Vivere militare est
(Zu leben heißt zu kämpfen)
Auszug aus dem Tagebuch eines Feradai:
"Welchen Tag haben wir heute? Ich weiss es nicht und es interessiert mich nicht. Heute ist der erste Tag, den ich wieder in Freiheit bei meinesgleichen verbringe. Und nur das zählt in erster Instanz. Dies hier sind meine Eindrücke aus der Gefangenschaft in dem Wissen, dass sie von den Ehrwürdigen beurteilt werden könnten.
Es war Marnie Ruatha, die mich zu Fall brachte. Marnie Ruatha, die einzige, die je mein Gesicht in der Uniform eines Feradai erblickt hatte. Und natürlich begegne ich ausgerechnet ihr bei meinen Besorgungen in Falkensee. Wie das Schicksal es will, kommt mein Pferd aus der Spur, weil ich bei meinem rasanten Ritt Richtung Öde ausgerechnet den Tag erwische, an dem die Verblendeteten Truppen sich vor exakt diesem Tor sammeln, um den Wall zu befreien wie ich später erfuhr. Und natürlich ist eine Adelige unter dieser Truppe, die sich durch meinen Ritt gestört fühlt und was passiert? Sie schickt mir die Rittergarde hinterher. Mein Pferd strauchelt, ich habe Mühe es unter Kontrolle zu bringen. Mein Herz rast, meine Gedanken sind geschärft wie nie. Mein Blut rauscht nur so durch meinen Körper und meine Hände sind trocken, die Finger jederzeit bereit Stahl zu umklammern und mir meine Freiheit mit der Klinge teuer zu erstreiten.
Endlich gelingt es mir, das Pferd unter meine Herrschaft zu bringen. Er ist jung, hat sich erschrocken, ihm fehlt die Erfahrung. Er kann nichts dafür und doch bin ich umzingelt. Die Rittergardisten wollen mich lediglich zu einer höflichen Moralpredigt mitnehmen. Doch Ruatha holt mich ein. Greift nach meinen Zügeln, lässt entgegen meiner wiederholten Warnung nicht los. Und sie enthüllt, wer ich bin. Schlägt die Maske, die zu tragen ich ohnehin gehasst habe in tausend Scherben, die nicht zu kitten sind. Mein Schwert erreiche ich nicht, denn Ruathas Pferd drängt so dicht an meine Flanken, dass mein Oberschenkel eingeklemmt wird. Aber der Dolch fährt aus dem Schwertgehenk, sticht nach der Hand, die es wagt, nach meiner Freiheit zu trachten und trifft ihr Ziel. Es geht mir nicht darum zu verletzen. Es geht mir darum mich ihrem Zugriff zu entziehen und so gebe ich meinem Pferd die Sporen. Ich bin nicht gewappnet, führe kein Schild mit mir. Lediglich mein Schwert ein Dolch und mein Speer sind meine heutigen Gefährten und die anderen sind schwer gerüstete Reiter, die just dabei waren, in den Krieg zu ziehen. Mein Pferd ist ausgeruht und gut zugeritten. Ich sollte keine Probleme haben, schon in kurzer Zeit viel Distanz hinter mich zu bringen. Und doch kommt es anders. Rot blüht die Welt auf, als Agonie sich von meinem Rücken ausbreitet als mich die Klinge das erste mal trifft. Ich weiss nicht wie mir geschieht und ehe ich mich versehe ist der Gardist heran.
Erst viel später geht mir auf, welch ehrloses Handeln mich in Feindesfänge gebracht hat, ich hörte keinen Ruf stehen zu bleiben, mich zu stellen und keine Warnung ereilte mich. Aber ich spieh ihm meine Verachtung ins Gesicht. Mit den ersten beiden Treffern hat er mich so gut wie besiegt. Meine Sicht verschwimmt, ich finde meine Klinge nicht und so bleibt mir nichts anderes, als im Sattel zu kauern und auf das unvermeidliche zu warten. Und das sage ich ihm auch. Die Klinge saust herab, fällt mich, ich falle vom Pferd, schlage mit dem Gesicht auf und gnadenvolle Dunkelheit umgibt mich.
Das Rauschen in meinen Ohren klingt langsam ab als ich wieder zu mir komme und ich höre ihre Stimme, weiss, dass ich verloren bin, da ich allein gegen drei stehe und Schwierigkeiten habe, auch nur geradeaus zu sehen. Doch es ist mir einerlei. Sollte ich hier sterben, zeige ich ihnen, wie man als Gefolgsmann des Wolfsbanners stirbt. Aufrecht und ohne Furcht. Dienst über den Tod hinaus!
Ich ziehe mich am Zaumzeug meines Pferdes empor und versuche meine Sicht zu klären, während die Adelige mit den Gardisten doch tatsächlich darüber streitet, wo ich hingebracht werden soll und ob ich überhaupt weggebracht werden soll. Es geht mir bescheiden und warm rinnt das Blut meine linke Flanke hinab aber selbst in diesem Zustand, kann ich ein spöttisches Lächeln nicht ganz unterdrücken. Man will mich entwaffnen, zeigt jedoch kaum Anzeichen, mir nahe kommen zu wollen. Was würden sie wohl machen, wenn an meiner Stelle ein gewappneter Ehrwürdiger stehen würde? Schreiend davonlaufen? Narren sind sie. Und wie Narren sollen sie behandelt werden. Ich schnalle meinen Waffengurt ab, werfe ihn der Adeligen vor ihre Füße und verschränke die Arme vor der Brust. Samson, der Rittergardist übernimmt von hier an. Ich betrachte ihn zum ersten mal und würde mir am liebsten selbst das Gesicht mit der Faust verunstalten, wieder und wieder, denn was für einem Troll bin ich denn da ins Netz gegangen?
Scham erfüllt mich, aber ich zeige sie nicht. Stur und entschlossen verharre ich, als dieser Wahnsinnige mich anweist, mein treues Pferd dem sicheren Tod in der Öde zu überlassen. Er ist einer dieser Soldaten, der die Uniform toll findet, aber den Gedanken des Soldatentums nie verstanden hat. Genau das, was König Hilgorad gebrauchen kann. Ich bleibe hart, entweder streckt er mich an Ort und Stelle nieder, oder aber mein Pferd UND ich gehen dorthin, wo sie uns haben wollen. Ich siege. Rakal verbleibt nicht alleine zurück. Ich bin vielleicht nur ein Feradai. Aber ich bin ein Krieger. Und mein Pferd und ich sind eine Einheit, die aufeinander aufbaut. Der eine sorgt für das überleben des anderen. Etwas, was dieser schnieke Bursche in seiner Uniform nicht erkennen kann.
Seeberg. Hort der Ritterschaft und Beginn meiner Folter. Dreimal weise ich daraufhin, dass ich am nächsten Tag verblutet bin, denn ich spüre, wie mein Schritt immer wieder durchnässt wird. Langsam, aber stetig. Es interessiert niemanden, weder Samson, der viel mehr damit beschäftigt ist, meinen Tornister an sich bringen zu wollen, den Nortraven, noch ihren "Gardemeister". Obwohl. Ihren Gardemeister interessiert es, er hat nur auf so etwas gewartet. Seinen Schlag kannte ich damals in der Armee zur Genüge und habe ihn damals schon verachtet, als ich selber noch dem königlichen Offiziersstand angehört habe. Er kommt mit Bandagen zurück und ich will ihn schon fragen, was er von der Heilkunst versteht und ob er denn meint, dass ein kläglicher Druckverband ausreichend ist. Dann steigt mir der Geruch von Salz in die Nase und ich weiss Bescheid. Er nutzt meine Schwäche für die Folter, nicht um mir zu helfen.
Als das Salz mein geschundenes, blutendes Fleisch berührt schreie ich und schreie ich und schreie ich...es vergeht eine Zeit, bis ich mich wieder genug gefasst habe, aber dennoch wankt mein Bewusstsein am Rande der Wahrnehmung und tatsächlich bedarf es eines Elfenritters, der meine Qualen lindert. Sein Zauber presst das Salz so gut wie aus meinen Wunden. Dennoch hat er keinen vollen Erfolg. Vermutlich weil seine Magie die Magie des Blenders ist und bei mir nicht mehr richtig wirkt. Die Salznarben trage ich noch immer und sie werden mich stets daran erinnern, wie der Gardemeister seine Gefangenen behandelt. Und auch der Elfenritter wird nicht vergessen. Mag er auch mein Feind sein, mag er für all das stehen, was ich zu verachten gelernt habe, so scheint er mir einer der wenigen, der noch an das glaubt, was er zu vertreten meint. Und das von einem Elfen!
Das Procedere hat mich mehr geschwächt als mir bewusst war. Ich erwache in einer völlig fremden Zelle in einem Bett? Wo mag ich hier wohl sein? Ah. Man klärt mich darüber auf, dass es Falkensee ist und ich im Ordenshaus gefangen gehalten werde, zusammen mit einer Feradai und dem Ehrwürdigen Kiehn. Aber wie? Fragen brennen mir auf der Zunge, doch der Hochgeweihte und seine Geweihte versuchen ein weiteres mal, mich in die Zange zu nehmen. Bis hierher habe ich nie bestätigt, dass ich ein Feradai bin. Sie haben mir die falschen Fragen gestellt bis zuletzt der Hochgeweihte mich zum Schweigen brachte, denn mit einer Lüge über meinen Eid werde ich mich nicht belasten. Und so wussten sie ohnehin, was ich bin. Aber als man mich schlussendlich fragte, wie die Pläne des vandrischen Heeres wären, und was der heilige Valkai vor hätte, da platzte mir der Kragen. Wie man so dumm sein könne, einem Feradai solche Fragen zu stellen. Ich gab es zu. Später stellte sich heraus, dass Adara unabsichtlich enthüllt hatte, was ich war.
Seis drum. Es liegt keine Schande darin, preis zu geben, wer wir sind. Sollen sie es ruhig wissen. Aber die Folter hört nicht auf. Schlussendlich wird zunächst Adara, später der Ehrwürdige Kiehn in meine Zelle verlegt. Wir betten ihn auf der Bettstatt, versorgen ihn abwechselnd und halten über ihn Wache. Treue wird mit Treue vergolten, eine Lektion die ich nach meiner Gefangenschaft deutlich in Erinnerung gerufen bekommen soll. Er hat sich gefangen nehmen lassen, um mich zu beschützen. Jetzt ist er dem Tode nahe, vergiftet von dem götzenwerk seiner Häscher. So ehrenvoll der Hochgeweihte sich gibt, so zeigt er doch überhaupt kein Mitleid mit seinem Feind.
Wengistens ist er ehrlich. Aber ich sehe mich Minute um Minute, Zyklus um Zyklus, Tag um Tag im Angesicht eines der Treusten der Treuen, der nurmehr ein entfernter Schatten seiner Kraft und Vitalität ist. Es frisst mich auf, denn ich weiss, dass es meine Schuld ist. Der Ehrwürdige ist die meiste Zeit schon nicht mehr ansprechbar. Und Adara ist zum Tode verurteilt. Ich kann sie nicht schützen und ich werde den Ehrwürdigen nicht mehr schützen können. Mir selbst blüht von allen noch das wenigste, soweit hat man mich informiert. Und doch. Mir kommt die Legende schmerzhaft in Erinnerung, die Legende die ich vernommen habe von "Ihr". Die Legende über die ich Zeugnis abgelegt habe. Nach der ich meinen Eid leistete. Ich kenne den Preis.
Adara und ich wissen beide, dass die Zeit davon läuft. Sie ist ruhig, im Angesicht des Todes. Ich bewundere sie dafür. Und dennoch zeugt auch ihr Antlitz von der Sorge um den Ehrwürdigen. Hier und jetzt sind die Rollen vertauscht. Wir sind für ihn verantwortlich. Wir beschützen seine sterbliche Hülle, während er den Kampf um seine Seele führt.
Es gibt für mich nur mehr einen Ausweg. Ausbruch. Es wird hart und es wird kein ehrenvoller Zweikampf werden. Doch die Ehre die man mir verweigert hat, zolle ich nun meinen Häschern. Denn ich werde sie nicht hinterrücks töten und ihre Gefangenschaft soll nur solange währen, bis wir frei sind. Die Geweihte fällt uns zum Opfer. Sie wird schlussendlich überwältigt, obwohl der Kampf zulange gedauert hat. Denn der Hochgeweihte sieht nach ihr und ich bin alles, aber kein Satai, der diesen Kampf auf gleicher Augenhöhe führen könnte.
Ein Patt entwickelt sich. Da stehen Adara, bewaffnet mit einem ramponierten Stuhl und ich mit leeren Händen, mit einer bewusstlosen Geweihten hinter uns in einem Gang, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Vor uns der Geweihte. Die Peitsche fährt hernieder, zieht einen schmerzhaften Striemen über meinen Oberarm. Doch wir geben nicht nach. Wir dürfen nicht. Das ist vermutlich die einzige Chance die wir bekommen. Und egal wie aussichtslos der Kampf ist. Adara und ich weichen nicht. Worte werden gewechselt und es nähert sich dem unweigerlichen Ende.
Doch zu leben, heisst zu kämpfen. Der Ehrwürdige schwankt aus der Zelle heraus. Mit jeder Sekunde, die er seinem Götzengefängnis entrissen ist, wird sein Blick klarer und er wird zum Herr über die Situation. Wir kümmern um uns um die Geweihte, das Reden übernimmt er. Und er hat Erfolg. Versprechen werden ausgetauscht, ein Duell zwischen ihm und Altor. Doch nur zwei wird man ziehen lassen. Da bleibt der Hochgeweihte hart. Adara und ich streiten uns. Sie ist, zum Tode verurteilt will bleiben. Ich schimpfe sie eine Närrin. Doch die Entscheidung trifft der Ehrwürdige. Und seine Wahl fällt auf mich.
Wie ein Hieb fahren die Worte auf mich hernieder, dass ich diesen verfluchten Ort verlassen und sie zurücklassen soll. Aber ich muss gehorchen. Und so verlassen wir die Stadt, unbewaffnet, unbewehrt, aber am Leben und mit jedem Schritt, den der Ehrwürdige tut, wird er sicherer, gefasster. Unsere Wege trennen sich, denn er hat noch etwas zu erledigen. Kein Wort der Strafe für mich, kein böser Blick. Er gibt mir seinen Segen, gemahnt mich, stark zu bleiben für das was kommt und zu berichten.
Und so trete ich schweren Herzens meinen Weg nach Hause an.
Ich werde nicht wirklich bestraft. Doch man zeigt mir, welche Konsequenzen meine Handlungen für die Bruderschaft hatten. Welche Gefahr sie meinetwegen auf sich genommen haben. Wäre ich nicht so ausgelaugt, wäre ich vermutlich zu Tränen gerührt in dem Wissen, dass sie mich nicht aufgegeben hatten. Und "Ihre" Worte werde ich nicht vergessen welche frei ausgelegt besagen, dass es nur den Treusten der Treuen zustehe, über die ihren zu richten. Das ist wahre Treue. Jetzt verstehe ich es.
Nach einer Nacht im Sanctum, in der ich alles noch einmal bildlich vor mir sehe, werde ich vor die Satai geführt. Und zu meiner grenzenlosen Erleichterung scheint man Adara freigelassen zu haben. Vielleicht habe ich diesen Hochgeweihten doch falsch eingeschätzt. Man hält über meine Taten Gericht und ich bin auf alles vorbereitet, selbst auf ein Todesurteil oder die Verbannung. Doch es kommt alles anders. Vielleicht wähnt man mich schon genug gestraft. Vielleicht hat es Gründe, die mein Wissen einfach bei weitem übersteigen. Denn die Worte des Satai, obschon ihnen Weisheit innewohnt, übersteigen mein Verständnis diesmal so weit, dass ich es nicht in Worte zu fassen vermag. Doch wie er schon sagte, vielleicht werde ich es eines Tages verstehen."
_________________ - Aurelia, Novizin der Briseis des Ordo Bellum- - Lazarus, Gefolgsmann unter dem Wolfsbanner-
"Actio recta non erit, nisi recta fuerit voluntas."
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