Litizia


Als sie den Jungen nach Hause vor seine Tür brachte verabschiedete sich Litizia von ihm, wünschte ihm, dass die Liebliche über seinen Schlaf wachen möge. Nachdem sie gegangen war, beobachtete sie aus der Ferne im Hintergrund wie der Junge noch im Haus verschwand. Noch lange weilte ihr Blick nachdenklich auf der Türe. Ihr Herz raste aufgeregt und flatterte. Könnte es sein.. ? Er müsse jetzt genau in dem selben Alter sein. Und dann diese Augen, sein Gesicht, seine blonden Haare. Ihre Gedanken rasten.

Sie eilte nach Falkensee zurück, schlich sich in die kleine Wohnung und machte es sich auf den Fellen gemütlich. Diese Nacht verbrachte sie wieder alleine. Hoffentlich war Calvin nichts passiert und er käme bald wieder, dachte sie sich. Oder sie wurde diesmal schon wieder verlassen, fürchtete sie. Er würde sicher einfach nur die Miete nicht bezahlen und dann müsse die Wohnung geräumt werden. Seltsamerweise war Viktoria auch schon lange nicht mehr da. Litizia wollte den passenden Gedanken nicht weiter ausführen und verdrängte ihn mit einem hastigen Kopfschütteln. Bestimmt ist er nur mit den Löwen unterwegs oder ist auf einem langen Jagdausfug...

Eigentlich konnte sie die letzten Tage recht gut schlafen. Auch wenn Calvin nicht da war. Doch diesmal plagte sie eine gedankenvolle schlaflose Nacht. Die sonst so entspannte Jägerin war furchtbar unruhig und aufgeregt. Kein Auge konnte sie schließen und diese wachen Gedanken waren nicht bei dem Mann, der gerade nicht bei ihr war, sondern bei dem Jungen, dem sie heute in Falkensee begegnete.

Sie musste unbedingt mit Halgar sprechen. Unbedingt. Vielleicht war es einfach nur Wunschdenken. Wahrscheinlich drehte sie nun völlig durch. Von Einsamkeit zerfressen würde es nichts ungewöhnliches sein.

Sie döste irgendwann im Morgengrauen ein und träumte verwirrte Dinge über blonde Zöpfe, blonde Schöpfe, blonde Locken, blonde Mähnen, Masken mit zwei Gesichtern und wachte schließlich schweißgebadet durch ihre Aufregung und wetterlich bedingte Hitze erst im Laufe des Tages wieder auf.... Und zwar unverändert wie die letzten Tage: Alleine.

Litizia


"Liebe kannst du nicht erzwingen, meine kleine Zia" erinnerte sie sich an die Worte ihrer Mutter. An diesem Abend spendeten ihr die Erinnerungen etwas Trost.

Sie hatte den Schlüssel zurückgegeben. Es war nicht richtig in der Wohnung zu bleiben. Ihm war es vielleicht nicht bewusst, oder er wollte es verdrängen. Aber dort war sehr wohl Liebe in seinem Herzen. Nur galt diese Liebe nicht ihr. Vielleicht wurde sie nicht von der anderen erwiedert, und er hatte stattdessen hin und wieder bei ihr Nähe und Trost gesucht. Aber dies war nicht richtig. Sie konnte einfach nicht mit ihm zusammen sein, wenn sie wusste, dass seine Gedanken stets bei der anderen waren.

Dies wurde ihr an diesem langen Abend bewusst, nachdem sie ihren Gefährten endlich nach vielen Tagen wiedersehen durfte.

Das Ergebnis war die traurige Erkenntnis, dass blühende Phantasien doch manchmal einen wahren Ursprung hatten.

Und so trieb es die Jägerin wieder in die Wälder in ihre Höhle zurück, dort weitere schlaflose Nächte verbringend und wenn sie kurz dösen konnte, von lösenden silbernen Federn träumend.