2 1/2 Monate früher
Zitat:
Der Marsch durch den Drakenwald war beschwerlich. Nicht nur, dass es in der Nähe Waldelfen geben sollte, und man diese nicht unbedingt provozieren wollte, es lag auch an dem Wald selbst: die Nortraven waren keine solchen Landschaften gewohnt, herrschte im Norden doch eher ein Mangel an größeren Waldflächen. Sie waren geübt darin, im Gebirge zu kämpfen, auf freier Fläche, ja auf dem unebeben, kargen Boden der Fjorde, aber die geringe Sichtweite, das beständige Zwielicht? Das zehrte an den Nerven, machte die tapferen Nordmannen nervös. Wenigstens gab es genug Wild, so dass die Bäuche stets gut gefüllt waren!
Dennoch barg der Wald eine große Gefahr: Hinterhalte der Cortaner Ersonts!
Viele Späher hatten sie bereits verloren und auch die Vorhut war stark dezimiert worden, also hatte man sie verstärkt, und los gesandt, den Weg zu sichern, damit der Haupttross, der einige Tage später folgte und die Nachschubwagen und all das, was ein Heer stets benötigte - Handwerker, Heiler, Köche und so weiter - schützte und daher enorm viel langsamer war.
"Dein Ernst?" knurrte der junge Jarl, dem man das Kommando über die Vorhut anvertraut hatte. Einer seiner Späher stand vor ihm, eine ältere Jägerin mit narbigem Gesicht, ganz in schimmernd glatte Otterpelze gewandet gegen die Feuchtigkeit des Waldes.
"Aye, isses. Des Dorf is unbewacht, ungeschützt... die Bauern wissen nichmal, das wir kommen."
Jarl Mandren kratzte sich am Bart. "Können wirs umgehn ohne dass die uns bemerken? Da soll keiner die Truppen der Cortaner warnen könn'n." Sie überlegte kurz, schüttelte dann den Kopf. "Die haben Holzfäller un' Jäger, ausserdem eine ausgefahrne Handelsstraße.. sehr unwahrscheinlich."
"Gut, dann müssen wir's besetzen, und verhindern dass wer entkommt. Rannolf! Nimm dir..."
Was sich sein zuverlässigster Mann an Truppen nehmen sollte, würde er nie erfahren, denn auf einmal steckte ein Pfeil im Hals des jungen Jarls. Die Augen quollen ihm hervor, er röchelte, bespuckte dann die Späherin mit Blut, das seinen Bart benetzte, auf den er stets so stolz gewesen war. Sie fing ihn noch auf, als er aus dem Sattel seiner Norlandstute stürzte, und dann war die Luft gefüllt mit weiteren Geschossen, die aus den Wäldern kamen.
"SCHILDE HOCH!" brüllte die Späherin, und allenthalben gehorchte man ihrer Anweisung im Reflex; ein Teil der Pfeile landete in den Schutzschilden, ein Teil in der zertretenen Erde des Waldweges, doch viel zu viele Krieger und Kämpferinnen stürzten aus ihren Sätteln oder brachen dort zusammen, wo sie gerade noch gestanden hatten. Schreie erfüllten die Luft, Verwirrung lähmte manch einen Kämpen, denn wo war der Feind?
Waren es etwa die gefürchteten Waldelfen?
Ein Hornisgnal im Wald erscholl, auf der anderen Seite ein zweites, dann ein drittes vorn und eines hinter dem Tross. Sie waren umzingelt!
"Lose Formation!" dröhnte nun Rannolfs Stimme, der sich einen Pfeilschaft am Arm abbrach und grollend auf die Beine kam, den Schild angehoben. Und während seine Kämpfer, dankbar für den Befehl, gehorchten und sich formierten, schwirrte eine zweite Wolke Pfeile heran, doch diesmal richtete sie weit weniger Schaden an.
Erneut ein Hornstoß, diesmal von vorne, länger gezogen, erscholl und aus dem Wald brachen Soldaten Cortans hervor, in erstaunlich guter Formation, bedachte man, dass sie bis eben im Dreck und unter Büschen gekauert hatten. Überall trugen sie an ihre Leiber gebunden Äste und Zweige, hatten sich die Gesichter mit Schlamm bemalt, die Schilde mit Netzen behangen, in die Blätter und Farne eingeflochten waren.
Sofort schlossen sich ihre Reihen, kaum dass sie die Bäume hinter sich gelassen hatten, und im beständigen Zwielicht marschierten sie auf die bedrängte Vorhut der Nortraven zu.
"LASST SIE HERAN KOMMEN!" brüllte Rannolf, wohl wissend um das heiße Blut seiner Brüder und Schwestern, und auch, dass es Selbstmord wäre, der cortanischen Formation in wilder Leidenschaft entgegen zu stürmen. Dennoch sah er nicht viel Hoffnung: die Pfeile hatten seine Leute geschwächt, fast um die Hälfte dezimiert. Gewiss, viele würden die Pfeilwunden theoretisch überleben, aber gerade konnten sie eben nur geschwächt oder gar nicht mehr kämpfen. Ein bedauernder Blick auf den gefallenen Jarl - der Sohn seiner Schwester - und Rannolf bleckte die Zähne.
"Lasst sie teuer bezahlen!" brüllte er, doch bevor er den nächsten Befehl - den letzten - geben konnte, erklang erneut das Lied der Bogensehnen. Was...?
Kurz stutzte der Berserker. Würden die Cortaner nun das Risiko eingehen, ihre eigenen Leute zu töten? Waren sie so verdorben?
Tatsächlich! Die Pfeile, erneut aus dem Wald abgeschossen, schlugen in die waldgetarnten Soldaten ein, in ihre nahezu ungeschützten Rückseiten und Flanken. Viele gingen zu Boden, erneut gellten Schreie, diesmal galadonische, doch kein einziges Geschoss fand seinen Weg in die Leiber der Nortraven.
Dann waren die Cortaner heran und Rannolf brüllte "Tötet sie! Tötet sie alle! Für den Hetmann und die Goden!"
Und das taten sie.
Als die Schreie weniger wurden, das Waffengeklirr verstummte und der letzte Cortaner, der noch zappelte, von einem müßigen Axthieb seines Lebens beraubt worden war, trat die narbengesichtige Späherin an Rannolf heran. Sie trug einen Pfeil in der blutigen Hand.
"Alfenhandwerk." knurrte sie. "Haben die Alfen denen geholfen?"
"Nein." sie wies mit dem Pfeil in der Hand, von dem noch das Blut tropfte, auf einen cortanischen Soldaten, der im Dreck lag. Rannolf nickte, sah in den Wald. Was würde nun kommen? Waren die Elfen so erzürnt, dass seine dezimierte Truppe nun gegen jene kämpfen müssten?
Eine Gestalt löste sich aus dem Zwielicht des Waldes. Sie trug nur einen Stab, weder Bogen noch Schwert, und hatte das lange, blonde Haar zweckmässig hoch gebunden. Ein wenig zu schmal für einen Mann, ein wenig zu breit für eine Frau - ein Elf, so viel war sicher.
Langsam und bedächtig schritt der Mann auf die Nordleute zu, blieb dann mit Abstand von fast 10 Schritt vor Rannolf und der Späherin stehen. "Col ni'ahir, Nordmannen." sprach er sanft und leise. Und müde. Er klang entsetzlich müde.
Rannolf musterte ihn, entdeckte in der Robe, im Haar, im Gesicht Spuren von Kämpfen, von Schmutz und Erschöpfung. Ein Auge des Spitzohrs fehlte, war fortgebrannt, die Haut um die leere, narbige Höhle spannte sich leicht faltig. Offenbar war es dort gründlich abgeheilt worden, ohne dass man den Schaden komplett hatte beheben können.
"Sei gegrüßt, Alf." knurrte der angespannte Nordmann. "Was willst du?"
"Ihr kämpft gegen die Cortaner." sprach der Alf, dessen Stab von einem zartgoldenen Kristall gekrönt war. "Aye, dreckiges Pack!"
"Dann kämpfen wir Seite an Seite." Der Alf hob eine schlanke, schmutzige Hand - bei den Goden, wann hatte Rannolf je von schmutzigen Alfen gehört? Noch nie! - und darauf traten fast drei Dutzend weitere Alfen aus dem Wald, die Hälfte in hölzerne Panzer gehüllt und fast alle mit Bögen bewaffnet, viele trugen Schwerter gegürtet oder lange Stäbe, an deren Enden Klingen im Zwielicht schimmerten. Jene, die keine Rüstung trugen, hatten die Gewänder normaler Alfen am Leibe, doch zerzaust und beschädigt; Ruß beschmutzte den feinen Stoff, eingetrocknetes Blut. Verbände hier, Verletzungen dort, Schürzen, Werkzeuge: Rannolf hatte das Gefühl, einem Haufen Handwerker, begleitet von ihren Kriegern, entgegen zu sehen.
"Was geht hier vor sich?" verlangte er zu wissen.
"ich bin Caylen, und das ist meine Schar. Habt ihr Wasser für unsere Kinder? Wir fanden auf der Flucht keine Zeit..."
"Kinder? Ihr nehmt Kinder mit in den Krieg?!"
Caylen schwieg, als nun auch verdammte Zivilisten aus dem Wald erschienen, sich ängstlich und gehetzt hinter ihren mehr-oder-weniger-Kriegern duckten. Weiber in feinen Kleidern, zerissen als hätte man versucht, sich an ihnen zu vergehen; manch einer in etwas, das tatsächlich nach Schlafgewändern aussah. Kinder, die mit stumpfen Augen Kuscheltiere an sich drückten oder von den Armen ihrer erschöpften Väter baumelten. Und überall... Ruß.
"Siehste das nich, Rannolf? Die bringen nicht Kinder mit innen Krieg. Die Cortaner führen Krieg gegen Kinder."