Sie sass zusammengekauert auf einem umgestürzten Baumstamm, verloren inmitten der weissen Wälder. Ein verblichener,abgetragener Hut, auf dessen breiter Krempe sich die kalten FLocken niederliessen, bedeckte das wirre, dunkle Haar Es war ruhig und still, die schemenhaften Gestalten, die sie im Schneetreiben am Horizont ausmachen konnte, bewegten sich mit solcher Anmut und solcher Lautlosigkeit, sie hätte sie nicht bemerkt, hätten die Götter ihr das Augenlicht genommen. Sie hob die freie, steifgefrohrene Hand und versuchte die pochenden Finger zu bewegen.
Das waren Menschenhände, und was immer sie auch taten, es würde nie vollkommen sein. Vollkommen, so schien ihr das, was sie jeden Tag aufs neue entdeckte, sie überraschte und überwältigte.
Seit sie denken konnte, hatte sie nie diese grosse Sicherheit gespürt, hatte keinen Schlaf gekannt, der sie hier so tief und friedlich überkam. Hier, unter einem Volk, das ihr fremd war und ihr dennoch so viel an Vertrauen und Schutz entgegen brachte...
Sie dachte nach.
Wenn man im letzten Winkel Galadons aufgewachsen war, hinten den vier Bannenhügeln, war es nicht verwunderlich, dass man sich stets unter Menschen fand... Wohl war, sie lernte schnell und hatte begriffen, wie anders die Welt sein konnte, ausserhalb ihres Tales. Nun gab es keinen unbarmherzigeren Widerspruch, als eben jene, die sich so leichfüssig durch den Schnee bewegten und in Lauten sprachen, die wie feiner Saitenanschlag in ihrem Gehört hallten, und ihrer selbst, wie sie vor ihnen in den Wehen knietief versank und kaum wagte, ein Wort an sie zu richten, um mit hartem menschlichen Tone die Lieblichkeit zu versprengen.
Zweifel krochen aus Herz und Verstand hinauf, sie begann über das, was man ihr seit ihrer Kindheit hatte einbleuen wollen, nachzugrübeln.
Wie konnte etwas, dass ihr in der Welt der Menschen stets richtig erschien, plötzlich falsch sein? Sie fragte schon gar nicht mehr, sie wagte nicht zufragen... Liess sie den Namen der Götter im Dank laut werden, so lächelte man hier, voller Verständnis, doch darüber hinausblickend mit der Weisheit, die sie aus etwas schöpften, das sie Terthao nannten. Sie hatte sich gefühlt, wie ein unwissendes Kind, dem man gewiss nicht spottete, aber dessen Wort man nur mit sanfter, freundlicher Überheblichkeit folgte. Sie begannen nicht zu biegen, nicht zu ringen, nicht zu verbessern oder gar zu erneuern... Sie lauschten nur hin und in ihren Augen lag etwas, das von einer anderen Wahrheit wusste. Jede Wahl war frei, jeden Pfad liessen sie ihr offen und genau das war es, das sie sehr verwirrte. Menschen wurden geführt, sie wurden geleitet, alles ward einem Herrn, vor dem man sich niederwarf, dem man folgte und angehalten war zu lieben wie den Vater, war er doch Vater, Stab, Gerechtigkeit und Obhut der ihren. Alles Land, jeder Hain, jedes Wasser, jeder Fels war dem Auserwähltem und welcher Mensch besass je den Mut oder die Torheit, gegen den Willen der Götter aufzubegehren.
Der Herr dieser Wälder?
Sie blickten sie an, in ihrer gütigen Ruhe und wieder lächelten sie still, als widersprachen sie nur nicht, um ihre kindliche Auffassung dieser Welt nicht grausam ausser Kraft zu setzen, in der Hoffnug, sie würde eines Tages selber sehen, was sie nicht begreifen konnte.
"Pherle... Stern...Faewens Heimat...," hörte sie noch immer Worte in ihrem Geist, so leicht und bewegt gesprochen, wie es keines Menschen Zunge vermochte. Ein einziges Wort angefüllt von Bedeutung. Ein Elf hatte sie gesprochen und sein Bemühen war von einer Reinheit und von Eifer, dass sie sich ihrer schämte.
Taten sie denn nie etwas, dass sie nicht fortwährend an sich selber zweifelte, irrten sie denn nie oder war denn nichts unlauteres in ihnen, dass sie nicht die Lastenhaftigkeites ihres eigenen Volkes immerzu spürte.
Langsam hob das Mädchen den Arm, schleppend waren ihre Bewegungen in der Kälte und unter schützendem Leder. Sie griff den alten Hut und hob ihn behutsam vom Haar herunter, schüttelte die nassen Flocken von der Krempe und presste ihn schliesslich wie ein kostbares Kleinod an die Brust.
Es hatte einen Moment gegeben, ein winziger Einschnitt, in dem nichts zwischen ihnen gestanden hatte. Unachtsam war eine Münze den feinen, grossen Händen entglitten und zu Boden gefallen. Hände, die sich warm und lebendig anfühlten, deren Griff stets sicher und niemals grob war. Er liess sie lachen, die einzige Sprache, die sie beide verstehen konnten, ein Blick nur brachte Röte auf unerträgliche, wundervolle Weise in ihr blasses Gesicht. Und dann senkte sie bedrückt den Kopf und schwieg sich in Gedanken aus. Denn hier war sie Mensch, hier war sie gar nichts, mit all ihren Lehren...
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