"Gemein!" Mit einem dumpfen Ton prallte das Übungsschwert auf den Heuballen. "Gemein!" Ein weiterer Schlag folgte dem Ersten. "Gemein! Gemein! Gemein!" Eine ganze Weile ging es so weiter, bis die wütenden Ausrufe leiser wurden, irgendwann ganz verstummten und einem angestrengten Schnaufen wichen, während der Heuballen weiter mit der Holzwaffe malträtiert wurde. Bis sich das kleine Mädchen irgendwann erschöpft selbst ins Heu fallen ließ, die Wut etwas verraucht aber immer noch den Tränen nahe.
Eigentlich hatte sie sich doch nur in Falkensee umgucken wollen, nachdem sie am Wall weggelaufen war, als die dort nicht mehr nur gestritten sondern einen echter Kampf begonnen hatten. Doch auf dem Markt war es auch ganz unruhig gewesen, eine Frau mit vielen Tieren war da gewesen, die hatte gejammert und geweint. Weil zwei Männer Hühner von ihr gekauft hatten, mit dem Versprechen, sich gut um sie zu kümmern. Aber das hatten sie nur gelogen, weil sie die Hühner nämlich stattdessen kämpfen ließen. Und wirklich, ein Stück weiter den Markt herunter war ein kleines Gehege aufgebaut und der Schattenelf und ein Mann in komischem Grün hetzten da die Hühner aufeinander. Wut war in ihr hochgekocht, weil das gemein war zu den Hühnern, die zu so was zu zwingen, und gelogen der Frau gegenüber. Am liebsten wäre sie hingelaufen, hätte das Gehege kaputtgehauen und die Männer ausgeschimpft, aber die waren viel größer und stärker als sie gewesen. „Wenn jemand etwas böses tut, dann misch dich nicht selbst ein sondern lauf schnell und ruf eine Wache,“ hatte die Mama ihr gesagt, und genau das tat sie auch. Aber weit und breit war keine Wache zu finden, und die Menschen am Markt schienen das alles sogar lustig zu finden, sogar die Eilidh, die doch sonst immer ganz lieb war. Bis sie dann Ian gesehen hatte, ihren Freund von der Tempelwache. Der würde bestimmt helfen können! Und wirklich, Ian verstand sie gleich und stellte die gemeinen Männer auch zur Rede. Aber die hatten gar nicht richtig zugehört, immer „jaja“ gesagt und trotzdem weiter gemacht. Und sie hatte nur daneben stehen können, klein und machtlos, und zugucken, wie sich die Hühner von welchem Wahn auch immer getrieben gegenseitig zerfleischten. Als die Männer dann damit begannen, Schwerter zu ziehen um die Hühner zu erschlagen und dann über einander her zu fallen, da hatte sie es nicht mehr ausgehalten, war in den Bellumschrein geflüchtet, zitternd vor Wut über ihre eigene Schwäche und mit Tränen in den Augen ob der Ungerechtigkeit der Welt. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben war ihr wirklich bewusst geworden, wie unbedeutend und machtlos sie war gegen Unrecht und Boshaftigkeit, und dieses Gefühl der Hilflosigkeit brannte wie Feuer.
Zeit verging bis sich eine Hand auf die Schulter des Mädchens legte. Asia, die Frau, die mit dem Waldgeist gesprochen hatte, hatte sie wohl so zusammengekauert im Schrein sitzen sehen. Rasch wurden die Tränen aus den Augenwinkeln gestrichen. Die Ältere erzählte ihr etwas von Etikette und das Große nie das sagen was sie meinen sondern das immer ganz kompliziert machen. Die Kleine verstand nicht viel davon, wollte es gerade auch gar nicht wirklich verstehen, nur eines hörte sie heraus. Das sie wohl traurig sein und getröstet werden müsste. Dabei war das gar nicht wahr, sie wahr nicht traurig, sie war wütend, und das tat sie auch energisch kund. Asia bat sie kurz zu warten, um etwas zu holen womit sie ihre Wut herauslassen könne. Kurz darauf war die Frau auch wieder da, diesmal mit einem kleinen, aber prächtigen Schild. Durch den Ärger hindurch kam das rothaarige Mädchen nicht umhin, den Schild zu bewundern. Aus fein verleimtem Holz, mit sauber geschnittenen Kanten lag das Rüstungsstück da, wie ein echter Ritterschild, nur in genau der richtigen Größe für ein Kind. Wie armselig erschien dagegen ihr eigener Schild, grob zusammengefügt und mühsam in halbwegs runde Form gebracht. Nie würde sie damit konkurrieren können. Doch viel mehr noch als diese Selbsterkenntnis klangen die Worte Asias in den Ohren des Kindes, als sie den Schild überreichte: "Ich hab Dich neulich gesehen. Mit Deinem Rundschild. Der ist Mist." All die Zyklen, die sie daran gearbeitet hatte, der ganze Stolz, den sie empfunden hatte, als sie nach vielen Fehlversuchen endlich etwas in der Hand gehalten hatte, was die Bezeichnung "Schild" verdient hatte, all das zerfiel bei diesen Worten zu Staub, verlor jede Bedeutung, jeden Wert. Asia hatte noch mehr gesagt, aber das hatte sie gar nicht mehr mitbekommen, so schnell war ihre Wut darüber hochgekocht, wie hier das Resultat ihrer Mühen ganz nebensächlich zunichte gemacht wurden, als wäre es faules Obst, das man aus dem Korb nimmt und den Schweinen vorwirft. "Der ist gar nicht Mist! Sogar der Myrandhir hat gesagt er ist gut!" blaffte die Kleine noch, versetzte dem Schild einen wütenden Tritt und stürmte aus dem Schrein, um sich in einer Ecke zu verkriechen, die Kapuze herunterzuziehen und diese ganze gemeine Welt der Großen auszusperren...
Erst viel später hatte sie sich auf den Heimweg gemacht, immer noch geknickt und ohne die überquellende Lebendigkeit, die sonst jede ihrer Bewegungen begleitete. Aber zuhause hatte sie sich nicht in ihrem Bett verkrochen, sondern auf dem Heuboden, um einmal mehr mit dem Schwert zu üben. Noch war sie klein und machtlos, aber irgendwann würde sie groß sein und stark. Irgendwann würde sie eine Ritterin sein, und dann würde sie nicht mehr hilflos zusehen müssen wie Menschen Böses taten, weil sie zu schwach war um es zu verhindern...
_________________ freischaffender Schriftsteller & Lebenskünstler Leitender Redakteur des Siebenwind Boten ehemaliger Inhaber von "Vitamas Rosengarten" Feldwebel der Reserve des XIII. Kronregiments Träger der Leistungsspange ersten Grades
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