Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 28.03.24, 21:08

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Von Ritterdamen und Zauberrittern
BeitragVerfasst: 2.02.13, 16:25 
Ehrenbürger
Ehrenbürger
Benutzeravatar

Registriert: 21.01.09, 21:38
Beiträge: 535
„Autsch!“

Mit mehr ärgerlich als schmerzhaft verzogenen Lippen steckte das Mädchen den Finger in den Mund, aus dem ein erster Blutstropfen zu quellen begann. Schon seit fast einem ganzen Hellzyklus hatte sie sich in ihrem Versteck auf dem Heuboden verkrochen um sich dort dem Kampf mit Stoff, Nadel und Faden zu stellen. Einen Kampf, in dem sie immer noch hoffnungslos unterlegen war, wie sie sich widerwillig eingestehen musste. Das Waschen und Kämmen der Wolle war ihr noch recht leicht gefallen, das waren Arbeiten, die sie bei Omama und Opapa auf dem Hof schon früher gelernt hatte. Auch beim Spinnen und sogar dem Weben hatte sie schon geholfen, wenn es im Morsan nicht viel anderes zu tun gab, und so waren ihr Stoff und Garn auch recht gut gelungen, auch wenn an den vielen unregelmäßigen Stellen und Knötchen leicht zu erkennen war, das hier kein Meister am Werk gewesen war. Aber das Nähen, das wollte ihr einfach nicht von der Hand gehen. Zu widerspenstig war der Stoff, zu oft rutschte das Garn aus der Öse und mit geradezu unglaublicher Zielsicherheit fand die Nadelspitze immer wieder den Zeigefinger ihrer linken Hand, der inzwischen Stiche gesammelt hatte wie ein Barbarenkrieger die Schädel seiner besiegten Feinde.

Mit einer wütenden Bewegung und von einigen wenig damenhaften Schimpfwörtern begleitet landete das Nähzeug wie schon so oft in diesem Zyklus auf dem Boden, verfolgt von einem bösen Blick. Warum versuchte sie es bloß immer wieder? Sie hatte sich nie gewünscht, eine Dame zu sein, deren Leben – wenn sie es richtig verstanden hatte – daraus bestand, gut auszusehen, höflich zu reden und irgendwo in einer Ecke unauffällig zu nähen und zu sticken. Und so, wie ihr Finger aussah, würde sie es auch nie werden, egal wie viel sie übte, egal wie sehr sie es wollte. Mit einem leisen Schluchzen ließ sich das Mädchen rückwärts fallen, die roten Locken wild um sich auf dem Heu verteilt.

Eine Weile lang lag sie so da, in Resignation und Selbstmitleid versunken. Aber schon bald begann die Erinnerung an Worte und Bilder wieder in ihren Geist zu kriechen. „Ein Ritter dient nicht sich selbst. Er tut, was richtig ist, nicht was ihm am meisten Spaß macht.“ – „Wenn man etwas wirklich von ganzem Herzen will und sich nicht beirren lässt, dann kann man es auch erreichen.“ – so klangen die Worte in ihrem Kopf, gaben ihr neuen Mut und ließen ihre Resignation und ihr Selbstmitleid klein und unbedeutend erscheinen. Vor allem aber war es die Erinnerung an eine Gelegenheit, an einen Mann, die sie dazu brachte, sich wieder aufzurichten, die Haare zurück zu werfen und mit der Entschlossenheit, die der eines Kriegers, der in eine schwere und entscheidende Schlacht zieht, nicht unähnlich sein mochte, erneut nach dem Nähzeug zu greifen. Das Bild eines stolzen, aufrechten, unbeugbar wirkenden Mannes, der doch zusammengesunken im Rittersaal gesessen hatte, den Blick ins Leere gerichtet, voller schmerzlicher Erinnerungen. Der Augenblick, in dem sie die tiefe Traurigkeit erkannt hatte, die sich hinter dem mürrischen Gesicht und den strengen Worten verbargen. Die Traurigkeit über die Einsamkeit eines Grafen und über eine Welt, die nicht so war, wie sie sein sollte. Die Erkenntnis, in einer Welt zu leben, die nicht mehr die Seine war, in der niemand mehr seinen Platz kannte und sogar kleine Mädchen davon träumten, Ritter zu werden statt als edle Damen ihre Eltern und später ihren Gemahl stolz und glücklich zu machen.

Dies alles war dem Kind auf dem Heuboden des heimatlichen Hofes in Brandenstein nicht bewusst. Nur die tiefe Traurigkeit dieses Mannes, die hatte sie deutlich gefühlt, und er hatte ihr so leid getan, dass sie am liebsten zu ihm gelaufen wäre, um ihn zu trösten. Doch auch wenn irgend ein Instinkt sie davon abgehalten hatte, hatte sie doch in diesem Moment den festen Entschluss gefasst, diesen Mann nicht auch noch zu enttäuschen. Ein letztes Mal wurden die letzten Reste der Tränchen aus den Augenwinkeln gerieben, bevor sie sich wieder der schier überwältigenden Aufgabe stellte. Sie würde zu einer Dame werden, auf die ihr Onkel würde stolz sein können. Aber ohne dabei sich selbst zu verraten.

_________________
freischaffender Schriftsteller & Lebenskünstler
Leitender Redakteur des Siebenwind Boten
ehemaliger Inhaber von "Vitamas Rosengarten"
Feldwebel der Reserve des XIII. Kronregiments
Träger der Leistungsspange ersten Grades


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Von Ritterdamen und Zauberrittern
BeitragVerfasst: 3.02.13, 20:13 
Ehrenbürger
Ehrenbürger
Benutzeravatar

Registriert: 21.01.09, 21:38
Beiträge: 535
"Gemein!" Mit einem dumpfen Ton prallte das Übungsschwert auf den Heuballen. "Gemein!" Ein weiterer Schlag folgte dem Ersten. "Gemein! Gemein! Gemein!" Eine ganze Weile ging es so weiter, bis die wütenden Ausrufe leiser wurden, irgendwann ganz verstummten und einem angestrengten Schnaufen wichen, während der Heuballen weiter mit der Holzwaffe malträtiert wurde. Bis sich das kleine Mädchen irgendwann erschöpft selbst ins Heu fallen ließ, die Wut etwas verraucht aber immer noch den Tränen nahe.

Eigentlich hatte sie sich doch nur in Falkensee umgucken wollen, nachdem sie am Wall weggelaufen war, als die dort nicht mehr nur gestritten sondern einen echter Kampf begonnen hatten. Doch auf dem Markt war es auch ganz unruhig gewesen, eine Frau mit vielen Tieren war da gewesen, die hatte gejammert und geweint. Weil zwei Männer Hühner von ihr gekauft hatten, mit dem Versprechen, sich gut um sie zu kümmern. Aber das hatten sie nur gelogen, weil sie die Hühner nämlich stattdessen kämpfen ließen. Und wirklich, ein Stück weiter den Markt herunter war ein kleines Gehege aufgebaut und der Schattenelf und ein Mann in komischem Grün hetzten da die Hühner aufeinander. Wut war in ihr hochgekocht, weil das gemein war zu den Hühnern, die zu so was zu zwingen, und gelogen der Frau gegenüber. Am liebsten wäre sie hingelaufen, hätte das Gehege kaputtgehauen und die Männer ausgeschimpft, aber die waren viel größer und stärker als sie gewesen. „Wenn jemand etwas böses tut, dann misch dich nicht selbst ein sondern lauf schnell und ruf eine Wache,“ hatte die Mama ihr gesagt, und genau das tat sie auch. Aber weit und breit war keine Wache zu finden, und die Menschen am Markt schienen das alles sogar lustig zu finden, sogar die Eilidh, die doch sonst immer ganz lieb war. Bis sie dann Ian gesehen hatte, ihren Freund von der Tempelwache. Der würde bestimmt helfen können! Und wirklich, Ian verstand sie gleich und stellte die gemeinen Männer auch zur Rede. Aber die hatten gar nicht richtig zugehört, immer „jaja“ gesagt und trotzdem weiter gemacht. Und sie hatte nur daneben stehen können, klein und machtlos, und zugucken, wie sich die Hühner von welchem Wahn auch immer getrieben gegenseitig zerfleischten. Als die Männer dann damit begannen, Schwerter zu ziehen um die Hühner zu erschlagen und dann über einander her zu fallen, da hatte sie es nicht mehr ausgehalten, war in den Bellumschrein geflüchtet, zitternd vor Wut über ihre eigene Schwäche und mit Tränen in den Augen ob der Ungerechtigkeit der Welt. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben war ihr wirklich bewusst geworden, wie unbedeutend und machtlos sie war gegen Unrecht und Boshaftigkeit, und dieses Gefühl der Hilflosigkeit brannte wie Feuer.

Zeit verging bis sich eine Hand auf die Schulter des Mädchens legte. Asia, die Frau, die mit dem Waldgeist gesprochen hatte, hatte sie wohl so zusammengekauert im Schrein sitzen sehen. Rasch wurden die Tränen aus den Augenwinkeln gestrichen. Die Ältere erzählte ihr etwas von Etikette und das Große nie das sagen was sie meinen sondern das immer ganz kompliziert machen. Die Kleine verstand nicht viel davon, wollte es gerade auch gar nicht wirklich verstehen, nur eines hörte sie heraus. Das sie wohl traurig sein und getröstet werden müsste. Dabei war das gar nicht wahr, sie wahr nicht traurig, sie war wütend, und das tat sie auch energisch kund. Asia bat sie kurz zu warten, um etwas zu holen womit sie ihre Wut herauslassen könne. Kurz darauf war die Frau auch wieder da, diesmal mit einem kleinen, aber prächtigen Schild. Durch den Ärger hindurch kam das rothaarige Mädchen nicht umhin, den Schild zu bewundern. Aus fein verleimtem Holz, mit sauber geschnittenen Kanten lag das Rüstungsstück da, wie ein echter Ritterschild, nur in genau der richtigen Größe für ein Kind. Wie armselig erschien dagegen ihr eigener Schild, grob zusammengefügt und mühsam in halbwegs runde Form gebracht. Nie würde sie damit konkurrieren können. Doch viel mehr noch als diese Selbsterkenntnis klangen die Worte Asias in den Ohren des Kindes, als sie den Schild überreichte: "Ich hab Dich neulich gesehen. Mit Deinem Rundschild. Der ist Mist." All die Zyklen, die sie daran gearbeitet hatte, der ganze Stolz, den sie empfunden hatte, als sie nach vielen Fehlversuchen endlich etwas in der Hand gehalten hatte, was die Bezeichnung "Schild" verdient hatte, all das zerfiel bei diesen Worten zu Staub, verlor jede Bedeutung, jeden Wert. Asia hatte noch mehr gesagt, aber das hatte sie gar nicht mehr mitbekommen, so schnell war ihre Wut darüber hochgekocht, wie hier das Resultat ihrer Mühen ganz nebensächlich zunichte gemacht wurden, als wäre es faules Obst, das man aus dem Korb nimmt und den Schweinen vorwirft. "Der ist gar nicht Mist! Sogar der Myrandhir hat gesagt er ist gut!" blaffte die Kleine noch, versetzte dem Schild einen wütenden Tritt und stürmte aus dem Schrein, um sich in einer Ecke zu verkriechen, die Kapuze herunterzuziehen und diese ganze gemeine Welt der Großen auszusperren...

Erst viel später hatte sie sich auf den Heimweg gemacht, immer noch geknickt und ohne die überquellende Lebendigkeit, die sonst jede ihrer Bewegungen begleitete. Aber zuhause hatte sie sich nicht in ihrem Bett verkrochen, sondern auf dem Heuboden, um einmal mehr mit dem Schwert zu üben. Noch war sie klein und machtlos, aber irgendwann würde sie groß sein und stark. Irgendwann würde sie eine Ritterin sein, und dann würde sie nicht mehr hilflos zusehen müssen wie Menschen Böses taten, weil sie zu schwach war um es zu verhindern...

_________________
freischaffender Schriftsteller & Lebenskünstler
Leitender Redakteur des Siebenwind Boten
ehemaliger Inhaber von "Vitamas Rosengarten"
Feldwebel der Reserve des XIII. Kronregiments
Träger der Leistungsspange ersten Grades


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Von Ritterdamen und Zauberrittern
BeitragVerfasst: 16.02.13, 19:19 
Ehrenbürger
Ehrenbürger
Benutzeravatar

Registriert: 21.01.09, 21:38
Beiträge: 535
Laufen. Laufen. Die kalte Luft brennt in der Brust wie Feuer, jeder Schritt eine Qual. Die Kleidung schwer wie Blei, oder ist es eine eiserne Rüstwehr? Den Blick auf den Weg fixiert, wenige Schritte nur voraus, alles andere verschwimmt. Nur der Weg ist wichtig, und das weiterlaufen. Kein Blick zurück. Sie sind da, das weis sie. Kann die verzerrten Fratzen vor den Augen tanzen sehen, hört das wütende Gegrunze immer noch hören, das nur Laute voller Bosheit und Gewalt zu kennen scheint. Hört das angsterfüllte Wiehern ihres Pferdes, die Rufe des Knappen, den sie zurücklassen musste. Irgendwo am Ende des Weges wartet Hilfe.

Schon lange ist der anfänglich flinke Lauf schwer geworden, dann knickt das Mädchen ein, stolpert und stürzt. Der steinige Boden fühlt sich bequem an. Wie schön wäre es, einfach hier liegen zu bleiben, zu schlafen. Aber das geht nicht. Sie muss laufen. Nur wer laufen kann, kann Page werden. Sie will aufstehen, doch Arme wachsen aus dem Boden, umschlingen ihre Schultern, halten sie fest. Mit einer verzweifelten Kraftanstrengung reißt sie sich los, quält sich auf die Beine, und dann ist es doch nur der Riemen der Umhängetasche, die viel zu schwer ist.
„Lass sie liegen, sie hält dich nur auf!“ ruft eine innere Stimme aus weiter Ferne. Aber sie hat keine Zeit, darauf zu hören, sie muss laufen.

Die Welt wird immer dunkler, wie eine Höhle, schwarze Wände und finstere Gänge, aber nirgendwo schimmert das Licht eines Ausgangs. Obwohl sie nass geschwitzt ist, ist ihr eiskalt, sie zittert. Überall sind Fratzen, das verzerrte Gesicht des Knappen, vorwurfsvoll der Blick. Sie hat ihn alleine zurückgelassen. Ein Pferd, ihr Pferd, das tot am Boden liegt. Reiter mit dunklen Gesichtern unter ihren Kapuzen die Kälte geradezu auszustrahlen scheinen. Ein Mann in Rot mit hellem Umhang und Silberzierrat, dessen falsches Lächeln sie erschaudern lässt. Dann packen plötzlich kräftige Arme nach ihr, drücken ihr die Luft ab, sie schreit…


Zitternd und frierend erwacht das rothaarige Mädchen im Knappenquartier in Seeberg. Ein panischer Blick huscht durch das Zimmer, bis sie es erkennt. Im Dunkeltief war sie mit der Mama hier gewesen, um im Schutz der Burg und ihrer Bewohner die dunkle Zeit zu überstehen. Dunkelgeister waren umgegangen, hatten versucht, die Menschen zu erschrecken und in die Verzweiflung zu treiben. Doch das freundliche Licht, dass durch das Fenster in die Kammer fiel, gab ihr die Gewissheit, dass diese dunkle Zeit vorbei war und damit auch die schrecklichen Träume bestimmt nicht mehr wiederkommen würden. Immer noch frierend wickelte sich das Kind fest in die Decke um erneut in fiebrigen Schlaf zu fallen, während ihr Körper versuchte, die Entkräftung der völlige Verausgabung zu überwinden. Der verzweifelte Lauf nach Falkensee auf der Suche nach Hilfe für ihre Freunde, die im Hinterhalt der Orken am Orkpass zurückgeblieben waren, hatte das junge Mädchen mehr abverlangt als sie hatte verkraften können… und nun galt es, die Zeche zu begleichen.

_________________
freischaffender Schriftsteller & Lebenskünstler
Leitender Redakteur des Siebenwind Boten
ehemaliger Inhaber von "Vitamas Rosengarten"
Feldwebel der Reserve des XIII. Kronregiments
Träger der Leistungsspange ersten Grades


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 29 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de