Mit einem Lappen wischt er sich den schmierig-fettigen Ruß von den Händen. Den Ofen zu putzen hat Stunden gedauert, und sein Rücken schmerzt von der verkrümmten Haltung, die er in dem backsteinernen Monster hatte einnehmen müssen, um überall ran zu kommen. Er sieht fürchterlich aus, aber wenigstens sind die radikal kurzen Haare nun ein Vorteil: sie sind einfacher zu säubern. Rasch eilt er zum Brunnen, immer noch mit dem Lappen an seinen schlanken Fingern zu Gange, schubst den Eimer in den Schacht und wartet auf das verräterische Platsch, um ihn mit der Kurbel wieder hoch zu holen. Er wird sich gründlich säubern müssen, sonst lässt man ihn nicht zum Abendbrot in die Gesindeküche. Es dauert eine Weile, in der er mit der groben Kernseife hantiert, und in der relativen Kälte des beginnenden Vitamas bibbert, bis ihm klar wird, warum er ständig auf das Haus starrt. Natürlich. Das Mädchen! Während der Arbeit hatte er ständig an sie gedacht, und daran, was das zu bedeuten hatte - und wie er ihr würde helfen können. "Gar nicht", war die Antwort schlussendlich gewesen - was sollte er auch tun? Er war kaum ein Dutzend Jahre alt, galt seiner kleinen, schwachen Gestalt wegen und weil er keinen Vater hatte als Sonderling, als Ausgestoßener, Abschaum, und niemand würde ihm glauben. Und selbst wenn: der Herr war bekannt als Grobian, dem seine Leute nichts gelten, die austauschbar sind, und das Gesinde munkelt, er hat sogar schon im Zorn eine Magd zum Krüppel geschlagen. Nein, Arin kann nichts tun, und doch wächst die zunehmende Gewissheit in ihm heran, dass er etwas tun muss, egal was ihn das kosten wird. Er gießt einen letzten Eimer Wasser über sich aus, greift sich ein schäbiges Tuch, um sich so gut es geht vom Wasser und dem Rest des Rußes zu befreien und schlüpft in seine fadenscheinigen Kleider aus grobem, schlecht zusammengenähtem Wollstoff, fröstelt spürbar. Der Vitama war in diesem Jahr spät erst gekommen. Langsam macht er sich auf den Weg in die Gesindeküche, in der es laut, lärmig und stickig war, eine einfache Mahlzeit aus gekochtem Getreide mit Rüben und Bohnen stand auf dem Tisch, dazu Kräutertee und verdünntes, billiges Bier, dass nach einhelliger Meinung kaum besser schmeckte als Wasser. Arin schlängelt sich durch das Gewirr aus Beinen und Hinterteilen, schlenkernden Armen und hölzernen Löffeln, und noch während er überlegt, ob noch Platz neben seiner Mutter ist, findet er sich auf dem Gang wider, der in das Innere des Herrenhauses führt. Er kennt sich hier ein bisschen aus, muss hier ab und an beim Putzen aushelfen, Nachrichten überbringen oder Dinge tragen, Hilfsdienste eben, für die man die Kinder des Gesindes stets heran zieht. Es dauert nicht lang, da hat er den Bereich der Hausdiener verlassen, richtet sich auf und tut beflissen, stellt sich vor, er muss eine Nachricht überbringen, ganz fest, denn er weiß: lügen und sich zu verstellen, das hat er nie so richtig gelernt, er findet es blöd, zu lügen. Sich aber vor zu stellen, er hätte eine Aufgabe - das gelingt halbwegs und so kann er tun, als hätte er das Recht, nein, die Pflicht, genau hier zu sein. Es geht gut, er begegnet ohnehin nur einer Enkelin ihres Herrn, die ihm gar keine Beachtung schenkt, während sie mit einem hübsch gekleideten Püppchen mit Porzellangesicht achtlos in einer Hand an ihm vorbei schreitet. Bald hat er das Herrenzimmer erreicht, späht umher, lauscht dann eine Weile an der Türe. Nichts. Vorsichtig öffnet er das schwere Holzding, doch ein Blick ins Innere des oppulent eingerichteten Raumes verrät ihm: das Mädchen ist nicht hier. Noch ein Blick umher, und er fasst Mut, tritt mit rasch hämmerndem Herzen hinein, späht in Ecken, unter das Bett, wagt sich sogar zum Kleiderschrank, doch auch unter den gewaltigen Mengen an aufgehangener Kleidung, deren Wert er nicht einmal im Ansatz erahnen kann, findet sich kein Bein, kein schwarzer Haarschopf. Erleichterung wogt in ihm auf, er hat sich das alles nur eingebildet, er kann rasch zurück und niemand würde von diesem Unsinn erfahren, den er hier angestellt hat.. er wendet sich herum, ein letzter Blick zum Bett. Dort liegt ein Riemen, auf dem Boden auf einem dichten Läufer; er hat ihn zuerst übersehen vom Eingang aus. Rasch huscht er hin, hebt ihn auf. Das Leder ist mit etwas rötlichem verfärbt, und auch wenn er sich eine Menge Mühe gibt, seine Fantasie nicht überlaufen zu lassen, braucht es doch nicht viel davon, um zu ahnen, was das wohl sein mag. Er steckt den Riemen ein, sieht sich nochmal unbehaglich um und huscht aus dem Zimmer, die Türe rasch schließend. Wo könnte das Mädchen sein? Selbst ihr Herr konnte nicht einfach ein gefesseltes, misshandeltes fremdes Mädchen am hellichten Tag quer durchs Haus tragen ohne wenigstens auf zufallen.. oder? Wo würde er, Arin, eine solch grausame Kuriosität verstecken? "Im Keller..." überlegt er, und saust bereits los, ehe er den bewussten Entschluss gefasst hat. Es ist ihm, als ziehe ihn etwas hinter sich her, aber er folgt trotz dass er weiß, dass er nicht erwischt werden darf - oh Vitama, bitte lass sie mich nicht erwischen! - bereitwillig. Was ist schon ein strammgezogener Hosenboden, selbst mit dem Kochlöffel, gegen das Unbill, in dem das Mädchen steckte? Wieder begegnet ihm praktisch niemand, auch die Enkelin ihres Herrn ist verschwunden - vermutlich sitzt sie im Speisesaal und diniert mit dem Vater und ihren Geschwistern; soweit er weiß sind die Eltern in Draconis oder so. Wo das wohl sein mag? Er hat keinen blassen Schimmer, kennt nicht einmal eine Karte Vandriens, aber was soll er auch damit? Das Wissen, wo man war, verlor an Bedeutung, wenn der Ort, an dem man sich aufhielt, den Geist verkümmern ließ und nichts als tägliche Mühsal und Hunger und Angst bereit hielt. Man wollte einfach nur nicht "da" sein, konnte schlussendlich aber ohnehin nicht fort und musste sich fügen. Daran änderte sich auch nichts, wenn man wusste, wo man war. Im Keller ist es duster, und er greift sich eine Talgkerze, steckt sie in den angelaufenen Messinghalter, entfacht sie an der letzten Fackel, die im Zugang blakt, und wagt sich mit ihr in der Hand hinab zu den Vorräten. Griff man ihn hier auf, würde man glauben, er wolle stehlen, und das bedeutet weit mehr als nur eine simple Prügelstrafe; er wusste nicht, was ihm drohte, nur, dass es keine Gnade für Diebe gab. Er saugt tief die muffige, trockene Luft des tiefen Kellergewölbes ein, und macht sich auf die Suche; er hat hier schon häufiger sauber gemacht, Ratten gejagt und Besorgungen gemacht, er kennt den Weg, auch einige Kammern, die man nicht sofort sieht, deren Zugänge.. schwieriger zu öffnen sind. Diese sucht er zuerst auf, öffnet mühsam eine schwere Türe nach der anderen, halb betend, dass er nichts finden möge und sich all das nur eingebildet hat, auch den gefundenen Riemen, dass das Farbe war, der Herr einfach gerne malte... ja, gewiss, der Mann, der Kunst nur zum Angeben schätzte, malte mit einem Lederriemen auf seinem Teppich... Er hielt inne. Hat er gerade Blut gerochen? Ein nervöser Blick ringsum verrät vor allem eines: es ist dunkel abseits des Scheins seiner Kerze, aberwitzig dunkel. War da gerade eine Bewegung? Er hört etwas Rascheln, eine Ratte, schlägt rasch eine Raute gegen das Gezücht des Namenlosen und huscht zur nächsten Türe, lauscht in die lauernde Dunkelheit jenseits des schwachen, flackernden Lichtscheins. Ja, da ist etwas.... Arin presst sein Ohr an eine solide anmutende Mauer, wissend, dass das nur eine Verkleidung ist, die eine Türe preis gibt, wenn man den richtigen Stein drückt; er war unter einer größeren Last getaumelt und hatte den Mechanismus mit dem Ellbogen betätigt, als er gestürzt war, an einem seiner ersten Tage, und erinnert sich vage daran. Drinnen hört er ein seltsames Geräusch; es klingt wie ein Hund, den jemand geschlagen hat, ein eigenartiges Winseln, durchsetzt von Keuchen und Schnaufen. Er schluckt mühsam, fängt hastig an, die Wand nach dem Stein ab zu suchen, findet ihn nicht. "Vitama, hilf.." wispert er mit zunehmender Angst, rasendem Herzen, wischt sich den Schweiß von der Stirn, der ihm in die Augen zu laufen beginnt. Was tu ich hier? fragt er sich und weiß es doch längst: das Mädchen steckt in der Kammer und der Herr hat ihr irgend etwas übles angetan. Warum? Das war nun gleich: er hat keine Wahl, als ihr zu helfen. Mühsam zwingt er sich, die Mauer neuerlich ab zu tasten und nun fest jeden Stein zu drücken; es dauert, dann merkt er an einer Stelle, wie etwas nach gibt, presst die Hand darauf und stemmt sich dagegen, es gibt einen Ruck, der Stein gibt mit einem mahlenden Geräusch nach und die Wand neben ihm springt ein Stückweit auf; die Verkleidung ist nur eine handbreit dick, gibt eine Türe preis, die ganz gewöhnlich ist. Er stellt die Kerze ab, stemmt sich gegen den Stein, drückt das kühle Zeug aus dem Weg und starrtd die tiefer im Mauerwerk eingelassene Holztüre an. Er schluckt, greift nach der Kerze, tritt in die Kuhle und drückt die Klinke, halb im Glauben, es sei ohnehin verriegelt, doch dem war nicht so. Als er die Türe aufschiebt, schlägt ihm ein entsetzlicher Gestank entgegen, und er muss erst einmal würgen, keucht erbärmlich, denn hier herrscht Verwesung, Fäkalien, Erbrochenem und Blut, eine wilde, scharfe Mischung, er sieht eine Ratte davon rascheln durch das verdreckte, klebrige Stroh, fort von einem skelettierten Leichnam, an dessen Knochen noch Fleischfetzen hängen. Er starrt voller Entsetzen die vage erkennbare Erscheinung an, lässt fast sein winziges Licht fallen, fasst sich ans Herz, hört erneut das Wimmern und fährt herum. Neben dem Eingang liegt das Mädchen, nun noch schlimmer zugerichtet als noch am Mittag. Ihre Kleider, einfache Bauerngewänder, sind blutig und zerrissen, und ihr Körper von Wunden übersäht. Zahlreiche kurze Schnitte hat man ihr zugefügt, allesamt tief und viele davon immer noch blutend; ein Auge ist zugeschwollen, ihre Lippen aufgeplatzt, und die wettergegerbte Haut weist Blutergüsse auf, fast so viele wie die übel tiefen Schnitte. Sie ist blass, ihre Augen sind geschlossen, der Knebel blutig vollgesogen, das Haar grob geschoren, noch kürzer und rücksichtsloser als bei Arin. Er sieht die Spuren der Schnitte auf ihrem nunmehr kahlen Haupt, presst wimmernd eine Hand vor den Mund. Was soll er tun? Er hat keine Ahnung, wie man jemandes Wunden versorgt, aber er sieht deutlich die Lache aus Blut, die sich unter ihr gebildet hat, die dünne Strohschicht hat keine Chance, das zu verbergen, schwimmt regelrecht im Körpersaft. Etwas drängt ihn vorwärts, er stellt die Kerze ab, zieht sein kleines, stumpfes Messer, um ihr wenigstens die Fesseln zu lösen. "Hab.. ha.. hab keine Angst.." stöhnt er angestrengt, doch sie erschreckt nur und fängt unartikuliert an zu schreien. Angst, Schmerz, aber auch Wahnsinn liegen in diesem Schrei, der für Arin klingt wie ein Geist, eine Banshee aus den Märchen seiner Kindheit, und er hält sich die Ohren zu, schreit einen Moment lang instinktiv mit, zwingt sich dann zur Ruhe und greift beherzt zu, muss mit dem Messer ganz schön arbeiten, um die dünnen Riemen, die sich in ihre Handgelenke gegraben haben, zu durchtrennen. Schweiß läuft ihm neuerlich in die Augen, er spürt, wie er zittert, das Geschrei lässt nicht nach, der Gestank überreizt seine Sinne, der Anblick des schreienden, blutigen Mädchens... Kurz, bevor er es geschafft hat, hört er Schritte, hastige, schwere und es ist ihm, als setze sein Herz aus. Eben noch rast es in seiner Brust, da scheint es auf zu hören zu schlagen, während ihm ein Amboss in den Magen zu fallen scheint. Die angelehnte Türe fliegt auf, ehe er noch mehr tun kann als sich herum zu drehen, und eine Gestalt kommt herein, überragt ihn drohend. Graf Morgis' Leibwächter, ein als brutal und abgebrüht geltender Mann, ein Veteran aus den Kriegen gegen diesen ketzerischen Fürsten - wobei Arin ja fast vermutet, es war eher für jenen - stürmt herein, starrt kurz verwirrt auf das Geschehen. Ein Schritt vor, er tritt dem Mädchen achtlos in die Seite und folgt dann dem Knaben, der aufgestanden ist und zur Wand zurück weicht. Das Mädchen verstummt mit einem Keuchen. Arin hält das lächerliche Messer zur Abwehr erhoben, starrt verstört auf den Mann, der ihn nun an geht und mit einem grausamen Lächeln zu schlägt, vorbei an der schwer dürftigen Deckung des Knaben, und schmettert ihm den Schädel mit spielerischer Leichtigkeit gegen den Stein der Kammer. Lichter explodieren hinter seinen Augen, sein Herz holpert einige Augenblicke in seiner Brust, dann verlöschen die Lichter ringsum und er stürzt in tiefe, beängstigende Schwärze. Arin stöhnte, rollte sich ruckartig zur Seite, Fyonn die Decke dabei klauend, wickelte sich darin ein und kippte vornüber aus dem Bett. Er schrie vor Schreck und dem belanglosen, unerwarteten Schmerz des Aufpralls, geriet in Panik, weil er sich dank der Decke kaum bewegen konnte. Es dauerte ein bisschen, bis ihn der Barde beruhigt bekam, viel länger, als ein einfaches, unsanftes Aufwachen rechtfertigen würde.
_________________ Inaktiv.
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