Ankunft am königlichen Hofe
"Seht ihr, ich versprach euch doch nicht zu viel! Immerhin ist das die beste Kneipe in ganz Draconis, ach was, ganz Bernstein!", gab Sir Ardain laut zum Besten. "Jetzt zieht doch nicht so ein Gesicht, vergesst die heutige Angelegenheit und lasst uns Spaß haben! Die erste Runde geht auf mich." Er breitete seine Arme in der großen, weiten Halle des Gasthauses aus und ließ seinen Blick mit einem weiten Grinsen durch die verrauchte Stube wandern. Er hielt sodann eine kleine, goldene Münze in die Höhe. Nur einen Moment lang spiegelte sie funkelnd das Licht der Feuer auf den Wänden wider, ehe eine Schankmaid gierig die Münze umschloss und die Bestellung des Ritters entgegen nahm. An diesem Abend herrschte wie zu jedem Dunkelzylkus angeregte Stimmung im "Tanzenden Seemann". Es wurde gelacht und gespielt, während die prasselnden Feuer der Kohlepfannen die fetten Braten grillten und die Luft vom hellen Klang der Flöten und Lauten der Spielmänner erfüllt wurde.
Sir Amaris erwiderte die Aufmunterungsversuche seines Begleiters nicht mehr als mit einem Knurren. Er war immernoch, trotz der aufmunternden Atmosspähre um ihn herum, noch zu aufgebracht über die heutigen Ereignisse am Hofe. Er war nach seiner Ankunft ohne weitere Verzögerung zum königlichen Hofe geritten. Zügig durchquerte er die Torwachen und ließ sich von einem Diener zum Kanzler seiner Majestät bringen. Der Kanzler seiner Majestät war ein Mann mit ernster Miene, auf dessen schweren Schultern die Pflichten eines Reiches lagen. Er gewährte ohne großen Aufschub dem Greifenritter die gewünschte Audienz. Seine Stimme war tief, und zeugte von Befehlsgewohnheit.
"Ehre seiner Majestät. Bitte fasst euch kurz, Sir.", begrüßte der Kanzler den Greifenritter.
"Ehre der Krone, Friede dem Reich, euer Gnaden. Verzeiht die Störung eurer Geschäfte, ich komme im dringenden Auftrag und im Namen von Sir Yves Rondragon, dem Großmeister meines Ritterordens auf Siebenwind, und entsende euch seine Grüße. Ich, Sir Amaris Aurinas, bitte euch, seine Majestät über zwei Depeschen von allerhöchster Wichtigkeit zu unterrichten, die ich bei mir trage. Gleichzeitig erbitte ich eine Audienz bei seiner Majestät in selbiger Angelegenheit."
Der Kanzler wedelte unwirsch mit seiner Hand. "Weiter, Sir Amaris."
Der Greifenritter fuhr ergebenst fort: "Seid Monden, wenn nicht sogar Götterumläufen, bekämpften die Truppen seiner Majestät wie auch seine Verbündete magische Kreaturen, die nur Sammler genannt werden. Die Bedrohung durch diesen Feind des Reiches war stets präsent und hat nun einen bedrohlichen Höhepunkt erreicht, seid ein Spähtrupp Kunde über ihre Abreise richtung Festland brachte. Die Depeschen erhalten Wort und Kunde meines Großmeisters sowie ein Bericht über die Sammler selbst, zusammengefasst von ihre Magnifzienz Solos Nhergas, Freifrau Siebenwinds und Erzmaga des weißen Pfads." Der Kanzler horchte gedankenverloren zu und ließ keinerlei Reaktion erkennen: "Nun, habt Dank für eure Kunde, Ritter. Überlasst die Depeschen meinem Sekretär. Ich werde sie zu gegebener Zeit seiner Majestät zur Vorlesung reichen."
"Euer Gnaden, bei allem Respekt, bitte ich ergebenst, sie seiner Majestät selbst vortragen zu dürfen. Die Angelegenheit ist von größter Wichtigkeit und zeugt von allzu hoher Gefahr, als sie zu verzögern." Der Greifenritter wägte seine Formulierung sorgsam ab. Er konnte nicht einschätzen, was für ein Mann der Kanzler seiner Majestät war.
"Glaubt mir Ritter, ich kann die Situation einigermaßen abschätzen und eure Worte zeugen von einer Bedrohung, die mir dank Augen und Ohren des Reiches nicht unbekannt ist und der ich zum jetzigen Stand nicht größere Wichtigkeit beimesse als den steten Grenzunruhen im Norden und Süden des Reiches.", gab der Kanzler seufzend von sich. Der Ton zeugte von einer Belehrung, wie sie kleinen Kindern zu teil wurden. "Mir ist durchaus bewusst, dass die persönliche Anreise solch einer Überfahrt euch ehrt, Ritter, aber deshalb kann ich die zeitigen Pläne nicht durcheinanderwerfen. Sobald eine Audienz möglich erscheint, werdet ihr unterrichtet. Ihr dürft euch entfernen. Für eure Unterkunft wird gesorgt."
Mit einem Wink wurde er sogleich entlassen. Sir Amaris hatte sich keineswegs vorgestellt, als kleiner Ritter von den hohen Herren mit Dienerschaft begrüßt zu werden, doch solch eine Gelassenheit angesichts der Gefahr, in der das Großreich zu schweben schien, war ihm gänzlich unbekannt. Die Sammler hatten seit Umläufen die Insel Siebenwinds in Atem gehalten. Ihre Gefahr war stetig präsent. Er entfernte sie mit der nötigen Höflichkeit aus den Räumen des Magistrats, und plötzlich stand er unschlüssig auf dem Innenhof. Acht Wochenzyklen Überfahrt hatte er hinter sich gebracht, und seine Kräfte waren zu neige gegangen. Eine Müdigkeit breitete sich in sich aus.
Während er seinen Gedanken nachhing, trat ihm erstmalig Sir Ardain mit einem gekünstelten Lächeln entgegen. Nun, einige Stunden später, ließ er seinen Blick schweigend auf seinem Begleiter ruhen, der sich um die nötigen Arrangements kümmerte und mit Leichtigkeit sich und dem Greifenritter das Abendmahl mitsamt Weinkrügen besorgte. Ihre beiden Knappen kümmerten sich im Freien um die Rösser der Königsmannen. Sir Ardain war gerade einmal der Jugend entwachsen. Sein Körperbau war von geübter Statur, die von täglichen Fecht- und Reitstunden zeugte. Dennoch zeigte erst das Wenige an Flaum an seinen Wangen von dem Fakt, dass der junge Ritter gerade ausgewachsen war und noch lange nicht seinen Zenit erreicht hatte. Trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit sah Sir Amaris die Empörung in den Augen seines Begleiters, als er von der undankbaren Aufgabe hörte, sich des Hochmeisters annehmen und für eine angemessene Verpflegung sorgen zu müssen.
Ähnliche Erfahrungen hatte Sir Amaris mit einem Großteil der jungen Ritter gemacht, auf die er bei seiner Ankunft am Hofe von Draconis getroffen war. Gemessen wurde er von den Jünglingen an seinen Taten und seinem Ritterorden. Nur von seinen Taten hatte auf dem Festland kaum jemals etwas gehört, und der Orden der Ritter der Sieben Winde war hier nichts als eine Bezeichnung, die lediglich Fragen aufwarf. Dass er den Titel eines Hochmeisters trug, war ebenfalls kaum eine große Hilfe. Nein, im Großen und Ganzen war es lediglich Verwunderung und Spott, mit denen er von den jungen Rittern am Hofe begrüßt wurde; Söhne der mächtigsten Herzöge und Grafen des Reiches, Erben weiter Ländereien und Herren großer Burgen und Schlösser. Für einen verarmten Ritter vom Lande wurde er gehalten, der seine Zeit mit Botendienste verbringen durfte, anstatt an den Grenzen des königlichen Großreiches große Taten zu vollbringen. Sir Amaris hatte keine Zeit, um die unerfahrenen Zöglinge eines besseren zu belehren, noch sich solchen Kindern anzubiedern. Sie würden ihre eigenen Erfahrungen machen müssen. Er selbst war in seiner Jugend voller Tatendrang. Erst zuhause in Wallenburg unter der Aufsicht seines Vaters, dann unter den strengen Augen Sir Robaars. Mit den Taten, Entbehrungen und Erfahrungen wurde er ruhiger, kühler, pragmatischer. Viel Zeit war vergangen, hatte den Greifenritter geformt, wie eine heiße Klinge geschmiedet wurde.
Umso größer wirkte der Unterschied, als Sir Amaris von drei Veteranen begrüßt wurde, die ihn mit der angemessenen Höflichkeit unter Adelsmännern begrüßten. Ihnen waren die Taten des Rittersordens auf Siebenwind bekannt, und noch bekannter war ihnen sein Mentor, Sir Hagen Robaar von Saalhorn. Alle drei hatten die Ehre besessen, mit dem Lehensherrn Siebenwinds zu speisen und genauere Kenntnisse über das weit entfernte Eiland zu erfahren. Dies war bereits Jahre her, und sie baten den Greifenritter, sie neuerlich zu unterrichten. Sie wussten von dem schweren Stand der königlichen Truppen auf Siebenwind, und den letzten Entwicklungen, seid seine Majestät Ersont und Malthust Grund und Boden zugesprochen hatte. Dies war auch für Sir Amaris eine einzigartige Möglichkeit, seinerseits neuere Kenntnisse über das Großreich zu erfahren. Viel hatte sich gewandelt, und er nahm ihre Einladungen gerne an, einige Tage mit eifrigem Austausch an Kenntnissen zu verbringen.
Mit etwas Glück konnte er die freie Zeit nutzen, sich von Leibdienern des Hofes in der Stadt herumführen zu lassen. Gleichzeitig konnte er nur hoffen, die Audienz zu erhalten, um den König über die neuerlichen Entwicklungen zu unterrichten.
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Sir Amaris Aurinas zu Siebenwind, Ritter des Greifenordens ehem. Greifen- und Falkenhochmeister, Schüler des Sir Griesgram Schnurtbartwackler, Knappengeburtsmaschine
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