Hier stand er nun also, an Bord einem viel zu tief im Wasser liegeden Rahschorner im Hafen von Rothenbucht. Auf Deck herrschte rege Betriebsamkeit, die
Viere' Glück sollte noch vor Mittag auslaufen, mit Kurs auf Siebenwind. Adrian war das nur recht: Gut fünf Monde waren nun vergangen, seit er von dort aufgebrochen war, einen Brief für den Großmeister zu bestellen und Erkundigungen in Bernstein einzuholen. Da kein Seeman über das Dunkeltief auf See sein wollte - wem sollte man es verdenken? - musste er schon Wochen früher aufbrechen, als es der Dringlichkeit der Nachricht entsprochen hätte. Wobei das kaum einen Unterschied zu machen vermochte, denn den Brief trug er zwar sicher verstaut unter seiner Rüste und damit nah am Mann, doch wäre es dem Knappen im Leben nicht eingefallen, das Siegel seiner Hochwohlgeboren zu brechen. Allein, dass dieses Brieflein nicht durch einen Pagen zu bestellen war, war ihm Grund genug, seine Aufgabe ernst zu nehmen. Das, und die Hoffnung, dass man ihn nicht von Siebenwind fort geschickt hatte, weil man ihn zwar seinerzeit als Gardisten geschätzt hatte, nun aber als Knappen unnütz fand. Zweifel. Zweifel, die in den einsamen Stunden auf See an ihm nagten, leise, flüsternde Stimmen im Hinterkopf.
*
Nachdem er in Rothenbucht angelandet war, nicht weit vorm Dunkeltief, hatte Adrian sich ein Pferd besorgen müssen, wollte er nicht erst eine Ewigkeit verstreichen lassen, ehe er zur Burg Bernstein marschiert wäre. Zum Glück wurde er bei den
Straßenkehrern fündig. Tüchtige Männer der leichten Kavallerie, und ohne Zweifel kronloyal bis ins Mark. So hatte wurde ihm als Knappe der Ritterschaft der Sieben Winde auch die Freundlichkeit zu Teil, ein Pferd der Kehrer überlassen zu bekommen. Das Geleit bis zur Lehensgrenze war darüber wohl eher symbolischer Natur, aber es tat gut. Es tat gut, die See hinter sich gelassen zu haben. Es tat gut, wieder zu reiten. Und es tat verdammt noch einmal gut, wieder unter Soldaten zu sein. Auch wenn sie sich zunächst ein wenig zurück nahmen, es waren nur wenige Männer aus höheren Häusern unter ihnen, und so wurde es abends an den Lagerfeuern doch derb beim Bier und derb bei der Sprache.
Irgendwo vor Wegenstein verließen die Männer ihn dann, um nach Rothenbucht zurück zukehren, und er folgte allein dem Weg des Drac nach Norden.
Wie gerne wäre er in Draconis verweilt, über die Märkte gestrichen und hätte sich über die neusten Ereignisse aus dem ganzen Königreich informiert. Aber zunächst musste er den Brief übergeben, und eine Erkundigung einholen. Seine persönlichen Befindlichkeiten würden hinter dem Auftrag des Großmeister anstehen, und Draconis nicht weglaufen.
Eigentlich hatte er gehofft, auf Burg Bernstein auch die Männer aus dem Kriegsrat des Königs anzutreffen. Eine Hoffnung, mit der er hälftig daneben lag, denn gute Teile der Armeeführung waren gerade bei den verschiedenen Regimentern und Truppen verstreut, so auch der Generalfeldmarschall
Seron Truin, zu dem er geschickt worden war. Er
"Inspiziere gerade die Bernsteiner Rabenreiter, in Ravins Höh, werde aber in zwei Wochen zurück erwartet".
Und so führte ihn sein Weg abermals durch Draconis, und abermals wieder weg von der Perle des Reiches. Es war ein wenig wie mit den Äpfeln, die immer eine Handbreit höher hängen, als man sie pflücken könnte...
Als er zwei Tage später dann in Ravins Höh eintraf, konnte er zumindest das Schreiben des Großmeisters an den Adjutanten des Generalfeldmarschalls überreichen. Auch die ersuchte Auskunft bekam er dort - zumindest im Groben: [i]"Es sei in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wenn man über Veränderungen der Regimenter entschieden hat, würde man nach Siebenwind schicken." Für einen Moment hatte Adrian schlucken müssen. Seine Enttäuschung, seinen Zorn, eine sarkastische Erwiderung.
Die Hälfte seines Auftrags war also umsonst, war ein laues "macht auf eurer Insel doch was ihr wollt, die Truppen sind hier". Begriffen sie denn nicht, was auf Siebenwind los war? Nun gut, es hieß Geduld bewahren, nach Rothenbucht zurückkehren, und dann dem Großmeister berichten. Geduld... auch nicht gerade eine Stärke Adrians.
Adrian saß unter Deck, wie er es ziemlich häufig tat. Es war nur ein Brief, ein dünnes Pergament, dass er nicht mehr unter seiner Rüstung trug. Doch war das auch gleichbedeutend mit Leere. Hatte er auf der Überfahrt nach Galadon noch einen Auftrag, war er nun nurmehr auf der Rückreise. Hatte nicht recht etwas zu tun, war auf dem Schiff auch keine Hilfe. Und so hatte er die Möglichkeit... oder war es eine Heimsuchung?... sich Gedanken über Siebenwind, seinen Knappendienst, seine Vergangenheit und seine Zukunft zu machen.
Ein Tintentropfen fiel vom Federkiel ins Tintenfässchen zurück und warf kleine Wellen im Fäßchen. Im Dämmerlich der kleinen Koje sah die Tinte fast grau aus. Grau wie der Umhang des Grafen Robaar von Saalhorn zu Siebenwind, als der bei der Tafelrunde saß, und sich Adrians Vorsprache anhörte. Bei den Vieren, was war das für eine Kälte die in diesem Raum lag, als er bat ihn als Knappen zu übernehmen und dafür aus der Garde zu entlassen. Selbst jetzt noch fröstelte ihm bei der Erinnerung daran.
"Damit ihr niemals vergesst, wer ihr seid." - das waren die Worte, mit denen ihm aufgegeben wurde sich Gedanken darüber zu machen, wer er selber ist. War es Rondragon selbst? Galthana, Aurinas? Er war nicht mehr ganz sicher, aber er erinnerte sich daran, wie er sich selbst bei der Tafelrunde offenbar hatte. Aus dem Grunde seines Herzens hatte er gesprochen, und doch war vieles gestammelt, war er in dem Moment unsicher wie ein kleiner Junge.
Kratzend fuhr der Federkiel über das Pergament, als er sich daran machte die Beschreibung seiner selbst noch einmal zu fixieren. Für die Unterlagen auf der Schwingenwacht. Für die Lehrritter. Für sich selbst.
Zitat:
Ich bin Knappe der Ritterschaft der Sieben Winde.
Ich bin ein gläubiger Sohn der Viere.
Ich bin ein Soldat, ein Streiter für die gerechte Sache.
Ich bin ein Narr, der sich hinter Wörtern versteckt. Oder bin ich der Narr, der sich genau dahinter nicht versteckt, wenn er glaubt, dass er laut sein müsste; gehört werden müsste; etwas verteidigen *hier findet sich ein Einschub, über den Wörtern: "und sei es im Angriff"* muss...?
Ich bin ein Mann, der mit zwei Bräuten tanzt. Der Braut die sich Soldatentum nennt, mein erstes Mädchen war und mich geprägt hat wie kaum eine andere die bisher danach kam. *von hier geht ein Pfeil runter auf das Blatt, an eine spätere Stelle* Und der Braut Rittertum, die mir zuflüstert ich seie zu höherem fähig. Die mich daran erinnert, dass ein Soldat sein Leben für einen Herrn geben kann, aber doch die Räte und Diplomaten niemals bei ihrer Entscheidungsfindung auf ihn hören werden. Das er sein Leben niemals für das Wohl aller einsetzen kann... nicht so, wie andere. Und dass der Soldat immer danach beurteilt werden wird, wie viele Scharten er an den Klingen seiner Feinde in sein Schwert geschlagen hat... doch seine Bescheidenheit, seine Frömmigkeit oder seine Freigiebigkeit dem Volk nie auffallen werden.
*hierhin deutet der Pfeil von oben* Die Viere stehen mir bei, ich behalte es zumeist für mich und hätte es auch so frei heraus zu Papier nicht einmal der Ritterschaft offenzulegen gewünscht. Doch Xans kalte Finger reißen an dem Schiff in dessen Bauch ich mich befinde, und so kann ich es nicht geheim halten. Denn ich will nicht riskieren diese Gedanken für den Fall, die Viere seien davor!, eines Schiffbruchs auf dem Meer treiben zu wissen, ohne meine dritte erste Braut erwähnt zu haben, die Liebe meines Lebens: Samira Goldfeld.
Bin ich doch auch ein Mann, der seine Frau und seine Tochter zu Grabe getragen hat. Ein Schicksal, dass die Viere jedem aufrechten Mann ersparen mögen. Ich will mir nicht anmaßen zu beurteilen, zu welchem Geschick es den guten Göttern gefiel mir meine Liebsten zu nehmen.
Welches Schicksal mein weiterer Weg also für mich bereithalten mag, ich fürchte kein Leid mehr an mir selbst, denn ein Mann dem das wichtigste genommen wurde, bleibt selbst wenig schützenswertes, als anderen vergleichbares Leid zu ersparen.
Vor den Göttern und Menschen hoffe ich gerecht zu sein, wenn ich schließe, dass ich ein Mensch mit Fehlern bin, aber der Kraft und einem ehrlichen Begehren mein Leben zum Wohle der Krone, des Volkes und der Ritterschaft der Sieben Winde einzusetzen, wie immer es den Göttern gefallen möge.
Adrian Velas
Knappe der Ritterschaft der Sieben Winde,
im Bauch der Viere Glück am 26. Duler 23 n. Hilgorad
Ganze Passagen in seiner Notiz sind durchgestrichen, und doch wurde kein neues Blatt Papier angefangen. Alle Änderungen, die auf dem Schreiben gemacht wurden, sind so für den Leser noch nachzuvollziehen.