Liebste Eltern,
wahrscheinlich ist Euer Brief noch gar nicht angekommen. Ich warte sehnsüchtig auf diesen. Dennoch lass ich mir die Gelegenheit nicht nehmen Euch erneut zu schreiben.
Vater? Mutter? Es hat sich sehr vieles in meinem Leben getan und ich glaube, dass ihr besorgt aber auch stolz zu gleich auf mich wärt. Wo fang ich nur an?
Die Insel ist in absoluter Aufruhr, weil es nämlich darum geht sich auf das Dunkeltief vorzubereiten. Das Tief soll hier besonders hart sein aufgrund des hier existierenden Ödlandes, welches von den dunklen Mächten des Unbenannten dominiert wird. Mich überlauft jetzt bereits schon ein Schauer, wenn ich das Elend hier mitbekomme. Jedoch erkenne ich mittlerweile ungeahnte mutige Seiten an mir. Man lernt hier recht schnell sich zu schützen, sich dem zu widersetzen, was einem eventuell ereilen könnte. Keiner will sich von diesen dunklen Mächten dominieren lassen, denn alle kämpfen für ein friedliches und harmonisches Leben unter dem Glauben der verehrten Vieren. Vielleicht ist es genau das, der Glaube, der niemanden klein bei geben lässt.
Ich denke zu Eurem Missgunst habe ich mich dem Orden der wachenden Löwen angeschlossen. Warum Missgunst? Weil doch genau diese tapferen Männer und Frauen sich hartnäckig gegen diese dunklen Mächte auflehnen und diese mit vereinten Kräften bekämpfen wollen. Sie sorgen für Ordnung an der Grenze des Ödlandes zum Grünland, denn genau dort steht der hiesige Wall, eine Festung, die es zu verteidigen und stabil zu halten gilt. Ich möchte Euch nichts vor machen, aber der Wall ist so der ziemlich gefährlichste Ort neben dem Ödland auf dieser Insel, besonders wegen der Grenze. Jedoch, auch wenn ich keine Kriegerin bin und mich mit dem Führen von Waffen nicht auskenne, werde ich hier gebraucht. Mit Stolz bin ich Anwärterin der Löwen, mit Stolz trage ich den blauen Umhang und ebenso mit Stolz unterstütze ich meine Ordensbrüder und Schwestern bei dem immer andauernden Kampf. Ich fürchte, dass ich jetzt schon zu einem wichtigem Glied in dieser Kette geworden bin. Dank den von Euch mir vererbten Fähigkeiten, Talenten und Stärken kann ich hier helfen. Mir werden Aufgaben zuteil, die viel mit der Organisation, dem Handel und auch der Diplomatie zu tun haben. Unter Anleitung meiner doch recht strengen Ausbilderin Amelia Glaron lerne ich sehr viel, aber mir kommen auch viele Privilegien zu. Was mich besonders freut ist, dass ich hier, nach Aussage vieler Löwen, einen "frischen Wind" rein bringe. Ich organisiere zum Beispiel nun jeden Mond einen Löwentreff, wo alle Ordensmitglieder sich versammeln. Wir speisen zusammen, gesellen uns zueinander und versuchen einfach zusammen einen Abend lang harmonisch und freudvoll zu verbringen. Es soll in erster Linie den Zusammenhalt stärken, aber ich finde, dass diese tapferen und ehrenvollen Krieger und Kriegerinnen auch Abwechslung benötigen. Denn fast jeden Tag geschieht neues Leid und ich fürchte um das zu Verarbeiten braucht man einen guten Gegenpart. Wenn ich ihnen damit eine Freude bereiten kann, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist, dann habe ich schon viel erreicht. Eine große Ehre die mir bald zuteil wird ist, dass ich den Löwenball organisieren darf, der nach dem Dunkeltief stattfinden soll. Lest Ihr? Ich darf einen Ball organisieren und glaubt mir, es gibt solche Gelegenheiten auf der Insel nicht oft! Es wird ein perfekter Abend, das hoffe ich inständig! Besonders die Fähigkeiten die du mir beigebracht hast Vater, nützen mir recht viel. So darf ich hier offizielle Aushänge und Briefe formulieren und jene im Namen des Ordensmeister abschicken. Ich durfte ebenso beim letzten Konvent das Protokoll führen. Auch wenn dies nur wenige Beispiele sind, so bin ich auch ohne Kampftalent zu gebrauchen. Zudem nennt der Ordensmeister mich jetzt schon eine "knallharte Händlerin". Ich schlag wirklich zum Teil die besten und niedrigsten Preise heraus . Vermutlich habe ich dieses Geschick definitiv von Dir, liebste Mutter. Meinen Dienst am Wall füllt mir wahrlich aus. Ich glaube so tolle und loyale Menschen lernt man selten in einer so großen Vielzahl an einem einzigen Ort kennen. Wenn ich da an Marion denke, eine grandiose Schützin. Sie ist Getreue des Ordens und ich mag sie besonders, auch wenn wir zu Beginn keinen all zu guten Start hatten. Amelia, meine Ausbilderin. Sie ist die Handwerksmeisterin und eine so unglaublich starke und stolze Frau. Zwar ist sie sehr streng, aber mittlerweile habe ich auch eine leichte Ahnung wieso das so ist. Mir macht die Strenge nichts, im Gegenteil. Sie spornt mich immer zu an. Solana ist ebenfalls eine wunderbare Frau, die wie Amelia auch Kinder hat. Sie hat sich nun dem Kämpfen abgewendet und wird den Orden wohl zukünftig, wie Amelia auch, mit Schreinerwaren und Handel unterstützen. Ithilias ist auch ein kleiner Schlingel. Er hat durchaus eine hohe Meinung von sich, dennoch komm ich mittlerweile richtig gut mit ihm zurecht. Er ist Schütze und der "Sprössling" von Marion. Wir haben sogar einen "Ordensopi", so liebevoll die anderen ihn bezeichnen: Toran Dur, ein exzellenter Magier. Was dieser Mann schon erlebt hat und welch Wissen er besitzt. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Er hat so ein großes Herz und ich mag ihn sehr gern! Mohon, auch ein Anwärter des Ordens, ist aus Endophalien. Er ist auf seine Art speziell, aber ein guter Mensch und Krieger. Und natürlich darf ich nicht den ehrenwerten Ordensmeister Benedict Rabenfels vergessen zu erwähnen, aber zu ihm komme ich gleich noch. Natürlich gibt es noch mehrere Ordensmitglieder, aber wenn ich Euch die alle aufzähle, dann benötige ich viel viel mehr Pergament!
Ich bin wirklich glücklich darüber meinen Platz bei ihnen gefunden zu haben. Wir passen alle gegenseitig aufeinander auf. Besonders rührend war die Situation von gestern. Leider ist die Stadt Falkensee von einer Rattenplage befallen und natürlich wurde ich von diesen ekelhaften Biestern angegriffen, verletzt und vergiftet. Ich musste zur Behandlung in das Hospiz und als meine Ordensbrüder und Schwestern mein Aufenthalt dort mitbekommen haben, kamen sie allesamt dort hin, stellten sich vor meinem Bett auf, erkundigten sich nach meinem Wohlergehen und wünschten mir gute Besserung. Ich war so gerührt von diesem Moment ... wie sie alle vor mir standen mit besorgten Blicken. Es war wirklich ein wunderschönes Gefühl so umsorgt zu werden. Ich hätte wirklich nicht damit gerechnet. Sie brachten mich auch am gleichen Abend zurück zum Wall in unserem dort eingerichteten Lazarett, da ich unbedingt nach Hause wollte. Die Eskorte hättet ihr sehen müssen! Zu Schade, dass Ihr mein Lächeln darüber nicht sehen könnt.
In meinem früheren Brief hab ich Euch ja schon von Herrn Rabenfels berichtet, mittlerweile ist er Ordensmeister der Löwen. Für ihn soll ich ja nach dem Dunkeltief einen Bücherladen eröffnen. Das werde ich neben meinem Dienst am Wall bestimmt exzellent schaffen, besonders weil ich so gute Kontakte knüpfen kann und bereits konnte. Nur ... *Hier verbleibt die Feder einen ganzen Moment an der selben Stelle, was einen leichten Tintenklecks und eine Druckstelle zur Folge hat* ... es steckt hinter ihm noch viel mehr als ihr bis jetzt erahnen könnt. Benedict und ich hatten einen recht oberflächlichen Start, bis hin das wir uns wirklich wahrlich dumm anstellten. Warum wir das taten? Weil wir füreinander Gefühlte entwickelten. Mama? Papa? Ich hätte es wirklich nie für möglich gehalten, aber ich muss Euch gestehen, dass ich mich unglaublich in diesen Mann verliebt habe. Über alle Maßen. Auch wenn er ein Krieger ist und ihr wisst, ihr wollte niemals einen Krieger erwählen als den Mann an meiner Seite, aber er ist ... so unglaublich. Nach außen hin, in all seinen Verpflichtungen als Ordensmeister, ist er ein starker, ehrenvoller und stolzer Mann. Ich behaupte, dass er ebenso einer der besten Krieger dieser Insel ist. Dennoch, auch wenn man sagt, das Krieger sehr brutal, grob und rau sind ... zu mir ist er es gar nicht. Er ist so fürsorglich, aufmerksam, er behandelt mich wie seine Prinzessin. Er liest mir quasi jeden Wunsch von den Augen ab und ihm ist es wichtig, dass es mir gut geht und das ich auch wirklich absolut umsorgt bin. Er ist ein großer, gut gebauter Mann, blond und hat tiefblaue Augen. Ach ich zeichne demnächst einfach ein Bild von ihm und schicke es Euch mit im nächsten Brief! Auf jeden Fall sieht er gut aus! Mutter? Du würdest das ebenso sehen. Ihr werdet mich bestimmt für Verrückt erklären, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er mir nach dem Dunkeltief einen Antrag machen wird. Warum? Weil die Anzeichen dafür sprechen und wir beide uns sicher sind, dass wir nicht mehr ohne einander leben wollen. Sollte er mich fragen werde ich gewiss Ja sagen. Ich vermute, dass er es absichtlich nach dem Dunkeltief erst machen wird, weil er mich nicht an sich binden möchte mit dem Risiko, dass ihm dann während des Tiefs vielleicht was passieren könnte. Aber vielleicht ist es auch genau besser so, denn so schinden wir noch etwas Zeit und überstürzen es doch nicht all zu sehr. Ja, es ging wirklich schnell mit uns, aber es war Liebe auf dem ersten Blick auch wenn es auf Anhieb nicht deutlich war. Vater, ich weiß nur all zu sehr, dass du ihn sehr mögen wirst. Es wird keinen besseren Mann an meiner Seite geben als ihn. Da bin ich mir sicher.
Mich dünkt, dass ich Euch mit diesem Brief sehr schocken werde. Hättet ihr das je für möglich gehalten, dass Eure kleine, liebe Charlotte so viel erlebt und das zu Stande bringt? Euch zu schocken? Nein, das hättet ihr nicht, aber bitte sorgt Euch nicht zu sehr um mich. Ich bin in den besten Händen, ich habe meine Ordensbrüder und Schwestern, die auf mich aufpassen, ebenso habe ich Benedict, der mich am liebsten keinen einzigen Moment aus den Augen lassen würde. Mama? Papa? Ich bin unglaublich glücklich hier. Das schwöre ich Euch auf die heiligen Viere. Entsendet bitte all meinen Freunden in Draconis die schönsten Grüße! Ich vermisse Euch natürlich alle! Eines Tages werden wir uns wieder sehen!
Die allerliebsten Grüße,
Eure Charlotte
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