In ihrer Zelle auf ihrem Fellumhang sitzend betrachtete Elodia die Karte in ihrer Hand. Sie liebte sie. Langsam drehte sie diese um ihre Finger, dann schneller werdend, die Karte mal in der Handfläche, mal dahinter verbergend, Narr, kein Narr, Narr, es war herrlich. Und vor allem beruhigte es sie, denn Ruhe würde sie jetzt brauchen.
Nachdenklich starrte sie auf das Tableau, das vor ihr lag, das sie gelegt hatte aus den verbleibenden 21 großen Arkana, denn anderen legte sie es immer ohne den Narren, denn der Narr, das war sie. Jeden Tag, seit sie im Lager war, legte sie nun die Karten aber bisher war sie damit recht zufrieden. Was sie aber nun sah gefiel ihr nicht.
Die Priesterin lag umgekehrt in der Mitte. Ihr zur Seite standen Vitama und die Stärke. Unter sich ließ die Priesterin den Magier, ebenfalls auf dem Kopf stehend und über allem thronte Tevra. Ein alter Kartensatz. Narr, Magier, Priesterin, Priester, Herrscher, Herrscherin, die Elementarherren, die Vier, Angamon, die Tugenden. Ein einfacher Kartensatz, den ihre Meisterin ihr hinterlassen hatte. Ein einfaches Tableau, das ihre Meisterin sie zu legen gelehrt hatte, vielleicht unangemessen einfach für das was geschah, aber ihre Meisterin hatte sie gelehrt, daß die Karten mit Vorsicht zu behandeln sind und man nie nach zu viel fragen sollte wenn man sie konsultierte. Sie hob den Kopf an und blickte in den Wald, als könne sie durch die Bäume hindurch sehen bis zu dem Baum, an dem Benion angebunden war. "Was hast Du vor, Benion?", raunte sie leise, als würde der Wind ihr eine Antwort geben können, als würde er abwenden können was das Tableau ihr bereits verraten hatte. Mit der linken nahm sie die Karte Tevra auf. Flucht hatte er also im Sinn.
Langsam sammelte sie die Karten wieder ein und steckte sie in die linke Hosentasche. Zärtlich strich sie mit den Fingerspitzen darüber, ehe sie sie widerwillig losließ und die Hände im Schoß faltete.
Sie wußte nicht, wie er entkommen wollte, aber sie wußte, daß es Erfolg haben würde.
Nachdenklich fiel ihr Blick auf den schlafenden Benion in der Zelle. Würde sie eine Rolle bei seiner Flucht spielen? Und wenn ja, für oder wider ihn? Langsam legte sie den Kopf auf die linke Seite, als würde es ihr helfen, mit ihren dunklen, unergründlichen Augen in seinen Kopf zu sehen. Sie war keine Gedankenleserin, auch wenn ihr dies schon einige male angedichtet worden war. Zwei mal mußte sie eine Stadt fluchtartig deswegen verlassen. Aber auch die Karten waren an manchen Orten als ketzerisch verboten. Zurecht, wie sie fand, denn was immer der Glaube an die Vier nicht erklären konnte war Ketzerei. Und für diesen Glauben war sie unerklärbar.
Sie wußte, daß Benion sie nach dem fragen würde, was sie gesehen hatte. Süß die Gabe, die Zukunft zu kennen, denn sie feit vor Unvorhergesehenem. Bitter die Gabe, die Zukunft zu kennen, denn sie feit nicht vor Beschlossenem. Einerlei. Sollte er sie doch fragen. Sie wußte schon, was sie ihm sagen würde. "Du hast eine Zukunft Benion. Du wirst nicht hier sterben."
Tage später... waren es wirklich Tage oder nur Zyklen? Ihr war es gleich, sie zählte das ewige auf und ab der Sonne nicht, es war bedeutungslos für sie, was einzig zählte waren Begebenheiten. Ereignisse, Geschehen, kleine Züge in diesem Spiel, die sie beobachten und lenken konnte. Zeit, Zeit war unwichtig. Körper waren an Zeit gebunden, das Spiel nicht. Die Figuren und die Spieler änderten sich mit der Zeit, aber das Spiel blieb dasselbe. Züge, Züge waren wichtig. Auch der kleinste mochte dem Spiel eine neue Wendung geben. Züge wie den, daß diese Frau vor ihr an sie heran trat und ihr von Benion ausrichtete, daß sie recht besessen habe, was seine Zukunft anbelangte. Hätte man ihr zugetragen, daß Frauen Kinder gebären, es hätte ihr dieselbe Überraschung abgerungen, aber doch war ihre Neugier geweckt. Irgendwo im Wald würde ein Zug getan werden und er würde wichtig sein. Sie hatte keinen Einfluß darauf. Den wollte sie auch nicht. Sie ließ sich nieder und wartete ab. Geduld war nicht ihre Stärke aber sie würde versuchen, sich darin zu befleißigen.
Zyklen vergingen. Dunkel, hell, dunkel, hell und wieder dunkel. Sie haßte sowas. Wer spielen wollte sollte spielen und nicht ewig überlegen, welchen Zug er denn machen würde. Es ging in dem Spiel nicht darum, zu gewinnen oder zu verlieren, was einzig zählte war der Spaß am Spielen und sie fühlte, wie ihr abgerungene Geduld den ihren schmälerte. Im Endeffekt taten sie ja doch alle was vorher schon beschlossen war. Es war langweilig, darauf zu warten. Sie hatte besseres zu tun als zu warten. Sie mußte den Überblick wahren über sehr, sehr viele Züge und all die Verkettungen, die sie aufwarfen. Wahrlich, wenn sie auf jeden Zug warten müßte, wäre sie alt und grau bevor irgendetwas erreicht war.
Ein Zwitschern riß sie aus ihren Gedanken hoch. Um ihren Käfig kreiste ein einzelner Spatz. Verärgert warf sie den Maiskolben, den sie abgenagt hatte, nach ihm.
"Verspotte mich ruhig, Mistvieh.", giftete sie den Vogel an. Dieser schien wenig beeindruckt. Dann erhob er sich singend in die Luft und flog von dannen. Gesang. Wie sie das vermißt hatte.
Sie sprang auf und sah dem Vogel nach. Er trug etwas um den Hals, das wie ein Band aussah, aber viel zu groß für den kleinen Hals.
Ihr Blick fiel gen Norden, dann wieder auf den Vogel, der langsam aus ihrer Sicht verschwand. Sie kicherte. Dieser ausgekochte Schweinehund, durchfuhr es sie. Dann lachte sie, erst leise, dann lauter und immer lauter, bis ihre irre Lache in ihren eigenen Ohren zu dröhnen begann. Sie rang nach Atem. Sich mit der rechten Hand den Bauch haltend, mit der linken die Lachtränen hinfort wischend, kämpfte sie um ihre Fassung.
"Oh weh oh weh.", hörte sie sich, grinsend und den Kopf langsam schüttelnd, sagen, "wie soll ich denen das bloß verkaufen?"
Dann schlug sie die Hände zusammen und rieb sie aneinander. Begeisterung stand in ihrem Blick, sie hatte Blut geleckt. Mit ihrem vom aufkeimenden Wahnsinn umnebelten Blick wandte sie sich gen Lager und das Leuchten in ihren Augen verlosch und wich freudiger Erwartung. Dann kicherte sie abermals und wartete darauf, daß man ihr zutrug, daß Benion fort sei. Das würde interessant werden.
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