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 Betreff des Beitrags: Heilung und Opfer
BeitragVerfasst: 8.07.03, 13:27 
Ehrenbürger
Ehrenbürger

Registriert: 19.08.02, 23:21
Beiträge: 661
Wispernd hallten die leisen Schritte der Sakai an den kahlen Wänden des Gewölbes wider, als sie langsam auf den kleinen Platz zuschritt. Es herrschte Dunkelheit hier, nur vereinzelt spendeten ein paar Kohlebecken ein düsterrotes, flackerndes Licht. In den Schatten, die es warf, konnte alles verschwinden.
Der kleine Platz am Rande des Gewölbes war von erloschenen Kerzen umrahmt. Im Licht hätte man ihre eigenartige Farbe erkannt, gelblich und ein Stich von Rot. Wenn sie brannten, flackerte und blakte ihr Licht, das talgige Wachs stank: Kerzen aus sterbendem Leben gepresst und gegossen, in ihrem Makel reiner als vieles andere, das letzte Geschenk sterbender Menschen.

Inmitten der erloschenen Kerzen blieb sie stehen. Die schwarze Robe schien von schlichtem Schnitt, war jedoch am Saum und den Ärmeln durchsetzt mit Stickereien, Schwarz auf Schwarz. Das entstellte Gesicht der Sakai blieb ausdruckslos. Ein schwarzes, entzündetes Mal auf ihrer Wange nahm ihm die Ebenmäßigkeit. Seine fünf gezackten, eitrigen Ausläufer wie von einer Hand oder Klaue schienen sich in die Haut krallen zu wollen um nicht mehr loszulassen.
Sie blickte sich auf dem Platz um. Unter ihrem Blick gab es nur Klarheit in den Schatten und Blendung durch Licht. Klar waren für sie die feinen, mit schwarzer und weißer Wachskreide gezeichneten Linien auf dem Boden zu erkennen, die exakte Platzierung der Kerzen. Alles war bereit und hier, an einem Ort in Dunkelheit, klang das niemals abebbende Flüstern der Schatten deutlich in ihren Ohren. Sie war nie allein und es gab keine Stille.

Behutsam legte sie das Buch, das sie trug, an den ihm bestimmten Platz. Seine Seiten ruhten in einem geschnitzten Holzeinband. Das Holz war blutrot von sich aus und die gewachsene Symmetrie der Maserung wurde nicht durch Schrift und Verzierungen gestört. Die Sakai kannte jede einzelne der in ihm auf Pergament ruhenden Zeilen, Wort für Wort, in die Seele gebrannt wie mit Blut geschrieben.

Ein leises Scharren erklang unnatürlich laut in der Dunkelheit als sie das Schwert auf ihrem Rücken zog und auf seinen Platz legte. Das Geräusch fand ein wisperndes Echo in der Dunkelheit des Gewölbes. Die Klinge selbst schien kaum mehr als das zu sein: Ein Schatten in den Schatten. Erloschen wirkende Edelsteine, vier und einer, zierten sein Heft, zusammen mit dem Wappen der Sakai.

Langsam kniete sie selbst nieder zwischen Buch und Schwert in der Dunkelheit und vor dem Einen Herrn.
Glaube ward zu Gewissheit und Wissen, sei mir Schutz und Schild“, sprach sie in die Dunkelheit und legte die Linke auf das blutrote Holz des Buches.
Erkennen führte zu Wahrheit, sei mir die zweischneidige Klinge“, fuhr sie ruhig fort und legte die Rechte auf den Griff des schwarzen Schwertes.
Als Deine Dienerin knie ich vor Dir, oh Herr, Schutz für die Deinen, Klinge für Deine Feinde auf Tare.
Demütig senkte sie den Kopf und schloss für einen Augenblick lang die Augen, um sich zu sammeln. Das Wispern ebbte nie ab, vermischte sich mit dem schnaubenden Atem das dämonischen Wächters in den Gewölben, fand sein Echo an den kahlen Wänden.

Hier, an diesem Ort, war Seine Nähe so einfach und klar zu spüren, dass sie einem jeden die Zweifel ausgelöscht hätte. Als sie das erste Mal hierher gekommen war, war sie wie jetzt auf die Knie gesunken. In Ehrfurcht und noch ohne die Worte finden zu können hatte sie still verharrt und sich lange Zeit nicht mehr lösen können.
Nun kniete sie als Sakai erneut, doch sie kannte die Worte, kannte die Wahrheit und aus dem stummen, staunenden Erkennen war tiefe, unerschütterliche Hingabe geworden.

„Oh Einziger, Gottkönig, Herrscher und Richter,
Schaffer Yedorrons, zukünftiger Herrscher Tares,
letzte Wahrheit und erste Gnade,
in Demut will ich Dir opfern,
in Demut will ich von Dir erbitten.“


Die Worte klangen unbeirrbar ruhig in der Finsternis. Schatten huschten, gerade eben am Rande des Sichtfeldes, krochen lautlos über dein Stein.

„Schmerz gewährte Reinheit,
Reinheit gewährte Klarheit,
Klarheit gewährte Erkenntnis
Und Erkenntnis gewährt Demut.“


Langsam zog sie ihre Hand den Schwertgriff hinab über die Klinge. Dunkles, altes Blut blieb an ihr kleben und rann über die Hand der Sakai. Mit den blutigen Fingerspitzen berührte sie erst ihre Stirn, dann die Robe über ihrem Herzen.

„Ich danke für den Schmerz
für die Reinheit
für die Klarheit
für die Erkenntnis
und strebe nach Demut.“


Sie hob die Hand ausgestreckt vor sich. Unaufhaltsam tropfte Blut auf den steinernen Boden und rann über die Zeichen. Es war, als ginge ein Ruck wie ein lautloser Riss in der Wirklichkeit durch den Ort als der erste Blutstropfen den Boden berührte.
Dunkelheit kroch über den kleinen Platz und ein süßlicher Gestank wie von brennendem Blut legte sich darüber. Die Schatten tanzten wie durch Kerzenlicht angefacht, aber der Kreis der Kerzen war erloschen geblieben. Vielleicht konnten sie auch nie mehr als lichtlos Schatten werfen.

„In Dankbarkeit nahm ich die Lehre,
trug das Zeichen,
nahm den Schmerz und nutzte ihn.“


Langsam hob sie die Linke und berührte das entzündete Mal auf ihrer Wange. Mit den Worten war es einmal mehr aufgebrochen und Blut rann ihr Gesicht hinab wie zähe Tränen. Mit der Linken fing sie die Tränen auf und streckte die Hand dann ebenso vor sich aus wie die andere. In der geöffneten Handfläche sammelte sich ihr Blut.

„Ich erkannte und ich danke,
ich bezahle mit Blut
und opfere Leben
und vergesse niemals.“


Der süßliche Gestank über dem Platz hatte zugenommen. Die Kerzen brannten ohne jede Flamme, umhüllt von Dunkelheit. Ihr kostbares Wachs rann in heißen Tropfen über die Zeichen am Boden, mischte sich mit dem Blut und Steinstaub.
Reglos verharrte die Sakai so, mit gebender und mit nehmender Hand, in beiden nichts als Blut. Leer wurde ihr Blick, verlor den Fokus für das Hier und Jetzt.

Ein dunkles Land breitete sich vor ihrem inneren Auge aus. Sie kannte es nur allzu gut. Grausam peitschten eisige Winde über unfruchtbare und bittere Erde. Feuer loderten darüber, doch sie hatten die Fähigkeit verloren, Wärme zu spenden. Eisig und zugleich verzehrend heiß ließen sie selbst den Stein schmelzen. Die trüben, giftigen Wasser konnten nicht löschen sondern entfachten es nur neu in giftigen Dämpfen.

Augenblicke verstrichen, vielleicht Stunden, vielleicht nur Herzschläge lang. Langsam und lichtlos brannten die Kerzen hinunter.

Allein aus Asche kann es neu entstehen. Allein die Zerstörung bringt Raum für neue Ordnung, für unser aller Heilung und Ziel.

Sie kannte diese Antwort schon seit langem. So schwer sie auch fassbar zu akzeptieren waren, so einfach war sie doch. Für sie war es ein Trost und sie empfand eine reine Kraft wie selten zuvor bei dem Anblick des dunklen Landes.
Sie konnte nicht sehen, wie das Mal auf ihrer Wange sich verzerrte und blasser wurde. Die über ein Jahr lang gepeinigte Haut glättete sich langsam.
Über Monde hinweg hatte es ihren Zorn entfacht, ihn in Schmerz erstickt und nur sehr langsam hatte sie die große Gabe erkannt, die ihr mit der nicht heilenden Wunde zuteil geworden war.
Mit dem Verblassen des Mals und dem Herunterbrennen der Kerzen senkte die Sakai langsam die Hände. Das Blut an ihnen war getrocknet und schließlich verschwunden. Sie hatte gegeben und eine Gabe erhalten.

Noch im Knien verneigte sie sich tief. Ihre Stirn berührte den kühlen Steinboden und die Robe raschelte leise mit der Bewegung.
Erst danach hob sie die Klinge und das Buch auf und erhob sich steif und mühsam. Sie spürte, dass dies alles Kraft gekostet hatte, doch gemeinsam mit der Erschöpfung war eine kristallklare Reinheit und Klarheit gekommen, eine Gewissheit mehr auf ihrem Pfad.
Langsam wendete sie sich zum Gehen.

Der kleine Platz blieb leer zurück. Nur ein Kreis heruntergebrannter, erloschener Kerzen und die verwischten Spuren von sorgsam gezeichneten Symbolen auf dem Boden zeugten noch von der Anwesenheit der Sakai.


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