Aus "Morsans Schlaf"
Abschied
„Secora Scidae, erzähle eine wundervolle Geschichte...“
Leise fuhr sie herum, der Wind wehte das schwarze wirre Haar, das aus dem langen Zopf ausgeglitten war, in das blasse Gesicht. Salzig schmeckte die Luft, und eisig und trocken war sie. Wellen schlugen gegen die Blanken am Hafenbecken und fielen mit plätschernden Lauten zurück.
„Wundervolle Geschichten erwachen nicht, wenn alles unter dem kalten Schnee begraben liegt, wenn mehr tapfere Krieger die Hallen Morsans betreten als die der Tempel und die Vögel in den Wäldern ihre Melodien verloren haben.“
Gekrümmt, gebeugt, dennoch nicht am Ende seines Lebens, legte der alte Mann beide Hände um den knorrigen Stab, dessen Ende sich in eigenwillig gerundeter Form über sein ergrautes Haupt neigte. Er sah hinaus auf das offene Meer und nickte sacht zu ihren Worten.
„Wohl wahr, Eichhörnchen, wenig Hoffnung und Freude spüre ich, nicht nur unter dem Volke der Menschen. Aber wenn niemand mehr wundervolle Geschichten zu erzählen hat... wie hoch soll dieser kalte Schnee fallen, mein Kind? Bis auch das letzte unter ihm ersticket ist?“
Sie hob den Kopf nicht an zu ihm und ihre hellen Augen folgten ihm hinaus wo die Wellen mit dem Horizont im Nebel verschmolzen.
„Ich weiss es nicht... und wenn ich nachdenke, so habe ich niemals Antworten auf Eure Fragen finden können...“
Er wendete den Kopf nur leicht, blieb tief in die Kapuze des gefütterten Umhanges gehüllt. Sanft ruhten die Augen auf der jungen Frau, wohlmeinend und zugetan.
„Dein Weg war lang, Secora, doch eines hast du nie verloren...“
Ein heimliches Schmunzeln unterbrach kurz seine Worte.
„Wenig stark und wenig klug, das sagst du noch heute von dir.“
Sie blinzelte unruhig und war doch gezwungen, still zu lächeln. Warm gekleidet sass sie auf der steinernen Mauer, das zertrümmerte Bein in Felle gewickelt und gebunden, dass die Kälte es nicht sterben liess. Viel zu weit fiel die dunkle Robe über den schmächtigen Leib.
„Ich war feige, und nur das rettete mir so oft das Leben. Haltet Ihr Furcht für ehrenhaft?“
Er hob die buschigen Brauen und nahm den Blick wieder von ihr, um gedankenvoll in die Ferne zuschweifen.
Still wurde es zwischen ihnen, ruhig weilten sie am Hafen von Brandenstein und noch immer rieselte der Schnee aus angefüllten Wolkendecken.
„Ich werde dich vermissen, Eichhörnchen...,“ murmelte der Greis tonlos in den langen Bart hinein, fast so, als hoffte er, es würde ihr entgehen.
Doch sie vernahm die Worte, das kurze Flimmern ihrer Lider verriet, dass es sie traf in ihren Tiefen.
„Es wird mir gut gehen, denn ich kehre heim,“ antwortete sie mit ebenso wenig Klang in der dünnen Stimme.
„Was machen die Schmerzen Secora Scidae?“
„Ich spüre sie nicht mehr...“
Langsam beugte sie den schmalen Oberkörper und schob ein heruntergeklapptes Stück Fell unter die Schnüre am unbeweglichen Bein zurück.
„Das ist nicht gut... nicht gut ist es...“ murmelte der Alte besorgt vor sich her und die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich.
„Ich kann es nicht verlieren, es ist unmöglich,“ sagte sie gequält.
Ihre hellen Augen wollten ermunternd zu ihm auflachen und doch zog sich ein feuchter Schimmer in ihnen zusammen.
„Welches Menschenkind kletterte je flinker den Baum hinauf als ich?“
„Du wirst nicht mehr auf Bäume klettern...“
Er wandte sich ihr zu, indem er den gebrechlichen Körper auf den Stab gestützt langsam herumdrehte.
Sie hob den Kopf an, noch immer mit dem selben alten Stolz und dem leichten Trotz, der über den jungen Zügen lauerte.
„In der Heimat wird man dich deinem Mann geben und du wirst ihm folgen wohin immer sein Schwert ihn führen mag.“
Mit ernster, mahnender Stimme sprach er es, doch selbst das konnte die Nachsicht nicht aus seinem Gesichte wischen.
Sie war nicht widerstrebig, weder trotzig noch aufgebracht. Was sie tat war zum ersten mal an diesem frühen Tage zu lächeln, wie sie es nur in Gedanken an den einen vollführen, zu lächeln, dass es Morsans Sonne jeden Triumph nahm.
Er musterte sie und grollte unverständlich in den lichten Bart hinein, bevor er die Augen gen Himmel drehte und nachgebend das Haupt schüttelte.
„Selbst ein alter Mann wie ich hat noch immer Fragen, mein Kind, die er nicht beantworten kann. Und wen soll es sonst geben, ausser den Göttern, die sie beantworten könnten?"
Er machte eine gedankenvolle Pause ehe er fortfuhr.
"Als du vom Schiff sprangst, damals am Hafen von Tiefenbach, als man die Stadt noch die Stadt der Blumen nannte und sie mehr hervorbrachte als vier Behausungen, drei Schäflein und einen vergessenen Säufer, nahm Furcht dir jedes Wort und du folgtest Askan dem Treuen in die Wälder. Als du wieder auftauchtest, erkannte ich dich nur in Momenten wieder, in denen du Früchte von den Bäumen stahlst oder dir das Knie an der Steintreppe der Markthalle aufschlugst und heultest wie ein kleiner Mädchen...“
Liebevoller Spott schwankte in seinen Erinnerungen, er sah sie nicht an, als er sprach.
„Welcher verdammte Narr kam auf die Idee, dich in dieses Amt zu erheben?“
Sie kicherte leise, doch sie war nicht wirklich frei von Sorge.
„Es gab Zeiten, in denen ich fast vergessen habe, wie mein eigenes Lachen klingt. Ihr würdet solchen Hohn nicht wagen, wenn Ihr auch das Leid gesehen hättet.“
Traurig und schwach sank das schwarze Köpfchen hernieder und die junge, zerbrechliche Frau richtete die hellen Augen kummervoll auf die umspülten Blanken unter ihrem baumelnden gesunden Bein.
„Lass den alten Mann nur reden, Eichhörnchen, du weißt, er meint es nicht boshaft,“ lächelte er ihr milde zu.
„Ich weiss, wie er es meint, und bei Rien, ich werde es missen...“
Ihr immer wacher Blick, klar wie die Quellen an den kargen Felsen, wanderte vom Meer ab zu den leeren Ankerplätzen, über die Häuser aus Stein und Gebälk und weiter zu den aufgeknüpften Netzen der Fischer an denen Eiszapfen in der frühen Sonne schillerten.
„Ich werde selbst diesen verfluchten Hafen missen, oh, Ihr wisst, ich habe Brandenstein immer gemieden, doch selbst das...“
Sie brach ab, als ihre Stimme jede Festigkeit verlor.
„Was soll man sagen, wenn man nicht weiss, ob ein Schiff je wieder kehrt?“ flüsterte sie betreten, „Wenn man nichts versprechen und zugeben muss, dass das Ziel vergessen lassen kann. Ich werde nicht vergessen, nicht das Krächzen der Raben am Morgen auf den Dächern in Tiefenbach, wenn ich die Augen aufschlug und mir der würzigen Duft von Gerids guter Kost in die Nase stieg."
„Und an jedem neuen Tag sprangst du barfuss die Stufen hinab, um die Stadt auf neue zu begrüssen,“ führte der Alte leise aus, als sie schwieg, „Viento frass in Gerids Blumenbeeten, hinter der Marmorbank lag ein grauer Wolf im wilden Gras, wohl kein einziger Zahn mehr im Maule und hässlich wie ein verrotteter Orkenpelz, nur ein faules Knurren kam aus der Kehle, trat man ihm zu nahe... Du liebtest diesen alten Wolf, genau wie jeden Stein, der noch am Platze lag und jeden Baum, der aus der Erde wuchs. Die gute Gerid jagte dich ins Haus zurück und verlor niemals die Geduld Dank Morsans Lehre.“
Seine heiteren Worte entlockten ihr ein inniges Lachen und in ihren Augen begannen die Erinnerungen aufzuglimmen.
„Ich lief zurück auf mein Zimmer und warf das Kleid aus tannengrünem Samt über den Kopf. Und dann sprang ich auf die Holzbank am Fenster, Arudil hatte sie gezimmert, und sah hinaus zum Westtor, ob Blitzregens schneeweisses Fell endlich zwischen den Tannen aufleuchtete.“
„Der Sire kam immer durch das Westtor und immer hob er schon am Pfeiler der Brücke die Hand, um zum Fenster hinauf zu winken...“
Ein tiefer Seufzer begleitete die Schilderung des alten Mannes.
"Viele wundervolle Geschichten habe ich Euch erzählt..." sagte sie schwermütig.
„Nein Secora, eine wundervolle Geschichte fehlt noch und das ist deine eigene, die noch nicht zuende erzählt wurde.“
Sie sahen einander an, eine ganze lange Weile, und es war ein stummes Versprechen zwischen ihnen, das ihre Wege zurück führen würden.
„Was ist mit den Kisten dort drüben, Sire?“ ertönte die knarrende Stimme eines Seemannes hinter den Mauern.
„Aufs Schiff, aufs Schiff, und eile er sich, wir liegen zu weit zurück in der Zeit und das nur, weil dieses...“
Den letzten Teil des Satzes schluckte der junge Herr herunter, der aufrecht über die Holzbohlen trat, vorwurfsvoll warf er einen Blick zurück auf den alten, missgestalteten Wolf, der ihm widerwillig folgte. Tiefblau und vom edlen Tuche waren die Gewänder, die er trug. Schon glitten die braunen, sanften Augen vom Wolfe ab und suchten nahe dem Hafenbecken.
Secora warf sich herum, obgleich das verletzte Bein ihr nicht viel Bewegungsfreiheit liess.
Vor dem Fenster mit den vielen Streben zwischen den verlassenen Häusern stand er. Das Morgenlicht fiel brechend auf die Scheiben, Eisblumen hatten sich dort in kunstvollen Gebilden verschlungen. Die Umrisse seiner Gestallt zeichneten sich gross und kräftig vor der weissgetünchten Wand ab, kaum regend oder ein Geräusch hervorbringend, doch seine Silhouette verriet ihr, dass er noch immer die kalte, harte Rüstung unter dem Tuche trug. Die Farbe seines kurzen wirren Haares erinnerte sie jedes Mal an die wilden Kornfelder an den Hängen von Adoran, sein ruhiges, liebevolles Wesen an etwas das sie nie zuvor gekannt hatte und trotzdem in sich trug. Seine Augen... Wenn sie sich erinnerte, so hatten sie ihr niemals gezürnt, niemals gespottet oder sich in ihrer Gegenwart verfinstert. Von warmen Braun waren sie und versuchten voller Güte ihren Blick zufangen. Narben zeichneten sich auf seiner Haut, Narben die sie nicht sah, weil sie sie nicht sehen wollte oder Liebe sie vor ihr verbarg.
Leise trat er Schritt für Schritt durch den Schnee heran, er hatte seinen Kopf angehoben und sah ihr entgegen. Es lag eine Ruhe und Milde um ihn, die jeden dunklen Gedanken, jede schreckliche Erinnerung und die quälenden Laute der Schlachtfelder verbannten. Sie nahm seinen vertrauten Geruch war, durchdrungen von dem des Leders und des Stahls an seinem Körper. Er griff in ihr schwarzes, feuchtes Haar und drückte sie sanft an sich. Sie legte die Stirn an das Metal über seinem Brustkorb und verharrte mit ernsten Zügen. Sie wollte nur dort bei ihm sein und spüren dass er da war, dass er bei ihr war, mit allen seinen Sinnen und was ihn je ausgemacht hatte. Tief hinter dem Panzer konnte sie sein Herz schlagen hören, sie sah und fühlte, dass er lebte und für wenige Augenblicke schien sie unverwundbar und vor allem Übel geschützt zu sein. Seine Arme umfassten sie zärtlich und doch fest genug um ihr Halt zu geben. Sie hob den Blick zu ihm an und erwiderte voller Vertrauen sein freundliches Lächeln. Solange er bei ihr war, konnte nichts sie ängstigen, bedrohen oder verzweifeln lassen.
„Verzeih mir, Secora.“
Liebevoll klang die tiefe Stimme, als er zu ihr hinab sprach. Seine Augen glänzten und schienen wie verzaubert auf ihrem Gesicht zu liegen.
„Solange ich dieses eigensinnige Vieh kenne, solange schon ignoriert es jedes Wort, das ich zu ihm spreche.“
Nur flüchtig beachtete sie den Wolf, der geduckt seiner Spur nach lief, um sofort wieder zu ihm hinauf zublicken.
Der alte Mann schauderte leicht unter den wallenden Hüllen und wandte sich höflich ab, um langsam und still von ihnen zurück zu treten.
„Jene Heilerin, sie hat mir einen Herrn gesandt, der uns begleiten wird und sich deiner Verletzung annimmt,“ fuhr der Sire ruhig fort und löste eine verhüllte Hand von ihr, um besorgt und prüfend über das Fell an ihrem Beine zu tasten.
„Wohl mögen die Schmerzen unerträglich für dich sein, wie kann ich sie nur mildern...“
„Curio...weisst du...ich..."
Sie stammelte hilflos und ihre schmalen Hände fuhren rasch hinauf, um sich sacht an seine Schultern zu legen. Er lächelte geduldig und ruhig.
"Ich bin so schnell zurück geeilt wie ich konnte, aber die Wege sind verschneit, Tore verschlossen..."
Sie antwortete mit dünner Stimme.
„Ich habe zum ersten mal in meinem Leben... den Glaube an die Götter verloren.“
„Nein Secora, lasse nicht zu, dass Glaube und Hoffnung stirbt, denn wenn ich es nicht mehr in deinen Augen finde, habe ich keinen Grund mehr hinauszuziehen und zu kämpfen... Wenn es keinen Glaube oder die Hoffnung mehr gibt, haben wir den Sinn dieses Kampfes verloren.“
"Ich bin so unfähig mich zu bewegen, jede Selbstständigkeit wurde mir genommen... Jeder Gedanke war bei dir und deine Abwesenheit ist ein langes, unerträgliches Warten."
Sein Lächeln wurde breiter und seine braunen Augen strahlten sie so klar und offen an, dass es in ihrer Brust stach.
"Noch einmal zurückzureiten wäre zu belastend für das Bein gewesen..."
Wieder schlang er beide Arme fest um ihren schmalen, zerbrechlichen Leib, so wie er versprochen hatte, es sein Leben lang zu tun.
"Es wird...wieder gut, nicht wahr, wenn ich Geduld zeige," sagte sie zaghaft.
Eine Weile versanken sie im entbrannten Blick des anderen und hielten einander ohne jedes Gespür für Zeit. Sie senkte ihren Kopf und es schien ihr unmöglich, seinen massiven Leib so zu umfassen, wie sie es gewollt hätte. Um ihm zu folgen, wohin auch immer sein Schwert ihn führte...
"Denke nicht mehr zurück, Eichhörnchen," flüsterte er in ihr Haar hinein, "ich bin hier und nichts könnte mich je wieder von dir loseisen"
Ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle, das sie zu unterdrücken versucht hatte. Es war ihr nicht gelungen und sie wusste, dass er ihr leichtes Zittern unter seinen Händen spürte. Erschrocken nahm er seine Wange von ihrem Haupt und sah auf sie hinab.
"Habe ich...habe ich falsche Worte gewählt? Die Götter mögen mich strafen, sollte ich dich je verletzt haben," sprach er hastig und sorgevoll.
Sie bewegte an seiner Schulter den Kopf, doch wagte nicht unter Tränen hinauf zu sehen.
"N..nein, nicht doch..."
Nur schwervernehmlich und wankend kam es aus ihr heraus.
"Das ist nur Liebe, weiter nichts..."
Er schob fragend seine rechte Braue hinauf, wie er es immer tat und wiederholte mit leisem Tadel ihre Worte.
"Nur Liebe, weiter nichts...hm?"
Sie konnte sein zärtliches Lächeln nicht sehen und nickte abermals. Er schmunzelte eine Spur amüsiert und schob die Hand in ihren Nacken.
"Ahm...Secora?"
Sie antwortet ihm nicht und eine Träne tropfte von ihrem zarten Kinn auf seinen mattglänzenden Schulterschutz.
Hörbar atmete er die Luft ein, die ihren Duft trug und seufzte leise, bevor er sie einfach nur still in den Armen hielt.
Sie wollte nicht mehr reden, nicht mehr weinen, die schrecklichen Tage waren wie eine Ewigkeit an ihr vorüber geschlichen. Liebevoll glitt seine Hand dann über ihr wirres Haar.
"Wir werden heim kehren," flüsterte er leise, "und irgendwann all das vergessen..."
Langsam hob sie den Kopf an und löste sich von ihm, um die Tränen durch ein erleichtertes Lächeln versiegen zu lassen.
Er trat von ihr fort, um die schwere Rüstung zu richten, die trotz der Kampfspuren und Schrammen fahl glänzte. Sie hörte das leise Klirren unter seinen gemächlichen Bewegungen, ruhevoll und doch bestimmt. Sie wandte sich ab und sah hinüber zu dem Alten, der schweigend wartete. Sie lächelte besinnlich und Sanftmut nahm die Ernsthaftigkeit von den jungen Zügen, die sie so oft erschreckend altern liess.
Würden die Götter vergeben, wenn man für Momente den Krieg und das Grauen vergass, die Sorge und die Last, die niederdrückte und zermürbte?
Sir Curio klopft die blaue Tunika mit den flachen Händen ab, sie sass eng über dem gerüsteten Körper des kräftigen Mannes.
Die weiten Ärmel der dunklen Robe, die sie einhüllte, entblößten leicht die schmalen weissen Arme und den tannengrünen Samt, als sie sie hob, um ihm mit sachten Berührungen das Tuch gerade zu zupfen.
Liebevoll lag sein lachender Blick auf ihr, doch sie erwiderte ihn nicht, als sie leise zu sprechen begann.
„Taikan ist noch nicht da, ich mache mir Sorgen.“
Er lachte entspannt auf.
„Sorge um deinen Bruder? Er wird entweder bei der einen oder der anderen sein.“
Sie warf einen kecken Blick durch die langen dunklen Wimpern zu ihm hinauf. Ihre Ernsthaftigkeit verlor sich gänzlich in seinem friedvollen, beseligten Wesen und sie kicherte ungezwungen.
„Du hast wohl recht,“ gab sie zu, „Taikan ist unergründlich.“
„Ich versuchte, einen Magier aufzutreiben, um dich von dem Schmerz zu erlösen...“
Ein Seufzen begleitete seine Worte. Er unterbrach einen Moment und hielt nachdenklich ihren aufmerksamen Blick fest, bevor er überzeugt fortführte:
„Du wirst wieder laufen können, du bist noch immer wieder aufgestanden. Und s-lange werde ich dich tragen, wohin immer die Dame wünscht.“
Verlegen flimmerten ihre Lider und ein blassroter Schimmer tönte die eingefallenen Wangen.
„Wir sind wohl beide jung und töricht... Ich hätte besser hören sollen.“
Sie hielt erwägend ein, und kaum sichtbar erschien ein verschlagenes Lächeln auf ihren farblosen Lippen.
„Hmmm...“
Hastig schüttelte er den Kopf und sprach mit leichtem Spott zu ihr:
„Ich hätte wissen müssen, dass du trotzdem reiten würdest. Du hast noch nie auf das gehört, was ich dir sage, genau wie Askan.“
Wieder blinzelte sie beschämt, während sein herzliches Lachen erschallte.
Ihre schlanken Hände glitten weiter und legten sich um seinen Nacken, als sie ihn an sich presste und sich zu ihm hinauf reckte, um nahe an seinem Ohr zu flüstern.
„Ich hätte fürwahr nie die Wälder verlassen ohne dich.“
Seine Arme von Stahl umhüllt legten sich schützend und behutsam um ihren Rumpf, der sich zerbrechlich an ihn schmieg.
„Wenn du sie nicht verlassen hättest, wäre ich eben in die Wälder gekommen.“
Sie hielt inne und der Glanz in ihren hellen Augen verriet, dass sie seinen Worten bedingungslos Glaube schenkte. Sie dachte nach und war zu einem Lachen gezwungen.
„Du und die Wälder... Curio, verzeih. Ich erinnere mich nur an das Feuer, als du...ahm...“
Wieder kicherte sie an seiner Schulter. Er schmunzelte erheitert und erwiderte:
„Oh all diese Bürden und Hindernisse wären mir einerlei, obgleich ich in diesen Dingen...nunja vielleicht... ungeschickt bin?“
Ihre reinen Augen lagen auf seinem heiteren Gesicht, eine Verbindung aus Trost, Ausgelassenheit und Erstaunen leuchtete in ihnen empor.
„Es hat sich so viel verändert seit dem,“ murmelte sie und zog die fein geschwungenen Brauen zusammen, „Nicht nur die Städte und all das. Manchmal erkenne ich mich selbst nicht wieder.“
Sein Lächeln verschwand, als er den Kopf neigte und das Kinn an ihr wirres Haar legte. Sie spürte wohl, dass er wusste, ihre Gedanken glitten ab, führten zurück zu den Sorgen und Ängsten. In ihrer Welt gab es keine Schelmereien, jedes Lachen wurde von den Pflichten und Lasten verdrängt. Er presste seine Lippen leicht aufeinander und schwieg einen Moment ehe er zu fragen wagte.
„Wie... wie meinst du das?“
Unruhig bewegten sich ihre Wimpern und sie äugte hinauf zu ihm.
„Ich meine...hm...du bist betrübt, dass wir fort müssen?“ fuhr er vorsichtig fort.
„Nein,“ gab sie mit Festigkeit zurück, „ich bin nicht betrübt, solange du bei mir bist...“
Sie brach ab und wich für Sekunden nur seinem fragenden Blick aus. Seine Arme legten sich fester um ihren Rumpf und zogen sie an sich.
„Es ist nur,“ begann sie zögerlich.
„Mhmm... Secora?“
„Ich werde die Raben nicht mehr hören, wenn ich aufwache, ich kann den Duft von Gerids Speisen nicht vernehmen, und wenn ich aus dem Fenster sehe, werden es nicht mehr die Baumkronen des Finsterwaldes sein, die ich sehe.“
„Erinnerst du dich an die Wälder von Adoran?“
Er sprach ruhig zu ihr und das milde Lächeln kehrte auf seine gelösten Züge zurück. Erstaunt warf sie den Kopf auf und er war gezwungen, sein Kinn von ihrem Haupt zu nehmen.
„Adoran... wie sollte ich je vergessen.“
„Ich ahm... kann nicht erwarten, sie zu sehen, wohl um so vieles schöner müssen sie sein, wenn du sie in dir trägst und ich werde...“
Immer langsamer wurden seine Worte, bis er ganz verstummte. Seine Stimme schien ihm zu versagen als er in ihre strahlenden Augen sah. Abermals streckte sie den schmächtigen kleine Leib hinauf und presste ihn fest an sich, die schwachen Arme dicht um seinen Nacken geschlungen. Er neigte sich behutsam herab, um sie zu halten.
„Ich werde nicht vergessen,“ wisperte sie und erneut wollten Tränen ihr den Hals zuschnüren, „Aber meine Heimat liegt auf der anderen Seite des Meeres und ich habe versprochen dich zu begleiten, wenn du nach Dragonis musst.“
Er nickte vorsichtig, soweit es ihre Nähe zuliess.
Sie schluckte schwer und hob tapfer den Kopf wieder auf.
„Wir werden ihm Lebewohl sagen müssen.“
Sie sahen beide hinüber zum alten Mann, der abseits verharrte und tiefen Gedanken nachzugehen schien.
„Und wir müssen aufbrechen, Secora,“ raunte Sir Curio ihr zu und war schon dabei den linken Arm unter ihre Knie zu schieben, um sie von der Mauer aufzuheben, „du wirst mir hier einschneien und wer versorgt mich dann mit diesen herrlich angebrannten Fleischspiessen?“
„Sire, so lasst mich noch eine Geschichte hören, nur eine einzige... so vieles, das ich bislang versäumte...“
Flehend richtete der alte Mann den Blick auf den jungen Ritter, als er wenige Schritte von ihnen herumfuhr.
„Ich möchte auch Geschichten hören, guter Mann,“ sagte der Sire gelassen, „Geschichten von Adoran, den Wäldern in denen der Smarog lebt und Tycos meisterhafte Königsvögel...“
Getrost schlang er den rechten Arm um ihren Rumpf und hob sie mühelos auf, um ihr die Leiden zu erleichtern.
„Sir Curio, gegen Euch komme ich wohl nicht an, doch versprecht mir eines,“ fuhr der Alte friedfertig fort, „bringt sie zurück, werdet Ihr das tun?“
Der junge Herr fuhr schwungvoll herum und sie warf eilig die Arme auf, um sich an seine Schultern zu klammern.
Er betrachtete abwägend das wettergegerbte Gesicht des Mannes, bevor das knabenhafte Lächeln auf seine sorglosen Züge zurückkehrte.
„Ich verspreche Euch, ich werde sie zurück bringen, jedoch nur als die meine.“
Sanft presste er sie auf seinen Armen enger an seine Brust und schient dennoch bedacht auf den zerschlagenen Knochen.
„Vitama möge Euch begleiten und dorthin führen, was immer die Götter für Euch vorsahen,“ war das letzte, das der Alte sprach, dann neigte er sein schweres Haupt unter der Kapuze der Robe, bis der Schatten es bedeckte und suchte seinen Weg stumm durch den hohen Schnee.
„So wartet doch...“
Secora starrte ihm nach, unfähig von den haltenden Armen zu gleiten und ihm nachzueilen, wie sich der Wunsch in ihrer Miene widerspiegelte.
„Lass ihn gehen, wir werden zurück kehren, eines Tages... und dann wirst du die Geschichte zu Ende erzählen.“
Vorsichtig pustete der Sire eine verirrte, schwarze Strähne aus ihrer Stirn zurück.
„Von Adoran?“
Sie strich zärtlich über seine Schläfe.
„Von Adoran und deinen Wäldern, von den Orten an denen Taikan dich lehrte, den Falken zu zähmen. Ich werde dorthin mit dir gehen, so oft erzähltest du, dass ich glaube, Adoran stets gekannt zu haben. Und dann werde ich Tycos dem Falkner seine einzigen Tochter nehmen.“
Lächelnd küsste er ihre Stirn und trug sie vorsichtig hinüber zur Blanke, die zum einzigen Schiff im Hafen hinauf führte, das bedenklich in den Wogen schwang.
„Dann bring mich nach Adoran, und wenn Rien die Wälder zu neuem Leben erweckt, trägt ein Schiff uns zurück, denn sonst würde ich beginnen dir in Adoran Geschichten von der Heimat Siebenwind zu erzählen.“
Leise aufatmend und mit dem gewohnten Leuchten in den Augen legt sie den Kopf vertrauensvoll an seiner Schulter ab und sah ohne Furcht hinauf zu den straffen Segeln des grossen Zweimästers. Ventus und Xan, sie würden sie beschützen auf der langen Seereise und in die Heimat bringen.
Askan der Treue drehte sich noch einmal müde um und hob den Fang den fernen Wäldern zu. Nur die Wipfel der höchsten Tannen ragten hinter der mächtigen Stadtmauer hervor. Für den Moment noch nahm er die Witterung des Alten auf, dann knurrte er leise und setzte ohne zu zögern die rissige Pfote auf das eisglatte Holz, um Curio und Secora zu folgen.
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