Siebenwind war kaum noch zu sehen - bloss ein dünner Landstrich am Horizont, doch Kikia blickte immer noch zurück, unsicher, ob sie sich freuen oder weinen sollte. Sie hatte versprochen zurück zu kehren und das würde sie auf jeden Fall einhalten, doch andererseits hatte sie sich nur von Garath, ihrem Vater, verabschieden können. Alle anderen - Zhnopf, Julianna, Iko, Larson, Delera, ihre auelfischen Freunde und noch einige mehr - hatte sie in der Eile nicht mehr aufsuchen können. Aber vielleicht war das auch besser so? Bei Garath allein fiel es ihr ja schon so schwer..
Sie legte ihr Kinn auf die Reling ab und blickte weiterhin zurück zur Insel, während der Wind mit ihren braunen Haaren spielte.
Als sie ankam, war sie ganz alleine gewesen, hatte Hunger gehabt und hatte so letztendlich ein Haus betreten, dessen Tür offen stand. Dort hatte sie sich einige Lebensmittel und sogar ein wenig Kleidung genommen, die sie später kürzen liess. Dabei hatte sie bemerkt, dass jenes Haus offenbar ein Haus der Elementarherren war. Die Schuldgefühle hatten sie danach lange gequält, mochte sie doch Venuts immer am liebsten. Später legte sie daher dann und wann ein wenig Geld oder auch mal einen der glitzernden Steine in dem Gebetsraum ab, in der Hoffnung, es wenigstens ein wenig gut machen zu können.
Das war auch damals die Zeit, als sie oft im stadtnahen Wäldchen herumstreunte und dort, am nördlichen Rand, ein kleines Lager vorfand. Sie hörte das Lachen anderer Kinder und schlich sich neugierig heran. Ein eher kleiner, blonder Elf, gewandet in recht eigentümlicher, weiter Kleidung, spielte mit einigen Menschenkindern und entdeckte auch Kikia. Hier hörte sie spannende Geschichten, wurde das erste Mal von Ardanielles Magie geradezu verzaubert und kehrte mit einem Lächeln wieder zurück in die Stadt.
Die Auelfen rund um Daluwirh wurden zum einen grossen Teil zu ihren Freunden und sie übernachtete bei ihnen sogar öfters.
Als dann die Elfen eines Tages zu einem Ort namens Avindhrell gingen, schlich sie ihnen heimlich nach - sie hoffte noch immer, ihre Mutter zu finden und da sie sie in und um Brandenstein nicht gesehen hatte, musste sie eben weiter auf der Insel suchen. Zwar hatten die Elfen ihr gesagt, der Weg wäre gefährlich und sie sollte lieber im Lager bleiben, doch sie hörte nicht darauf und schlich ihnen nach.
Es war an einem Gebirgspass, wo Kikia innehielt, sich hinter einem Stein versteckte und den Elfen lauschte, denn diese hatten kurz gestoppt und redeten miteinander. Als die Elfen wieder weitergehen wollten, hörte sie hinter sich Hufgetrappel und wie ein Mann sie mit freundlicher Stimme ansprach. Rasch drehte sich die Sechsjährige um und sah erschrocken hoch zu dem Mann - er trug eine Uniform und sie wusste, dass solche Menschen gefährlich für sie waren. Als er sie fragte, was sie hier denn alleine machen würde, sagte sie nicht ganz wahrheitsgemäss "Nichts!", dann aber schaute sie gespielt entsetzt an ihm vorbei, zeigte auf einem Punkt hinter ihm und rief "Was ist das denn?"
Der Mann mit den langen braunen Haaren und der Uniform, auf der ein roter Falke abgebildet war, drehte sich um und Kikia konnte die Flucht ergreifen.
Bald hatte sie die Spuren der Elfen wiedergefunden und folgte ihn bis ins zerstörte Avindhrell rein, wo sie jedoch rasch von ihnen entdeckt wurde.
Daluwirh sprach mit ihr und nun erzählte sie das erste Mal von ihrer Mutter, dass sie sie suchen würde und hoffte, hier auf der Insel zu finden. Daluwirh war es auch, der ihr erzählte, es gäbe jemanden, der ihr vielleicht helfen könnte - Garath, so lautet sein Name, sagte Daluwirh zu ihr.
Wenig später traf jener Garath ein - der Mann, den sie am Pass mit ihrer kleinen Notlüge abgeschüttelt hatte!
Garath hörte sich ebenso ihre Geschichte an und versprach ihr zu helfen.
Von da an sah sie Garath oft und bekam von ihm sogar einen kleinen Hasen als Gefährten, den sie Klein-Garath nannte.
Als sie wieder einmal bei den Auelfen im Lager war, tauchten ein paar Zwerge auf, unter ihnen auch eine Zwergin namens Zechi. Die Zwergin hatte ein paar Geschenke dabei und überreichte Kikia eine Flasche, deren Glas ungewöhnlich schimmerte. Sie erklärte, es wäre eine magische Flasche und würde ihr einen Wunsch erfüllen. Kikia hatte einen Wunsch, doch sie schlief dennoch eine Nacht darüber, ehe sie sich dazu durchrang, ihn sich zu erfüllen.
"Ich wünsche mir, meine Mama wäre wieder bei mir," sprach sie, wieder im Lager bei den Auelfen am Feuer sitzend, hatte die Augen geschlossen und wartete mit einem Lächeln darauf, dass die vertraute, liebevolle Stimme ihrer Mutter zu ihr sprach.
Doch nichts geschah - stattdessen versuchte Daluwirh die Situation irgendwie zu retten und gab sich, wohl mit ein wenig magische Unterstützung von Ardanielle, als Kikias Mutter aus. Kikia durchblickte die Lüge und lief mit der Anklage, dass sie doch alles Lügner wären, fort. Garath eilte ihr nach, der ebenso dabei gewesen war und versucht hatte, Dalu als ihre Mutter hinzustellen. Lange redeten beide miteinander und es tat ihr langsam leid, was sie gesagt hatte. An diesem Abend bot ihr Garath an, dass er ihr Vater werden könnte, denn allmählich befürchtete er, dass Kikias Mutter schon gar nicht mehr an Leben sein könnte.
Wie recht er hatte - Kikia hielt weiter noch wochenlang an ihrer Suche fest, fragte umher und jeder versprach ihr zu helfen. Dabei fiel ihr ein Mann auf, noch recht jung und mit einem finsteren-kühlen Gesichtsausdruck, der sich in ihrer Nähe immer merkwürdig verhielt, indem er anfangs immer versuchte das Weite zu suchen.
Doch langsam kamen beide ins Gespräch und sie lernte so Taleris Blütenglanz kennen. Er versuchte sie mit ihren harten Worten zu stärken, was meist nicht den von ihm erwünschten Effekt erzielte. Er gab ihr öfters Geld oder Edelsteine, kaufte ihr vom Markt etwas, wenn sie sich was wünschte.
Doch eines Tages änderte sich alles, als er ihr endgültig sagte, dass ihre Mutter tot wäre. Sie mochte es nicht glauben, doch er konnte ihr Mutter beschreiben und wusste ihren Namen - Taleris hatte Kikias Mutter im Auftrag einer reichen Dame getötet, was ihm jedoch leid getan hatte, denn sein Schicksal, wie auch das von Kikia, ähnelten sich stark - beide verloren ihre Mütter durch die Willkür reicher, adeliger Herrschaften.
Ihre Suche endete, doch anders, als sie es erhofft hatte. Als Garath Kikia traf, erzählte sie mit trauriger Miene davon, doch Garath wusste, wie er sie wieder etwas aufheitern konnte. Er suchte mit ihr den Friedhof nahe Brandenstein auf und dort wählte sie einen Apfelbaum aus. Dieser Baum, so erklärte Garath, sollte für sie von nun an ein Ort sein, wo sie mit ihrer Mutter reden und an sie denken konnte. Hier legte er eine Rose nieder und oft suchte Kikia danach diesen Ort auf, um ihrer Mutter wieder ein wenig näher sein zu können.
Allmählich nahm ihr Leben wieder eine normale Bahn - sie fand weitere Freunde, darunter auch Zhnopf, den sie zufällig auf dem Markt traf. Sie schlenderte dort gerade umher, ihren Hasen wieder auf dem Arm, als sie den kleinen Orkjungen sah - auch er hatte einen Hasen und beide lachten über diese seltsame Gemeinsamkeit. So fand sie ihn ihm einen neuen, wenn auch etwas ungewöhnlichen Spielgefährten. Oft durchstreiften die beide die Gegend, nicht selten auch Orte, bei denen Garath vor Sorge sicher schier umgekommen wäre, wenn er gewusst hätte, wo sich seine Tochter rumtrieb.
Sie streunte mit Zhnopf durch Brandenstein, spielte mit ihm, einen Lederball und der Botentür Fussball, sie verkauften zusammen mit Tamahra, einem Mädchen, dass sie etwas später kennenlernte, den Siebenwindboten oder ärgerten hin und wieder mal einen Zwergen.
So ging allmählich der Herbst und Winter vorbei, Kikia lernte von Garath das Lesen, Schreiben, Zählen und auf seinem Hengst Ilion sogar das Reiten. Kikia kam über die Trauer um den Tod ihrer Mutter hinweg, genoss das Zusammensein mit ihren vielen Freunden und so langsam zeichnete sich doch ab, dass sie eine neue Mutter finden würde - Julianna, eine junge Frau und offenbar Heilerin, hatte Garath kennen, und so wie es schien, lieben gelernt. Kikia unternahm oft, nicht selten kindlich-plumpe, Versuche, um die beiden zusammen zu bringen. Oftmals brachte sie damit die beiden in grosse Verlegenheit.
Es war auch die Zeit, wo sie etwas anderes feststellte - es gab ein Thema, wo die sonst so abgebrüht scheinenden Erwachsenen sehr empfindlich reagierten - egal, ob sie nun ein etwa 30 Jahre alter Mensch oder ein 127 Jahre alter Elf waren. Stets kam das gleiche Symptom - Stottern, rote Wangen und rote, wohl kurz vor dem Platzen stehende Ohren und meist eine rasche Ablenkung auf ein anderes Thema.
Das erste Mal, wo sie diese Wirkung bei Garath feststellte, war die Frage, was Zhnopf eigentlich mit diesem "Pimpi-Pimpi" meinte und auch den Kuss, den sie Iko auf die Wange nach einem Zaubertrick gegeben hatte, erzeugte eine ähnliche Reaktion, wobei in Ikos Fall noch ein seltsames Misstrauen auf Garaths Seite hinzukam.
Im Winter hatten die Erwachsenen nun mehr Zeit, sassen in den Häusern an den warmen Kaminen und so konnten sie den Fragen neugieriger Kinder kaum entkommen. Kikia und Tamahra fragten an einem Abend während Dunkeltief in der Taverne Toran Dur zu dem Thema aus. Seltsam verworren waren seine Erklärungen zum sogenannten "Vitamaritual" und Sheesa Ardeen erklärte dann den beiden Mädchen in aller Ruhe und mit einer Engelsgeduld so ziemlich den ganzen, noch unklaren Rest. Lediglich auf die Frage hin, ob sie und Toran auch ein Vitamaritual machen würden, bekam sie die typischen Symptome, während Toran sich wohl fast an seiner Pfeife verschluckt hätte.
Als später noch Ardanielle den allerletzten unklaren Rest erklärte, nämlich wie die Kinder zu Welt kommen würde, wusste Kikia, dass wäre nie im Leben etwas für sie!
Der Frühling nahte wieder, Kikia lernte weiter das Schreiben und Lesen, was auch bitter nötig war, als sie auf Delera traf, die nicht Sprechen, aber dafür schreiben konnte. Auch wenn es für Kikia mühselig war - so lernte sie das Lesen auf eine recht rasche Art und Weise.
Im Frühling adoptierte Garath Kikia auch endlich offiziell. Da sie gerne zu Ventus betete, wobei sie es eher als eine Art Gepräch ansah, und er Rien verehrte, entschied Garath, dass die Adoption ein zwergischer Rienpriester namens Barkor vornehmen sollte.
Barkor schien ein Gespür dafür zu haben, mit beiläufigen Bemerkungen über die geisterhaften Myten Kikia Angst zu machen, doch letztendlich war die Adoption eines der schönsten Erlebnisse, die das Kind hatte und als Erinnerung daran, bekamen sie und Garath von Barkor ein Holzschwert geschenkt, auf dessen eine Seite das Zeichen Riens, auf der anderen das des Ventus eingeschnitzt war.
Lächelnd blickte Kikia noch immer zurück zu der Stelle, wo sie Siebenwind vermutete - sie hatte eine wirklich schöne Zeit dort verbracht und wollte dafür sorgen, so rasch wie möglich wieder zurück nach Siebenwind zu kehren.
'Bis bald, meine Freunde,' dachte sie noch, drehte sich dann um, um nicht mehr zurück, sondern nach vorne zu sehen, auf das, was auf sie zukommen mag.
_________________ Q: I've always tried to teach you two things. First, never let them see you bleed. James Bond: And the second? Q: Always have an escape plan.
Zuletzt geändert von Kikia: 23.07.04, 14:34, insgesamt 1-mal geändert.
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