Event-Teamleiter |
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Registriert: 6.04.08, 20:14 Beiträge: 2868 Wohnort: USA
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Gischt Morgenthau war nicht immer so ruhig gewesen - in den früheren Zeitaltern, als das galadonische Großreich noch in den Kinderschuhen gesteckt hatte, da litt das idyllische Lehen im Osten unter ungewöhnlichen Besuchern. Aus dem nahen Ma'ahn zog es immer wieder neugierige Elfen und Tiere jeder Art, vom Ungeziefer bis zu fürchterlichsten Bestien, in die Nähe der Zivilisation. Aus diesen Zeiten stammen noch die Schauermärchen über Ma'ahn und seine vielfältigen, mysteriösen Bewohner, die Mütter im ganzen Reich gute Dienste dabei leisten, ihren Kindern Gehorsam einzujagen. Aus der Realität der Gegenwart wurden zunehmend Gerüchte, und Reisende erzählten am abendlichen Lagerfeuer einander davon, dass diejenigen, die der Natur nicht ihren gebührenden Respekt erweisten auf ihren Wegen, plötzlich von den wilden Elfen Ma'ahns verschleppt wurden, die blitzschnell aus dem Dickicht am Wegesrand erscheinen konnten. Aus Jahren wurden Jahrzehnte, und bald war die Rede von Hirschkäfern, die in der Wildnis unter dem Einfluss uralter Zauberei so groß wurden, dass sie gar von Astreyon abbissen und so seine abnehmenden Phasen verursachten.
Aber all das war unvorstellbar lange her. Irgendwann, in der ersten frühen Blüte des Königreiches, fand man die Mittel und Wege einen Wall von nie zuvor dagewesener Länge zu errichten, der sich von den Ausläufern des Drachengebirges im Süden bis zum Kadagebirge im Norden erstreckte. Im Sicherheit versprechenden Schatten dieses Monuments menschlicher Baukunst wagten sich die Menschen aus dem Hinterland hervorzukommen und erbauten die Stadt Grenzfeest, die ihre Anfänge als Garnison für ein Kronregiment bestritt. Und mit der einkehrenden Ruhe wurde Morgenthau beschaulich, fast schon hinterwäldlerisch. Das Phoenixgebirge trennte das Lehen vom Kern des Reiches, Draconis, ab, sodass man über Gofilm reisen musste, hatte man Geschäfte in der Hauptstadt zu erledigen. Bald zogen die Händler fort, dann folgten die Handwerker, die nicht für das Nötigste gebraucht wurden. Es verblieben die Soldaten, durch ihre Befehle dort gebunden.- - - Im Torhaus über dem Hauptdurchgang brannte in einem Fenster noch Licht, ein einzelner, warmer Punkt inmitten der nächtlichen Dunkelheit. In diesen Zeiten lohnte es nicht einmal mehr, den Durchgang zu erleuchten, geschweige denn, die Zugbrücke hochzuziehen. Von dem wehrhaften Schutzgraben war ein ausgetrocknetes Flußbett, übersät von Gerümpel, geblieben, so verwahrlost wie die von Wind und Wettern gezeichneten Steinquader des Walls. Die Aufruhr im Herzen des Reiches, ganz zu schweigen von dem Chaos in Endophal und Khalandra, hatten die unterstützenden Geldströme aus der Hauptstadt abgeschnürt, bis gerade noch genug überblieb, die verbleibende Kohorte Soldaten zu ernähren. Und wen es hierher verschlug, der war entweder ein unverbesserlicher Nichtsnutz oder der Sohn eines Adligen (oder Beides), der entweder zu wichtig zum Sterben war, oder in den Krisenherden Endophals nur im Wege stehen würde.Kam man näher an das Torhaus heran, so hörte man aus dem Fenster auch die ersten Klänge - schiefes Geklimper malträtierter Musikinstrumente, das Prasseln eines lebhaften Feuers und, immer wieder, den Klang prostender Krüge. Im Inneren waren die Soldaten, wie so oft, am Versaufen der Vorräte. Die Offiziere hatten sich längst zu ihrer Familie im nahen Grenzfeest begeben. Wie ein Rudel umgaben sie zwei junge Kerle, jeder einen ordentlich gefüllten Krug in der Hand, und feuerten sie an, klopften ihnen auf die Schultern und prosteten einander zu. Es waren zwei Rekruten, die hergeschickten worden waren, um ihre (im hohen Alter) gestorbenen Vorgänger zu ersetzen - und nun wurden sie gleich einmal an das Leben hier gewöhnt. "Sauf, Bursche!", gröhlte einer der Alteingesessenen und packte den Krug des Rekruten in einer Hand, seinen Hinterkopf in der Anderen und hielt ihn so fest, bis das dünne Bier ihm schon vorn herab lief.
All die besoffene Fröhlichkeit war rasant verflogen, als ein höllischer Lärm sie heimsuchte. Im Wind tobende Takelage, das Poltern von Holz auf Stein und schließlich ein Bersten wie von einem dutzend Fässer direkt unter ihren Füßen, im Torhaus. Verdutzte Blicke wurden ausgetauscht, bis man sich darauf einigte, einem der Rekruten eine Fackel in die Hand zu drücken, um dort unten nach dem Rechten zu sehen. Auch schon ordentlich angetrunken wankte der Kerl die Stufen herab, öffnete die Tür durch einfaches Dagegenlehnen.. und musste erst einmal ein paar Holzplanken aus dem Weg schieben.
Ein entzwei geborstener Mast durchzog das Torhaus diagonal, losgerissen vom Kiel des ehemaligen Bootes - das Segeltuch hatte sich in den eisernen Zinken des Torgitters verhangen und hing in Fetzen zurück. Das Boot selbst war in dutzende Teile zersprungen, doch immernoch konnte man erkennen, was für eine ruppige Reise es hinter sich gehabt haben musste. Das Holz war abgeschmirgelt und von Pflanzenresten verfärbt. Fingerbreitentief steckten Pfeile verschiedenster Machart darin, von gekonnt gefletschten kleinen Kunstwerken, bis zu primitiven Stücken aus Teer und Dornen. Selbst ein drei Schritt langer Speer gesellte sich dazu, seine eigene Geschichte von einer wilden Jagd durch die Nacht erzählend.
Unter all den Trümmern blickte ein Leichnam hervor. Der Mann war herabgehungert, bis man jede einzelne Rippe abzählen konnte, und lag mit dem Gesicht im Dreck, sodass sein mehr als schulterlanges, filziges Haar und der zottelige Bart in jede Richtung abstanden. Sein linker Unterschenkel fehlte - der Stumpf endete unterhalb des Knies und war behelfsmäßig mit dem selben, rauen Stoff verbunden, in den er auch gewandet war. Der Rekrut war ein Gläubiger Morsans, sodass er behutsam sein Amulett in Form einer Sanduhr hervorholte und an den Verstorbenen herantrat, um seine Augen zu schließen. Die Hand führte er dabei vor dem fast geschlossenen Mund vorbei, und erwischte so einen leichten Atemhauch.
"MEDICUS! H-hier, hier lebt wer! Hilfe!"
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