Ich mochte diese Stadt. Das kalte Gestein, die stete Dunkelheit und eine nahezu unendliche Leere zwischen dem Boden und dem Himmel aus Fels. Wie oft sah ich schon zu diesem finstren Himmel auf, an welchem man nie die Monde oder Sterne erblicken konnte. Der Gedanke, dass das Licht Felas die friedliche Nacht hier verletzen könnte, war mir schon abartig. So abartig, feine, seidene und hell leuchtende Gewänder zu tragen, wo doch das Schlichte und Übersehbare hier das Schöne darstellte.
Die Luft war dünn und Asche lag trächtig in ihr, jedoch war jeder Atemzug Genuss als hätte ich aus dem bloßen Halten in meiner Lunge Kraft schöpfen können.
Ich weiß nicht mehr wie lang ich schon an ihrem Bett gestanden hatte als ich mit meiner rechten Hand nach ihrem Kleid griff, aber es nicht wagen wollte, sie zu berühren und sie aus ihrem unschuldsvollen Schlaf zu reißen.
Kummer überkam mich als ich sah wie die Kälte nach ihrem Herzen griff und sie wider meinem Willen vom Bett hochriss, doch nach all der Zeit war es leicht, den Kummer beiseite zu schieben wie einen Vorhang, der einem am Vorangehen hindern würde.
„Folgt mir...“ waren meine Worte und obwohl ich mich sogleich abwandte, drehte ich mich leicht nach ihr um als ich ihr einige Schritte voraus war. Woher kamen diese Zweifel? Sie folgte und gab mir keine Gründe, um mich von dieser vielleicht trivialen Frage plagen zu lassen. Ihre Schritte auf dem Jahrtausende alten Platz glichen den vorsichtig geübten Schritten eines Rehkitzes, das in die Welt geboren wurde und das war sie auch, nur als Kind der Dunkelheit, als ein Kind Zorals.
Gemeinsam erstarrten unsere Leiber und hörten unsere Herzen auf zu schlagen als wir durch das Portal schritten und umso erquickender war es als der Hauch des kleinen Todes von uns abließ und wir unter dem fahlem Winterlicht unter den Lebenden weilten. Ich blickte nochmals zurück. Zoral, eine Stadt der Todgeweihten? Ja, das war sie. Zoral war das Grab meiner Seele, die ich in den Tiefen unter dem Nordmeer verloren hatte und nie wieder finden würde... und es auch nicht mehr wollte.
Als ich mich wieder zu ihr umdrehte und ihr in die Augen blickte, konnte ich mich an ihrem kindlichen Trotz kaum satt sehen. Sie wollte tatsächlich so werden wie wir... wie ich? Sie war naiv, zu erkennen was es bedeutete, diesen Weg zu beschreiten, denn ein viel zu leidvoller Weg würde es werden und nur kaum Trost gäbe es für die Entbehrungen, die sie noch eingehen müsste.
Den Blick von ihr nehmend, bat ich sie leise, zu bleiben und zu warten. Ich wäre gleich zurück und so verschwand ich in Richtung der dunklen Feste, die sich wie ein Stachel aus der Insel zum Himmel hervor streckte als wollte sie allein durch ihren Anblick, den sie bot, die Himmelsfestungen verspotten.
Den beiden Wächtern vor dem Brückentor nickte ich, wie es sich geziemte, leicht zu und waren sie es auch wert, dass sie meine Bewunderung in meinen Augen hätten heraus lesen können, wenn sie mich denn nur angesehen hätten.
Es waren nur wenige Handgriffe und leise Schritte innerhalb der heimischen Mauern bis ich endlich das in den Händen hielt, weshalb ich dort hingegangen war. Es war die alte Axt... die mit welcher ein Tardukai einst in seiner Heimat blutige Rache nahm. Mittlerweile war aber auch dieser Tardukai tot wie auch viele anderen. Als ich nach der Axt griff, überkam mich ein leichtes Erstaunen. Vollkommen schwarz war sie geworden und hatte man den Eindruck, der Schaft sei in dem Schatten des Ganzen eingebunden. Ich ergriff den Schaft beidhändig und sobald meine Hände den wider Erwarten warmen Schaft berührten, war es so als würde der an ihrem ruhende Schatten aus einem Schlaf erwachen und umgarnte spielerisch meine Handrücken. Ich sah auf... ich müsste nun zu ihr. Ich wollte sie prüfen.
So bemüht leise wie ich die Feste betrat, verließ ich sie auch wieder. Die Einzelheiten waren nichtig, weshalb ich mich wohl nicht mehr erinnern kann.
Ungewöhnlicherweise hatte ich nicht bemerkt wie schnell es doch Nacht wurde und ebenso überrascht sah sie mich, die Axt quer vor mich haltend, an. Meine dunklen Kleider ließen selbst mir nicht zu, meine Bewegungen mit meinen Augen folgen zu können. Ich liebte diese Axt. Sie schien wehmütig eine einst vergessene Geschichte zu erzählen... die Waffe in meinen Händen klagte über die Leben, die ihr zum Opfer fielen. Sie sprach in ihrer Naivität viele Worte. Sie würde mich niemals angreifen wollen... ich kann mich nun tatsächlich nicht mehr daran erinnern, warum sie es nicht wollte, jedoch genügte es, mich zu befriedigen und obwohl sie schon bestanden hatte, wollte ich einen Kampf, in dem wir unsere Kräfte messen sollten. Ich wollte sie aber nur verletzen. Ich wollte sehen, wie die Klinge ihre zarte, helle Haut aufschnitt und das Blut peitschend aus den Wunden drang. Nach drei Schnitten in ihr Fleisch lag sie am Boden. Ich betrachtete eine Weile ihr Blut, das an der dunklen Axt langsam ab rinn, ehe ich die Axt auf den gefrorenen Boden ablegte. Leicht kniete ich vor ihr nieder und berührte sie nun zum zweitem Male nach dem Kuss in den Gassen Brandensteins. Obwohl ich sie wenige Augenblicke zuvor fast getötet hatte, strich ich mit der rechten Handfläche über die kalte, zarte Haut, auf der ihr warmes Blut haftete. Wie gern hätte ich doch von ihren Wunden getrunken, ihren Schoß berührt... wie gern hätte ich ihre Schmerzen gelindert, aber ich konnte einfach nicht, ich durfte nicht.
Mit blieb nur, ihren linken Handrücken zu ergreifen und mit dem Dolch den Namen eines Toten hineinzuritzen. Sie war nun mein und würde unter meiner Obhut aufwachsen. Sie würde so werden wie ich.
Später trauerte ich um sie.
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