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[Festland - Elfen] Der letzte Traum
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Autor:  Eule [ 25.09.17, 17:01 ]
Betreff des Beitrags:  [Festland - Elfen] Der letzte Traum

Kapitel 1. - Das Erwachen


Zitat:
Viertel der Fey'haim in Draconis - Astrael 27 n.H. - kurz vor dem Erscheinen der Ewigen auf Tare

Es gab nicht viele Elfen die den Ältesten in Draconis als jüngeren Elfen kennengelernt hatten. Für die meisten war er schon in deren Kindheitserinnerung alt. Die Aufzeichnungen zu seinem Leben sind jedoch vor der Allgemeinheit verschlossen. Man führte keine Chronik über jene die noch lebten. Man sprach nicht über die Tragik des Lebens jener, die so lange Zeit auf Tare wandelten. Und man musste seine Worte weise wählen gegenüber jenen, die alle Höhen und Tiefen eines Lebens schon unzählige Male durchlebt hatte. Jene Elfen lebten ein Leben und durchlebten eine Gedankenwelt die jenseits von dem war, was ein junger Sterblicher verstehen konnte. Man ließ jene alten Elfen in Frieden. Man behelligte sie nicht. Doch schonte man sie auch nicht, wenn ihre Erfahrung und ihr Rat benötigt wurde.

Fearenthanir Thurunin war einer der vermuteten ältesten Fey auf ganz Tare. Sein Gesicht vom Alter gezeichnet, wie man es nur von anderen Völkern kannte. Doch seine bernsteinfarbenen Augen zeugten von geistiger Wachheit und Weisheit. Man musste nur die Hinweise zusammenzählen und konnte feststellen, dass dieser Mann in den Anfängen Galadons ebenso aktiv wirkte, wie er es in den letzten Jahrhunderten tat. Die menschlichen Herrscher bezeichneten ihn nicht wenige Male als den "Elfenkönig", auch wenn Fearenthanir niemals diesen Titel oder ähnliche Stellungen für sich oder sein Volk beanspruchte. Er erkannte in den Bemühungen Galadons die meiste Zeit über, trotz aller Defizite, den Willen eine menschliche Gemeinschaft zu erschaffen, die es dem elfischen Volk ermöglichte, mit ihnen zu koexistieren. Die Unruhen im Norland. Die Kriege in Endophal. All dies interessierte die Elfen nicht. Man hatte einzig und allein das bestreben eine gewisse Stabilität zu unterstützen oder, wenn notwendig, mitzuwirken. Es gab nur selten Anlass für die elfische Gemeinschaft, an Galadon zu zweifeln. Und auch in der heutigen Zeit gab es keinen Grund dazu. Doch das belagerte Draconis, das Viertel der Fey, das nun dazu übergehen musste menschliche Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen und die immer besorgniserregenderen Berichte, die selbst von so weiter Ferne, wie der Insel Siebenwind kamen, nahmen stetig zu.

"An'var, bitte, sagt doch etwas."

Die Stimme des jungen Elfen der von den Unruhen in Ersont berichtete, holte den Ältesten gedanklich wieder in die Gegenwart. Er besah die sechs Elfen vor sich. Ein jeder hatte in dieser Stadt in der menschlichen Gesellschaft einen festem Platz. Sie alle hatten Respekt und sie haben ihren Wert bei der Belagerung um Draconis' bewiesen. Doch fühlte er keinen Stolz. Keine Zufriedenheit entlockte ihm dieser Anblick. Nicht weil er ihnen zürnte, oder ihren Wert nicht erkannte. Es schmerzte ihn, ihnen diesen Zerfall des galadonischen Reichs zu überlassen. Und noch mehr zauderte er die Worte zu sprechen, die ihn schon so viele Jahrhunderte im Herzen begleiteten.

"Die Götter schenkten unserem Volk die alleinige Bestimmung darüber wann wir Nachfahren zeugen, welchem Sterblichen wir unser Herz und Seele schenken wollen. Und auch schenkten sie uns die Verantwortung darüber, wann wir diese Geschenke nicht mehr in Anspruch nehmen wollen hier auf Tare. Ich sehe die Zukunft klar vor mir. Darin ist jedoch kein geeintes Reich der Menschen. Darin ist keine Einigkeit der Völker. Und auch wird mein Name keinen Anteil an diesem Teil der Geschichte innehaben."

Die Bestürzung nach diesen Worten war vor allem in den jüngeren der Gruppe zu erkennen. Die anderen behielten ihre stoische, würdevolle Haltung und nur einen Deut wurden die Augenlider herabgesenkt um ihr Verständnis der Worte auszudrücken.

"So will ich einen letzten Rat aussprechen: Setzt alles daran unser Volk nicht zum Opfer der Menschen zu machen. Galadon ist gescheitert. Doch ist es an euch das Scheitern der Fey zu verhindern. Die Menschen haben sich über die Geschenke der Götter gestellt. Sie führten Krieg um Krieg in den fünf Millenien. Und sie verlangten von uns Tribut um Tribut. Sie überragen uns in ihrer Zahl um ein vielfaches und wenn sie sich nun entschließen uns zu vernichten, dann werden sie ihren Willen in weniger als einem Jahrzehnt erreicht haben. Geht und denkt darüber nach."

Erdrückende Stille erfüllte den Raum...

Autor:  Eule [ 9.11.17, 14:06 ]
Betreff des Beitrags:  Re: [Festland - Elfen] Der letzte Traum

Zitat:
Querler 5026 n.A.E. - vor etwa einem Götterlauf in Tiefenwald

Mit fahler Miene sah der hochgewachsene Elf auf das Pergament in seinen Händen. Das dunkle Siegel, das einst eine vollständige Sanduhr zeigte, war gebrochen.

Gebrochen wie dieser zersplitterte Klang seines Herzens, die ohrenbetäubende Stille seines stockenden Atems, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. In all den 800 Jahren, hatte er nie einen tieferen, lähmenden Schmerz gefühlt, als den Moment, als er das Siegel brach, und in geschwungener Schrift der Name seiner Schwester mittig auf dem Pergament ruhen sah. Wie ein Rabe der ihm versuchte die Augen mit seinem spitzen und unnachgiebigen Schnabel auszupicken, als wäre es sein Name, der auf diesem Nachruf zu lesen war.

Rings umher stellten die Elfen ihre Arbeit ein, als sie den Zustand ihres Meisters sahen. Unschlüssig waren die jungen Elfen, die selten einen der älteren Elfen so beklommen und angespannt sahen, wie sie darauf reagieren sollten. Mit geweiteten Augen und tiefem Schmerz im Blick, drehte Ilyanir seine starre Miene zu den anderen und hauchte nur tonlos:"Ruft die Ältesten in die Halle. Jetzt."

1 Mond später


Ilyanir wusste, dass es ein Fehler war seine Geschwister im Seelenwald unangekündigt aufzusuchen, und die Tatsache, dass er und seine Begleiter – die Ältesten vom Elfenrat in Tiefenwald – schon nach wenigen Meilen im Wald von Wurzeln festgehalten wurden und die Wölfe und Großkatzen, die aus dem Dickicht schritten, viel zu intelligente Blicke hatten, bewies seine Befürchtungen.

Wie zu erwarten war, waren die nachfolgenden Gespräche mit den versammelten Sippen der Fey'simil im Seelenwald deutlich langwieriger und hitziger, als die Fey'amrai und Fey'haim es unter sich gewohnt waren. Unverständnis dominierte bei ihnen darüber, dass man über Jahrhunderte mit den Fey'simil darüber stritt, ob das Holz aus Tiefenwald an die anderen Völker gehandelt werden dürfte und nun sollten sich die Fey'simil auch noch in die Kriege der Menschen einmischen. Die Menschen sollten das unter sich klären und ein einziger toter Elf sollte nicht über das Schicksal aller Elfen bestimmen. Die Fey'haim entschieden sich mit den anderen Völkern zu leben, also mussten sie die Konsequenzen auch selbst tragen.

Ilyanir saß wortlos daneben, als die Ältesten der Fey'amrai und Fey'haim mit ihren wilden Geschwistern über Wochenläufe hinweg debattierten. Als sich wieder eine unangenehme Stille beim Rat ausbreitete, wisperte er nur:

"Den Moment, wo wir den Handel mit den Menschen im Norden einstellen, werden sie dazu übergehen die Wälder zu plündern. Und sie werden einen jeden Fey'simil, jedes Tier und jede Pflanze, die sich ihnen entgegenstellt, ebenso vernichten."

Die Stille schien nur umso mehr zuzunehmen und ohne Blickkontakt und ohne ein Wort zu sagen, standen die Fey'simil geschlossen auf und zogen sich zur Beratung zurück. Nach zwei Monden stand die Entscheidung fest: Die Fey'simil würden die Fey'haim und Fey'amrai unterstützen, solange sie nicht bewusst den Krieg suchten und nur Schutz und Verteidigung wünschten. Mit bitterer Freude im Herzen, doch aufrichtiger Dankbarkeit, zogen sie sich zum Il-Yathen Telis zurück, nur um zu erfahren, dass die gerechte Fürstin Ulanda ahm Raan nur wenige Tagesläufe zuvor mit 82 Götterläufen einschlief, und nicht wieder erwachte. Ihr Enkel Edwin wurde als Ihr Nachfolger erwählt. Und den Ältesten im Rat wurde das Herz schwer. Noch eine stabile Säule in ihrem Leben die wegzubrechen schien.

Die Unsicherheit ob der junge Edwin sich vom Reichtum Cortans locken ließ, oder dem verfallenden Galadon treu bleiben würde, griff in den Elfensippen um sich. Die Lieder erklangen seltener. Die Zufriedenheit wich einer kollektiven Nachdenklichkeit. Die Elfen in Tiefenwald, seit jeher zufrieden mit dem was sie hatten - reich und in ihrem Leben unbeschwert - mussten erstmalig um ihre Existenz fürchten.

Autor:  Eule [ 28.01.18, 18:35 ]
Betreff des Beitrags:  Re: [Festland - Elfen] Der letzte Traum

Einige Monde vor der Versammlung der Fey in Tiefenwald. Im Astrael des 27. Götterlaufs in der Regentschaft Hilgorad ap Mers


Zitat:
Trier 5026 n.E.A. in Ersont - Tempel des Ordens der endlosen Güte der Herrin Vitama
Die Geweihte öffnete die Hintertüre des hübschen kleinen Tempels und spähte in die nur von Rilamnors Mantel erhellte Nacht. Beide Monde waren längst unter gegangen, bald würde Fela sich erheben; in der Ferne hörte sie das Klappern und Krachen eiligen Marschtritts auf dem Pflaster der Gassen von Aschengrund, offenbar Soldaten. Noch während sie dem gedanklich nach gehen konnte, wurde sie der beiden Gestalten gewahr, die sich an das helle Mauerwerk des Tempels gekauert hatten, farblich mit diesem verschmolzen; einer trug einen Stab und ein langes Gewand das ihn als Magus des weißen Turmes auswies, die andere war eine schlanke, sehnige Fey mit einem Taek'ri und einem ungewöhnlich langen Ayt'ri in Gürtelscheiden. Ilyanna wollte sie gerade begrüßen, doch die Fey, die um Einlass geklopft hatten, drängten sie in unziemlich unhöflicher Weise beiseite, eilten in die kühle Ruhe des Tempels und zogen die Geweihte rasch mit sich; mit einem Wink seiner schlanken Hand verschloss Caylen hastig die Türe.
Ehe sie noch etwas sagen konnte, hörte sie auf dem Platz hinter dem Tempel den Marschtritt sich nähern, und die Soldaten ausschwärmen, Rufe ertönten.
"Hier irgendwo muss sie sein! Findet sie!" brüllte eine harte Männerstimme. Ilyanna wurde heiß und kalt zugleich, während sie das Licht Jassavias musterte, das betreten zu Boden blickte.
"Unsere Schwester hier, Eliandas Dämmersturm, sollte gegen seine Majestät Hilgorad ins Feld ziehen. Ein Angriff auf irgendeine strategisch wichtige Siedlung." erläuterte Caylen und die Geweihte konnte erahnen, wie angespannt er sein musste, da er nicht zu ihr sah, sondern zur Hauptpforte des Tempels blickte. "Und da ich mich weigere, die Waffen gegen seine Majestät zu erheben - oder gegen Unschuldige..."

Ilyanna verstand, nickte und winkte die Beiden mit sich. Sie hatte schon häufiger Schmuggler, Diebe oder fälschlich verdächtigte Flüchtlinge unter gebracht; sie konnte der Fey Obdach und Zuflucht gewähren, wenigstens für eine Weile.


Zitat:
Triar 5026 n.E.A. in Ersont - Tempel des Ordens der endlosen Güte der Herrin Vitama
Der Marschtritt genagelter Stiefel drang in die meditative Fröhlichkeit des Tempels. Die Geweihte Ilyanna Nordstern führte einen lebhaften Tanz vor, und die Kinder der von ihr betriebenen Schule und auch einige Novizen und zufällige Anbeter der Göttin folgten ihren Bewegungen. Meist war es eher unbeholfen; gerade die Jüngsten waren mit Feuereifer dabei, sich gegen den Takt zu bewegen und dabei vor Begeisterung zu krähen, zu quietschen und sich an zu rempeln. Über all dem ragte die elegante Statue empor, welche die Schenkerin der Freuden und des Lebens symbolisierte, ohne ein Gesicht, ansonsten aber nahezu makellos vollkommen, und bis auf ein paar Ranken und Rosen doch recht nackt. Sie streckte ihre Hände anbietend den Gläubigen entgegen und der Marmor war abgenutzt von all den Fingern, die schon haltsuchend oder dankschenkend darüber gestrichen hatten, fleckig ihre Füße von Tränen, die darauf vergossen wurden.Ilyanna hielt nicht inne, beobachtete jedoch mit einem Anflug von Wachsamkeit den stets offenen Zugang des kleinen, unbedeutenden Tempels.

Noch eine Verkündung, ein Ruf zu den Waffen?

Plötzlich marschierten geschlossen fast 20 Soldaten in cortanischer Uniform die Tempelstufen hinauf, schmetterten ihre genagelten Stiefel auf die ausgetretenen Steine und drängten jeweils zu dritt in perfekter Ordnung durch die Flügeltüren, die längst von Rosenranken umwunden waren, so lange schon standen sie offen.
"Kinder." Ilyanna hielt inne und scheuchte die Novizen los, die Kinder, die kaum die Veränderung begriffen, aus dem Weg zu schaffen, und trat der Offizierin entgegen, verharrte zwei Schritt vor der Statue der Herrin in anmutiger Haltung und lächelte einladend. "Willkommen im..."
"Ruhe!" unterbrach die junge Soldatin sie rüde und funkelte die Vitamadienerin zornig an. Die Elfe hielt verblüfft inne - noch nie hatte es jemand gewagt, ihr an diesem Ort ins Wort zu fallen, noch dazu so rüde! Abermals wollte Ilyanna das Wort erheben, doch noch ehe sie die erste Silbe formte, wurde sie direkt wieder unterbrochen.
"Ruhe, habe ich gesagt!" nun huschte ein hämisches Grinsen auf die Züge der Offizierin, während ihre Soldaten sich ohne einen weiteren Befehl auffächerten und die Novizen ergriffen. Ein paar der Gläubigen schnappten sich beherzt die Kinder und trieben sie einer Herde Schafe gleich hinter die Statue, bestürzt und erschrocken. Bei diesem Anblick konnte sich die Geweihte abermals nicht beherrschen und forderte:"Lasst augenblicklich meine Novizen frei und erklärt euch!"
"Festnehmen." schnauzte die Soldatin und drei Mann traten aus der Reihe, schritten zu der Elfe und die bis unter die Statue zurück wich, dort aber keine Ausweichmöglichkeiten mehr hatte.
"Uns kam zu Ohren.." erklärte die äußerst zufrieden dreinblickende Anführerin des Trupps, "dass sich hier eine Fahnenflüchtige verbirgt, ein Offizier meiner Einheit." Ein äußerst unschönes Lächeln umspielte die schmalen Lippen der Frau. "Übergebt sie, oder wir sperren euch alle in den Kerker."
"Ihr könnt nichts dergleichen tun." verkündete Ilyanna, fest im Griff der Soldaten, von denen einer nun auch noch sein Schwert zog und ihr an die Kehle hielt. "Dies ist ein Haus der Herrin und hier endet die Macht des Königs!" Unbeeindruckt wandte sich die Truppenführerin zu ihren Soldaten: "Wenn du das sagst. Durchsucht den Tempel und tötet jeden, der sich widersetzt!"
"Nein!"- Ilyanna blieb das Wort im Halse stecken, aber es war auch Eliandas Dämmersturm, die Elfe, die sie hier aufgenommen hatte, und die nun mit eiligen Schritten aus ihrem Versteck hervor kam. "Haltet ein! Kein Blutvergießen im Haus der Herrin!"
"Na also, wer sagt es denn. Vieregläubige sind so leicht zu manipulieren." säuselte die Offizierin und deutete auf die Desertierte, die zur Statue lief. "Sofort hinrichten." Die Soldaten, die zuvor Ilyanna hielten, ließen ab von der Geweihten, und zogen nun allesamt ihre Klingen, um auf die Kriegerin los zu gehen. Doch noch ehe die Klingen Eliandas erreichen konnten, warf sich Ilyanna vor die elfische Kriegerin und fing jeden Schwerthieb und -stich mit ihrem eigenen Leib auf. Sie brach zu Füßen der Statue zusammen, doch kein Laut des Schmerzes entfloh ihrem Leib, nur weinrotes Blut, während die Schwerter wieder aus dem Körper glitten und die Soldaten, entsetzt darüber, eine Geweihte getötet zu haben, zurückwichen. "Worauf wartet ihr! Nehmt die Verräterin fest! Und das ganze Novizenpack auch!" Einige Soldaten gehorchten, doch die meisten waren vor Schreck gelähmt.

Die Schwerter klirrten zu Boden, die drei Mörder folgten ihnen, fielen auf die Knie und pressten schluchzend die Köpfe auf den Marmor, während das Blut der Geweihten der lieblichen Mutter die tränenfleckigen Zehen umspielte und die Blumen im Tempel verblühten.


Danke an Streuner!

Autor:  Eule [ 27.10.18, 15:51 ]
Betreff des Beitrags:  Re: [Festland - Elfen] Der letzte Traum

Tiefenwald - Hauptstadt Garan
29 nach Hilgorad ap Mer


Zitat:
Edwin richtete sein ledernes Gewand. Er wusste, dass das Fürstentum Tiefenwald für viele andere Lehen wie eine Provinz wirkte. Selbst die Größe der Hauptstadt Garan - tatsächlich die einzige Stadt in Tiefenwald, die überhaupt eine Markierung in einer Landkarte bekommen würde - war in den meisten Lehen nur eine Randnotiz wert. Aber er wusste, dass die Lage Tiefenwalds in diesem Krieg ungeschlagen war. Solange man zumindest der galadonischen Krone weiterhin treu zur Seite stand. Seine verstorbene Großmutter Ulanda von Fürstenwald, deren Titel er erbte, hatte vor Beginn des Krieges unzählige Gesuche Cortans erhalten, auf dass sie die Aufrüstung Cortans unterstütze. Mit großzügigen Schenkungen, Versprechungen auf Titel und noch mehr Reichtum, später auch Drohungen, sollte sie den Holzhandel mit Cortan aufnehmen und in Galadon einstellen. Edwin wurde als stiller Beobachter zu jedem dieser Treffen eingeladen. Da seine Eltern nun schon lange verstorben waren - sein Vater durch Krankheit und seine Mutter durch verlorenen Lebensmut - wusste er, dass er den Titel seiner Großmutter erben würde. Und mit ihm all ihre Pflichten.


Tiefenwald - Hauptstadt Garan
27 nach Hilgorad ap Mer


Zitat:
Die cortanische Gesandtschaft war von Besuch zu Besuch unterschiedlich. Zu anfangs waren sie gönnerhaft und beschenkten Ulanda mit erstaunlichen Schätzen. Edwin war es durchaus bewusst, dass seine Familie eine der ärmsten Fürstenfamilien waren - zumindest wenn man nach der Menge der Dukaten und Edelsteine ging, die in der bescheidenen Truhe im Gemach seiner Großmutter aufbewahrt wurden. Auch fand er es eher beklemmend zu wissen, dass sie wie Barbaren fast ausschließlich vom Tauschhandel lebten, da ein jeder in den umliegenden Lehen ihr Holz und ihre Holzwaren begehrte, aber sie auf ihrem nicht sehr fruchtbaren Land kaum eine Kartoffel ziehen konnten. So floßen wenige Dukaten in das Lehen - die störrischen naturverbundene Elfen in und um Garan mit ihrem Hang zur Askese waren nicht unschuldig daran - und man lebte gut, aber blieb selbst als Fürst nur in einfachsten Leinen und Fellkleidern gewandet. Damit er sich wenigstens ein wenig von den Bauern unterscheiden konnte, bevorzugte er es seine, von Elfen gefertigte, Lederrüstung zu tragen. Der dunkle Wolfspelzmantel, der sein dunkles Haar und seine großgewachsene Gestalt noch eindrucksvoller erscheinen ließ, unterstützte ein stattliches Auftreten.

Edwin war zunehmend irritiert, dass seine Großmutter stets ablehnender wurde, je höher die Angebote der Cortaner wurden. Sie hätte doch wissen müssen, dass ab einem gewissen Punkt ihre Widerwilligkeit nicht mehr als Handelstaktik verstanden werden musste, sondern als Ablehnung. Nach Monden der Verhandlungen, der Krieg war, laut der Herolde, die von Bernstein in alle Lehen geschickt wurden, bereits ausgebrochen, war es Edwin selbst, der seiner Großmutter ein Ultimatum stellte.

"Großmutter, du musst dich eines besseren Besinnen! Cortan ist weit weg, aber die galadonische Krone wird uns schröpfen. Sie wird uns dazu zwingen all unser Holz für den Krieg aufzuwenden, da wir keine Truppen stellen können! Und was machen wir dann? Die Kassen sind leer. Wir haben keine Verbündeten und wir würden zu Sklaven der Krone degradiert. Ist es das was eine gute Anführerin ausmacht, Großmutter? Ist es dir in deinen letzten Götterläufen - Morsan bewahre uns davor, dass dieser Tag bald kommen wird - so gleichgültig, was mit deinem Lehen wird?"

Ulanda, die alte Dame, die niemals ihre Ruhe verlor, betrachtete ihren aufgebrachten Enkel duldsam. Sie legte stets ihre Arbeit ab, wenn man sie ansprach um ihre volle Aufmerksamkeit dem Redner zuzuwenden. Scharfsinnig blickten die dunklen Augen zwischen den faltigen Lidern hervor. Sie war eine Frau, die vom Leben gezeichnet war. Doch nie entwich der Stolz aus ihrer Gestik und Mimik. Die leise Stimme leicht kratzig vom Alter, aber jedes Wort akzentuiert und deutlich gesprochen, erfüllte den Raum, als Edwin schweigend mit angespannter Miene im Raum auf- und abging.

"Mein guter, lieber Edwin. Es erfreut mich sehr, dass die bellumsgeküsste Leidenschaft meines Sohnes auch in den deinen Adern brodelt - vermisse ich ihn doch so sehr, dass ich mich Tag um Tag frage, warum Morsan ihn nahm und nicht mich. Doch sehe ich dein Antlitz, ist jedweder Wunsch nach einem frühen Ableben mir ferner, wie es nicht sein könnte. Du bist ein würdevoller Mann geworden, Edwin. Ein Mann dem man folgen möchte. Ein Mann der auch endlich eine Frau an seine Seite holen sollte um den Titel von Tiefenwald weitergeben zu können."

Edwin schnaubte verächtlich. Er war nun 25 Götterläufe alt - das wusste er auch ohne die tägliche Erinnerung daran. Aber er konnte sich jederzeit eine Frau nehmen, wenn er denn nur gewollt hätte.

"Jedoch sehe ich in dir auch nach wie vor noch einen kleinen Jungen, der von seinem Vater zu oft nach Falkenstein und Bernstein gebracht wurde. Der Geschmeide in Seide und Gold in seinen Augen widerfunkeln sah. Dessen Lippen mit den edelsten Weinen versüßt wurden. Deren Zunge die süßesten Kuchen schmeckte. Du bist verwöhnt, mein lieber Edwin. So verwöhnt, dass du wahren Reichtum und Nachhaltigkeit verkennst."

Edwin blieb stehen, als seine Großmutter daraufhin schwieg. Auffordernd blickte er sie an, doch wusste er, dass jedes Wort das nun über seine Lippen kommen würde, gegen ihn verwendet worden wäre. Also wartete er wenig geduldig, aber sich eines besseren besinnend schweigend ab.

Dein Respekt vor der Frau die dich großgezogen hat, ehrt dich., sprach sie aufrichtig und ein Lächeln zierte ihre schmalen Lippen. Auch Edwin kam nicht umhin das rare Lächeln seiner Großmutter zu erwidern. Seine Anspannung löste sich jedoch nicht. Er wollte in ihren Augen nicht als ungeeignet erscheinen. In den Chroniken unserer Familie wiederholte sich immerzu ein Muster. Unsere Vorfahren hatten viele Zeiten des wahren Reichtums zu verzeichnen. Doch ausnahmlos immer hatten sie in der selben Zeit sehr große Probleme mit den Elfen im Seelenwald. Warum fragst du dich? Das ist simpel zu erklären: Sie beuteten die Wälder aus und sahen nicht, dass auch wenn die Elfen hier im Vergleich zu den Menschen in ihrer Zahl unterlegen schienen, dass es kaum einen Ort gibt auf Falandrien, an dem sich derart viele Elfen auf einem Fleck aufhalten - seit Jahrtausenden - wie hier in Tiefenwald. Nicht die Elfen sind die Bittsteller in dieser Konstellation. Sondern wir. Die Ältesten im Seelenwald tragen die selben Namen, egal wie weit du es in unseren Chroniken zurückverfolgst. Sie haben uns auf ihrem Land geduldet und zugelassen, dass wir ihm einen galadonischen Namen geben. Dass wir die äußersten Bäume des Seelenwaldes für unsere Zwecke und für den Handel abholzen dürfen. Gebe ich Theobald nach, mein lieber Edwin, dann habe ich dir ein Lehen gestohlen, was ich dir mit meinem Tod ohne Bedenken in deine Hände gelegt hätte. Auch Galadon wird keine Gefahr für uns. Denn dann werden die elfischen Herrscher des Seelenwaldes aufbegehren und das Problem für uns lösen, ohne dass eine einzige Person, die die Familie von Tiefenwald zu beschützen schwor, in diesen Krieg ziehen muss.

Edwin setzte sich nach den Worten und wischte eine Hand über sein Gesicht, ehe er sein Kinn auf seine Hände bettete und eine leise Bitte um Verzeihung erklingen ließ. Er hatte seiner Großmutter unrecht getan.

Und er fühlte sich wieder wie ein zehnjähriger Junge, der noch lange nicht so weit war dieses Lehen zu führen. Wann auch immer seine Großmutter in Morsans Hallen ihren wohlverdienten Frieden finden würde. Edwin würde ihre Worte im Herzen mit sich tragen.

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