Hier haben wir gleich mehrere generelle Probleme. Erstens mal sind die Attribute teilweise nicht klar vom Staff definiert. Körperliche Attribute wie KK, GE und FF sind noch recht leicht zu erfassen, aber da hört es schon auf. Ist Klugheit Buchwissen, Bauernschläue, Weisheit oder alles zugleich? Ist Intuition ein 6. Sinn, Feingefühl oder etwas ganz anderes? Ist Charisma Schönheit, Glaubwürdigkeit, Redegewandheit? Jeder denkt sich seinen Teil, aber wirklich offiziell festgenagelt ist es nirgends.
Als nächstes kommt das Ausspielen. Auch hier sind körperliche Attribute im Vorteil, weil sie in vielen Fällen (gerade in Konfliktsituationen) von der Engine geprüft werden, sich ein Ausspielen also von selbst ergibt - wer im PvP zuerst liegt, liegt zuerst, punktum. Aber was ist mit den geistigen Werten? Müssten Orken nicht eigentlich von einem Opfer ablassen, wenn es ihnen mit CH 100 droht, dass ihnen das Geschlecht abfault, die Hauer ausfallen und sie als ehrlose Weiber ihr restliches Leben dahinvegitieren müssen, wenn sie die Hand gegen ihn erheben - vorausgesetzt die Orken hätten eine Möglichkeit, den CH-Wert des Opfers herauszufinden um ihr RP daran anzupassen? Müsste ein Händler mit KL 100 nicht problemlos den Krieger mit KL 15 davon überzeugen können, dass der Rost an dem Schwert, das er ihm verkaufen will, kein Mangel sondern ein Qualitätsmerkmal ist? Kann ein Krieger mit KL überhaupt rechnen oder auch nur zählen, oder muss er dem Händler den Dukatenbeutel komplett in die Hand drücken, in der Hoffnung, dass der wirklich nur rausholt, was das Schwert kostet? Fragen über Fragen, und keine Antworten.
Die Realität sieht allerdings meist so aus, dass die Attribute im RP weitgehend ignoriert werden. Und warum? Weil niemand Lust hat, einen Krieger zu spielen, der in jedem PvP chancenlos ist, nur weil man kein sabbernder Idiot sein will, der eine so unangenehme Art hat, dass sich ihm niemand freiwillig auch nur nähert. Wobei sich hier die Katze ein wenig selbst in den Schwanz beißt, weil es eben keinen (wirksamen) Zwang zum Ausspielen der Werte gibt. Müsste man für eine optimale Kampfskillung in Kauf nehmen, dass der Char halt ein klassischer Neandertaler ist, würden sicher viele ein paar Punkte dafür opfern, das zu vermeiden - die Anderen täten es ja auch, oder müssten eben Idioten spielen die nix können außer stur draufhauen. Da aber jeder genau weis, dass der Nachbar die optimale Skillung haben und trotzdem im RP den charismatischen Helden geben kann, will sich niemand aus reiner Prinzipienreiterei selbst benachteiligen - was ja irgendwo auch verständlich ist.
Diese Konflikte sind kaum in den Griff zu bekommen, und dann kommt ja noch das Spannungsfeld Spielspaß vs. Regelwut/Enginezwang ins Spiel. Meiner Erfahrung nach ist es ein fairer Kompromis, weitgehend nach Engine zu skillen, ein paar Punkte für RP-Skillung zu verwenden und sich im RP zwar grob, aber nicht allzu streng an der Skillung zu orientieren. So habe ich kein Problem damit, wenn ein Krieger mit KL 30-40 als gebildet und klug gespielt wird oder ein Magier mit entsprechender KK als recht stattlich. Klar sollten beide nicht mit den 'echten Experten' konkurrieren, aber immerhin. Und auch jemand mit GE 15 muss in meinen Augen nicht der Tollpatsch vom Dienst sein oder jemand mit FF ständig alles fallenlassen. Aber wer seinen Magier auch als eleganten Tänzer oder seinen Schankburschen als unübertroffenen Show-Cocktailmixer ausspielen will, sollte schon einige Punkte in die passenden Attribute investieren, selbst wenn es Engine wenig bis nichts bringt.
Oder kurz: Alles ist Relativ. Relativ zur Stufe, Relativ zur Klasse, Relativ zur Rasse. Und wer relativ hohe Werte in einem Attribut hat, darf das in meinen Augen dann gerne auch als Stärke des Charakters ausspielen, selbst wenn der Wert etwas niedriger ist als bei jemandem, der das Attribut alleine schon aus Enginegründen gemaxt hat.
_________________ freischaffender Schriftsteller & Lebenskünstler Leitender Redakteur des Siebenwind Boten ehemaliger Inhaber von "Vitamas Rosengarten" Feldwebel der Reserve des XIII. Kronregiments Träger der Leistungsspange ersten Grades
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