„Ich gebe Euch dann schon einmal die Schlüssel zu ihrem Zimmer. Zwar bin ich schon einmal durch die Räumlichkeiten, aber ich wollte nichts anfassen oder fortschaffen, bevor Ihr nicht dort gewesen seid. Ich weiß ja, dass Ihr eine enge Bindung zu ihr hattet.“
Das stimmte so nicht. Aber Awa gab sich auch nicht die Mühe es dem Majordomus von Schloss Finianswacht zu erklären und die Tatsachen richtig zu stellen.
Solice Aurora und Awa Aldorn hatten kein enges Verhältnis gehabt. Niemals fanden private Gespräche statt oder mehr als der höfliche Austausch von Konversationen. Solice war immer eine weit entfernte Dame gewesen, die Awa stets bewundert hatte.
Was sie aber gemeinsam hatten, das war Eliath. Für Awa war Eliath ein Teil ihrer Familie gewesen, ein mehr als nur guter Freund. Er war der erste Mensch, der sich auf der Insel ihrer Person angenommen hatte, sie in die Bernsteinschenke einlud und ihr dort Archie vorstellte, der noch lange Jahre eine besondere Rolle für sie spielen sollte.
Für Solice Aurora war Eliath der Mann, der es geschafft hatte diese doch so sture, prüde Dame zu einer leidenschaftlichen, liebenden Frau zu wandeln. Verlobt waren sie gewesen, die erste Lehenskanzlerin und der Barde. Auch wenn es nicht glücklich ausging.
Awa hatte die Freifrau zuletzt an jenem Tage nach der Befreiung der Stadt im Ersonter Kessel gesehen, als sie der Schneiderin die Führung des Lehens Ersont übergab, ohne dass Awa darauf vorbereitet gewesen wäre. Seit dem war sie fort gewesen.
Dass man nun ihre verborgenen Räumlichkeiten im Schloss freigelegt hatte rollte die Vergangenheit mit einem male wieder auf und machte sie real und greifbar.
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Awa hatte keinerlei Scheu durch die beiden Räume zu wandern und alle Schränke zu öffnen. Sie wusste wonach sie suchte und was sie davor retten wollte bei der Räumung verloren zu gehen, vielleicht einzig nach den Kriterien, nach denen sie selbst so unglaublich viele Erinnerungsstücke aufbewahrt hatte.
Zunächst ging sie an die Kommode, wo Frau ihren Schmuck aufbewahrte. Wenige Stücke fanden sich hier, doch wie oft waren sie nicht Geschenke gewesen? Geschenke haben aufbewahrt zu werden. Die Ketten wurden in Tücher eingeschlagen in einen Korb gelegt.
Die beiden Kleiderschränke waren verhältnismäßig sehr gut gefüllt. Es war erstaunlich und rang Awa doch ein leises klägliches Lachen ab. Sie erkannte sogleich, dass sie die meisten Stücke davon selbst gefertigt hatte. Und es war immer bitter nötig gewesen, Solice zu beraten oder sie am besten erst gar nicht zu fragen. Sie hatte einen schlechten Geschmack, konnte auch nicht immer gut mit Farben und der Kombination verschieden farbener Kleidungsstücke umgehen.
Das Gefühl im Magen wurde langsam flau, als die Erinnerungen aufkeimten.
Aus dem Nachtschrank, sie ahnte schon diese Dinge genau dort aufzufinden, zog sie einen Stapel an Briefen. Allein als sie das Schriftbild erkannte, wurden ihr die Knie so weich, dass sie sich auf die Bettkante setzen musste.
Es war Eliaths Handschrift und seine Art Briefe zu schreiben. Ein wenig keck, ein bisschen schnulzig und immer etwas anzüglich und direkt. Manche Zeilen brachten sie leise zum Lachen, doch nach einer Weile wurden mit den Fingern auch einzelne Tränen unter den Augen fortgewischt.
Der Antwortbrief von Solice war von viel leidenschaftlicher, liebender Art gewesen, beinahe sogar sanftmütig und sehnsüchtig. Eine Intimität, die man ihr niemals zugetraut hätte und die selbst Awa sich niemals gegenüber Araldo zugetraut hatte. Kurz dachte sie darüber nach, ob sie den Brief nicht Custodias zeigen sollte..? Doch rasch schüttelte sie nur den Kopf und steckte die Briefe in eine Kladde.
Die Schreibstube war von etwas mehr beruflicher Natur. Aber auch hier fand sich so einiges, was zufällig einen Blick in die Vergangenheit der Freifrau ermöglichte.
Ein Brief der Patrizierin, eine Einladung zum fünften Hochzeitstag der beiden Sandelholzes, die Hochzeitseinladung von Felis und Emanuel.
Und dann fragte sie sich, ob das alles war, was nach ungefähr einem halben Dutzend Jahre auf Siebenwind übrig blieb.
Mit diesem Zimmer würde auch Solice das Schloss wohl nun gänzlich verlassen haben.