Ein Mondtag. Der dritte Carmar dieses langsam wieder kälter werdenden Laufes und ganz sicher ein großer Tag. Unruhig und aufgeregt zappelte die junge Schneiderin im Wasserbassin herum. Dies konnte der Tag sein, an dem die Nortraven den Sammlern einen schweren Schlag zufügen könnten. Wenn sie erfolgreich sind, könnte es das Leben auf dieser Insel ein Stück sicherer machen. Sie würden nicht versagen, dessen war sich Isabell tief in sich sicher, als wäre es eine unumstößliche Wahrheit. In gleichmäßigen Bewegungen rieb die linke Hand über den rechten Oberarm mit der Tätowierung. In ihren Gedanken und Hoffnungen vertieft, schien das säubernde Bad eher zu einer Nebensache verkommen zu sein.
Alles entwickelte sich so gut seit ihre Füße den Boden dieser Insel berührten. Mit einem seeligen Lächeln auf den Lippen erinnerte sie sich zurück an andere Zeiten. Kaum auf der Insel, endete ihr Leben fast in den Gassen Falkensees in den gierigen Mäulern einiger Riesenratten. Kurze Zeit später schlachtete sie der Verräter Steinhauer mit seiner Dämonenklinge und beinahe wäre auch dies ihr Ende gewesen. Beinahe. Mit der rechten Hand strich die Badende sich sanft über den Bauch und die inzwischen recht feine Narbe und wurde ruhiger, nachdenklicher. Eine Dämonenklinge war es wohl. Sie schnitt ihr Fleisch, sie trank ihr Blut – im wortwörtlichen Sinne. Die Narbe die verblieb, war ihr Makel, ihr Mahnmal nicht zuviel zu wagen. Sie hätte schon lange schwanger sein müssen. Mit jedem Tag der verstrich, spürte sie ein wenig mehr, dass es nicht an Halvard lag. Es wurde Zeit einen Heiler und einen Weißmagier aufzusuchen. Wenn es sein muss sogar Corastin, den Schamanen des Dorfes. Dieses stille Warten soll enden. Lillian mit ihrem Kindsbauch erinnerte sie all zu oft daran, dass sie selbst mehr als überfällig war.
Lillian. So flatterig, so lebendig. Nie hätte Isabell gedacht, dass diese Frau es in der Schneiderei lange aushält. Zu unstetig wirkte sie, zu lebens- und reiselustig. Doch war dies wohl ein gern erlebter Irrtum. Ihr Fleiß stand außer Frage und ihre Freude am Schneiderhandwerk war schön anzusehen. Ihr Talent nicht zu verleugnen. Weit würde sie es bringen wenn sie ihre Möglichkeiten nutzen würde und dennoch war ihr die Schneiderei Kessler wichtiger Isabell es für möglich gehalten hatte. Lillian wie auch Shen waren schon lange keine Lehrlinge oder Untergebende mehr. Freunde. Vertraute. Isabell sprach nie darüber. Zumindest nicht mit Worten. Sie verstanden einander und waren füreinander da. Brauchte es mehr? So schlimm die Anfänge auf der Insel wohl waren, umso mehr entwickelte sich alles langsam zum Besseren: Eine eigene Schneiderei in Falkensee und neue Freunde. Räuberpack folgte dem Guten dann auf dem Fuße. Entdeckungen auf der Insel, einen Sturz von einem Berg in den Armen eines Halbriesen, und allerlei Intrigenspiel wo keines Not tat. Allerhand seltsame Erlebnisse mit Geweihten, Handwerkern und Magiern aller Richtungen. Beleidigungen und Zankereien – und sei der Geist noch so klein und der Schwertarm umso größer. Der Handel mit Halgar führte zu Freundschaften wo zuvor nur Dukaten waren. Freundschaften führten zu einem Bund vor den Göttern. Ein neues Zuhause. Still dankte sie den Göttern jeden Tag für ihre Gnade.
Sie schreckte hoch und blickte sich im Bad um. Sie trödelte zuviel herum! Halvard würde schon bald zurück sein und sie wollte ihn empfangen wie er es verdient hat. Eilig erhob sie sich aus Becken und stieg über den Rand. Nur flüchtig sich abtrocknend machte sie sich schon auf den Weg aus dem Raum hinaus und hin zur Treppe. Den Keller verlassend wickelte sie das Handtuch sich um den Körper und schaute sich eilig im Raum um. Sie war allein – und atmete einmal erleichtert auf. Die Krieger waren wohl noch nicht zurück. Auf dem Tisch lagen noch immer ihre Geschenke an ihren Mann: Ein feines Seidenhemd und die penibel gearbeitete, verstärkte Höhlenwolf-Lederrüstung. Seide und Edelwild in Unmengen um diesen Riesen von einem Nortraven zu kleiden. Der rechte Mundwinkel hebt sich ein Stück weit bei dem Anblick ihrer letzten Arbeiten. Für Halvard nahm sich die Schneiderin dreimal soviel Zeit mit seinen Kleiderwünschen. Er war es wert. Bald war er zurück. Langsamer schritt die junge Frau, das Handtuch zurecht rückend, zur anderen Treppe. Die Haare galt es noch zu richten, den Schmuck anzulegen und ein schönes Kleid aufzutragen. Ihr Ehering wartete im Schmuckkästchen während die Frau gebadet hatte. Zu groß war die Angst, er könnte in diesem seltsamen Abfluss, wie Halvard ihn nennt, auf immer verschwinden. Doch ohne diesen wollte sie dem siegreichen Krieger auch nicht entgegen gehen. Alles war vorbereitet.
Das Holz der Treppe knarzt leise als Isabell nach Oben hinauf schreitet. Die Hunde vor dem Haus fingen plötzlich an zu bellen. War er schon zurück? Zu früh! So wie ihr Herz einen Satz in ihrer Brust zu machen schien, tat sie es auch auf der Treppe – und rutschte, oben angekommen, voran. Beide Arme hochwerfend, nach Halt suchend, gab sie ihrem Körper noch mehr Schwang nach oben weg und schließlich rückwärts. Doch anstatt einen festen Boden zu berühren, traf ihr Rücken hart auf die Treppenstufen und ließ ihr den Atem entweichen. Die junge Frau polterte die Stufen hinab und verlor jegliche Orientierung. Sie versuchte die Arme und Beine von sich zu strecken, den Fall irgendwie zu bremsen und stieß sich ein Stück weit von der Wand ab. Wo ein haltendes Geländer hätte sein können, war nun lediglich ein kleiner Abgrund. Hals über Kopf fiel der Körper zu Boden und erreichte diesen im wohl ungünstigsten Winkel.
Isabell hörte ein Knacken und ihr Sturz fand ein Ende. Sie lag am Boden zwischen dem Tisch und der Treppe und blickte schweigend unter den Sitzbänken hindurch in Richtung der Kochstelle. Mit einer überraschten Erleichterung spürte sie…nichts. Da war kein Schmerz. Da war kein Körper. Ihr war schwindelig und ein wenig übel, doch fühlte sie sich schwer und leicht zugleich. Als hätte man ihren Körper unter einhundert dicken Decken begraben, unfähig sich zu rühren, und doch leicht wie eine Feder, als hätten die Viere selbst sie aufgehoben und von einer Last befreit, welche ihr nicht einmal bekannt war. Still blickte sie voran. Niemand trat ein. Niemand war da. Sie würde auf ihn warten. Doch wohl nicht hier. Das Bellen der Hunde wurde leiser, das leise Knistern im Kamin kaum noch hörbar. Die Welt verlor Glanz und wurde langsam trübe. Ein Augenblick der vollkommenden Ruhe hüllte Isabell ein.
Und dann war der Augenblick vorbei.
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