"Der sitzt wegen Leichenschändung hier in der Zelle, gib' bloß Acht auf dich.", hört Markwart eine Stimme, sie stammt von einer Tempelwache. Er schlägt unablässig mit der Stirn gegen die eisenbeschlagene Türe. Ein Fluss aus Blut läuft ihm vom Kahlschädel über's Kinn und ergießt sich über den kargen Boden. "ICH BIN DER BÄRENRINGER! LASST MICH HIER RAUS! DER BÄRENRINGER! ICH WERD' EUCH ALLE UMBRINGEN UND VERSPEISEN!", schreit er bis ihm die Stimme versagt. Dann fällt Markwart in einen Dämmerzustand, bewusstlos badend in seinem eigenen Unrat. Er taucht in die Traumwelt und bemerkt es garnicht – Bilder tauchen in seinem Bewusstsein auf. Erinnerungen, die nicht zusammenhängen. Der Bär nimmt die Überhand. Entsetzliche Schreie. Dann ein qualvolles Röcheln. Er sieht einen Kopf von hinten und wie er selbst mit dem Hammerschaft dem Kerl den Hals zudrückt wie mit einem Schraubstock. Der arme Kerl windet sich wie ein Aal, schlägt verzweifelt um sich. Dann wird er plötzlich ganz ruhig und hört auf zu atmen. Ein Glücksgefühl durchfährt Markwart wie einen Jüngling bei seiner ersten Liebe. Es ist so schön. Wie sein Opfer da liegt und sich nicht mehr rührt. Dann schneidet er ihm mit einem schartigen Messer ganz langsam den Kopf ab. "Das wird ein hübscher Schrumpfkopf."
Wieder überschlagen sich die Ereignisse und nichts macht einen Sinn.
Markwart sitzt in der blutigen Ratte. Es ist, als wäre es gestern gewesen. Dabei ist es Jahre her. Neben ihm trinkt Ralkjoff aus einem riesigen Krug schäumenden Gerstensaft. Der lacht wie ein Irrer sein "RÄHÄHÄHÄHÄ" und klopft Markwart auf die Schulter. Hinter ihm zieht Rin an seiner Pfeife – seine Pupillen sind groß und er starrt seine Hände an, als wären sie etwas ganz neues für ihn. Mendrik erzählt ihm gerade von seinen großen Plänen – während er einen Ziegenmagen mit ungekochtem gehackten Schweinefleisch füllt. Eine blutige Angelegenheit. Ein Gefühl der Wärme durchströmt ihn. Er fühlt sich eher wie ein Beobachter, selbst kann er kaum etwas beeinflussen. Die Gesichter sehen ihn an und er fühlt sich zuhause. Jäger steht hinter der Theke, seine Mimik ist kalt und berechnend. "Er hat alle Fäden in der Hand", fährt es ihm mit einem Mal durch den Kopf. Krelor erscheint, er streichelt seinen großen Zweihänder mit einem Sandstein an der Klinge. Toran tritt mit großen Schritten ein und unterbricht Mendrik, sie stecken die Köpfe zusammen und bereden leise etwas. "Es gibt Ärger. Sie haben einen unserer Jungs. Diesmal schneiden wir der Wache die Kehle durch!", spuckt Mendrik aus. Alle heben die Köpfe. Sie trinken ihr Gesöff aus, als wäre es Wasser und laufen wie eine große Traube aus dem Viertel in die Stadt. "FÜR DAS VIERTEL!", tönt es wie aus einem Mund, ein paar Kerle schmeißen mit Flaschen, andere haben Bretter mit rostigen Nägeln drohend in die Luft erhoben.
Dann erwacht er allmählich, mit dem Gesicht in seinem eigenen Erbrochenen. Er fühlt eine Glückseligkeit. "Mendrik? Ralk? Rin? Ich komme zu euch in die Kneipe.", spricht er geistesabwesend und will sich erheben. Da rutscht er an seiner eigenen Pisse aus, fällt wieder zu Boden, daß es scheppert. Er sieht sich erschrocken um und alles überschlägt sich in seinem Kopf. "DAS IST NICHT DAS VIERTEL!", schreit er plötzlich auf, er vergräbt seine abstoßende Fratze in den Händen. Dann laufen ihm die Tränen herunter. Die Traurigkeit übermannt ihn fast. Alle sind fort – der einzige, den es noch gibt, sitzt in dieser winzigen Zelle.
Aus seinem Heulen wird ein Gekreische, alles um ihn verwandelt sich – er gleitet offenbar in einen psychotischen Zustand. Die Tempelwache gibt ihm kein Bier – der Entzug macht ihn noch verrückter als er schon ist. "Du hast uns alle getötet.", jammert ein lebloser Schädel, an dem noch einige Fetzen von Fleisch hängen. "Gib uns das Leben zurück!", schreit ihn ein Mensch an, dessen Kopf zur Hälfte eingedrückt ist wie von einem großen Hammer. "Dir hat meine Visage nicht gefallen – und deswegen hast du mich umgebracht.", jammert eine andere Stimme, sie gehört dem hässlichsten Gesicht der Welt, mit Warzen übersäht. Unglaublich viele Arme und Leiber aus der Tiefe greifen nach ihm. Unter ihm ist kein Boden mehr, nur noch Dunkelheit. Sie droht Markwart zu verschlucken. Die Arme umschlingen ihn, sein Gesicht wird in den gähnenden Schlund gezogen. "NEEEEIN!", schreit er mit unbändiger Angst. Er schlägt um sich, ergreift einen der Gestalten und reißt ihm mit aller Kraft den Unterkiefer aus, mit dem er auf andere eindrischt. Dann sieht er garnichts mehr. Er spürt, wie er sich auflöst und eins wird mit der Unterwelt. Vollkommen unerwartet, im letzten Moment vor dem endgültigen Verschwinden taucht eine Bärentatze auf. Sie zerschneidet die Arme mit heftigen Hieben und läßt ihn in einem warmen Meer aus Blut baden. Markwart fühlt sich nun viel lebendiger, er spürt, wie die Hoffnung in ihm zurückkehrt. Dann sieht er seinen alten Freund und einen Teil von sich selbst: Den Bären. Er hebt Markwart aus der Dunkelheit und lädt ihn ein, auf seinem Rücken zu reiten.
Die Umgebung verändert sich mit einem Wimpernschlag. Er ist in einem Gebiet, das vor schneebedeckten Bergen nur so strotzt. Knietief ist er in den hohen Schnee eingedrungen. Ein paar Schritte entfernt ist eine Tropfsteinhöhle zu erkennen, aus der viele Knochen ragen. Es ist die Höhle des Bären. Der Bär steht aufrecht vor ihm wie ein Mensch. Doch ist er größer und furchteinflößender. Die Stimme des Bären kommt nicht aus seinem Mund, sondern fährt Markwart direkt in den Kopf. "Wir beide haben miteinander gerungen. Niemand hat gesiegt. Als uns beiden die Kraft ausging, nach mehreren Tagen und Nächten des erbitterten Kampfes...da sind wir Freunde geworden. Ich habe dir erlaubt, mich zu essen. Und meine Haut trägst du. Jetzt bin ich ein Teil von dir. Handelst du, handle ich." Der Bär schlägt im Stand mit seiner riesigen Tatze auf sein Gesicht. Der Schlag erschüttert sein ganzes Bewusstsein und reinigt ihn von innen. "Du sollst essen, was du tötest. Ganz gleich, was es ist. Du sollst saufen, denn das Bier lässt dich vergessen. Deine Jungs aus dem Viertel sind alle fort. Vergiss sie nicht. Ehre ihr Erbe: Versammle neue Menschen um dich, die es wert sind. Echte Kerle."
Dann wieder ein Szenenwechsel – Markwart hat einen Arm in der Hand. Er ist knusprig an der Haut und verkohlt an den Fingern, die sich zu einer Kralle gebildet haben. Das Fleisch schmeckt zart, er taucht seine fauligen Zähne in die Köstlichkeit...
_________________ FÜR DAS VIERTEL !
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