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 Betreff des Beitrags: Am Ende des Weges.
BeitragVerfasst: 1.03.13, 16:15 
Edelbürger
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Vor einiger Zeit schon hatten sich seine Lungen restlos mit Wasser gefüllt. Eine Strömung drückte ihn mit dem Rücken von unten gegen die solide Eisfläche des zugefrorenen Sees. Draußen war das Wetter nicht weniger feucht, denn er registrierte das Pochen auf dem Eis aufprallender Regentropfen nah' an seinem Ohr. Eine trübe Suppe war es, sowohl über, als auch unter der Oberfläche. Aus dem schlammigen Dunst vor seinen Augen löste sich ein fetter, träger Karpfen und drehte in einem höflichen Abstand eine kleine Runde, nur um dann schon wieder aus dem Sichtfeld zu entwischen. Rühren konnte er sich nicht, um dieser ersehnten Ablenkung nachzusehen.

"Dann bin ich wohl tot.", mühte sich ein Gedanke durch seinen Kopf, dem vollgefressenen Fisch von eben nicht unähnlich. Er hatte sich mehr ausgemalt: Vielleicht ein Zusammentreffen mit verronnen Bekanntschaften. Vergebung oder eine Standpauke für sein nicht immer tugendhaftes Leben. Angenehm wäre es auch einfach gewesen, als Brise zurück nach Tare geschickt zu werden. Lichtenfeld wäre schön gewesen, malerische Felder und ehrliche Leute. Jetzt hing er hier, wie eine Wasserleiche im tiefsten Morsan, und durfte sich für eine Ewigkeit darauf einstellen, mit dem Panorama des Seegrunds zu leben. Es hätte schlimmer kommen können, denn immerhin war es ihm vergönnt, nicht mehr atmen zu müssen. Da wären die Umstände arg hinderlich gewesen. Kalt war ihm eigentlich auch nicht - noch eine gute Seite.

Eine Beschäftigung wäre fein, aber man bekam nicht immer das, was man sich wünschte. Wie er so vor sich hindümpelte, wanderte der Blick auf den eigenen Brustkorb. Den im Wasser aufgequollenen Körper zeichneten, wie frisch, noch die Spuren seines vermutlichen Ablebens. Das Brustbein war stumpf eingeschlagen, zertrümmert. Das halbe Dutzend Rippen drumrum war entweder aus der knorpeligen Fassung gesprungen, mittig gebrochen, oder Beides. Durch den bläulichen Bluterguss sah man perlig die Knochensplitter und die Lungenflügel schimmern. Schmerzen tat auch das nicht, immerhin.

Es fiel ihm schwer, sich über die Umstände zu ärgern. Natürlich hätte es nicht wirklich sein müssen. Tare hätte noch viel zu bieten gehabt. Aber selbst bei dem Gedanken an das Gesicht seines zwergischen Mörders gelang es ihm nicht, etwas zu empfinden. Es musste die Eintönigkeit dieses fremden Gewässers sein, das allmählich immer mehr auf ihn abfärbte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Am Ende des Weges.
BeitragVerfasst: 8.03.13, 23:19 
Edelbürger
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Dieser allmählich sich verschärfende Zustand des Verrottens war ausgesprochen angenehm. Nach und nach quoll die Haut auf, sog sich mit dem eiskalten Seewasser voll, und nahm eine schwammige Konsistenz an. Klänge wurden gedämpft, der Blick blieb beruhigend unscharf. Vielleicht auch, weil sich die Hemdsknöpfe gelöst hatten und der feuchte Stoff vor seinem Gesicht herumwaberte. In der fötalen Haltung unter der Eisfläche zusammengekauert hatte er das Gefühl, ewig hierbleiben zu können. Warum konnte er nicht sagen, nur, dass dieser Ort einen sonderbaren Frieden auf ihn ausübte. Es ließ die Mühen des alltäglichen Lebens vergessen, wenn man bloß einmal eine Woche hier unten verbrachte. Nur umgeben vom Nachhall des eigenen Herzschlags.

Sein Herz war das nicht, dieses Pochen. Dafür war es viel zu nah an seinem Ohr, und wurde zunehmend lauter. Das Eis knirschte, Wasser plätscherte als eine Handfläche durchbrach und Tintin im Genick packte. Es blieb keine Zeit für Protest oder auch nur das Gefühl der Überraschung, denn schon im nächsten Moment wurde er hervorgezerrt, an die frische Luft. Nur war diese abgestandener, als er erwartet hätte. Und unter ihm fand sich nicht mehr dieser sonderbare See, sondern eine Vielzahl Kissen, auf denen man ihn deponiert hatte. Auf Armbreite befand sich der Kamin, doch hatte man vernachlässigt, Holz nachzulegen, sodass die Glut restlos erloschen war. Er kannte diesen Ort: Der Gemeinschaftsraum des Klosters. Und das Gesicht, das zu der Hand gehörte, die ihn wachrüttelte, kannte er auch: Isaar Fulcar.

Der Xandiener sah ihm mit unbewegter Miene entgegen. Er kein Mann großer Emotionen und überflüssiger Worte. Und Tintin war zwar am Leben, aber schlicht zu lasch um große Reden zu schwingen, außer einem dezenten Protest. "Du hättest dich wenigstens auch gleich um das Bein kümmern können.", befand er nach oberflächlicher Inspektion des verschwitzten, aber größtenteils intakten Körpers. "Nein.", war die schlichte Antwort. "Das warst du, wie? Mit dem See? Damit ich auch bloß eine Woche stillhalte und mich auskuriere?". Da zeichnete sich eine gründliche Genugtuung im Gesicht des Wasserschöpfers ab. "Sicher.", gab er wenig bescheiden zu. "Bekomme ich einen Rum, zur - Feier des Wiedersehens?", erkundigte sich Tintin hoffnungsvoll, nur um sogleich resolut zurechtgewiesen zu werden. "Nein".


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