?“, Feanthil war etwas irritiert, biss ein Stück von seinem Apfel ab und sah dann fragend zur Seite. „Na ein großes Ding aus Stein.“, ihr Ton war ein wenig überrascht, wohl von der Unkenntnis des Hochelfen über die Natur eines Berges. Mit ihrer freien Hand umschrieb sie in ungestümen Gesten die Umrisse von etwas, das wie ein sehr kurvenreiches Dreieck aussah. „Ach so. Du meinst unsere Burg? Ja, dort leben wir.“ „Ist das nicht schrecklich öde und eintönig? Ich meine, Stein ist nur grau.“, sie ließ die freie Hand wieder auf den Ast sinken und aß einen Teil ihres Apfels. „Aber nein, unsere Ahnen haben den Stein bearbeitet – in fast jede Wand, jede Ecke sind Muster, Verzierungen oder Bilder eingemeißelt. Sie erzählen eine Geschichte, die sich über fast alle Räume erstreckt. Nur in den Schlafräumen sind keine.“ Das Mädchen machte große Augen. „Ihr habt mehrere Schlafräume?“ „Für jeden einen, nur meine Eltern schlafen gemeinsam in einem. Ich glaube, sie machen das nur, weil sie verheiratet sind.“, er kräuselte leicht die Nase und dachte über diese gelehrte Vermutung nach, während seine nackten Zehen sich leicht hin und her bewegten. „Das muss… schrecklich groß sein“, meinte sie dann und sah zweifelnd zu einem anderen Baum hinüber, in dem einige muntere Elfenkinder hin und her kletterten und sich gegenseitig mit den Früchten des Baumes bewarfen. Sie quietschten vor Aufregung und Vergnügen. Nicht ohne eine gewisse Verwunderung erkannte Feanthil seine beiden Brüder in der Gruppe. „Es ist auch irgendwie leer. Viele Räume sind nicht benutzt. Die Festung ist wahrscheinlich für mehrere hundert gedacht, wir sind gerade einmal…“, er schien kurz zu überlegen. „11. Meine Brüder und ich, unsere Eltern. Die Brüder meines Vaters, deren Eltern und ein Bruder meines Großvaters.“ Im Geist ging er alle Bewohner der Festung Arinth noch einmal durch, dann nickte er. „Meine Mutter lacht oft und sagt, dass es eine riesige Arbeit wäre die Festung sauber zu halten. Wenn da nicht die Verzauberungen wären – als hätten unsere Vorfahren das vorausgesehen und der Festung befohlen nicht staubig zu werden. Komisch, nicht wahr?“ „Was gefällt dir am besten an deinem Zuhause?“ Er überlegte, warf den angebissenen Apfel dabei unschlüssig zwischen den Händen hin und her. „Meine Familie, denke ich. Danach die Türme. Sie sind so wunderbar hoch und ragen über die umgebenden Bäume hinaus. Zwei von ihnen sind etwas… hohl. Nun, sie haben zahlreiche Spiegel angebracht, die das Sonnenlicht einfangen und auf den Hof weiterleiten. So ist es tagsüber immer hell, auch wenn die Bäume fast alles Licht auffangen. Und nachts leuchtet der ganze Hof in Silber oder Gold, je nachdem welcher Mond gerade günstig steht.“, er fuhr die Umrisse der Türme mit den Händen nach, breitete seine Arme dann aus um die Verbreitung des Lichtes deutlich zu machen. Das Mädchen nickte vorsichtig. „Aber, wo wohnst du denn?“, fragte er dann und sah sie neugierig an. Sie grinste in sich hinein. „Ich kann schlecht von meinem Heim erzählen – aber ich kann es dir zeigen!“, mit den Worten biss sie fest in den Apfel um ihn festzuhalten und kletterte dann den Baum hinunter. Feanthil sah ihr nach, dann steckte er sich den Apfel ebenfalls in den Mund und kletterte ihr so rasch er konnte hinterher.

Es war warm in dem Haus, vorsichtig setzte er seine Füße auf das glatt wirkende Holz, als er die Behausung betrat. Eine schmale Treppe, mehr eine Stiege, ging wendelförmig um den Baum herum und führte in das Baumhaus hinein. Es roch würzig, wie nach frischer Erde, Harz und Rinde. Ein tiefer und beruhigender Geruch der jeden in seine sanfte Umarmung zog, der das Haus betrat. Es war eigentlich kein „Haus“ sondern mehr eine Auswölbung des Baumstammes, halbkugelförmig mit einigen Zwischenräumen zwischen der zu rankenartigen Gebilden geformten Rindenstück. Im Innern befanden sich Felle, ein Tisch und etwas, das wie eine Feuerstelle aussah. Statt eines Kaminfeuers glosten darin jedoch dunkelgelbe Steine, die in einem eigenen Herzschlag zu pulsieren schienen. Feanthil starrte die Steine an und ging vorsichtig näher. „Feuerherzen“, erklärte seine Führerin mit sachkundiger Stimme und deutete einmal um sich. „Der Baum duldet in seinem Inneren kein Feuer und wir halten uns daran. In diesen Steinen schwelt das Lied der Flammen und erfüllt unsere Behausung mit Wärme, auf ihnen können wir Essen zubereiten und sie sind schön anzusehen in ihrem wabernden Herzschlag.“ Der Junge nickte, aufmerksam, gefangen von der Schlichtheit des Raumes. Nichts als die natürliche Maserung des Holzes war zu sehen, Ringe auf dem Boden, wie die Stammringe des Baumes, deuteten auf das enorme Alter der riesigen Pflanze hin. Feanthil versuchte sie zu zählen, aber nach den ersten fünfzig hatte er sich heillos in ihrem Gewirr verloren. Das Waldelfenmädchen betrachtete ihn aufmerksam. „Dich scheint das hier zu beeindrucken…“, sagte sie, versucht die Behausung von ihr und ihrer Familie etwas hinunter zu spielen. „Ich habe noch nie so etwas… Perfektes… Einfaches gesehen Veirell.“, flüsterte er mit leiser Stimme. Das andere Kind lächelte und nahm seine Hand. „Komm, ich zeige dir noch mehr“, lud sie ihn ein, ehe sie ihn mit dem Ungestüm der Jugend davon zog. Sie kletterten flink die Baumtreppe hinunter und eilten zu einem anderen Baum. An dessen Fuß erstarrten sie, als leise Töne an ihr Ohr drangen. Ein langsames Flötenspiel. „Oh, es fängt an! Wir müssen uns beeilen!“ „Für was beeilen?“, versuchte der Elfenjunge zu fragen, während er schon mitgezogen wurde.

Der Abend hatte sich über die Lichtung gesenkt und die beiden Monde spendeten ihr freundliches Licht. Das eine silbrig blau, das andere weich und golden. Es tauchte die Wiese in einen See aus spielenden Farben und einige Blüten von seltenen Nachtgewächsen öffneten sich, um den Balsam der Monde zu kosten. Sie reflektierten das Licht in glitzernden winzigen Strahlen und woben einen zarten Zauber aus Licht um diesen Ort. Aus dem Wald drang leise Musik, Flötenspiel, Harfenzupfen, Gesang. Gesang der sich der Lichtung näherte und sich schließlich offenbarte, als die Musikanten aus dem Schatten der Blätter an den Rand der Lichtung traten. Elfen – eine Sippe voller Waldelfen und, wie versteckt, einige Hochelfen unter ihnen. Als alle den Rand der Lichtung erreicht hatten schwieg die Musik, selbst die Bäume schienen atemlos inne zu halten in ihrem beständigen, flüsternden Rascheln. Dann löste sich eine Gestalt aus dem Kreis der Elfen, in den Händen trug er etwas, vorsichtig in den großen Handflächen geborgen. Dort, wo er vorher gestanden hatte, schloss sich der Kreis wieder und die Anwesenden ließen sich, während der Elf in seiner langen grünen Robe zur Mitte der Lichtung ging, auf dem Boden nieder. Ulion Buchenfreund verharrte in der Mitte der Lichtung und sah sich unter seinen Freunden, Verwandten und Sippenmitgliedern um. Ein freundliches Lächeln, noch weicher gemacht durch Mondlicht, zeigte sich auf seinem Gesicht. In den Augen tanzte der Funke der Freude. „Heute Nacht endet das Sprießen. Die Welt kommt zur Ruhe, wieder einmal. Tares Atemzüge werden leiser, sie beginnt zu schlafen.“, er hielt inne und reckte den Kopf in die Höhe, legte ihn dann in den Nacken und sah hinauf in den Himmel. „Der wärmende Hauch Felas vergeht, damit er ihre Schwester nicht vor der Zeit weckt. Tevras Geschöpfe spüren es und bereiten sich vor. Sie sammeln Nüsse und Beeren für ihren Vorrat, Zweige, Äste, Moose und Blätter für ihre Heime.“ Die Stimme des Elfen war klar und, trotz der eigenartigen Botschaft, voller Freude. Freude darüber, dass sich das Angesicht der Welt einmal mehr wandeln würde. „Wir hören, wie die Alten sich zur Ruhe begeben, wir spüren, wie sie beginnen ihr Blätterkleid abzustreifen um den Boden für neues Grün zu bereiten.“ Er sah sich auf der Wiese um, immer noch den Schatz, den er die ganze Zeit getragen hatte, in den Händen bergend. „Und wir warten, auf dass sich der Wald wieder erhebt, bald schon die Decke der Kälte abstreift und neues Leben hervor bringt. Aber nun wollen wir ihn zur Ruhe begleiten und gemeinsam die letzte Blüte schließen“, mit diesen Worten hob er beide Arme über den Kopf und präsentierte das Kleinod, das er zwischen den Handflächen geborgen hielt. Es war eine Blüte, eine wundersam schimmernde Lotosblüte, die, obgleich getrennt von ihrem Stiel, in den Händen des alten Elfen noch Leben fand.

Er rechte sie hoch in die Luft, als wolle er sie Sternen und Monden als Opfergabe darbringen und die Blüte schien zum Leben zu erwachen. Ihre feinen Blütenkelche bewegten sich hin und her, als wären sie begierig das Licht der Nacht zu trinken und in sich aufzunehmen. „Dies ist die letzte Sommerblüte und wir betten sie zur Ruhe, damit sie, wenn die Kälte vorüber gezogen ist, erneut erwachen kann.“ Der Elf berührte die Blüte sanft und sie schloss sich, die unteren Kelchblätter legten sich sanft aneinander und schlossen die Blüte ein, während sich ein Kranz aus grünen, dichten Blättern darum herum legte. Schweigend ging der Elf in die Knie, dann legte er die nun an eine Knospe erinnernde Blüte vorsichtig auf den Boden. Er verharrte für einen Moment, dann erhob er sich und gleichzeitig, wie auf ein geheimes Signal hin, setzte die Musik ein. Musik, die schon vor Urzeiten gesungen ward. Musik, deren Sprache nicht aus Worten sondern aus Lautklängen bestand. Feanthil saß dort, sprachlos, stumm und verzaubert, während die Klänge wie ein ätherisches Meer um ihn herum wogten. Er merkte nicht, wie er lächelte und die Laute mit seiner eigenen, noch kindlichen Stimme mitzuformen begann. Als wüsste er um den Gesang, habe ihn schon immer gekannt. Er handelte vom Lauf der Welt, von der Natürlichkeit von Anfang und Beginn und vom steten Wechsel der Jahreszeiten. Er besang, dass nun der Herbst vor der Türe stand und die Blätter sich bald zu färben beginnen würden. Er freute sich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis steter Schneefall die Wälder unter einer weichen Schicht begraben hätte. Es war ein Gesang an die Welt, an die Schönheit dessen, das sich immer und stets wiederholt und es niemals müde wird.

„Nun mein Lieber, wie hat es dir gefallen?“, flüsterte seine Mutter leise, als sie ihn zudeckte. Der Elf sah zu ihr hinauf, die Augen immer noch groß von dem Wunder, dessen Zeuge er geworden war. „Es ist…“, er suchte einen Moment lang nach Worten. „unbeschreiblich“, endete er dann. Das Wort erfüllte ihn mit tiefer Zufriedenheit, denn in seiner Endlosigkeit drückte er genau aus, was er gegenüber der Schönheit dieser Nacht empfunden hatte. Dann schlossen sich seine Augen, wie von selber und er sank sanft in das Reich des Schlafes hinüber. Nur leicht spürte er die Berührung von weichen Lippen auf seiner Stirn und das gemurmelte „Schlaf gut, mein Schatz“, das ihn sicher ins Reich der Träume geleitete. Träume, die von wundervoller Musik und Blüten erfüllt waren. Und von hellem Kinderlachen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Der dritte Sohn
BeitragVerfasst: 16.09.10, 17:49 
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Zwischenspiel II

Teil 1 – Gesten


Gegenwart, 28. Querlar 5019, Tal der Waldelfen

„Und wie geht es dir?“, erkundigte sie sich und sah ihn von der Seite an. Die beiden Elfen saßen unter der ausladenden Krone des großen Baumes, auf einem kleineren Stamm und sahen hinaus in den Wald. Die Geräusche der Natur umhüllten sie, das Zwitschern der Vögel, in der Ferne quakten einige Frösche, das beständige Wispern der Blätter, die im Wind geschüttelt wurden. „Ich habe mich einigermaßen erholt, die Verletzungen sind verheilt. Ich versuche immer noch herauszufinden, was während der Schlacht passiert ist.“, antwortete er, während er tief den würzigen Geruch des Waldes einsog. Die Elfe an seiner Seite legte die Hände im Schoß zusammen. „Ein wenig kann ich dir berichten. Sie haben diesen Kristall nicht gefunden, aber dafür einen Ast. Über den weiß ich wenig, aber er scheint ein Artefakt der Erde zu sein. Ansonsten haben deine Geschwister im toten Land einen warmen Wald entdeckt und einen Haufen Steine, der ebenfalls warm war. Sie wollten ihn mit einem Erdwesen wegschaffen, aber dann hat er sie angegriffen.“, die Waldelfe musste mit einem Mal grinsen und sah zur Seite. Dann beugte sie sich etwas zur Seite und flüsterte mit verschwörerischer Stimme „Aber das ist streng geheim und ihr dürft nicht an öffentlichen Orten davon sprechen… oder so.“ Feanthil lächelte einen Moment lang und wiegte den Kopf hin und her, eine abwägende Geste. Ein wenig erleichternd war es, einfach hier zu sitzen, zwischen den Stämmen der Bäume die uralt anmuteten aber erst wenige Winter gesehen hatten. Es tat gut und war seltsam befreiend.

„War es eigentlich ein Problem zwischen deinen Geschwistern und dir?“, die Frage kam unerwartet, aus einer völlig anderen Richtung. Er blickte hinauf in die Baumkronen, verfolgte langsam den Fall eines Blattes, das im Wind leicht hin und her tanzte. Eine Falte huschte über seine Stirn, als er über ihre Frage nachdachte. War es ein Problem, dass ich der dritte war? Der dritte sein musste? Dass meine Brüder ihr Leben Wissen und dem Erhalt der Familie widmen durfte, mir so etwas im Großen versagt war?, dachte er, während er beobachtete wie das Blatt auf dem Boden aufkam. „Was genau meinst du?“, gab er die Frage zurück, obwohl er genau wusste, was sie meinte. „Naja, im Endeffekt nicht wählen zu können. Ich glaube, hätte mir jemand gesagt meine Aufgabe wäre dies oder das gewesen… ich wäre sehr verbittert und trotzig gewesen. Wahrscheinlich hätte ich Streit angefangen mit denen, die machen durften wozu sie Lust hatten.“, sie stellte die Ellenbögen auf ihre Oberschenkel und bettete den Kopf in ihre Hände. „Ich war aber auch ein schwieriges Kind“, fügte sie hinzu, dann sah sie ihn wieder an. Ein neugieriger, interessierter Blick aus den klaren Augen. Er seufzte innerlich auf, als er die Erinnerungen zurück rief.

“Du hast eine große Aufgabe, Feanthil“ „Welche, Vater?“ „Du wirst hinaus in die Welt ziehen, Abenteuer erleben… Dein Leben wird oft aufregend sein, aber auch gefährlich und… einsam.“ Er sah den Ernst in dem Blick seines Vaters, den Anflug der Bitternis in seiner Stimme. „Und welche Aufgabe wird das sein?“ Er spürte die Hand seines Vaters, als der seinen Arm umfasste und ihn langsam über den verlassenen Hof der Festung führte. Sie betraten einen Turm. Den Turm. „Zehn von ihnen, für einen von uns“, murmelte sein Vater und sah die Schriftzeichen des Mahnmals hinauf. Feanthil hob ebenfalls den Kopf und blickte die Schriftzeichen hinauf, die ihm mittlerweile so vertraut erschienen. „Ich… verstehe“

„Ich verbrachte meine Kindheit und die größte Zeit meines Lebens in Abgeschiedenheit. Die Einzigen, die uns besuchen kamen waren Verwandte oder nahe Freunde. Deswegen war ich die meiste Zeit meines Lebens mit denen umgeben, denen es genauso ging. Wenn auch etwas anders.“, sagte er dann mit leiser Stimme, als er die Erinnerung beiseite wischte. „Warum?“, die Stimme klang vorsichtig und behutsam. „Weil das Böse nie aufgehört hat uns zu bedrohen Safiriel. Und weil wir ihm seine schändliche Tat uns gegenüber niemals vergeben werden.“, er wusste um die Wahrheit dieser Worte und ihre Konsequenzen. Er sah aus den Augenwinkeln zur Seite und nahm etwas verwundert ihr leichtes Lächeln wahr, mit dem sie ihn bedachte. „Vielleicht verstehe ich es einfach nicht. Aber du wirst es nicht überstehen, wenn du dich alleine vor eine Streitmacht wirfst. Und wenn ihr alleine wart…“, sie ließ den Satz unbeendet und er zuckte innerlich zusammen. Nein, ich würde es nicht überleben, wenn ich mich der Streitmacht entgegen werfe…, stimmte er ihr in Gedanken zu, hob die Fingerspitzen leicht an und legte sie vor der Brust aneinander. Er spitzte die Lippen, als er über seine Antwort nachdachte. „War es eine Frage, die sich dahinter verbirgt?“ „Frage… nicht direkt – ich versuche nur es zu verstehen.“ „Nun, manchmal tun wir das, was ich gerade mache. Wir gliedern uns in reguläre Heere ein und lenken sie ein wenig aus dem Hintergrund. Wir sammeln Informationen über Sympathisanten des Bösen. Und wenn es keine Heere sondern nur einzelne Personen sind, was spricht dagegen sich ihnen zu stellen?“ Er lauschte seiner Antwort nach. Es war eine gute Antwort gewesen. Die Worte waren wahr, ehrlich. Aber es verbarg sich etwas dahinter und er wusste, dass er dem Sinn der Frage ausgewichen war. „Also ist es ein Brauch, dass der Jüngste der Familie in die Welt hinaus zieht.“ „Ja, diese Zeit wird die Festigung genannt. Sie dient dazu, alle erworbenen Fähigkeiten miteinander in Harmonie zu bringen.“

“WAAAAARRRGHHH!“, er Ork brüllte und kam wild auf ihn zu, die große Keule zuckte durch die Luft, zu schnell um ihr mit dem Auge zu folgen. <<Oh oh>> Er tauchte ab, spürte den Luftzug, als die grobschlächtige Waffe an ihm vorbei sauste. Sein Schwert zuckte nach vorne, ein Schnitt erschien im Arm des grünhäutigen Wesens. Aber, anstatt es zu beeindrucken, drehte sich der Ork einfach zur Seite und hieb mit der Faust zu. Ein Schlag, der dem jungen Elfen die Luft aus den Rippen presste und ihn fast wie einen Spielball zurück warf. Er hustete und keuchte, als er um sein Gleichgewicht kämpfte…

„Und danach…?“, sie unterbrach den Gedankengang seiner Erinnerung, die Erinnerung an die ersten Tage der Festigung. „Danach kehrt man zur Familie zurück und sieht, was für Aufgaben es gibt. Manchmal gibt es Untersuchungen, die zu führen sind. Hin und wieder begleitet man eine Expedition, wenn alte Mauerfragmente oder Schriftrollen aus Jassavia entdeckt wurden.“, er hielt für einen Moment inne, dann wurde seine Stimme etwas weicher, ein Anflug von ungewöhnlichem Humor schwang darin mit „Hin und wieder werden Kriege geführt und manchmal glaubt der Rat, dass es sinnvoll sein kann einen jungen Arinth auf eine weit entfernte Insel zu entsenden.“ Die relative Stille des Waldes hüllte die beiden ein, als er seine Aufzählung beendete. Die Lippen der Elfe an seiner Seite bewegten sich kurz, als suche sie nach den richtigen Worten. Die Stimme war leise, als sie sie schließlich aussprach. „Ich finde, dass es eine ziemlich gute Idee war… Jedenfalls bin ich froh, dass du hier bist.“ Er hielt kurz inne, er hörte den Klang ihrer Worte und schwieg für einen Moment, ehe er sich tiefer in seinen Schutzpanzer zurück zog. „Ich habe diese Entscheidung ebenfalls nie bereut…“, antwortete er leise. Ein halbes Zugeständnis. „Du bist nie unbeschwert und sorglos, hm?“

Sie lagen nebeneinander im Gras und blickten hinauf in die Baumkrone. Die kleine Elfe hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt und sich an ihn gekuschelt. Er lag dort, ohne ein Zugeständnis an ihre Nähe. Kein Arm, der sich um ihre Schulter legte und sie fest hielt, nichts. Er spürte den leichten Druck ihres Körpers, die weiche Berührung ihrer Wange an seiner Schulter. Für jeden anderen wäre es ein schöner Augenblick gewesen, er empfand ihn als… fremd. Von einer faszinierenden Schönheit, ja, aber irritierend und beunruhigend gleichermaßen. Habe ich mir so etwas vor einiger Zeit nicht noch gewünscht…?, dachte er, während er hinauf in den von Blattwerk verdeckten Himmel sah. Ja, aber nun… „Ich fürchte du hast Recht. Es fällt mir schwer auch nur für kleine Momente zu vergessen, worum es hier geht. Die Sorge um die Zukunft ist mir wohl in die Wiege gelegt. Stört es dich?“ „Stören ist das falsche Wort. Du bist wie du bist und ich habe dich gern, egal ob dein Kopf in den Wolken oder dein Blick am Boden ist. Aber ich vermisse die unbeschwerten, fröhlichen Augenblicke manches Mal. Aber wenn du damit zufrieden bist, werde ich damit leben können.“, ihre Stimme klang ehrlich, wie immer. Dann wandte sie ihren Kopf zur Seite um ihn zu betrachten. „Es spricht nichts dagegen, wenn du unbeschwert und fröhlich bist oder? Und auch ich hatte solche Momente. Viele von ihnen, als ich mit meinen Brüdern herum tollte, wir unseren Eltern Streiche spielten oder herausfinden wollten, wie ein Sonnenaufgang aussieht…“ „Die Zeit ist für dich vorbei, du vermisst sie auch nicht oder?“ Er sah einen Moment lang zur Seite und blickte Safiriel in die Augen. Dann wandte er seinen Blick wieder in Richtung des Himmels. „Ich frage mich, ob es einen Unterschied machen würde. Ich denke gerne an diese Zeiten zurück, sehe sie so deutlich vor mir, als wäre es erst wenige Stunden her. Wie wir auf den höchsten Turm hinauf kletterten und über das Meer von Bäumen sahen, um den Sonnenaufgang abzuwarten. Aber, so lieb mir diese Erinnerungen sind – würde es sie zurück bringen, wenn ich sie vermissen würde?“, er schloss für einen Moment lang die Augen und lauschte. Das leise Krabbeln der Waldtiere, das ruhige Atmen der Elfe neben ihm. „Erinnerungen sind Erinnerungen, sie tun der Seele gut. Es ist ein Teil, den man einfach festhalten sollte. Die Frage ist, hast du das Bedürfnis wieder solche Momente zu erleben? Oder bist du damit zufrieden und es genügen dir deine Erinnerungen?“ Er schwieg auf die Frage hin und streckte sachte die Hand aus, um einen Blütenkelch zu berühren. Eine tiefe, weit ausladende Blüte, die er mit größter Vorsicht berührte, wie um sie nicht zu zerstören. Sie war schneeweiß. Genau wie ihre Haut…
„Ich weiß es nicht, aber solange ich meine Aufgabe nicht vernachlässigen kann und will, werden mir die Erinnerungen reichen…“, sagte er dann leise und zog seine Hand vorsichtig zurück. Dabei lebe ich, was andere Dinge betrifft, ständig in der Vergangenheit… Jassavia.

Sie grinste breit und fröhlich, als sie einen Grashalm aus dem Boden zupfte und ihn damit am Hals zu kitzeln begann. Er nahm es hin, ein leises Rümpfen der Nase, das besagte “Was soll das nun wieder?“. Sie deutete es als “Meine Nase ist empfindlicher als mein Hals“ und ging sofort dazu über seine Nasenspitze mit dem Grashalm zu bearbeiten. Eine Geste…?, er griff zur Seite, umfasste ihr Handgelenk und hielt es vorsichtig fest. Der Griff war vorsichtig, aber exakt. Dann entwand er ihr ihre heimtückische Waffe und betrachtete sie. Die Lippen waren zu einem großen Schmollmund verzogen. Er streckte seine freie Hand zur Seite und strich mit der Spitze des Grashalms vorsichtig an ihrer Ohrmuschel entlang. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig von dem gekonnten Schmollen zu einem fast erschrockenen Ausdruck. Sie quietschte und zappelte unter seinem Griff, als er sie ärgerte. Sie wandte sich, dann griff sie nach seinem Handgelenk und zog ihn hinunter. Er folgt ihrer Bewegung, für einen Moment lang hing er über ihr, beide Gesichter auf einer Höhe. Er sah die Neugier, die Aufmerksamkeit in ihren großen Augen. Für einen Moment lang verharrte er, nur etwa eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt. Dann richtete er sich langsam auf und legte den Grashalm bedächtig zur Seite.
„Verzeih mir… es ist schwierig mit dir manchmal… Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Es ist nicht einfach, wenn man jemanden mag der so distanziert und so beherrscht und manchmal, verzeih mir, so unentspannt ist.“, die Worte sprudelten zwischen ihren Lippen hervor, wie ein kleiner Wasserfall, der über ihn herein brach. Ja, es ist nicht einfach mit mir. Warum gibst du dir dennoch die Mühe? Warum? Andere würden deine Aufmerksamkeit weit mehr schätzen als ich es offenbar tue… Andere würden… Er ging in die Hocke und sah schweigend hinaus in den Wald, betrachtete das Unterholz und die Bäume und legte sich bereits mehrere Routen zurecht, die ihn aus dem Tal führen würden. Sie hat sich gefreut, dass ich sie besuchen gekommen bin… Aber… Jedes Mal. „Ich will nicht an dir herumkritisieren. Du bist wie du bist und das ist gut so.“ Aber es gefällt dir trotzdem nicht. Du sagst immer wieder, ich bin wie ich bin und es sei gut. Aber… es fällt mir in deiner Gegenwart schwer das selber zu glauben. „Ich weiß. Es tut mir leid, wenn du an mir… verzweifelst.“, antwortete er leise. Die Worte klangen ehrlich, auch wenn er sie nicht anblickte. „Das ist es nicht. Ich… Ich will dir einfach nicht weh tun, weil ich bin wie ich bin. Ich will dir nicht zu nahe treten, so dass du das Gefühl hast mir zuliebe etwas mitmachen zu müssen was dir nicht passt. Oder denkst du, es verletzt mich, wenn du mich zurück stößt?“ Ein leichtes Kopfschütteln seinerseits. Er traute sich nicht, sich umzudrehen. Angst vor dem, was er vielleicht sehen würde. Angst vor dem, was er sagen müsste, wenn er ihr direkt ins Angesicht sehen würde. „Du sollst mir zuliebe niemand sein, der du nicht sein willst. Nur weil du den Fehler gemacht hast zu sagen du willst mein Freund sein.“ Ein Fehler, ja. Ich weiß nicht ob du es siehst, Safiriel. Aber ich sehe deutlich, wo das hier enden wird… Er hob seine Hände an und löste langsam den exakt und streng gebundenen Zopf. Die Haare fielen herab und bedeckten seine Schultern, als er leise antwortete. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich anders nicht mehr verletzten würde.“, antwortete er leise. „Du hast richtig festgestellt, dass ich distanziert bin. Wenn du wüsstest, dass dich ein schweres Schicksal erwartet. Würdest du nicht alles unternehmen um andere davor zu schützen?“
„Ich glaube ich verstehe dich immer noch nicht. Oder es gibt einen entscheidenden Teil der Geschichte, den ich noch nicht kenne.“
„Die Geschichte ist lang, Safiriel. Es ist vieles in ihr, das einer üblichen Geschichte ähnelt. Traurige Elemente, spannende Passagen und einige, die unweigerlich komisch sind. Aber, der Grundtenor ist, wie ich fürchte, kein fröhlicher.“
„Wovor würdest du mich beschützen wollen…?“
Er schwieg, hielt inne und schwieg dann weiter. Dann hob er seine Hände an und fing die Haare wieder in die strenge Umarmung des Zopfbandes ein. Er strich darüber hinweg, überprüfte, ob er alle Haare eingefangen hatte. „Ein anderes Mal, wenn du willst. Manche Geschichten brauchen ihre rechte Zeit.“ „Es geht mir nicht um die Geschichte!“, sie klang mit einem Mal etwas aufgebracht „Es geht darum, dass du immer sagst du würdest mich umgekehrt mehr verletzen, mir aber nie sagst wieso!“ Er schwieg einen Moment, dann nickte er schweren Herzens. Ich bin, was ich bin. Und ich bin mir nicht sicher, ob es dich nicht zerstören würde… „Ich weiß. Und… es tut mir leid.“, sprach er leise und schloss seine Augen für einen Moment. Er spürte ihre Anspannung, die sie immer überkam wenn sie beide sich diesem Thema näherten. Und das hatten sie bisher jedes Mal getan.

„Vielleicht ist es einfach Zeit festzustellen, dass die Idee unserer Freundschaft ein Irrtum war. Unsere beiden Völker, die früher eins waren, haben sich offenbar weit voneinander entfernt. Zu weit, um mehr als nur verbündet sein zu können. Ich muss vielleicht zugeben, dass ich mich geirrt habe, als ich all dies für bloße Vorurteile hielt. Wir sollten das Experiment Freundschaft als gescheitert betrachten und es einfach dabei belassen, die Fähigkeiten des jeweils anderen zu schätzen.“ Er spürte ihre Worte mehr, als er sie hörte. Dann erhob er sich langsam und bereitete sich darauf vor, seinen Mantel aus Schweigen wieder um sich zu breiten, die Aura der Stille, in die er sich so oft zurück zog. „Vielleicht solltest du in deine Welt zurück kehren und alles damit gut sein lassen.“, auch wenn ihre Stimme leise war, keinesfalls hart, schmerzten ihn die Worte. Und sie vermittelten Aussicht auf einen Ausweg. Ich müsste einfach nur Ja sagen und gehen. Dann könnte ich dies hinter mir lassen. Ich wäre in Sicherheit und sie wäre es vermutlich auch. „Vielleicht“, antwortete er stattdessen und ein kaum merkliches Zittern schlich sich in seine Stimme, als er eine andere Wahrheit erkannte. Du… Er spürte, wie sie nach seiner Hand griff. Sie war aufgestanden und hinter ihn getreten und hielt vorsichtig die Finger, die leblos, wie sein ganzer Arm, herab hingen. Dann drückte sie seine Hand feste. „Feanthil, es gibt keinen Grund für Kummer. Ich bin wie ich bin und du wie du. Das ist in Ordnung. Niemand sollte sich verbiegen müssen für einen anderen. Ich weiß, du willst mich nicht traurig machen und ich dich auch nicht.“ Ja Er blickte in die Ferne, hinaus in den Wald und sah ihn doch nicht richtig. Sein Blick war unstet, der Ausdruck von Verlorenheit zeigte sich in seinem Gesicht. In wenigen Augenblicken spürte er seine Einsamkeit so deutlich wie jetzt. Meistens war sie ihm Freund und Verbündeter. Aber nun…

„Du hast mein Leben bisher schöner gemacht“, flüsterte er leise, als wäre dies ein Kommentar, der nur für ihn selber gedacht war. Er spürte wie sie neben ihm erstaunt aufsah. „Aber… warum…?“, fragte sie, offenbar überrascht von seinen Worten. „Glaubst du, dass unsere Motive wichtig sind?“, wechselte er das Thema. „Nicht nur, aber vor allem. Wenn Motive nicht zum Handeln führen, wie bei den Druiden, ist es einfach nur feige. Motive sind gut, wenn sie unser Handeln bestimmen. Manchmal kann ich Motive aufgrund der Methoden nicht gutheißen. Aber im Allgemeinen, ja. Unsere Motive sind das ausschlaggebende.“ Er hielt inne, dann seufzte er innerlich auf. Es würde schwierig werden und sein Verdacht über den verhängnisvollen Ausgang bestärkte sich. „Bist du… einverstanden… wenn wir dies ein anderes Mal fortsetzen?“, er klang unsicher, denn er wusste, dass es nach diesem Schritt kein Zurück mehr gab. Er konnte es hinaus zögern, aber unweigerlich konnte es nur auf eine Weise enden. Sie legte ihre andere Hand ebenfalls um ihre verbundenen Hände. „Ich habe Angst…“, flüsterte sie dann leise und trat einen kleinen Schritt näher an ihn heran. Er sah sie immer noch nicht an, blickte hinaus in den Wald. „Wovor…?“ „Angst, dass ich versuchen werde dich und dein Leben umzukrempeln. Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man so glücklich sein kann. Und vielleicht…“, sie zögerte einen Moment. „noch mehr davor, dass es mir am Ende gelingt.“ Er drehte sich langsam herum und sah zu ihr hinunter, dann hob er seine freie Hand und strich zärtlich über ihre Wange. „Eines musst du verstehen Safiriel“, die Stimme war ebenso leise wie die Ihre, schwer von der Bedeutung, die sich hinter den Worten verbarg. „Manchmal geht es nicht darum, ob jemand glücklich ist…“

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 Betreff des Beitrags: Re: Der dritte Sohn
BeitragVerfasst: 19.09.10, 04:56 
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Teil II – Fragen und Antworten

Gegenwart, 3. Carmer 5019, Tal der Waldelfen

Er schloss die Augen und vor ihm entfaltete sich die Welt. Ein belebender Geruch nach feuchtem Moos, Blättern, frischer Erde und Holz stieg in seine feine Nase, als er am Ende des Bergpfades ankam. Ein nördlicher Windstoß brachte den Geruch nach frischem Schnee von einem der nahen Berge mit sich, ein feuchter und kühler Geruch, der das Nahen des Herbstes verkündete. Es mischte sich in seinen Sinnen und er sah ohne die Augen zu öffnen die Schönheit dessen, was vor ihm lag. Diese Momente waren selten, kostbar geworden. Was er einst als so selbstverständlich genommen hatte, hielt sich nun des Öfteren fern seiner Reichweite auf. Wenn er etwas liebte und kostbar hielt, dann war es dieser Geruch nach Grün. Der Geruch nach dicht stehenden Bäumen.
Mit geschlossenen Augen ging er langsam zwischen den Bäumen umher. Er lauschte dem Rascheln der Blätter, dem Knarzen der Zweige und dem weichen und dumpfen Laut seiner Füße, der sich mit all den anderen Geräuschen mischte und im Rhythmus ihres Reigens erklang. Nahe ihm raschelte es, als einige kleinere Waldtiere das Weite suchten. In der Ferne erklang das Stakkato eines Spechtes, der sich auf die Suche nach Futter begab. Und über ihm rief ein Käuzchen sein scheues „Schuuhuu“ hinaus. Er wusste nicht, wonach es rief. Einem Partner vielleicht. Sie hätte es vermutlich gewusst, aber wie alles was sie wusste, hätte sie es ihm niemals gesagt, so wie sie niemals auch nur ein Wort mit ihm gesprochen hatte. Ein seltenes Lächeln glitt über die strengen Züge des Elfen, während er sich vorkam wie ein Traumwandler, dessen Schritte in einem verzauberten Wald widerhallten.

Ein neues Geräusch drang an sein sensibles Gehör. Ein zartes „Plitsch“ von etwas Kleinem, das ins Wasser tauchte. Es war kein schnelles Geräusch, wie der muntere Sprung einer Bachforelle. Und wieder nicht so leise und zaghaft wie eine Eichel die ins Wasser fällt. Es war mehr das kurze Durchbrechen der Stille, dem etwas nachzuhallen schien, der Gesang eines kleinen Flusses. Vorsichtig bewegte er sich in Richtung des Geräusches und öffnete seine Augen langsam, um dem letzten seiner Sinne ebenfalls Zugang zu seiner Umgebung zu gewähren.

Der Wald öffnete sich ein wenig, die Bäume schienen vor dem Bächlein zurück zu weichen um Gras und großen Schilfhalmen Platz zu machen. Rohrkoblen ragten hier und da am Ufer in die Höhe, umschwirrt von Libellen und anderen Insekten. Und inmitten der Pflanzen, direkt am Bach, saß eine kleine, weiße Gestalt. Helle Haut von der Farbe frischen Schnees und ebenso weiße Haare, die über ihre schmalen Schultern nach hinten fielen. Ihre zierlichen Füße hatte sie in den Bach getaucht und ließ die Zehen dort sorglos hin und her spielen. Die Hände neben sich aufgestützt hob sie einen Deut den Kopf, als er an den Rand des Waldes trat. Feanthil sah das leichte Zucken auf ihren Wangen, das wohl ein Lächeln sein musste. Für einen Moment hielt er inne, während er innerlich aufseufzte. Zwecklos. Sie weiß, dass ich hier bin. Wahrscheinlich, seit ich einen Fuß in den Wald gesetzt habe. Ich kann noch so leise sein, vermutlich wird sie es immer wissen. Diese Kunst habe ich weder je verstanden noch meistern können…, dachte er und trat dann langsam auf die Lichtung am Bach. „Ich vermute einfach mal, dass du schon lange um meine Anwesenheit weißt?“, erkundigte er sich dann und blieb einige Schritte hinter ihr stehen. „In unseren Wäldern bleibt mir nichts verborgen“, antwortete sie und bewegte ihren Knöchel im Wasser leicht hin und her. „Sah’Lien Safiriel, Niah.“, grüßte er sie dann und ließ sich vorsichtig neben ihr in die Hocke sinken. „Wie geht es dir?“ „Der Wind weht, die Tage werden kühler, das Gras wächst“, entgegnete sie gelassen und streckte eine Hand aus, um einen Finger in das kühle Wasser des Baches zu tauchen. Er verfolgte ihre Bewegung einen Moment lang schweigend, ehe er antwortete. „Das ist eine etwas… ungewöhnliche… Antwort. Ich vermute einfach mal es bedeutet so etwas wie „So wie immer“?“ „Für mich ist Tares Lauf wichtig. Und Tare interessiert es nicht ob es mir nun gefällt wie das Wetter ist. Aber ja, gewissermaßen heißt es das“, die Erwiderung klang sachlich und distanziert, als käme sie von einem fernen Ort, den er kaum erreichen konnte. Langsam ließ sich der Hochelf zurück sinken und setzte sich ins Gras hinein. Seine Augen verfolgten die munteren, sorglosen Bewegungen eines kleinen Fischchens, das um die Knöchel der Waldelfe herum tanzte um dann pfeilschnell den Bachlauf hinunter zu sausen. Eine Falte huschte über seine Stirn, während er dem kleinen Wesen ernst hinterher sah, als habe es ihm eine besorgniserregende Nachricht überbracht. „Bekümmert dich etwas?“, fragte sie mit leiser Stimme und wandte den Kopf herum, um ihn anzusehen. Er schüttelte sich, schüttelte den Ausdruck der Sorge auf seinem Gesicht ab. Dann streckte er eine Hand aus und tauchte einen Finger ins Wasser. Der stete Strom teilte sich und zwei feine Linien gingen davon aus, eine direkt zu dem ebenfalls ins Wasser getauchten Finger Safiriels ziehend.

„Einiges, aber nichts, was ich erzählen sollte. Eigentlich kam ich her um Rat zu suchen, aber gerade erscheint mir das als keine so gute Idee mehr.“, seine Stimme war leise und nachdenklich, während er den Linien und Wirbeln auf der unruhigen Oberfläche des Wassers zusah. Dann sprühte etwas Wasser in die Höhe, ein feines Gespinst aus Tropfen das im Mondlicht glitzerte. „Warum?“ Er zog seine Hand zurück aus dem Wasser und legte sie zurück auf eines seiner Knie. „Nun, du scheinst mir nicht in der Stimmung dich überhaupt mit mir zu unterhalten – etwas, an dem ich vermutlich einige Schuld trage.“ Sie sah zu dem sprühenden Wasserwirbel zurück und beobachtete ihn, ehe sie antwortete. „Nein, so ist es nicht. Es ist für mich nicht ganz einfach mit dir umzugehen, weißt du?“ Er bewegte seine Hand kurz um den nassen Finger an seiner Hose abzustreifen. Sie fuhr mit leiser Stimme fort: „Egal wie sehr du und ich uns bemühen, am Ende scheint es uns beiden nicht gut zu tun. Vielleicht ist manchmal guter Wille nicht ausreichend, dass Dinge auch gut laufen.“ Er ließ die Worte auf sich wirken und spürte die Wahrheit in ihrem Klang. Nicht jeder hat ein Geheimnis, das er ungerne preis geben will. Das trägt seinen Teil dazu bei, dachte er und fast kamen ihm die Worte über die Lippen, obwohl ein „fast“ in seinen Dimensionen dennoch bedeutete, dass es nicht passierte und niemals passiert wäre. Er hatte keine Verwendung für Annäherungen, kein Verständnis für das Aufweichen der Grenzen zwischen Gut und Schlecht, Richtig und Falsch oder Gelingen und Versagen. Für ihn galt, entweder das eine oder das andere. Kein Zwischenschritt. „Du bist neugierig, sehr sogar. Und ich bin eher verschwiegen. Aber du hast mich beim letzten Mal gefragt, ob ich nie lachen, nie ausgelassen wäre und nur selten lächelte. Möchtest du den Grund dafür hören?“, kam statt dessen über seine Lippen. Eine Antwort, die den Inhalt ihrer Aussage schlicht überging. Er hörte das leise Flüstern ihrer Haare, als sie nickte.

„Nun, in meiner Heimat waren wir eine glückliche Familie. Selbst mit dem Schicksal, das über unseren Köpfen hing. Der Wald, alte Magie, die Festungsmauern und unsere Verbündeten und Freunde sorgten dafür, dass uns niemals jemand fand, der nicht willkommen war. Eine behütete Kindheit, wenn man so will. Ich und meine Brüder, wir haben viel Unfug angestellt und gelegentlich lud uns eine nahe Sippe der Waldelfen zu einem Fest oder einfach nur aus Freundschaft ein. Wundervolle Zeremonien habe ich erblickt, so alt wie die Gebeine der Erde dachte ich damals. Dinge, für die mir noch heute die Worte fehlen würden, aus Angst ihnen niemals gerecht werden zu können. Nun, natürlich hatten wir die Gelegenheit mit anderen Kindern zu spielen, immer wenn wir eingeladen waren. Etwas, was für die meisten in unserem Alter wahrscheinlich selbstverständlich war.“, er hielt kurz inne, legte seine Hände übereinander und sah hinaus zu der anderen Uferseite. Er verfolgte die Bewegungen eines alten Dachses, der mürrisch einen Abendspaziergang unternahm. „Ich will nicht sagen, dass ich meine Kindheit bedauere. Im Gegenteil, ich würde sie gegen keine andere der Welt tauschen wollen. All dies gab uns das Gefühl behütet zu sein. Sollten wir uns im Wald verlaufen, früher oder später hätte uns jemand Freundliches gefunden.“, er räusperte sich einen Moment lang, um besondere Aufmerksamkeit auf den nächsten Satz zu lenken. „Nicht, dass wir uns jemals verlaufen hätten… Wir haben Trolle mit Bonbons bestochen und ihnen einen wertvollen Gegenstand entwendet. Einmal haben wir einen Drachen gesehen – einen echten… glauben wir.“ Sie zog eine feine Augenbraue in die Höhe. „Ein Drache? Das wäre mehr als ungewöhnlich“ beschied sie mit ruhiger Stimme, die durch die Erinnerung an die Fantasien drang, die er als Kind gehabt hatte.
„Es heißt, dass sich irgendwo in Auren einer verbirgt. Nun, ich muss zugeben, es war irgendetwas, das bei Sonnenaufgang seine Kreise zog, in weiter Ferne. Wenn du ein Kind bist und Geschichten über Drachen gehört hast, was anderes könnte es da sein?“ Sie schien unbeeindruckt, reserviert, als sie darauf antwortete. „Wenn du dich nicht irrst, bist du wohl vom Glück gezeichnet. Egal was es war, es wird in deinem Herzen jedenfalls immer ein Drache sein.“ Er stockte einen Moment, unsicher, ob er fortfahren sollte. Und irgendwie fühlte er sich über ihre Distanz dennoch erleichtert und wiederum etwas irritiert. Distanz machte alles einfacher. „Das Alter verändert uns in der Hinsicht, wie wir Dinge wahrnehmen. Manche sagen, dass uns die Fähigkeit abhanden kommt den Zauber zu sehen, das Geheimnisvolle, das wir als Kinder in jedem Schatten vermuten. Ich habe mehr als ein Jahrzehnt außerhalb der Festung in diesem Wald verbracht“, er schloss die Augen und dachte an die Zeit zurück. Dachte an Sie zurück und fragte sich, wie schon so oft, was ihn diese zwölf Jahre hatten lehren sollen. Zuerst hatte er angenommen, es wäre Schleichen und Spähen gewesen. Aber mittlerweile war er sich nicht mehr so sicher.
„Ich habe nie einen Troll gesehen. Nie wieder. Aber ich denke, der Punkt ist ein anderer. Irgendwann verließ ich Auren und die Welt machte einen Eindruck auf mich. Sie war… groß. Unfassbar groß und vielfältig. Neben Wäldern und Bergen gab es Steppen, Grasland, Sümpfe, Wüsten und riesige Städte. Es war, als wäre hinter dem Wall von Ma’ahn eine andere Welt verborgen gewesen. Meine erste Reise führte mich nach Khalandra und ich musste feststellen, dass uns diese Welt nicht unbedingt freundlich gesonnen war.“

Er ging in die Knie, beugte den Oberkörper zur Seite und rollte sich ab um einem weiteren brutalen Keulenhieb des Orken zu entgehen. Er war voller Staub und Dreck, als er wieder auf die Füße kam und seinen Gegner in Augenschein nahm. Er war wesentlich kleiner, aber stärker, wilder und tausendfach wütender als er selber. Mit einem wilden Schwung holte der Ork aus und schmetterte die Keule nach seinem Gegner. Er beging einen Fehler, hob das Schwert um den Angriff zu parieren. Es knackte, dann gab sein Arm nach, als der Hieb des Orken Elle und Speiche seines Unterarms entzwei brach, als wären die beiden Knochen trockene Äste. Mit einem schmerzverzerrten Gesicht taumelte der Elf nach hinten. „Halt… ich… gebe auf.“, keuchte er und ließ das Schwert aus seinen kraftlosen Fingern fallen. Der Ork grunzte und heulte triumphierend auf, dann deutete er gen Norden und knirschte etwas in seiner unverständlichen Sprache. Der Elf meinte das Wort „Sklave“ zu hören. Wieder sah der junge Ork nach Norden und wedelte mit der Keule dorthin, dann erstarrte er. Ungläubig starrten seine kleinen Augen hinab, quollen fast aus den Höhlen, als sie die helle Hand des Elfen sahen, die vor seinem Hals verharte. Dann röchelte er und Blut sprudelte über die Klinge, die Feanthil in dem kurzen Moment der Unachtsamkeit in den Hals des Orken gerammt hatte. Glück. Und fehlende Erfahrung.

Er blinzelte die Erinnerung hinfort, die in ihm aufstieg. Sie kam nicht ungewollt, er hatte sie bewusst hervor gerufen, rief sich den sauren Körpergeruch seines ersten wirklichen Gegners in Erinnerung, dessen Aussehen und seine wilden Bewegungen. Die Rage in dessen Augen. Es formte die Worte, die Bedeutung hinter den Worten, die er sprach. „Eine feindliche, irgendwie öde Welt.“ Ich frage mich, ob jene Welt annahm, dass ich ihr Feind war…? „Voll von dem, für das ich ausgebildet war aber wovon ich nicht die gerinste Vorstellung hatte: Krieg, Gewalt, Hass, Wut, Leid. Ich hatte Kampftechniken studiert, Jahrzehnte lang, aber die Wirklichkeit ist immer etwas anders.“, er hob die Schultern an und hob den Blick hinauf zu dem langsam verblassenden Sternenhimmel. „Worauf ich hinaus will ist Folgendes: Ausgelassenheit, Frohsinn und dergleichen, all dies gehört an einen Ort den man Zuhause nennen kann. Nicht jedoch für einen, an dem Monster und finstere Mächte einem nach dem Leben trachten.“ Er endete, schweigend und in Erwartung ihrer Antwort. Nun, vielleicht nicht ihrer Antwort, aber ihrer Stimme und dessen, was sie offenbahren würde. Ob sie merkt, dass dies wie immer nicht die ganze Wahrheit ist? Dass es eine unabdingbare Voraussetzung für das ist, was ich bin? Ansonsten nehme ich mir und Ihnen die Würde

Sie legte den Kopf schief und sah zu ihm hinüber, ein träges Blinzeln folgte, das irgendwie an das einer Eule erinnerte. Ihr weißes Gesicht und ihre Haare schienen dem verblassenden Mondlicht mit dem letzten, geisterhaften Leuchten nachzutrauern ehe sich der Sonnenschein auf ihre Wange legte. Sie schwieg lange, bevor sie antwortete. Ein Eichelhär kreischte sein schrilles Lied in die Stille hinein, als der Wald erwachte. Ein unbedachter hätte gesagt, „Zu neuem Leben“, aber genau wie die „Stille des Waldes“, wäre dies eine Lüge gewesen. Wälder waren niemals unlebendig, niemals still. Im Gegensatz zu den beiden Elfen, die für einen Moment ihrem Schweigen anhingen. Der Eine in Erwartung, die andere aus ihm unbekannten Gründen. „Ich kann es nachvollziehen“, durchbrach ihre melodische Stimme schließlich die Stille, die sich zwischen ihnen erhob. „Aber ich kann es nicht verstehen. Für mich ist unbegreiflich, wie man ohne einen kurzen Moment der Losgelöstheit überhaupt existieren kann.“, die Feststellung war leise, ohne Vorwurf aber mit dem Unterton der Nachdenklichkeit. „Ich hatte ein Jahrhundert des Losgelöstsein. Nun, meine Ausbildung war sehr fordernd, aber mit dem verglichen, was ich hier erlebt habe erscheint es mir doch eher ruhig gewesen zu sein. Also habe ich mir wohl einen kleinen Vorrat an Losgelöstheit erarbeitet.“ „Vielleicht… Und dieses Vielleicht macht es uns so schwer…“, murmelte sie leise, dann richtete sie ihren Kopf wieder auf. „Du brauchtest einen Rat?“

„Das wird dir vielleicht merkwürdig vorkommen, aber du hast eine sehr wesentliche Art die Dinge zu betrachten. Das Problem ist politisch“, er hielt einen Moment inne und schüttelte dann den Kopf. „Nein, das stimmt nicht. Es ist teilweise politisch und teilweise persönlich.“ Sie schwieg, überließ ihn seinem Vortrag. „Waldemar Delarie, der Hauptmann der Menschen Ersonts, hat mir einen Sitz im Stadtrat angeboten. In zwei Tagen soll ich zu meinen Gunsten sprechen. Eine Sache, die mich mit großem Unbehagen erfüllt, ich bin es nicht gewohnt anzupreisen was ich tun kann oder nicht. Überhaupt, ich würde alle großen Versammlungen am liebsten schweigend zubringen, wenn mein Amt nicht anderes von mir verlangen würde.“, er tippte mit den Fingerspitzen aneinander. Sie spitzte die Lippen, dann legte sie sich auf den Rücken und blickte hinauf in den Himmel. „Möchtest du es?“, ihre Frage war ungewöhnlich, befand er. Er ordnete seine Handlungen seltenst in den Kategorien von „Mögen“ oder „Nicht-mögen“ ein. Es gab Dinge, die man tun musste und deswegen tat man sie. Egal ob es einem gefiel oder nicht. „Du musst wissen, diese Frage besitzt kaum Bedeutung für mich.“, antwortete er dann wahrheitsgemäß. „Der Punkt ist ein anderer. Waldemar Delarie ist ein Kriegstreiber. Er hat dem ganzen Lehen diesen Ruf verpasst. Es gibt kaum eine Organisation auf Siebenwind die ihn nicht hasst und nicht Wenige wollen ihn tot sehen. Viele halten ihn für unfähig und zollen ihm keinen Respekt und dergleichen vielfach mehr. Würde ich mich dem Ersonter Rat anschließen, müsste ich in Kauf nehmen, dass sich dieses Bild auch noch auf die Thar’Sala abfärbt. Momentan pflegen wir gute Beziehungen zu anderen Völkern und Gruppen und ich bin daran interessiert, dass es auch so bleibt.“ Sie unterbrach ihn, als er nach den vielen Worten etwas länger Atem holte. „Was spricht dafür?“, er zögerte einen Moment lang und antwortete mit ruhiger Stimme. „Ich könnte das Leben meines Volkes in Falkensee angenehmer, besser machen. Vielleicht Einfluss nehmen auf die Geschicke des Lehens und es wieder dem alleinigen Zweck zuwenden, gegen die Horden des Bösen zu kämpfen…“ „Wer ist noch in dem Rat…?“ „Ich kenne nicht alle. Ein Mensch namens Toran Dur, eine Kreatur die ich gewiss nicht schätze. Serafina wäre da noch.“ „Was wäre deine Aufgabe? Und welche Rechte hat man, wenn man im Rat sitzt?“, interessiert sah sie zur Seite und beobachtete ihn neugierig. „Ich wäre der „Hüter des Rechts“, so eine Art Gesetzesverwahrer und Richter. Und ich vermute, man darf Versammlungen einberufen, Gesetzte oder Vorgehensweisen vorschlagen, für die muss man dann allerdings eine Mehrheit bekommen.“, er ging die ihm bekannten Fakten nacheinander durch und lächelte ein wenig, als das Bild das sich ihm offenbahrte klarer zu werden begann.

„Würde Serafina immer hinter dir stehen? Oder wird sie erwarten, dass du immer hinter ihr stehst?“, die Richtung der Frage überraschte ihn. Nicht, weil der Gedanke so abwegig war, sondern weil eine Waldelfe ihn stellte. Aber eine, wie er sich eingestehen musste, die Jahrhunderte damit verbracht hatte menschlichen Kriegen hinterher zu ziehen und dabei wahrscheinlich die Zeit gefunden hatte, die ein oder andere menschliche Eigenart zu studieren. „Die Frage ist:“, führte sie dann weiter aus. „Hast du ihr zuzustimmen und den Mund zu halten? Und würde eure Gemeinschaft das verkraften? Ihr könnt alles durchstehen, wenn Ihr zusammen haltet, denke ich. Aber dies ist die wichtigste Frage, die du dir stellen solltest.“ Serafina, deren Gesicht einen einzigen Ausdruck für sich in Anspruch zu nehmen schien, in der gleichen Weise wie sein Gesicht garkeinen Ausdruck besaß., dachte er, dann wagte er einen ungewohnten Vorstoß und grinste. „Vielleicht sollte ich dich an meiner Statt vorschlagen.“ Sie schmunzelte, durchaus amüsiert über seinen ungewohnten Scherz. „Ich bezweifel, dass sie das so amüsieren würde. Außerdem glaube ich, dass Serafina kein großer Freund von mir ist. Nun, wie dem auch sei: Du musst dich fragen, ob es das wert ist. Letzten Endes, bei all dem was du gesagt hast, kannst du dir das nur selber beantworten.“ Er blickte in Richtung des Baches und nickte dann leicht. „Weißt du, ich bin mir nicht sicher ob ich fähig bin dies zu ertragen. Die meisten Geschöpfe dieser Insel sind so unfassbar dumm. Vor einigen Tagen musste ich mit ansehen, wie ein Verbund von größtenteils menschlichen Truppen sich unter der Führung eines Zwergen in eine Höhle begab. Der Zwerg scheiterte so gnadenlos bei seiner Führungsaufgabe, es war schon geradezu traurig.“, er griff nach einem kleinen Ast und warf ihn in einer seltsam unwirschen Geste, die sein sonst so beherrschtes Gehabe durchbrach, in Richtung des Flusses. „Was mich dabei am meisten ärgerte war, dass diesem Zwerg nichts besseres einfiel als Waldemar Delarie die Schuld für sein Versagen in die Schuhe zu schieben. Nicht, dass ich eine hohe Meinung von ihm hätte, aber wenn es eines gibt was ich nicht ausstehen kann sind es solche verweichlichten Lügner die alles tun, nur um ihrem eigenen Versagen nicht ins Antlitz blicken zu müssen.“, er atmete tief durch, während die Resonanz seiner lauten und emotionalen Worte im Wald verklang, dann senkte er die Stimme wieder. „Vielleicht habe ich aber auch nur Angst, mich mit solchen Personen mehr als jetzt abgeben zu müssen.“ Die Elfe schnalzte leicht mit der Zunge, ihr Tonfall war fast ein wenig mitleidig. „Das müsstest du, die Frabe dabei ist nur, ob du es als deine Aufgabe sehen kannst sie zu belehren und zu hoffen, dass sie begreifen. Oder ob du meinst, dass du es an der Stelle an der du gerade bist mehr ausrichten kannst.“ Sie verschränkte die Finger ineinander und bettete ihre Hände unter dem Kopf, als sie weiterhin den Zug der Wolken beobachtete. „Seltsame Zeiten – Kämpfer sollen Räte und Diplomaten sein… Ich bin um keine Antwort reicher, aber ich verstehe das Problem etwas besser.“, mit den Worten löste er sich aus seiner Sitzposition und ging wieder in die Hocke. „Niemand kann für dich Entscheidungen treffen Feanthil“, mahnte sie ihn leise und er blickte zu ihr hinab, fing für einen Moment den Blick ihrer klaren Augen ein, ehe er zustimmend nickte.
„Weißt du, manchmal glaube ich, dass wir viel in dem verlieren was wir wollen und deswegen nie erkennen, dass es außerhalb unserer Möglichkeiten liegt. Ich werde darüber noch nachdenken, aber danke.“
„Ich wünschte, ich hätte dir mehr Antworten geben können.“ „Wirklich? Meinst du nicht es wäre besser, fände ich sie selber?“ Sie schien still und innerlich zu lächeln, als er die Worte sprach. „Natürlich. Aber weißt du, am Ende wissen immer nur wir, was für uns selber wahr ist, egal was andere in uns sehen. Vielleicht mussten wir uns am Ende erst streiten, damit ich das wieder begreifen konnte. Dennoch tut es immer weh…“ Er verharrte und schloss seine Augen, lauschte ihrer weichen Stimme nach und versuchte die Bedeutung ihrer Worte zu ergründen, etwas, bei dem er regelmäßig scheiterte. Dann seufzte er leise. „Eines Tages werden sich die Wahrheiten vielleicht gleichen.“, seine Stimme war zu einem Flüstern herab gesunken. „Das werden sie, eines Tages.“, antwortete sie ebenso leise. Der Elf bewegte die Lippen, die Stimme war fast unhörbar, als er sich erhob und sie hinter dem Rascheln seines Umhangs zu verstecken schien. „Das wäre schön.“ Sie hörte es trotzdem. „Wieso?“, zum ersten Mal an diesem Treffen sah Safiriel überrascht aus, als sie zu ihm hinauf blickte. Er schloss kurz die Augen, dann fing er ihren Blick wieder ein. „Weil es eine Bedeutung hätte.“, entgegnete er mit leiser Stimme und wandte sich danach schnell dem Wald zu. „Richte der Sippe meine Grüße aus, ja?“ Sie seufzte und ließ sich zurück ins Gras fallen, er hörte den leisen Laut als sie dort ankam, spürte die zarte Vibration der Erde unter seinen Füßen. „Werde ich tun.“, entgegnete sie, ein wenig mürrisch klang die Stimme. „Es ist doch garnicht so schlecht, wenn wir einmal ohne einen Streit oder Verwirrung auseinander gehen oder?“, sagte er dann und wunderte sich gleichzeitig über sich selber. Ein zweiter Scherz an diesem Tag. Dieses Tal hatte eine ungewöhnliche Wirkung auf ihn. Ihre Worte trafen ihn unvorbereitet. „Ich glaube, du wirst niemals in meiner Gegenwart sein können ohne dass ein Teil meiner Seele oder meines Herzens nicht verwirrt ist“

Er drehte sich um und blickte sie an, die kleine zierliche Waldelfe die gemütlich im Gras lag, die Füße nahe des Wassers. Er blickte in ihr Gesicht und für einen winzigen Moment kamen seine Augen ihrer Bedeutung nahe, als Fenster zur Seele. Fenster, die er die meiste Zeit zugesperrt ließ um von innen zu beobachten und gleichzeitig jeden anderen auszusperren. Jetzt jedoch spiegelte sein Blick ihre Worte für einen Moment lang wider. Nein, spiegelte nicht sondern erschuf die gleiche Bedeutsamkeit und ließ sie daran teilhaben. Dann wandte er sich ab. „Nah’lien Niah’ma, Elend simil at“, flüsterte er und verschwand dann schnellen Schrittes und mit einem seltsamen Gefühl der Unruhe zwischen den Bäumen. Ihre Worte schwebten hinter ihm her. „Elend Tevra at“.

Und wieder war er überrascht, irritiert und kam sich unendlich unbeholfen vor. Aber wenigstens wusste er nun, was er wegen seines eigentlichen Problems unternehmen musste. Ein dritter Weg, der ein Test und gleichzeitig ein Befriedigen seiner Neugier war. Nein, mein nebensächliches Problem. Mein eigentliches Problem ist ein gänzlich anderes...

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 Betreff des Beitrags: Re: Der dritte Sohn
BeitragVerfasst: 6.10.10, 17:20 
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Kapitel 2 – Adoleszenz

Teil 1 – Geburtstagsmorgen

Vergangenheit. Auren, 5. Sekar 4936, Feste Arinth

Heute war ein besonderer Tag, das wusste der junge Elf. Dieser Tag war in den letzten Jahren schon oft vorbei gezogen und jedes Mal war es ein Grund der Freude gewesen. Der fünfte Sekar war sein Geburtstag. Der Tag, an dem man sich mit Geschenken überraschte – seine Eltern ihn, weil sie ihm eine Freude machen wollten und er seine Eltern, da sie ihn zur Welt gebracht hatten. Er erinnerte sich an das, was sein Großonkel dazu gesagt hatte: Sieh es so Feanthil, obgleich wir uns sehr freuen dich bei uns zu haben, du hast dafür doch recht wenig getan. Dein Vater immerhin ein bisschen, aber deine Mutter hat die Hauptarbeit geleistet, also ist dein Geburtstag immer noch ein großer Tag für sie. Er hatte darüber nachgedacht und schließlich befunden, dass sein Onkel dabei Recht hatte.
Für dieses Jahr hatte er lange gesucht, geübt und gearbeitet um etwas zu finden, dass der Gewichtigkeit dieses Datums gerecht wurde. Sein fünfzigster Geburtstag – sein Übertritt in das Erwachsenenalter. Natürlich war er schon lange ausgewachsen, in den Jahren immer vernünftiger geworden aber dennoch war dieser Tag eine mystische Schwelle auf die er sich schon lange freute. Frohgemut stieg er aus dem Bett und kleidete sich in seine besten Kleider: Helle Schuhe aus Stoff, eine mit Rankenmustern bestickte Weste und ein ordentliches Hemd. Die Hose gürtete er mit einem Gürtel aus Weißwolfleder, die Haare band er mit einem Stirnband zurück. Er betrachtete sich kurz im Spiegel, ein wenig blass und leuchtend, dank seiner hellen Kleidung. Zufrieden rückte er seine Gewandung zurecht, dann griff er nach einer Tasche in der sich zwei Dinge befanden, zwei wertvolle Dinge. Leise summend stieß er die Türe auf und verschwand im Gang.

Die Sonne hatte sich noch nicht erhoben und die Monde schienen abwesend zu sein, an einem anderen Ort der Welt der ihres Lichts bedürftiger war als die verlassen wirkende Festung aus weißem Stein und grünem Efeu. Eine Gestalt bewegte sich über den Hof und strebte zu einem der Türme hin. Leise zogen schmale Finger die Türe auf und der etwa zwei Schritt große Elf schlüpfte hindurch in das Dunkel, das zwischen den Steinen lauerte. Er schloss die Augen und schlich zur Mitte des Turms, während er das leise Wispern und Flüstern aus dem Baumaterial heraustropfen hörte. Namen, leise Worte die aus einer fernen, anderen Welt zu ihm hinüber drängten und ihn einhüllten in ihren gespenstischen Chor. Er spürte sanfte Berührungen auf Schultern und Gesicht, wie Seidenschleier die durch sein Vorangehen langsam geteilt würden. Dann erreichte er die Mitte des Turmes und ließ sich langsam nieder. Er atmete tief durch, lauschte in die Schwärze hinein und spürte die Quellen der einzelnen Stimmen auf. “Feanthil, Feanthil, Feanthil“, flüsterten sie leise in sein Ohr, während leise Windstöße, scheinbar aus dem Nichts kommend, um ihn herum tanzten. “Feanthil…“ Sein Herz begann schneller zu schlagen, als die wispernden Chöre näher kamen. Er konnte mehrere Stimmen ausmachen, hell und unschuldig, von einer unverstehenden Trauer eingenommen. “Du bist es, bist es… bist es… der Dritte…“, hauchten sie in sein Ohr, begleitet von einem eisigen Luftzug der ihn frösteln machte. Seine Nackenhaare stellten sich auf und mit aller Mühe bezwang der junge Elf das aufkeimende Verlangen fort zu laufen.

“An dem fünfzigsten Geburtstag eines jeden Arinths begibt er sich in den Turm, zu den Ungeborenen um deren Stimmen zu lauschen. Diejenigen, die niemals waren und deren Seelen noch ungeformt sind sehen Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart. Vor allem aber sehen sie dein Herz, lieber Sohn. Sie werden erkennen, was dort drin liegt und dir deinen Weg offenbahren…“, die Stimme seines Vaters war ruhig und doch kräuselte sich unter der Oberfläche der Klang von Sorge. Sorge um ihn, das letzte seiner Kinder dessen Aufwachsen er miterleben durfte. Der Elf seufzte und strich seinem Sohn sachte über das Haar. „Sie werden dir nichts tun, das könnten sie nicht. Aber sie sind beängstigend, zuerst… Sei mutig.“ Feanthil sah seinen Vater an, dann nickte er vorsichtig.

Er bezwang seine Unruhe, dann sprach er mit leiser Stimme. „Ich bin Feanthil Arinth, der Drittgeborene des Hauses Arinth“, seine Stimme klang nicht so sicher wie er es sich gewünscht hätte, eher zaghaft und zurückhaltend, aber das Flüstern schien für einen Moment inne zu halten. Dann spürte er, wie etwas seine Haut berührte. Vor seinen geschlossenen Liedern schimmerte ein leichtes, sanftes Licht auf und eine kleine Gestalt tappte auf ihn zu. Ein Mädchen, ganz aus silberweißem Licht, in einem Kleid. Er zuckte zurück, dann trat sie vor ihn und strich ihm vorsichtig über die Stirn. “Feanthil“, flüsterte sie mit leiser Stimme, während ihre Finger einen kühlen Schauder auf seiner Haut hinterließen. “Dritter deiner Generation, Schwert des Hauses. Ein langer, gefahrvoller Pfad erwartet dich… Über das Meer werden dich deine Schritte tragen, weit hinfort von deiner Familie, von allem was du liebst.“, das Mädchen sah ihn einen Moment lang an und verstummte, während ihre hohle Hand sich an seiner Wange barg, als würde sie Schutz suchen. “Du weißt, um den Pfad des Dritten?“, flüsterte sie in sein Ohr. „Ja, zumindest… ein wenig.“ Stille spannte sich zwischen dem Geist derer, die nie da gewesen war und die vielleicht nur in seiner Fantasie existierte, vielleicht nur eine Ausgeburt seines Unterbewusstseins war. Dann nickte sie vorsichtig. “Du musst dich aus freien Stücken entscheiden ihn zu gehen, trotz aller Opfer die er von dir verlangen wird. Du weißt, es ist ein einsamer Weg, den niemand außer uns wirklich versteht. Und wir werden dir fern sein, da du uns verlassen wirst.“ Der Elf hielt einen Moment lang inne, dann hob er den Kopf ein wenig, wie um seinen Hals preis zu geben. „Dennoch, ich werde meine Bürde annehmen.“, antwortete er leise, die Stimme schien von den Wänden widerzuhallen und eine Aura der Wärme gegen die kalte Präsenz der Geister zu errichten. “Dann komm…“, flüsterte sie und streckte beide Arme nach ihm aus. Er erhob sich, war sich nicht sicher ob er dies nur in Gedanken tat oder auch körperlich, und nahm das kleine Elfenmädchen in eine Arme und es sanft vom Boden hochzuheben. “Komm“, wiederholte sie die leisen Worte und kuschelte ihren ätherischen Leib an seine Brust. “Ich wusste nie wie es wäre einen Bruder zu haben, Feanthil. Ich wünschte, ich hätte es erfahren können…“, murmelte sie leise in seine Brust hinein, für einen Augenblick lang lüftete sich der Schleier der Mystik der sie umgab und präsentierte das, was sie hätte sein können: Ein ganz normales Mädchen.

Sie flossen gemeinsam durch die Dunkelheit, die alle Welt einzuhüllen schien. Zeitlos und endlos waberte sie hin und her um die beiden Gestalten, den Elfen und das geisterhafte Kind auf seinem Arm. “Bald sind wir dort – du musst dort etwas zurück lassen, liebster Feanthil.“ „Warum?“, fragte er leise, während er, sein Verstand?, sich bemühte Formen in der allgegenwärtigen Finsternis auszumachen. “Alle kommen in den Turm, doch nur du, der Dritte, kann unsere Stimmen wirklich hören. Du bist unser Ritter in der Dunkelheit dessen, was niemals war und nicht sein wird.“ Ihre Antwort war leise, während ihr durchscheinender Leib sich noch enger an ihn kuschelte. „Aber warum kannst du dann mit mir reden?“ “Weil du es willst. Weil du dir wünschst, dass es möglich ist. Generationen von Arinths haben in dem Mahnmal der Ungeborenen gebetet, den geliebten Seelen die sie niemals sehen durften ihre Wünsche zugeflüstert. So sind wir entstanden – Namen, Erinnerungen, Hoffnungen und Wünsche. Real durch den Glauben all jener Elfen und den Fluch, der uns zwingt nicht mehr zu sein als Schatten, die einen Elfen einmal in seinem Leben berühren dürfen ehe wir wieder der Einsamkeit überlassen werden.“ Er schwieg einen Moment lang, dann näherten sie sich einem Leuchten, das zuerst ein kleiner Punkt in der Dunkelheit war und sich dann zu einem wirbelnden Strudel aus Lichtfunken erweiterte. „Was ist das?“, erkundigte er sich bei seiner Begleiterin, die nun von seinem Arm kletterte und neben den glitzernden Strudel schwebte. Er schien an ihrer Substanzlosigkeit zu zerren, ihre Konturen einsaugen zu wollen während sein heller, vielfarbiger Schein die Dunkelheit vertrieb und sie beide in eine Sphäre aus Licht tauchte. “Dies ist der Altar. Hier musst du etwas zurück lassen, wenn du…“, dann verstummte sie mit einem Mal, als hätte sie schon zu viel gesagt. Feanthil starrte sie einen Moment lang wortlos an, dann richtete er seinen Blick in den Mittelpunkt des Strudels. „Generationen von Arinths haben Euch geschaffen, nicht wahr…? Und so den Fluch überwunden und gleichzeitig auf Euch ausgeweitet…“, sinnierte er dann, als sich sein Blick in den unergründlichen Tiefen des Vortex verlor. Er sah Gesichter herumwirbeln und hinab in die Tiefe gesogen. Gestalten, Körper, Gegenstände und Linien aus vielfarbigem Licht. „Was liegt dahinter?“, erkundigte er sich leise bei seiner geisterhaften Begleiterin. “Dahinter, Feanthil, liegt die Hoffnung. Das Letzte und Erste, was wir haben. Doch der Weg ist versperrt und nur du kannst ihn öffnen… So wie jeder vor dir.“ Immer noch zerrte der Strudel an ihr, wirbelte um sie herum aber schien unfähig die kleine, zarte Gestalt zu verschlucken. Er spürte, wie sich unzählige Augen auf ihn richteten. „Und ich muss etwas geben, um den Pfad zu öffnen?“, seine Stimme brach etwas, als er zu dem Mädchen zurück sah, das leicht den Kopf schüttelte. “Du musst nicht, du kannst. Es wird einige von uns erlösen… vielleicht. Wir wissen nicht, was hinter dem Strudel liegt. Wenn du gehen willst, die Finsternis wird auch vor dir zurück weichen.“ Feanthil verharrte vor dem Strudel, dann sah er zurück in das Dunkel und in der Ferne, wie eine kleine Nadel, sah er den Turm stehen, aus dem sie beide gekommen waren. Dann wandte er den Blick von seinem Rückweg ab und trat in den Strudel hinein. „Dann werde ich dir etwas schenken“, flüsterte er dem Mädchen ins Ohr, das an seine Seite getreten war. „Ich schenke Euch meine Stimme, die Lieder zu singen vermag, damit Ihr nicht der Stille anheim fallt. Damit du den anderen singen kannst, bis die Zeit gekommen ist.“, murmelte er mit leiser Stimme, das Mädchen sah zu ihm hinauf und eine große, silberne Träne glitzerte in ihrem Augenwinkel und rann die Wange herab. “Das musst du nicht…“, flüsterte sie mit leiser Stimme zu dem größeren Elfen hinauf. „Ich möchte es aber… Mearana.“

Als er den Namen nannte drückte etwas seine Kehle zu, es fühlte sich an, als würde ihn eine starke Faust am Hals packen. Kälte raste über seine Stimmbänder hinunter in die Lunge, wieder zurück und durchfloss seine Adern mit einem eisigen Strom. Dann war alles vorbei und er spürte, wie die Dunkelheit um ihn herum zerfaserte. “Danke, Feanthil“, säuselte eine leise Stimme in sein Ohr hinein…

Er fand sich in dem Turm wieder, dessen trübe Dunkelheit vor seinen Augen zurück wich. Er erkannte die Schriftzeichen auf den Steinen, die sich bis weit nach oben hin zogen. Die Stimmen der Geister waren verschwunden und stattdessen umwogte ein leises, beruhigendes Lied seine Sinne. Er lächelte und sah hinab zu seinen beiden Mitbringseln, eine Kette aus niemals vergehenden Frühlingsblumen und ein in weiches Leder gebundenes Buch. Mutter und Vater werden sich darüber freuen, dachte er und nahm die beiden Geschenke für seine Eltern vorsichtig auf. Er stutzte, als er an der Kette für seine Mutter einen weiteren Anhänger baumeln sah. Eine Träne aus Silber, die zwischen den Blumen baumelte und leise im neuen Lied des Turmes mitzuklingen schien. Dann verließ er den Turm.

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 Betreff des Beitrags: Re: Der dritte Sohn
BeitragVerfasst: 15.10.10, 14:03 
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Teil 2 – Verlust eines Liedes

Vergangenheit. Auren, 12. Sekar 4936, Feste Arinth

„Weißt du, was ein Stil ist?“, sein Onkel sah ihn ruhig an, sie saßen auf einer Zacke der Festungsmauer und sahen in den Wald hinaus, beobachteten dessen grünes Wogen in dem leichten Ostwind. Feanthil blinzelte einen Gedanken fort, als die Stimme seine Sinne erreichte und sah zur Seite. Sein Onkel war in schlichte, graue Stoffe gehüllt, ein einfaches Hemd, eine einfache Hose und feste lederne Stiefel, ein warmer Umhang schützte ihn vor der Kälte des Morsans. An seiner Seite trug er ein Kurzschwert, über dem Rücken ein gebogenes Schwert aus Elfenholz. „Stile sind… Bewegungsmuster, einstudierte Bewegungsformen für einen bestimmten Kampfablauf“, antwortete er dann, zog die Beine zu sich heran und setzte sich etwas herum um seinen Onkel aufmerksamer zu betrachten. Er mochte diese Unterredungen zwischen den ganzen Übungseinheiten. Es waren friedliche Momente, bevor sie sich wieder erhoben und sein Onkel ihn über alle möglichen Turngeräte in dem zweiten Turm scheuchte. „Ja, aber auch wieder nein. Ein Stil ist viel mehr als das. Er ist ein Kunstwerk und ein Relikt aus lange vergangenen Zeiten, Feanthil.“, antwortete sein Onkel dann mit leise Stimme, legte seine Hände um die Knie und gestattete sich ein kurzes Lächeln, als er den aufmerksamen Blick seines Schülers wahrnahm. Feanthil liebte Geschichten, mehr noch als jeder seiner Brüder hörte er allem aufmerksam zu, was seine Eltern oder anderen Familienmitglieder zu sagen hatten.
„Ich sehe, du witterst eine Geschichte dahinter… Du hast schon wieder diesen Blick in den Augen.“, der Tadel hinter der Stimme war freundlich, eher kameradschaftlich spöttisch denn wirklich anklagend. Feanthil schlug die Augenlider schuldbewusst nieder und nickte eifrig. „Erzählst du sie mir? Bitte?“ „Sehr gerne, Neffe. Sehr gerne.“

„Es war einmal, vor langer langer Zeit, als die Welt noch keine Kriege kannte und Kämpfe eine Seltenheit unter den lebenden Völkern waren. Noch bevor Jassavia gebaut und wieder gefallen war, noch bevor wir Arinths uns aus dem Schatten der Geschichte erhoben und unsere Waffen ergriffen. Damals, sahen zwei Elfen hinauf in den Himmel und sahen den Astreyon, schmal wie eine Sichel, nur noch eine winzige silberne Linie, am nächtlichen Firmament. Sie betrachteten ihn und beiden kam eine Idee: Sie wollten etwas schaffen, was dem Astreyon gleich käme.
Also gingen sie in die dichten Wälder die ihre Heimat waren und lange suchten sie, bis sie zu einem einzelnen Baum kamen. Er war groß, ein mächtiger Riese unter seinesgleichen mit eisengrauer Haut. Sie legten ihre Hände auf seine Rinde und ihre Gedanken und Stimmen formten ihren Wunsch, aus dem sie zwei Dinge schufen: Den ersten Bogen und das erste Schwert.

Den Ersten jeder Art kommt immer eine besondere Bedeutung zuteil. Sie begründen Linien, Generationen und ganze Familien. So wie bei unserer Familie, in der der erste Arinth die Linie fortführt, um dem Anfang aller Dinge zu gedenken.

Nun, jene Elfen, Silveril und Ganothrel, wussten noch nicht, was ihr Streben dort geboren hatte. Ganothrel fand, dass das, was seinem Wunsch entsprungen war, an einer Seite scharf war, gebogen wie der Sichelmond und ein leises Lied sang, wenn man es durch die Luft schwang. Silveril jedoch hatte nur ein dumpfes Pfeifen, wenn er seinen Gegenstand bewegte. Sie wunderten sich, was sie dort für Gegenstände erträumt hatten, denn damals gab es keine Verwendung für derartige Dinge, die wir später Waffen nennen würden. Ganothrel ging hinaus in die Wälder, um seinen Stock, das erste Schwert, zu schwingen und dessen Lied zu lauschen, um es zu verstehen. Silveril jedoch blieb wo er war, zu Füßen des großen Baumes und grübelte nach, konnte er doch keinen großen Sinn in seinem Werk erkennen.

Dann wandte Silveril den Kopf gen Himmel und gegen den Hintergrund des aufhellenden Morgenhimmels schoss etwas über ihn hinweg. Ein Falke, der im Flug sechs Federn fallen ließ. Beeindruckt von der Schnelligkeit und der Eleganz des Luftprinzen legte Silveril seine Hände erneut an die Rinde des Baumes und seinem Wunsch entsprangen die ersten Pfeile, lang, schlank und mit einer Spitze, denen des Falkenschnabels nachempfunden. Er lachte, als er sie durch die Luft warf. Dann sammelte er die Federn des Fliegenden auf und verband sie mit den Pfeilen, um seinen Falken das Fliegen zu lehren. So zog er hinaus in die Wälder, mit seinem Stock und den sechs Pfeilen die seinem Wunsch entsprungen waren.

Doch je weiter er durch die dunklen Wälder ging, umso mehr spürte er, dass noch etwas fehlte. Eine innere Unruhe ergriff ihn, derweil sein Bruder Ganothrel zum Klang seines Schwertes tanzte. Dann kam er an einen See und ließ sich an dessen Ufer nieder, er legte die Hände auf die Knie und starrte auf das Wasser, sprach mit den Fischen und den Storchen, die dort zu leben pflegten. Doch keines der Geschöpfe konnte ihm sagen, was seine Schöpfung vollständig machen würde. Dann erblickte Silveril eine Weide und ein Wind erhob sich, der die Weide zur Seite bog. Als der Wind wieder hinfort ging – damals wie heute sind die Winde ein verspieltes Volk, das kommt und geht, wann immer es ihm beliebt – bog sich die Weide elegant zurück. Und Silveril wusste, dass er gefunden hatte, was ihm fehlte. Er löste eine lange Strähne seines silbernen Haares und wand sie um die Enden seines Stabes. Dann erhob er sich und zog die neu geschaffene Sehne zurück. Er hörte das leise Flüstern des Holzes, als sich der Bogen zurück bog und dann das Surren, als die Sehne nach vorne schnellte und der Stock in seine Ausgangsposition zurück kehrte. Einen Moment später brachte er seine Falkenpfeile zum Fliegen und lachte voll Freude, als er das Lied ihres Fluges vernahm.

Er ging zu seinem Bruder, um ihm zu zeigen was er geschaffen hatte und beide erfreuten sich an der Melodie des ersten Bogens. Sie fanden heraus, dass die Schnäbel der Falkenpfeile Beute machen konnten und so wurden sie die ersten Jäger aus dem Volk der Elfen. Ihr Verdienst ist die elfische Jagdkunst, denn Silveril und Ganothrel wussten um den Lauf aller Dinge und sie ordneten sich diesem Kreislauf unter.

Sie verbrachten viele Jahre damit, anderen Elfen ihre Werke zu zeigen und so entstanden mit der Zeit Messer, Speere und andere Gegenstände, aus dem grauen Holz des alten Baumes. Als Dank für seine großzügigen Gaben nahmen die Elfen seine Schößlinge und trugen sie hinaus in die Welt, um überall die Bäume in die Erde zu setzen, die wir heute als Eisenholzbäume kennen. Ein jedes Mal, wenn du einen siehst, erinnere dich ihres Ursprungs.

Ungezählte Jahre später verließ eine kleine Sippe die heimatlichen Wälder. Sie teilte sich in zwei Gruppen auf, die einen, die in den Auen ihr Zuhause finden sollten und die anderen, die es weiter hinaus zog, auf die freien Ebenen, wo sie ihre ersten Städte bauten. Beide Gruppen nahmen ihre Waffen mit, obgleich es noch keine Verwendung dafür gab, bewunderten die Elfen die Haltungen und Bewegungen, die man damit ausführte. So wurden die ersten Stile geboren, in ihrem Ursprung sind sie eine Kunst der Bewegung, das Lauschen auf das Lied des eigenen Körpers und die Harmonie mit der Verlängerung seiner Selbst, der Waffe.“

Ranion endete und sah hinab zu seinem jüngeren Schüler, der ihn aufmerksam anblickte und dann leicht lächelte, einen verträumten Ausdruck in den dunklen, blauen Augen. Er beließ ihn einen Moment in den Gedankenbildern, der Vorstellung wie es gewesen wäre damals mit den beiden Brüdern Bogen und Schwert erfunden zu haben, dann klatschte er leicht in die Hände. „Nun, auf auf Feanthil. Es warten noch Übungen auf dich.“ Etwas zog sich in ihm zusammen, als er sah wie der junge Elf aus seiner Tagträumerei zurück kehrte und sich ein verbissener Ausdruck auf dessen Gesicht schlicht. Dann erhob er sich schweigend von der Mauer und ging mit seinem Onkel zurück zu dem zweiten Turm, ihre Stiefel hinterließen dabei leichte Spuren in dem frischen Schnee, der die ganze Festung bedeckte.

Das Innere der ersten Ebene war ausgefüllt mit verschiedenen Dingen, Gewichten, Stangen die aus den Wänden ragten oder Steinblöcke die aufgeschichtet waren. Der zweite Turm, der nordwestliche, war der Größte der drei Türmen und war einstmals der Ausbildung von Kriegern gewidmet. Nun aber gab es keine große Anzahl von Soldaten, die hier ihre Übungen absolvieren konnten. Die einstmals große Familie Arinth war auf eine Handvoll Mitglieder zusammengeschrumpft, 11 an der Zahl, von denen vielleicht ein Drittel mit Waffen umgehen wollte. So war das, was früher angefüllt war von dem Ächzen der Muskeln, dem Klang von aufeinanderprallenden Waffen, nun der Stille anheim gegeben worden. Feanthil und Ranion begannen den ersten Übungszyklus, langsame Bewegungen im Fluss des eigenen Atems, weit ausholend um die Muskeln langsam aber sicher zu erwärmen und zu dehnen. Sie beugten sich herab um ihre Zehenspitzen zu berühren, drehten den Oberkörper zur Seite um beide Hände auf das rechte Schienenbein zu legen. Synchron verlagerten sie das Gewicht auf den linken Fuß, richteten den Oberkörper langsam auf und hoben in gleichem Maße das rechte Bein. Der ältere Elf stand ruhig da, während sein Schüler bereits jetzt mit dem Gleichgewicht kämpfte. „Atmen, Feanthil“, wies der Lehrer ihn an „Immer gleichmäßig atmen. Deine Furcht umzufallen beeinflusst deinen Atem und verspannt deinen Körper. Atmest du ruhig, gleitet deine Angst und deine Anspannung über dich hinweg und fort von dir.“ Die Stimme war leise, hatte etwas Meditatives im Halbdunkel des Übungsraums. Feanthil bemühte sich den Anweisungen zu folgen, bewegte den Oberkörper etwas zur Seite um sein Gleichgewicht zu verbessern, dann kippte er etwas zu weit auf die Fußkante und begann mit den Armen zu wedeln, um seine Balance zu halten. Einen Moment später machte sein Hintern schmerzhaft und unelegant Bekanntschaft mit dem Boden. Feanthil fauchte einen Fluch in sich hinein und hieb mit einer Faust aufgebracht auf den Boden. Sein Onkel sah zu ihm hinunter, dann schnalzte er mit der Zunge. „Steh auf. Noch einmal.“, wies er ihn mit ruhiger Stimme an, nicht unfreundlich aber auch nicht mit zu viel Nachsicht. Kurz verharrte der junge Arinth am Boden, dann drückte er sich wieder hoch und nahm die Ausgangsstellung erneut ein. Wieder schwankte er, als er das Gewicht verlagerte. Verbissen rang er mit seinem Stand, bis er schließlich das Bein hob. „Was ist, Feanthil? Lasse deinen Körper sprechen, dies sollte dir eigentlich einfach fallen. Ich habe dich schon vor Jahren auf Mauerkronen balancieren sehen.“, der ältere Elf löste sich aus einer anderen Haltung, dann verschränkte er die Arme hinter dem Rücken. Feanthil brach ab, dann blickte er hinüber zu seinem Lehrer und seufzte frustriert auf. „Ich… weiß auch nicht.“, seufzte er dann leise, ließ sich auf den Boden sinken und sah auf seine Fußspitzen herab. Seine Hände krallten sich in seine einfache, weiße Stoffhose hinein. Was ist nur los…? Ich war früher der beste Kletterer unter uns… Und nun falle ich fast um, wenn ich nur auf einem Bein stehen will, schoss es durch seine Kopf, dann ballte er seine rechte Hand zur Faust und schlug sie gegen seine Beine, wie um diese für ihre Unfähigkeit Balance zu halten zu bestraften. „Noch einmal.“, murrte er, als er sich erhob und wieder die Grundstellung einnahm.

„Etwas stimmt nicht mit Feanthil Farnion. Er versagt bei den einfachsten Übungen. Dabei sollte er sie innerhalb von Stunden begriffen und Tagen gemeistert haben, so wie alle vor ihm!“, Ranion sah seinen älteren Bruder fast schon aufgebracht an. In dem Blick des Dritten spiegelte sich Erstaunen, Unglaube aber auch etwas, was seinen Bruder zutiefst überraschte: Entsetzen. Sie befanden sich in einem kleinen, abgelegenen Bibliothekszimmer, das vom Geruch alter Pergamentseiten erfüllt war. Farnion legte seine schlanken Finger um das Buch, an dem er gerade arbeitete. „Ich weiß…“, murmelte er leise, mit einer von Kummer erfüllten Stimme. „Vor einer Woche, an seinem Geburtstag, hat er mir dieses Buch geschenkt. Lyrik, eine saubere und gute Abschrift, gemeinsam mit Tonlagen und Notenlinien um die Verse auch musikalisch darzustellen. Er…“, er hielt dann inne und sah zu seinem Bruder hinüber, der den Kopf nur leicht neigte. „Ja…“, entgegnete Ranion und legte eine Hand mitfühlend auf die seines älteren Bruders. Er erinnerte sich an den Moment, das Ende des Tages, als sie alle im Astreyonzimmer gesessen hatten und Feanthil die Gedichte vorsingen wollte.

Ein gemütliches Feuer knackte und prasselte im Kamin, die Luft war erfüllt von freundlichem, erwartungsvollem Schweigen als der junge Elf vor die versammelte Familie trat. Seine Brüder, die Eltern, zwei Onkel und eine Großtante hatten ihre Augen auf ihn gerichtet. Sie lächelten, denn es war bis jetzt ein schöner Tag gewesen. Sie hatten zusammen gesessen, gelacht und Geschenke ausgetauscht. Seine Mutter trug die neue Kette aus schneeweißen Blumen und der silbernen Träne um den Hals, während ihre Finger unbewusst über das glitzernde Metall strichen. Dann hatte Feanthil anfangen wollen die Gedichte vorzusingen, aber kein Ton verließ seine Lippen. Er schloss und öffnete den Mund wieder, versuchte es erneut aber kein Gesang kam aus seiner Kehle. Hilfesuchend sah er zu seiner Familie, mit einem verängstigten Gesichtsausdruck voller Unverstehen. Dann, ein drittes Mal, hatte er es versucht, während Tränen seine Augen füllten. Als erneut nichts geschehen war, hatte er den Raum fluchtartig verlassen und seine schockierte Familie zurück gelassen.

„Was sollen wir tun?“, murmelte Farnion leise, statt seiner zielgerichteten Stimme klang er nun orientierungslos, verwirrt. Sein Bruder lehnte sich in dem Stuhl zurück und faltete seine Hände über dem Bauch, er zog beide Augenbrauen zusammen, während sich eine Falte in seiner Stirn bildete. Das ratlose Schweigen blieb einen Moment, dann seufzte Ranion leise auf und setzte sich etwas nach vorne. „Wir müssen…“ „Es ist verboten“, unterbrach sein Bruder ihn mit leiser Stimme und sah mit schmerzerfülltem Gesicht auf. „Was hat er nur in dem Turm getan? Was passiert überhaupt dort drin? Ich erinnere mich noch, als du den Turm verlassen hast. Du warst erschrocken, bleich und völlig außer dir.“ Ranion wandt sich unter dem Blick, dann winkte er leicht ab. „Der Turm wirkt unterschiedlich auf jeden von uns. Ihr Älteren vernehmt meistens nichts, aber wir… Etwas passiert dort drin. Ich weiß nicht, wie war es bei unserem Onkel, Farnion?“, der Angesprochene hob leicht die Schultern. „Onkel Calluvir ist früh gestorben. Ich erinnere mich kaum noch an ihn, nur, dass er immer sehr ernst und traurig war. Mein Vater, genau wie Tante Yaloel, haben selten darüber gesprochen. Sie sagten, etwas sei im Turm mit ihm passiert. Aber von dem was sie erzählten, schien es ihm ähnlich zu gehen wie Feanthil.“ Sie sahen einander an, dann erhoben sie sich gleichzeitig. „Dann werden wir seine Aufzeichnungen durchsehen müssen, Bruder.“ „Ja – was machen wir so lange mit Feanthil?“ Der Älteste Arinth schwieg einen Moment lang und dachte nach. „Nehmen wir ihn mit…“ Dann verließen die beiden Brüder in einträchtigem Schweigen die Bibliothek und gingen ihren Jüngsten suchen.

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 Betreff des Beitrags: Teil 3 - Antagonist
BeitragVerfasst: 24.10.10, 14:40 
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Teil 3 – Antagonist

Vergangenheit. Auren, 13. Sekar 4936, Feste Arinth


Er saß auf der Mauer und hüllte sich in seinen Mantel, während der Regen auf ihn nieder prasselte. Neben ihm befand sich ein kleiner Vorrat an Kieseln, von denen er immer wieder einen ergriff und ihn mit einer unwirschen Bewegung in den Wald hinaus warf. Er hörte das leise Klatschen, als der Stein durch einige Blätter hindurch brach. Er hörte das Tropfen des Regens, das Säuseln des Windes. Er murmelte leise etwas in sich hinein, dann griff er nach einem neuen Stein, spannte die Muskeln seines Arms an und warf ihn hinaus in den Wald.

„Hat der Baum dich so geärgert, dass du ihn mit Steinen bewerfen musst?“, erkundigte sich eine leise Stimme hinter ihm und zwei schlanke Hände legten sich auf seine Schultern. Der junge Elf seufzte und schien ein wenig in sich zusammen zu sinken. „Nein…“, murmelte er resigniert, als seine Mutter hinter ihm vorbei trat, mit einer kurzen Handbewegung die Steine von der Mauer fegte und sich dann auf ihren Platz setzte. „Warum wirfst du dann nach ihm?“, erkundigte sie sich, der Tonfall war neugierig und freundlich – ein Tonfall den Feanthil kannte und nicht mochte. Es war ihr Tonfall, wenn sie ihn auf einen Fehler aufmerksam machte. Er winkelte die Knie an und zog die Arme um die schlanken Beine herum. „Können wir es damit bewenden lassen, dass es eine schlechte Idee war? Ich war sauer, auf mich, nicht auf den Baum… Und ich habe jetzt keine Lust darüber zu reden.“, er klang unwirsch, mit dem neuen Tonfall in seiner Stimme – dem Tonfall, der über eine grundlegende Verärgerung heraus nichts mehr zu sagen vermochte. „Und wa…“, begann seine Mutter, dann brach sie ab als er den Kopf herum riss und sie anstarrte. Sie hatte ein weißes Kapuzengewand angelegt, von dem der Regen herab rann, ohne durch den feinen Stoff zu dringen. „Bitte, erspare mir das Mutter.“, murrte er, dann senkten sich seine Augenlider und er sah auf den Stein zwischen ihnen. „Eigentlich kam ich hierher, um nach meinem Sohn zu sehen, der Trübsal blasend auf den Mauern sitzt. Aber es scheint, er ist gerade nicht anwesend…“, entgegnete sie dann mit einem kühlen Tonfall, raffte ihre Kleidung zusammen und wandte sich auf der Mauer herum, um die zarten Füße zurück auf den Wehrgang zu setzen. „Mutter, ich…“, setzte Feanthil an, den Oberkörper in ihre Richtung herum wendend, dann seufzte er nur schwer auf. „es tut mir leid. Ich ärgere mich nur so – es scheint, als würde ich nichts mehr können. Und die Welt… scheint auch irgendwie anders zu sein. Ich sollte es nicht an anderen auslassen.“, erklärte er dann und hob seinen Kopf etwas, um hinauf in den Himmel zu sehen. „Das solltest du tatsächlich nicht, mein Lieber. Aber, die Welt ist immer noch die Selbe geblieben. Du scheinst dich ein wenig geändert zu haben, Fea.“, entgegnete die Elfe und legte ihre Hände unter dem dichten Umhang zusammen. „Aber warum habe ich mich verändert?“ „Du bist nun volljährig…“, entgegnete sie, dann verfielen sie beide einen Moment in Schweigen und Feanthil drehte sich wieder um in den verregneten Hellzyklus hinein zu sehen, während der kalte Wind um sie herum pfiff und ihre Mäntel aufbauschte.

„Aber bei anderen war es nicht so, oder?“, die Stimme des jungen Elfen klang nachdenklich und bedrückt, während seine Augen die Bewegung eines grünen Blattes verfolgten, das unter dem steten Einschlag des Regens immer wieder zitterte. Das Wasser lief die feinen Äderchen entlang, dann beugte sich die Spitze des Blattes leicht nach unten und ein dicker Tropfen Wasser fiel zu Boden. „Nein, soweit ich weiß nicht. Aber, ich komme auch nicht von hier, wie du weißt. Geschweige denn, dass ich jemals vermutet hätte mein Leben in einer versteckten Festung im Wald zu verbringen“, antwortete die Elfe dann mit leiser Stimme und humorvollem Unterton, während sie den Rücken ihres Sohnes betrachtete. Der sank ein wenig in sich zusammen, ließ seine Schultern sinken und seufzte einen Moment lang. „Ich glaube, was ich im Turm getan habe war eine ziemliche Dummheit. Zu dem Zeitpunkt erschien es mir richtig, aber nun…“, setzte Feanthil an, dann spreizte er seine Finger und legte den Kopf auf seine Knie. „Nun ist alles so falsch. Erst an dem Geburtstag, dann bei meiner Ausbildung…“ Wieder senkte sich sein Oberkörper, als er ein weiteres Mal schwer seufzte. Die Frau hinter ihm trat an ihn heran und legte ihre schlanken Arme um ihren Sohn herum. „In deinem Herzen bist du immer noch der Selbe Fea. Willst du mir erzählen, was im Turm passiert ist?“ Er überlegte einen Moment lang, dann schüttelte er leicht den Kopf. „Es war merkwürdig... Eigentlich darf ich nicht darüber reden, aber... Ich habe dort etwas zurück gelassen, glaube ich. Etwas Wichtiges. Und es hat mich und den Turm verändert“ Die ältere Elfe wiegte den Kopf zur Seite, ehe sie antwortete: „Ja, das habe ich bemerkt. Auch wenn er mir nach wie vor unheimlich ist. Und nun macht dir das zu schaffen, so sehr, dass du nicht mehr singen kannst...?" Feanthil zog den Umhang fester um sich herum. "Ja.", antwortete er schlicht, was seiner Mutter ein trauriges Seufzen entlockte. "Nun, dein Vater wartet mit deinem Onkel in der Bibliothek auf dich.", teilte sie ihm dann mit.
Der Elf richtete sich etwas auf, dann wandte er den Kopf herum um in das liebevolle Gesicht seiner Mutter zu blicken. „Warum?“, erkundigte er sich, fast etwas ängstlich, während sich die klaren Augen weiteten. „Sie wollen mit dir gemeinsam etwas über deinen Großonkel Calluvir herausfinden.“ Sie ließ ihn, streckte eine Hand aus und strich ihm zärtlich über die Wange. „Du wirst alles gut machen, keine Sorge. Und egal was passiert, du wirst unser Sohn sein.“, dann beugte sie sich nach vorne, strich seine Kapuze etwas zurück und gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn. Er sah zu ihr hinauf, dann glitt er von der Mauerzacke hinunter und nahm seine Mutter einmal feste in die Arme, ehe er sich mit eiligen Schritten auf zur Bibliothek machte. Die Elfe sah ihm hinterher, einen merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht – Traurigkeit vermischt mit Stolz.

Die Bibliothek war ein ehrwürdiger Ort. Große Bogenfenster ließen das spärliche Licht des Tages herein, mehrere Laternen aus Kristallen hingen an den Pfeilern, die eine große gewölbte Decke aus weißem Marmor stützten. An der Decke und an den Säulen befanden sich zahlreiche Fresken und Abbildungen, mit unendlicher Geduld und künstlerischer Hand in den Stein gehauen. Große Regale aus grauem Eisenholz, blank poliert durch die Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende, die sie hier schon standen, enthielten zahlreiche Bücher. Doch auch hier war nicht zu übersehen, dass die Handvoll Elfen dieser Festung lange nicht mehr ausreichte um den Kampf gegen den Verfall fortzuführen. Mehrere Einbände waren rissig, einige weggebrochen und oft sah man große Lücken zwischen verschiedenen Buchreihen klaffen – dort, wo der Zahn der Zeit seinen Tribut gefordert und alle schützende Magie versagt hatte.
Das helle, weiße Licht das von den Kristalllaternen ausging flackerte nicht und hielt die Bibliothek stets im gleichen Licht. Hier und da waren Leitern angebracht, um die besonders hohen Regale zu erklimmen. Das große Portal zur Bibliothek, auf dessen Stirnseite sich die Darstellung einer Gruppe von Elfen, die gerade von einer einäugigen Gestalt ein großes Buch überreicht bekam, fand, war seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden. Es schloss in einem Bogen, der in einer Spitze endete, zur Decke hin ab. An der Spitze und im Hintergrund des Türenfreskos thronte das Wappen des Hauses: Der blau geschuppte Drache, der eine silberne Sanduhr in den Klauen hielt.
Die Bibliothek der Festung war das eigentliche Herzstück der Festung, Wissen, das seit langer Zeit hier bewahrt wurde und Bücher, von denen viele der Bewohner nicht einmal genau wussten, was sie enthielten. Abschriften, manche sogar Originale, aus dem letzten Zeitalter, die man vor der Vernichtung hatte retten können, nur um sie hier einen langsamen Tod sterben zu lassen. Der Geruch von Papier, Pergament, altem Leder lag wie ein Tuch über dem Ort. Gemischt mit dem leisen Geschmack von Alter und Vergehen.

Feanthil betrat die Bibliothek, wie jeder dieser Tage, durch einen Seitengang. Ein leises Flackern begrüßte ihn, als eine der Kristalllampen damit kämpfte das Licht in ihrem Innern am Brennen zu halten. Er sah sich um, mehrere Lampen waren über die Jahre seines Lebens ausgefallen und es war eine große Arbeit, sie zu ersetzen. Die Materialien waren selten geworden und die Prozedur eine Kristalllampe herzustellen schwierig und aufwändig. Dafür, immerhin, hielten sie auch mehrere Jahrhunderte. Er hing seinen nassen Mantel an einen Haken, sah an sich hinunter und griff in eine Tasche, um ein Paar weißer Stoffhandschuhe anzuziehen, die sich eng über seine helle Haut legten.

Der Elf ging unter dem steten Knistern und Flackern der Lampe entlang durch die Bibliothek. Kurz hielt er inne, schloss die Augen und atmete tief durch. Zu seinen Füßen, am Boden, verneigte sich ein weißhaariger Elf gerade vor einem Altar. In seiner linken Hand hielt er eine Schriftrolle, in der Rechten ein leicht gekrümmtes Schwert. Er war angetan in eine silbrig schimmernde Rüstung und trug einen blauen Umhang, auf dem das Drachenwappen zu sehen war. Auf dem Altar thronte der blaue Drache seines Wappens und sah mit einem ausdruckslosen, fast schon gleichgültigem, Blick auf ihn herab.
Feanthil mochte die Bibliothek, seit dem Verhängnisvollen Tag vor knapp einer Woche mehr denn je. Hier war es still, kein Geräusch erklang und die Aura des Alters und der Einsamkeit, in der die Bücher hier ihr Dasein fristeten, behagte ihm. Dann ging er langsam weiter, seine Schritte führten ihn auf den Fliesen, die jeden Schritt mit einem leisen Klacken kommentierten, durch verschiedene Episoden seiner Familie. Die Gründung seiner Sippe, nach dem Vulkanausbruch, die Errichtung der weißen Stadt und das dortige Leben. Krieger und Gelehrte waren sie gewesen, einige Zauberer, aber nicht jene, die der Welt mit Magie ihren Stempel aufdrückten sondern die Sorte, die still und zurückgezogen Traktate verfasste und Schriften kopierte, sich um den Erhalt der Bibliotheken kümmerte. Hell und fröhlich, in Gelb, weiß, grün und hellblau waren die Farben gehalten.
In der Mitte der großen Halle fand sich das Fresko, um das sich alles weitere drehte. Der Verrat, ein Auenelf, der einen anderen Elfen hinterrücks erstach und dann den Feinden das Tor öffnete. Eine brennende Stadt und fliehende Elfen unter einem blutroten, von schwarz durchsetzten Himmel.
Er hatte diese Abbildungen schon so oft gesehen und stets schienen sie vor seinen Augen aufs Neue zu erwachen. Sein Vater hatte ihm einmal gesagt, dass sich auf den Steinen der Bibliothek die gesamte Geschichte seines Hauses befand. „Stein, mein Sohn, vergisst nicht. Niemals. Lieber lässt er sich von Wind und Wasser glatt schleifen und zerbröseln, anstatt das preis zu geben, was man ihm anvertraute. Deswegen haben unsere Ahnen dies hier auf Stein geschrieben.“

Er überwand mit größer werdendem Unbehagen die folgenden Episoden, einsame Kämpfe, Angriffe aus dem Hinterhalt und trat schließlich über das Bildnis hinweg, in dem der König der Niederhöllen seine gesamte Sippe verfluchte und dazu verdammte auf ewig nur noch eine Fußnote in der Geschichte zu sein und doch niemals ganz zu vergehen. Die Farben, während der dunklen Zeit stets von blutrot und schwarz dominiert, änderten sich wieder. Grau herrschte nun vor, wie der Nebel der Zeiten, der darstellte, wie ein Elf seinen drei Söhnen unterschiedliche Gaben überbrachte. Dem ersten das Zepter der Familie. Dem zweiten Buch, Tinte und Federkiel und dem Dritten die Klinge. Die Köpfe der drei Söhne wiesen in unterschiedliche Richtungen.
Feanthil wusste, dass die Fresken auf dem Boden weit mehr waren als nur historische Aufzeichnungen. Gleichzeitig gliederten und ordneten sie die Bibliothek in mehrere Abschnitte. In den Regalen über den Bodenmalereien war immer zu finden, was in jene Zeit oder zu jenem Thema gehörte. So erklärte sich auch, dass der Bestand an Büchern zunahm, je näher man der Gegenwart kam. Und hier nun wiesen die drei Söhne jeweils in den Bereich zu ihren Themen. Der erste zu Büchern, die sich mit Diplomatie, Handel, Verwaltung und Geographie beschäftigten. Der Zweite zeigte den Weg zu neueren Abhandlungen über Geschichte, Magie und alle möglichen Wissenschaften. Hier lagerten auch die Bücher, die einem jeden Mitglied der Familie gewidmet waren. Der Dritte, der Krieger, schließlich zeigte in Richtung der Werke, die sich mit Strategie, Taktik und Kampfkunst sowie allem verbundenen auseinandersetzten.
Großonkel Calluvir, dachte Feanthil, als er sich an der Kreuzung befand. Dann wandte er sich herum und folgte dem Blick des zweiten Sohnes hinein in den wohl in den dichten Wald aus Regalen, der das Reich der Zweiten war.

„Da bist du ja, wir haben auf dich gewartet“, begrüßte ihn die freundliche Stimme seines Vaters. Er und sein Onkel standen vor einem Regal, eine kleine Leiter war neben ihnen zu sehen. Sie beide hatten Handschuhe über ihre Hände gestreift und trugen ansonsten die hier übliche, schlichte weiße Kleidung. Feanthil sah unsicher von einem zum anderen. „Warum sollte ich herkommen?“, erkundigte er sich dann leise. Die beiden Elfen sahen sich kurz an, dann blickten sie ihn gemeinsam an. Eine völlig synchrone Bewegung. „Es gab vor einiger Zeit einen Elfen – dein Großonkel Calluvir. Auch er war der Dritte seiner Generation. Und seine Geschichte ist der deinen recht ähnlich, Feanthil“, begann sein Vater. Sein Onkel nickte dann leicht und legte seine schmalen Hände zusammen. Seine mandelförmigen Augen verengten sich etwas, als er die Erzählung fortsetzte. „Er war ein großer Krieger, aber von einer unbestimmten Traurigkeit erfüllt. Es war fast, als wäre sie fest in seinem Wesen verankert. Wir haben ihn oft gefragt warum er so traurig sei, aber wirklich geantwortet hat er nie.“, Ranion nickte leicht in Richtung seines Bruders, der den Faden wieder aufnahm. „Er starb recht früh, als ich 92 Jahre alt war. Wir wussten nicht woran er gestorben ist, aber seine Schwester hat gesagt, es sei sein gebrochenes Herz gewesen. Zu seinen Lebzeiten war er jedoch ein großer Krieger, der seine Kunst an deinen Onkel weitergegeben hat. Auch wenn Ranion die meisten seiner Techniken anpassen musste, um mit ihnen umzugehen.“ Der Patriarch sah zur Seite und sein Bruder nickte zustimmend, der dann wieder das Sprechen übernahm. Die Augen ihres jungen Zuhörers huschten zwischen ihnen hin und her, immer den Sprechenden verfolgend, während sich Hoffnung in seinem Innern breit machte. Dann… hat Calluvir vielleicht gewusst, wie man mit so etwas umgeht. Ich wette, auch er hat im Turm etwas sehr kostbares zurück gelassen., schoss es durch seine Gedanken, während er das Kinn hob und mit neuem Mut nickte. „Und wir sollen nun in den Chroniken suchen, ob es einen Hinweis gibt, wie man mit meinem… Zustand… umgehen könnte?“, unterbrach er dann den Vortrag der beiden älteren Elfen. Die sahen zu ihm hinüber, dann nickten sie gleichsam. „Ja, genau das wollen wir versuchen. Calluvir hat während seines Lebens zahlreiche Episoden seiner Chronik selber verfasst. Deswegen sind sie sehr umfangreich.“, mit den Worten erklomm Farnion die kleine Leiter und nahm, in vorsichtiger Andacht, drei dicke Bücher aus dem Regal. Sie waren in schlichtes braunes Leder gebunden und trugen einfache eingebrannte Lettern:

Calluvir Arinth, Dritter Sohn in der 56. Generation des Hauses Arinth

Feanthil nahm eines der Bücher in Empfand, dann gingen die drei Verwandten um eine der Säulen herum zu einem kleinen Tisch, an dem sie Platz nahmen. Die Hände des jungen Elfen zitterten, als er nach dem Deckel des Buches griff und es vorsichtig aufschlug. In schwarzer Schrift befand sich eine einfache Widmung auf der ersten Seite. Die Lettern waren einfach, aber exakt und von großer Sauberkeit. Sie erinnerten Feanthil an seine eigene Schrift. Die Widmung besagte:

Für meine Liebe,
im Zwielicht des Ungewissen entschwunden


Der Elf betrachtete die Schriftzeichen einen Moment lang, dann blätterte er um und begann den Text zu überfliegen.

Der Abend senkte sich herab und die Dunkelheit hielt mit ihrem sternenglitzernden Hofstaat Einzug vor den hohen Bogenfenstern, wieder einmal war ein Dunkelzyklus angebrochen. Hell und klar spendeten die Kristallleuchten noch Licht, während draußen jeder Lichtstrahl von den dichten Bäumen verschluckt wurde. Notizzettel lagen auf dem Tisch, beschrieben mit zahlreichen Worten und Vermerken, während die Bücher aufgeschlagen vor je einem der Elfen lagen. Leise seufzte Ranion, legte eine Feder vorsichtig in eine hölzerne Schale und rieb sich über die Augen. „Was habt Ihr?“, erkundigte er sich dann bei seinen Mitstreitern, die sich durch die Worte eines verstorbenen Elfen kämpften. Die beiden sahen auf, dann legten sie ebenfalls vorsichtig die Federn in entsprechende Schalen. „Er hatte ein bewegtes Leben… Er war zur Zeit der ersten Hexenverfolgung im galadonischen Königreich unterwegs. Wenn man ihm glauben darf, hat er sich damals öfter mit der Inquisition angelegt. Er berichtet davon, wie zu dem Zeitpunkt Furcht und Aberglaube um sich greifen und man einfach jeden geschnappt hat, dem man nachsagte eine Hexe oder ein schwarzer Magier zu sein, um ihn auf den Scheiterhaufen zu werfen.“, berichtete Farnion und sah auf seine Notizen herab. „Er erwähnt ständig, dass auch die Leben die er damals rettete, seine innere Leere nicht füllen konnten und er sich weigerte, es anders zu versuchen.“, der Vater sah am Tisch umher, ein wenig ratlos hob er die Schultern an. „Nun, in seiner Widmung erwähnt er seine Liebe, die im Zwielicht des Ungewissen entschwunden ist.“, Feanthil streckte sich leicht um seine Muskeln etwas zu entspannen.

Als er den Arm streckte, verstummte auf einmal das stete Geräusch, das sein Körper von sich gab.

Kurz hielt der junge Elf inne, dann hob er die Schultern leicht an und fuhr fort. „Dies ist der erste Band, er erinnert sich gut an viele Dinge die während seiner Kindheit passierten. Nun, wie wir vermutet haben kommt die Zäsur zu seinem bisherigen Leben an seinem fünfzigsten Geburtstag. Er berichtet, wie er sich nur mit äußerster Mühe aufraffen kann um der Ausbildung durch seinen Onkel Iroleth zu folgen. Und selbst dann scheint er nicht grade erfolgreich darin zu sein. Er verbringt viele Tage damit durch die Bibliothek zu wandern oder den Wald zu erkunden.“ Feanthil verstummte kurz und ging dann seine Notizen entlang, dann nickte er. „So weit bin ich gekommen.“ Vater und Sohn blickten Ranion an, der einen Arm lässig über die Lehne seines Stuhls gelegt hatte. „Tja, hier. Nicht viel Verwertbares – er erwähnt einen Ausgleich und ein Prinzip des Antagonismus. Verweist auf ein Buch „Philosophie des Antriebes“. Erläutert es aber nicht weiter.“ „Dann… belassen wir es für heute dabei.“, schlug Farnion Arinth vor und mit einem leichten Nicken begannen die Elfen ihren Arbeitsplatz aufzuräumen. Sie brachten die Bücher zurück in den Schrank, säuberten ihre Federkiele und ordneten sie wieder sauber auf dem Tisch an. Dann verließen sie schweigend die große Bibliothek. Ihre Schritte trugen sie über die bewegte Geschichte ihrer Familie zurück, bis zu der kleinen Seitenpforte, durch die sie sich wie Diebe oder Einbrecher hinaus schlichen.

14. Sekar 4936, 1. Dunkelzyklus, Feste Arinth, große Bibliothek


Der nächtliche Besucher huschte durch die Bibliothek hindurch und sah sich hin und wieder um. Dann ging er zielgerichtet die Korridore entlang, die Schritte klackten leicht auf dem Stein. Sein Weg führte ihn in die zweite Sektion, zu einem Regal, in dem die Chroniken der Familie zu lesen waren. Zu seinen Füßen waren fünf Leute zu sehen, zwei größere Elfen, ein Mann und eine Frau, sowie drei Kinder, zu deren Füßen Zepter, Feder und Buch sowie das Schwert lagen. Der Besucher nickte leicht, dann erklomm er auf einer Leiter das Regal und griff nach dem mittleren Buch. Ruhig nahm er es hinaus und ging hinüber zu dem Tisch. Dann verschwand er wieder in den hell beleuchteten Korridoren, um einige Zeit später mit einem anderen großen Buch zurück zu kommen. Philosophie des Antriebes, war auf dem Einband zu lesen. Der schwarzhaarige nickte kurz, dann begann er beide Bücher aufzuschlagen und immer wieder einzelne Passagen zu lesen.

Mein Leben hat sich verfärbt. Vom steten Quell der Freude, wenn mich das Lachen meiner Familie umgibt, zu dem dumpfen Dröhnen der Trauer, wann immer ich nicht alleine bin. Und dann, das Schaben der Verzweiflung an den Pforten meiner Seele, wenn ich mich der Einsamkeit hingebe. Ich konnte nicht absehen, dass es so enden würde. Nun, was also ist zu tun? Soll ich aus dieser Welt scheiden, denn immerhin, viel vermissen würde die Welt mich nicht.

Er nickte leicht, dann nahm der die „Philosophie“ zur Hand, um etwas aufzuschlagen.

In einem jeden Wesen gibt es zentrale Motive, die es antreiben. Dies ist weniger das, was man erreichen will als das, was man bereits ist. Nehmen wir die Katze: Der Grund, warum sie Mäuse fängt, tagsüber schläft und sich gerne kraulen lässt ist in der Tiefe ihres Wesens verankert. Sie ist reinlich, weswegen sie Mäuse, die Schmutz verursachen, aufsucht und tötet. Sie ist bedürftig nach Zuwendung, weswegen sie sich kraulen lässt und dem Elfen oder Menschen ihre Beute als Geschenk anbietet. Darüber hinaus ist sie eigensinnig, wie viele bereits festgestellt haben.
Fragen wir also: Jagt die Katze, weil sie sich irgendwann entschieden hat die Bevölkerung der Mäuse zu dezimieren?
Die Antwort ist: Nein. Sie jagt, weil es ihrem Wesen entspricht.


Der Elf runzelte leicht die Stirn, las den Absatz noch einmal und lehnte sich dann zurück. Er griff nach einer Wachstafel die er mit sich führte und ritzte mit einem Griffel etwas hinein. Dann begann er nach einem weiteren Absatz in der Chronik seines Großonkels zu suchen.

Die „Philosophie des Antriebes“ bietet mir eine Antwort. Aber, ich gebe zu, dass sie mir nicht zusagt. Nein, lieber werde ich mein Leben in dieser dumpf brütenden Stimmung verbringen, als den vorgeschlagenen Pfad einzuschlagen. Es muss etwas anderes geben, als das antagonistische Prinzip, mit dem sich die Leere füllen lässt. Denn nach Hass soll man sein Leben nicht ausrichten, dies führt den Pfad entlang, dem wir uns seit Jahrtausenden erwehren.

Feanthil lehnte sich zurück, dann blätterten seine Finger geschwind zum Index der Seite um nach dem antagonistischen Prinzip zu suchen. Seine Finger zitterten leicht und er presste die Lippen fest aufeinander, als die schweren gelblichen Seiten hin und her raschelten, während er die richtige Seite suchte.

Schlussfolgern wir also, dass von Geburt an gegeben ein jedes Wesen zentrale Motive haben, die es antreiben. Sie sind der Grund, warum sein Herz schlägt und durch seine Adern Blut fließt. Ohne diese, würde es versauern. Es ist nicht weiter schwer mehrere Kerngebiete eines Wesens zu bestimmen, womit wir uns in den folgenden Kapiteln befassen wollen.
Wichtig zu wissen ist, dass jedes Prinzip stets über eine Antithese, einen Antagonisten, verfügt. Gemeinsam machen diese beiden entgegengesetzten Inhalte ein Kernsegment des Wesens aus und bestimmen seine Motivation, je nachdem welches der beiden überwiegt.

Fragen wir uns nun was geschieht, wenn entweder der Pro- oder Antagonist ausfällt. Darauf hingewiesen sei, dass in diesem Kontext der Protagonist nicht das moralisch oder ethisch gewünschte Verhalten ist sondern lediglich das dominierende.
Nun, zu erwarten wäre bei einem Ausfall des Antagonisten nicht viel, da er ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt. Vielleicht würden sich Nuancen der Persönlichkeit verändern, Affekte abflachen je nachdem, aber nicht viel mehr.

Ein Ausfall des Protagonisten jedoch mag weitaus schwerere Folgen nach sich ziehen, fehlt dem entsprechenden Wesen nun doch ein Teil seiner nativen Motivation…


Feanthil hob den Blick und rieb sich mit einer Hand sachte über den Nasenrücken, während er an den gegenüberliegenden Regalen vorbei ins Leere hinein starrte. Seine Pupillen waren starr auf einen Punkt fixiert, während er den gelesenen Absatz in Gedanken wieder und wieder durchging, zerlegte und seine Essenz destillierte. Das klingt nach meinem Problem, ein leichtes Nicken folgte, dann legte er die Hände auf dem Tisch übereinander. Ich vermute der Autor will darauf hinaus, dass sich zwei mögliche Handlungsweisen ergeben. Man ignoriert es und lässt den Aspekt brach, um Zeit seines Lebens mit dieser Behinderung zu leben… oder man erweckt den Aspekt wieder. Wahrscheinlich über den Antagonisten.
Er kippte den Stuhl leicht nach hinten um ihn auf zweien seiner Beine zu balancieren und zog die Knie an. Mit dem Schienenbein stützte er sich an dem Tisch ab. Also, was ist mein Antagonist...? Und: Kann ich denn überhaupt verwenden oder wird es wie bei Großonkel Calluvir sein… Immerhin, meine Liebe habe ich noch… oder?

Seinen Gedanken nachhängend verblieb er noch den Rest des Dunkelzyklus in der Bibliothek, dann räumte er seinen Arbeitsplatz und verließ das Reich der Bücher auf leisen Sohlen.

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