Nahe der Stadt Brandenstein nahm alles seinen gewohnten Lauf. Nichts ungewöhliches, nichts herausragendes, nichts, dass dem Alltag Einhalt gebieten hätte können. Die Knospen und Blüten spriessen in Felas Licht, der mit neugewonnener Kraft das Eiland erwärmte, Baumkronen und Buschwerk richtete sich auf, um ihm entgegen zu ranken und die Geheimnisse der Wälder mit tiefen Schatten zu bedecken. Stets auf der Hut war das Wild, das den ersten Nachwuchs schier lautlos zu den Lichtungen und Flussufern führte, Vogelscharen kehrten heim nach langer Reise über windig See. Manches junge Getier vergass im Übermut alle Vorsicht und lag nieder, von Speer und Pfeil getroffen, im Bett aus Moos und wilden Gräsern, im roten Blut auf frühem Grün...
Grün wie das Moos und braun wie die feuchte Erde waren auch Rüste und Gewandung der jungen Maid, die dort in Waldes Schutze kauerte und verzagt den Blick gen Himmel aufhob.
So sass sie nun vor den Toren der Stadt, verlassen und mit nichts ausser einer Verheissung. In die Stadt konnte sie nicht umkehren, ihre Mauern, ihre Gassen, sie besassen Tausende der Augen und Ohren. Vor jedem Schatten zu Tode erschrocken, von jedem hallenden Schritt verfolgt. Was verweilt Ihr hier? Was gedenkt Ihr zu tun? Wohin führt Euer Weg?
Wohin auch immer sie ihre Beine trugen, der Fremde war schon dort und mit jedem Male konnte sie sich weniger seiner Wahrheit entziehen. Es war Hoffen und Zweifeln, Zerren und Entsagen.
„Ach weh!“ klagte das Mädchen mit wenig Mut in der Einsamkeit hinauf: „Soll es wahrhaftig sein, dass Ihr gekommen, Gottkönig... Soll es wahrhaftig sein, dass Ihr alle Antwort bringt, dass Ihr... den Weg bereitet und von der Suche erlöst... Gottkönig... wann werde ich sehen?“
Leise dann, kleinmütig, so dünn die Stimme, dass sie zu ersterben drohte: „ Wann... werde ich ... sehen?“
Schon sank dem Mädchen das Haupt hinab, ihre Fäuste drückten sich fest in den Leib, gebeugt, was einst so wach. Sie hob die Arme an, sie um den Kopf zu schlingen, zu pressen und zu ringen, bis ihr in ihrer Not neue Worte über die farblosen Lippen kamen:
„Einen klaren Gedanken... einen einzigen klaren, wundervollen Gedanken...“
Zu ihrem eigenen Überraschen richtete sie sich gerade und flüsterte kehlig: „Rynis... Falae...“
Sie öffnete die hellen Augen und sah zum ersten Mal nach vielen Zyklen in den Schein des Tageslicht.
Im Unterholz, wo wenig Licht durch die Blätter fiel, blühte ein Vitamahütchen, zwischen Sträuchern und würzig duftenden Kräutern suchte es aus dem Schatten heraus zu Felas Wärme.
Das Mädchen hielt ein, neigte sich herab und streckte die zitternden Hände nach den zarten blauen Blüten aus. Doch sie fasste ins Leere und die Hände begannen behutsam das Gesträuch um das Vitamahütchen zu biegen, um es aus dem Dunkel zu bringen. Tränen hinterliessen unbemerkt ihre feinen Linien im Staub und Schmutz auf dem jungen Gesicht.
„Ich kann es...nicht brechen... ich kann es nicht... Herrin?“ wollte es aus ihr heraus.
Auf Knien krümmte sich das Mädchen am Boden, verbarg ihr Antlitz und weinte, bis es im Dickicht stille wurde.
„Herrin... erhabene Rien... lass mich nicht fallen... Lass... mich... nicht... fallen.“
Sie erkannte nicht, dass sie längst in den schützenden Armen der Herren lag, dort, wo die Bäume am dichtesten wuchsen, die Weite jedes Rufen verschluckte und der Wald seine Geheimnisse mit tiefen Schatten bedeckte.