Kapitel 2
Eine seltsame Insel
Die Überfahrt dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Das schlimmste daran war jedoch, dass Viktor nichts zu tun hatte. In dem wuseligen Treiben der Mannschaft kam er sich mehr und mehr nutzlos vor. Es kam ihm irgendwie falsch vor. Irgendwann wurde er des Wartens überdrüssig und er begann damit, den Seemännern zu helfen, wo es ihm sinnvoll erschien. Er erwartete mitnichten einen Lohn - er hatte nur das Gefühl, dass er es machen müsste, also tat er es.
“Land in Sicht!", brüllte es auf einmal von oben gen Deck. Alles an Bord wurde plötzlich hektischer, als es einem Außenstehenden ohnehin schon vorkam. Die Mannschaft bereitete sich aufs Anlegen vor und Viktor tat es ihnen gleich indem er seine Habe verschnürte und sie zum Oberdeck brachte. Die Stadt Falkensee erhob sich eindrucksvoll vor dem Schiff mit ihren verwinkelten Steinbauten, wovon einige schon aus der Ferne wahrlich riesig erschienen. Auf dem Schiff wurde es langsam wieder ruhiger - die Vorbereitungen waren abgeschlossen und die Mannschaft bereit zum anlegen.
Knarrend und träge bewegte sich das Schiff an die Anlegestelle heran. Mit schon fast instinktiver Routine sprangen einige der Seeleute vom Schiff an Land und fingen sogleich die auf sie zu fliegenden Taue auf, mit welchen sie das Schiff am Steg fest surrten. Zwei Andere stemmten eine große Holzplanke und legten sie erstaunlich schnell zwischen Deck und Steg aus. Viktor bewunderte das eingespielte Treiben nicht sonderlich lange, denn dort lag etwas entscheidend spannenderes vor ihm: Der Hafen von Falkensee.
Viktor schlenderte vom Hafen aus durch die Gassen und schaute sich neugierig um. Im Prinzip war die Stadt so aufgebaut wie alle anderen auch, die Viktor bisher gesehen hat, aber irgendwie hatte diese neue Fremde einen ganz eigenen Charme.
Nach nicht all zu langer Zeit kam Viktor an einem Bankhaus vorbei. “Perfekt", dachte er sich. Er hatte es sich auf seinen Reisen zur Angewohnheit gemacht, in einer neuen Stadt erstmal den Großteil seiner Habe irgendwo zu verstauen. Am Besten dazu geeignet waren die Bankfächer der einzelnen Städte, wo ein Jeder, für eine schmale Münze, seine Wertsachen unterbringen konnte. So konnte Viktor seinen Kram stets sicher wissen und die Gegenden, in welche seine Reise ihn führte, erstmal mit leichtem Gepäck erkunden.
Als Alles verstaut war machte sich Viktor auf, die Stadt mit seinen Blicken zu erobern. In den Straßen herrschte reges Treiben. Viktor sah einige an sich interessante Persönlichkeiten, die eilig durch die Gegend liefen. Zwischen all dem Gewusel huschte auch eine Hochelfin durch umher. Viktor hatte zwar auf seinen Reisen viel gesehen und gehört, aber von sowas hatte er bisher nur gehört - entsprechend überrascht und zugleich fasziniert war er auch. Er merkte aber schnell, dass dies hier wohl ziemlich normal sein muss. Regel Nummer Eins: “Tu' es den Einheimischen gleich, dann kannst du nicht viel falsch machen." Viktor hatte sich auf seinen Reisen einige Regeln zusammengestellt, die ihm das Leben in der Fremde einfacher gestaltet haben. Einige davon waren sicherlich nicht sonderlich durch Klugheit gebrannt markt, wie zum Beispiel “Vorsicht vor den Blättern fremder Pflanzen bei der Notdurft in der Wildnis"; Regel Nummer 21. Der Bärenanteil von Ihnen war jedoch tatsächlich nützlich.
Um nicht unangenehm auffällig zu werden riss Viktor sich also mit seiner Faszination von der Elfe los und führte seine Erkundung fort. Er kam an vielen Schildern und Anschlägen vorbei, welche er sich allesamt durchlas um sich ein Bild von der Stadt zu machen. Bei einem kam er jedoch kurz ins Stocken. Es war der Aushang der hiesigen Garde, dass sie nur Leute einer gewissen Herkunft aufnehmen und das restliche Verräterpack bei ihnen nichts zu suchen hat. Seine Heimat stand auf diesem Zettel aber unter der falschen Überschrift.
“Das ist nicht gut... ich sollte dahingehend wohl erstmal Dicht halten.", dachte sich Viktor. Es missfällt ihm zwar grundsätzlich, andere Leute zu belügen, aber Probleme zu bekommen missfiel ihm noch mehr. Man muss sich halt anpassen.
Irgendwann kam er am nördlichen Haupttor an. Eigentlich war er auf der Suche nach einer Taverne, wo er die hiesigen Speisen und Getränke sichten wollte, aber eine Sache hier ließ ihm jetzt keine Ruhe mehr. Durch das Tor kamen und gingen ungewöhnlich viele äußerst interessante Leute. In Uniformen gekleidet, von ausgefallenen Lederrüstungen geschützt oder üppig mit Fell behangen waren sie. Viktor konnte nicht anders, als sich das näher anzuschauen.
Auffällig war, dass die wenigsten dieser Personen den Hauptweg nahmen denn mehr sofort nach dem Stadttor einem kleinen, schmalen Weg entlang der Mauer folgten. Viktor schlenderte hinterher und kam nach kurzer Zeit zu einer Art Kampfplatz wo sich viele dieser interessanten Gestalten herum trieben. Er ging auf dem Platz umher und schaute sich das Treiben an. Hier und da standen die Leute zusammen und frönten ihren Gesprächen oder balgten sich im Ring. Hier fühlte sich Viktor wohl denn diese Szenerie kannte er nur zu gut.
“Der da neben dem Pferd auch! Mitkommen!", bölkte auf einmal ein recht stämmiger Kerl über den Platz. Viktors erster Gedanke war “Hä?" und der zweite war “Verdammt, ICH bin gemeint" als er merkte, dass er direkt neben dem einzigen Pferd hier stand. Verwundert schlenderte er in Richtung des Schreihalses während er darüber rätselte, was denn nun los sei - falsch gemacht haben konnte er nichts, denn bis auf Atmen und Gucken hatte Viktor nichts getan.
Der brüllende Mann stellte sich als
William Glaron vor. Er nannte einige Titel und Positionen, die sich Viktor aber nicht merken konnte. Er hatte gerade wichtigeres im Kopf, wie “Warum schreit der so?" und “Wieso stehe ich hier eigentlich?". William war irgendein höheres Tier im Orden der wachenden Löwen und nutzte seine Zeit wohl dafür, neue Recken für diesen Orden zu finden. Irgendwie sollte Viktor in diesem Moment rekrutiert werden - einfach so und aus heiterem Himmel. Viktor fand den Mann jedoch zunehmen sympathisch. Er schien ein Mann mit aufrechtem Charakter und einem kernigen Wesen zu sein - er bewies sogar einen gewissen Sinn für Humor. Anders als der Andere Glückspilz, der auf ähnliche Weise wie Viktor von William eingesammelt wurde:
Rupert Talheim. Viktor wusste nicht genau was er von ihm halten sollte, er machte einen ziemlich ernsten Eindruck und trug sein Herz auf der Zunge - aber auf eine der Art und Weise, die einem schnell Probleme einbringen.
William hatte ausführlich über den Orden referiert und auch gezeigt, worum es bei der ganzen Sache ging: Der Wall. Eine überaus große Schutzmauer die das Grünland, also das Gebiet jenseits der Stadtmauern vom Ödland trennte, einer lebensfeindlichen Steinwüste, die von vielen gefährlichen Kreaturen bewohnt wird. Am Schluss der Einweisung stellte William klar, dass man sich dem Orden gerne verpflichten kann, wenn einem das Werk dieser Leute zu sagt. Für Viktor klang das Ganze gar nicht mal so schlecht. Er hätte zumindest erstmal eine Aufgabe in dieser ihm unbekannten Welt und könnte sich so zumindest grundlegend einen Namen machen. Außerdem rannte dort eine recht ansehnliche Anwärterin herum, was dem ganzen obendrein noch einen ganz besonderen Reiz gab.
William entschied, dass man über diese Entscheidung erst noch eine Nacht schlafen sollte. “So soll es sein.", sagte sich Viktor.