Eisig pfiff der Wind über die Zinnen und die letzten verbliebenden Verteidiger drängten sich in den Schutz der wenigen winstillen Ecken.
Die Sonne zeigte gerade ihre rötliches Erscheinen am Horizont und eine viel zu kurze Nacht neigte sich dem Ende zu.

Würden sie heute kommen? Würde heute das Warten endlich ein Ende haben? Würden die Verteidiger heute ihren letzten Sonnenaufgang erleben?

Langsamen Schrittes bahnte sich der junge Ritter seinen Weg über den Wehrgang. Ein kurzer Gruß, ein kleines Lächeln, Schulterklopfen. Die Augen der Männer zeigten Furcht, aber gleichzeitig auch Entschlossenheit und Kraft.

Schon eine Stunde bevor sich die Vorboten des Tages zeigten, hatte er sein Zimmer verlassen... vielleicht zum letzten mal... vielleicht...

Sich über die Zinnen beugen betrachtete er die ehrwürdigen starken Mauern der Burg. Die Burg die einmal die letzte Zuflucht sein sollte und nun so einsam dastand. Verlassen... nur von wenigen letzten gehalten, um noch etwas Zeit herauszuholen... dem Feind ein paar Minuten, ein paar Stunden zu entreißen, damit die Flüchtlinge eine größere Chance hatten.

Er wunderte sich. Sollten solche Zeiten nicht schwer fallen? Tot und Niederlagen bestimmten die letzten Wochen und nun drohte auch die stärkste Festung des Landes zu fallen. Aber irgendwie war sein Herz nicht schwermütig oder sein Mut verzagt. Drei Ritter und eine Hand voll treuer Soldaten waren noch da. Das unabwendbare Schicksal so lange hinauszu zögern wie nur möglich.
Das Erbe anzutreten was ihnen gegeben wart, ihren Eid zu erfüllen, zu versuchen, was nicht möglich war.

Langsam führten ihn die Schritte hinab und über den Hof, der noch in Dunkel gehüllt war.
"Aspin!" erscholl der Ruf und der junge Ritter nickt dem Großmeister zu, der mit festem entschlossenen Blick auf ihn zukam.

Talliostro war wie jeden Tag seit der Landung des Heeres früh aufgewesen, um den Status der Wachmannschaften, der Burg an sich und auch der Kundschafter zu prüfen. Jetzt, kurz vor der Mittagsstunde, nahm er seine erste karge Mahlzeit im Freien ein und resümierte das Gesehene. Die Burg war bereit, aber er hoffte, dass sich die Endgültigkeit des Kommenden noch aufschieben liesse, um auch dem letzten die Flucht nach Brandenstein zu ermöglichen. Für nichts anderes waren Aspin, Athos, eine Hundertschaft Soldaten und er im Schieferhorst geblieben. Talliostro wusste, dass sie im Ernstfall Wochen oder Monate ohne Entsatz auszuhalten hatten.
Er hatte die anderen Ritter unter Protesten dieser nach Brandenstein geschickt, um dort Präsenz zu zeigen und die Flüchtlinge unterzubringen, sowie die Armee zum zurückschlagen des Feindes zu organisieren. Leicht war es ihm wahrlich nicht gefallen, aber es war seine erste Entscheidung als Grossmeister gewesen. Schnell verdrängte er die düsteren Gedanken an den Abzug seiner Freunde und Kameraden und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt.
Prüfend schaute er sich im Hof um und ging zielstrebig auf Aspin zu. Der Zustand des Jungen gefiel ihm nicht, auch wenn er nach aussen hin scherzte und sich unterhielt. Wenn man ihm in die Augen sah, so konnte man einen Ernst und auch ein Abfinden mit der Endgültigkeit darin finden. Gepaart machte ihm das Sorgen.
"Aspin!", rief er herüber, als er langsam auf ihn zuging, "Wo ist Athos, ich denke, wir sollten uns nochmals unterhalten, bevor jeder seinen Posten bezieht und einen weiteren Tag mit herumstehen und frieren verbringt."