Auf einem grünen Grabhügel abseits des großen Portales Jassavias' stand ein Ehrenmahl der Wächter - eine eherne Statue des kniend betenden Kriegers und ein Zirkel aus Schrifttafeln, gewidmet den vier Göttern. So sagt man jedenfalls. Und vielleicht kennt man auch noch die Sage dazu, die in den letzten Tagen der weißen Stadt entstand.
Nachdem Zhervas sich gelabt und von seinen schwersten Wunden im Schoße der Priesterinnen befreit war, erfasste ihn neuer Mut und er strebte danach, zu seinen Gefährten in den Kampf zurück zu kehren. Dies, obgleich sein Schildarm lahm und seine Augen ihn fast mit Dunkelheit umfingen und er kaum scheiden konnte zwischen Freund und Feind. Er schwang sich mit dem Segen der getreuen Priesterinnen auf sein Ross und bald entdeckte man ihn auf dem Schlachtfeld vor den silbernen Portalen der Stätte. Sein Ross führte ihn durch das Getümmel. Sein edles Schwert schlug gerade den, der ihm Nahe war und traf bald das goldene Laub einer befreundeten Wehr.
Es war Isindil, einer der Verteidiger, dessen Schulterzierde unter dem Hieb zerborsten war und der sich dem Freund entgegen stellte. "Bist du das, Bruder? Zhervas, gib dich zu erkennen - dein Schwert hat meinen Panzer gebrochen." "Vergebe mir! Vergebt mir ihr Vier. Mein Blick ist verdunkelt und meine Wunden machen mir zu schaffen, alter Freund. Kannst du mir vergeben? Noch einmal will ich an deiner Seite stehen." Untröstlich war Zhervas, weil sein Schwert, das den Vieren gewidmet war und gegen die Dunkelheit gerichtet, dem Freund Leid zufügte. Doch half ihm der Freund nur vom hohen Roß und erwiderte ihm ohne jeden Argwohn. "Ich vergebe dir. Und die Götter vergeben dir. Sieh, dort stürmen sie wieder an. Stehe an unserer Seite." Viele andere versammelten sich um die beiden und bildeten einen Wall aus schimmernder Wehr. Ihr Blick richtete sich voran, so wie ihre Schwerter und Speere und ihre Lanzen. So erwarteten sie die ungestüme Horde der götterlosen Geschöpfe, unter denen nicht nur Monstren und Wesen aus den Zwischensphären, aber auch Menschen aus Fleisch und Blut waren. Die Schlacht fand ihren Höhepunkt. Doch weder Isindil noch Zhervas, schwer verwundet, nahmen Teil an den Schrecken, die inmitten des Getümmels nicht zu sehen waren. Und so auch nicht die anderen Gefährten, von denen einer nach dem anderen zu Boden fiel, wenn er von einem Speer gefällt, von einem Schwert erstochen oder den hieben von Äxten nachgeben musste.
Der Heerführer Vharan, der zurück mit wenigen getreuen Tempelwächtern blieb, um als letzter, müsste es sein, die Heiligtümer der Stätte verteiden zu können, sah mit trübsinniger Miene von den hohen Mauern herab, wie seine Brüder und Schwestern im Kampf fielen. Bald löste sich das Getümmel auf. Vieles blieb reglos im Gras liegen, als die Heerschar Angamons sich zurückzog. Doch keiner seiner Gefährten kehrte zurück. "Mit dem nächsten Ansturm", so wandte er sich an die kleine Schar Ältester, "will ich mit Euch die Tore verteidigen."
Derweil gelang es Isindil, der schwere Wunden davon getragen hatte und sich selbst kaum noch halten konnte, den alten Freund, der wie er selbst im Kampf gefallen war, an eine abgelegene Stelle auf dem Schlachtfeld in frisches Gras zu betten. Der Freund hatte kaum die Kraft mehr, seinen schweren Helm vom Haupt zu heben. So half er ihm. "Mit mir geht es zu Ende, mein Bruder. Mögen die Götter, mögen die Ahnen auf uns herab lächeln. Mögen sie uns in das Paradies Lothorien führen, uns mit den Gefährten vereinen." Mit diesen Worten verschloß Zhervas zufrieden und glücklich trotz seines Leides die Augen. Galtors Schwingen umfingen ihn. Sein Geist kehrte zurück auf die Nebelinseln. Isindil, der nebem seinem entschlafenen Freund kniete, wurde von tiefer Trauer empfangen. Seine Gefährten waren allesamt gefallen, die Stätte war nun ungeschützt und in seinen Armen lag der tote Bruder. "Oh ihr Vier. Ihr prüft uns schwer. Nehmt dieses Wesen, das Euch stets ein getreuer Diener war, an Eure Seite. Ich lege mich hernieder und will ihm folgen." So sprach Isindil laut den Himmeln entgegen und seine Hände umfingen die Erde zu seinen Füßen.
Doch als er schon im Inbegriff war, sich seiner Wunden zu ergeben, tauchten vor ihm zwei Gefährten auf, die er als gefallen glaubte. Es waren Jheris und Mirná, zwei Verteidiger der Stätte. Auch sie trugen schwere Wunden davon. Ehe Mirná noch etwas sprechen konnte, legte sie sich neben dem entschlafenen Zhervas in das frische, grüne Gras und folgte ihm jenseits der großen See. Doch Jheris, der ein Sohn des obersten Tempelwächters Vharan war, kniete sich neben seinen verbliebenen Gefährten, streckte ihm sein silbernes Horn entgegen und sagte ohne Kraft, denn seine Wunden waren unverzeilich. "Mein Bruder. Auch mit mir nimmt es ein Ende. Doch ich sah, dass der Feind fast geschlagen ist. Die, die uns zuletzt blieben, müssen hinaus kommen und sich ihnen entgegen stellen. So wird auch das Portal nicht fallen und die Bewohner Jassavias bleiben unversehrt. Hier, nimm das Horn des Silbernebels und blase es mit all' deiner Kraft, auf dass sie uns erhören und folgen werden."
Isindil, in dem neue Hoffnung und neuer Mut entflammten, sodass er seine schweren Wunden vergaß, vereinigte in seinem Atem all' seine verbliebenen Kräfte und blies das Horn so lautstark, dass noch im weit entfernten Wald man die Vögel emporstoßen sah. Auf dem Tempelberg hörte man den klagenden Ruf und der letzte Wächter, Vharan rief voller Tatendrang und Erleichterung seine Getreuen auf. "Hört den Ruf meines Sohnes! Er lebt noch und steht alleine in der Finsternis. Ich höre an seinem Ruf, dass sein Leben ein Ende nimmt. Kommt, eilt, wenn Ihr noch einmal mit ihm in den Kampf ziehen wollt." Eine kleine Schar der ältesten Wächter ritten in Windeseile zu den Toren der Stätte herab, um den Freunden und dem Sohn noch einmal beizustehen und die verbliebene Schar Angamons zurück zu schlagen.
Doch auf der Lichtung, in der die Gefährten sich zum Sterben niederlegten, entbrannte jähes Kampfgeheule. Die verbliebene Schar, es waren noch etwas mehr als 200, kehrte zurück. Auch sie hörten den Ruf des Hornes. Doch versetzte er ihnen einen Schauer und den Drang, die übrigen Elfenkrieger zu morden, ehe sie noch etwas anrichten könnten. Isindil, der sah, dass Jheris ohne jede Kraft mehr war, schöpfte dagegen unbändige Kraft aus der Hoffnung auf die nahenden Freunde. Er ergriff seinen Speer und seinen silbernen Schild und ließ sich den Segen Bellums von seinem hohen Freund wünschen. Er stellte sich der dunklen Meute entgegen und als die Sonne seine Gestalt erleuchtete, war es, als würden die Götter ihn im heiligen Licht erhellen. Die finstre Brut spaltete sich - 200 Geschöpfe weichten zu allen Seiten aus, um den letzten Wächter zu umzingeln und wagten nicht, ihn anzugreifen. "Los, los! Es ist Isindil und er trägt die Kraft des Schlächters! Dort eilen schon die Ritter des Tempels zu seiner Hilfe! Bringt ihn noch um, bewerft ihn mit Speeren und Pfeilen!" Isindil blieb standhaft. Sein Schild wurde wie ein Sieb zerborsten von den Pfeilen und Speeren, die auf ihn niederregneten. Doch blieb er bis zuletzt und ließ die Meute nicht an seinen Freund gelangen, sodass sie fliehen musste vor den nahenden Reitern.
Als Vharan und seine Getreuen eintrafen, fanden sie nur mehr den Sohn wieder, der gerade noch mit dem Segen des Vaters seine letzte Reise antreten konnte und kein weiteres Leid von den götterlosen Wesen davon trug. Isindil aber, dessen silberne Rüstung zerrissen war und nur noch in blutigen Lumpen an ihm herab hing. Dessen Körper von einem Speer und einer Anzahl von Pfeilen durchbohrt und kraftlos seine letzten Atemzüge tat, spürte, dass es nun ein Ende mit seinem Leben in Mandon nehmen würde. Er kniete dort wo er zuvor stand nieder, lehnte sich kraftlos an seinen Silberspeer und sprach zuletzt. "Mit dieser Welt mag es einst ein übles Ende nehmen. Doch begleitet mich heute in die alte Heimat zurück, ihr heiligen Vier und schützt die weiße Stadt, denn sie ist Euer Ehrenmahl und Euer Tempel in der größten Finsternis. Den Freunden aber vergebet, sie haben getan, was sie konnten." So entschlief auch er in gebeugter Haltung und erwies den Göttern seine letzte Ehrung im Leben.
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