Etriska verblasste in den Nebeln des scheidenden Tages zu schmutzig grauen Schemen, als der Segler in scheinbarer Eile gen Siebenwind strebte. Das Linienschiff krängte stark auf seinem Amwind-Kurs und die lohfarbenen Segel zerrten unruhig knarzend an ihren Fesseln. Wütend aufpeitschende Gischt hatten das Vordeck zu einem ungemütlich feuchten Ort werden lassen, der jedes mal von Meerwasser überspült wurde, wenn der Steven des schlanken Schiffes in die weiss gekrönten Wellenberge hieb.
Die Passagiere an Bord - eine unbeschreibliche Mischung aus Rassen und Schicksalen - vertrieben sich die Zeit der so lange herbei gesehnten Überfahrt gen Siebenwind in stiller Unruhe auf das nahende Ziel. Vielleicht vollzogen die Orks unter Deck gerade ein Ritual, bei dem es um viel alkoholisches und noch mehr essbares ging? Vielleicht erzählten sich die Zwerge mit ernsten, andächtigen Gesichtern gegenseitig von ihren Bingen aus Stein? Vielleicht musterten die Elfen - natürlich etwas abseits stehend und unbeeindruckt ob des schwankenden, zitternden Decks - mit kühl distanziertem Blick das Treiben auf dem Segler?
Mit Sicherheit gab es auf dem Linienschiff, dessen eilige Fahrt fort von Etriska einer erleichterten Flucht ähneln mochte, ein Wesen, dem das bunte Chaos an Bord einerlei war. Die junge Frau - manche mochten gar noch das Mädchen in ihr sehen - stand in seltsam unpassend wirkender Gewandung aus Kettenringen und Leder breitbeinig auf dem Achterdeck des Seglers und blickte als einzige zurück. Gen Etriska. Ein einfaches, metallenes Schild lehnte an der hölzernen Reling vor ihr und von ihrem ledernen Waffengurt baumelte ein einfaches Schwert altmodischer Machart, das gar nicht so recht zu der Frau passen wollte.
Etriska war ein stinkender, lausiger Schmelztiegel ohne jegliche Ehre gewesen und sie hatte die Zeit dort gehasst. Nie war man alleine, nie war man sicher. Neugierige Augen im Dunkel; die widerlichen Lügen der Viere allgegenwärtig; Verrat und Maskerade allüberall; liederliches Gehabe und trunkenes Grölen der geistig Schwachen. Oh wie sehr hatte sie diese angamonverlassene Insel verachtet.
Und sie hatte die Einsamkeit verachtet. Die Isolation, die der Glaube brachte. So, wie der Oheim es sie stets mahnend gelehrt hatte. Den Worten des Oheims folgend hatte sie ihre Gesinnung sorgfältig verborgen gehalten vor den fiebrig gaffenden Augen der tugendlosen Welt. In steter Anspannung verharrend, stets schwankend zwischen dem Streben nach Anonymität und dem Sehnen nach der Andacht. Einige Male hatte sie sich in die klammen, düsteren Stollen der verlassenen Mine zurück gezogen, um dem Einen, dem Wahren zu huldigen. Und beinahe jedes mal hatte sie die Anbetung abbrechen müssen, als unsicher tappende Schritte vom Nahen neugierig gaffender Ungläubiger gekündet und sie aus ihrer meditativen Ruhe gezerrt hatten. Oh wie sehr sie dieses angamonverlassene Etriska verachtet hatte.
Und so, wie der Mangel an Schlaf ein Wesen auszehren mag, so hatte der Verzicht auf die regelmässigen Andachten sie immer schwächer und matter werden lassen. Immer flehender waren ihre Gebete geworden und nach vielen Tagen hatte bereits der klamm nagende Verdacht in ihr begonnen zu keimen, der Eine hätte sich von ihr abgewandt. Doch dann hatte er sie zu dem Schlächter geführt.
Der Schlächter war die völlige Antithese all dessen gewesen, was der Oheim sie jemals über den kompromisslosen Glauben an Ehre und Wahrheit und die Richtigkeit der Wege des Einen gelehrt hatte. Der Schlächter war nichts von alle dem. Er war unvorsichtig, grausam, lügnerisch, verschlagen, heimtückisch und von einer offenen Brutalität beseelt. Voll ungezügeltem Zorn und heiss brodelndem Hass.
Die Frau hatte bis auf ihren Oheim und zwei seiner engsten Vertrauten nie zuvor andere Angamon-Gläubige getroffen. Sie hatte ihren Glauben in der dunklen, stillen Abgeschiedenheit von des Oheims Hütte leben und erleben müssen. Sorgsam verborgen vor der hämisch grinsenden Fratze der verblendeten Vier-Götter-Welt die von hehren Taten faselten, nur um diese Worte mit jeder einzelnen ihrer Taten brutal zu schänden. Aber dann - ausgerechnet auf dieser jämmerlichen Insel - hatte sie einen getroffen, der ihren Glauben teilte. Und dieser eine war der völlige Widerspruch zu allem, was der Oheim sie gelehrt hatte.
Doch hinter all seiner brutalen Grausamkeit und seinem ständigen Tanz am Rande des Vulkans konnte ein angamongläubiges Auge doch nicht leugnen, dass diese ungezügelte Leidenschaft des Schlächters überquoll von endloser Hingabe an den Einen. Er schien ihr wie die zerstörerische Kraft der reissenden Flüsse, wenn die Schneeschmelze in den Bergen einsetzte. Zornig und voller Wut, ungebändigt und ohne Werte rissen sie alles mit sich mit auf ihrem Weg zum Ziel. Nur einem Zweck dienend. Nur einem Ziel folgend. Jedes Mittel nutzend.
Die Wege ihres Lebens hatten sie zu Interpretationen des Angamon-Glaubens werden lassen, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Und doch waren sie sich ähnlich. In einem brodelnden Ozean aus niederträchtigen Lügen und dem kalten Verrat der Viere waren sie die Insel des wahren, des einzigen Glaubens. Und dieser Aspekt verband sie. So wie ihr Schwur.
Wie sterbender Rauch versanken die fahlgrauen Schemen Etriskas im Zwielicht des erwachenden Dunkels, als ein schlankes Linienschiff mit lohfarbenen Segeln gen Siebenwind jagte.
Zuletzt geändert von Akris: 13.02.03, 15:47, insgesamt 1-mal geändert.
|