Es gebot der Höflichkeit das Gespräch fortzusetzen. Sie vermochte seine Sprache nur in kläglichen Brocken zu verstehen und seine Worte in der Sprache ihrer Mutter waren ebenso spärlich. Doch sie war die Fremde in dieser Stadt und so hatte sie sich mit allem Anstand dem Gespräch zu beugen und erfreute sich auch darüber, dass es ihr ermöglicht wurde, die Sprache, die sie zu lernen gedachte (oder schlicht musste), anwenden zu können. Das vielfach gezeigte Lächeln, wie es scheinbar nur galadonische Männer zu verwenden wissen, die glauben die Gelegenheit als ungefährlich einstufen zu können und meinen sich an der Exotik einer Fremden erfreuen zu dürfen, interpretierte sie nicht offensichtlich genug.
Wieder ein Schwall von Worten, die sie nicht zu übersetzen vermochte, aber der Deut auf ihrem Mundschleier, der ihr Gesicht verdeckte, war eine Frage, die keinerlei Worte bedurfte. Doch die Antwort blieb sie dem blonden Mann schuldig.
Talel erhob sich von der Bank am Brunnen des Marktplatzes und nach Bitten der Endophali stellte sich der stolze Mann auf und begann die uralte Tradition ihres gemeinsamen Volkes zu erklären. Sein Akzent zeichnete sich deutlich ab, manche Silben wurden noch verschluckt und Vokabeln durch die Bezeichnungen der Wüstensprache ersetzt, aber er vermochte sich deutlich und klar auszudrücken. Die Erwähnung des galadonischen Mannes, der endophalischen Frau und der Begriff der Schande ließen sie im tiefen Vertrauen schwelgen zu glauben, was Talel dem Blonden erklärte.
„Du solltest sie niemals zwingen, den S'chleier abzulegen. Ein guter Rat von mir, Igrah.“Shirins Gesprächspartner wurde sichtlich unwohl in seiner Haut und der Wunsch ihr nochmal „gewisse Blicke“ zuzuwerfen, schien ihm gänzlich aus der Mimik zu rutschen, zumindest glaubte Shirin zu sehen wie ihm die Mundwinkel heruntersanken. Sein Herumgestammel, dass er wohl vielleicht nun besser gehen sollte, lag fern ihres Verständnisses. Sie freute sich nur, dass sie ihrem neuen Bekannten auf der Insel, der mit ihr die Sprache üben wollte, die Erklärung nicht schuldig geblieben war und empfand Dankbarkeit ihrem Gastgeber gegenüber. Talel lächelte Shirin zu und setzte mit freundlichen Ton und warnenden Inhalt fort:
„Du wirst di'ch no'ch mit ihr unterhalten, sonst wird sie denken, dass i'ch di'ch vers'cheu'cht habe, agal.“„Ah! Ich bin, äh, ein Magister des weißen Pfades und sehe… äh… da! Eine Patientin!“ Energisch klatschte er in die Hände und stammelte weiter:
„Gnaden Degner! Oh ja, sie einen hat schlimmen Fuß, wirklich sehr schlimm. Sie braucht dringend magische Heilung. Ja dann, ich müsste weiter. Hach, wie die Zeit vergeht!“Talels Stimme wurde tiefer, während die in blaue und rote Stoffe gehüllte Frau in seiner Nähe immer nur von einem zum anderen sehen konnte um auf ein für sie verständliches Stichwort zu warten, damit sie niemanden unhöflich etwas schuldig blieb.
„Zumindest wirst du di'ch von ihr verabs'chieden, wie es einer S'chwester meines Blutes gebührt.“ Seine dunklen Augen funkelten.
„Rai Kunra!“, schoß es wie aus einer Armbrust und schon war der Galadonier so schnell weg, dass sie selbst kaum den gelernten Abschiedsgruß formulieren konnte.
Wirklich, dieses bleichhäutige Volk war sehr unhöflich!