Arlan, Arlan, Arlan. Immer wieder Arlan. Seit Tagen, nein, eigentlich seit Jahren traktierte dieser Name ihren Geist wie gnadenlose, von oben geführte Schwerthiebe gegen den Schild eines am Boden Liegenden, der sich nur noch mit letzter Mühe und Not zu verteidigen weiss. Sie hatte ihn geliebt. Sie tat es immer noch, trotz allem, was er ihr angetan hatte. Er war ihr Verhängnis, mehr als es jeder Ritter sein konnte. Müde von der quälenden, schlaflosen Nacht griff sie nach der Schnapsflasche um die Stimmen in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen, was sie häufig so handhabte, wenn der Schmerz des Verlustes sie zu übermannen drohte.
Das Unterdrücken der Tränen viel ihr noch heute schwer, wenn sie zurück dachte an die viel zu kurze Zeit, die sie zusammen waren. Nie im Leben war sie so glücklich gewesen, hatte sich so vollkommen und zufrieden gefühlt. Nicht mal die Jahre in der Gemeinschaft der Piraten waren ihr gleichermaßen prägend in Erinnerung geblieben. Es war nicht die Tatsache, dass er sie verlassen hatte. Es war die Frage nach dem Warum, die sie nicht verstand. Als er ins Norland abreiste um seine Ausbildung zum Geweihten zu beginnen hatte er sie geliebt, oder er hatte zumindest vorgegeben es zu tun.
Es vergingen keine vier Monde, als ein Schreiben von ihm den Westhever Rat erreichte, in dem er dazu aufforderte das gemeinsame Haus niederzubrennen und ihre Ehrhaftigkeit, sowie Gottesfurcht anzweifelte. Vorwürfe, die sie trafen, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ungerechtfertigt, unbegründet, unerklärt, von einer Person, für die sie alles getan hätte. Anfangs redete sie sich ein, es konnte sich nur um ein Missverständnis handeln, jemand musste ihm Lügen über sie erzählt haben und er würde kommen um sich mit ihr auseinander zu setzen. Er kam nicht. Er kam nicht mal um ihr Haus mit eigenen Händen zu zerstören und ihr dabei ehrhaft gegenüber zu treten. Stattdessen schickte er seine Handlanger Volstagg und Blakkurvald, die die schmutzige Aufgabe, der er sich nicht selbst zu stellen traute, zu übernehmen.
Sie musste ihn hassen, obwohl sie ihn lieben wollte. Wann immer die Zuneigung zu ihm größer als der Hass wurde, kramte sie das zerknitterte Schreiben, dass sie seit diesem Tag bei sich trug hervor um die Verbitterung wieder zu schüren, um sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sehr er ihr weh getan hatte. Seine Worte waren jedes Mal, wie Messer, die man ihr ins Fleisch trieb, aber sie waren besser zu ertragen, als die Sehnsucht nach seiner verloren gegangenen Liebe. Sie wünschte sich ihn wieder zu sehen und gleichzeitig fürchtete sie diesen Moment, da ihre Ehre ihr gebot ihn zu einem Kampf auf Leben und Tod zu fordern, aber hatte sie wirklich die Kraft dazu ihn zu töten? Was hatte sie für eine Wahl?
Sie sann zurück zu jenem Tag, als über ihr Leben der Schatten fiel, an dem sie zu zerbrechen drohte.
Die Bretter des Hauses quietschten unter jedem Schritt, den sie tat. Draußen war es schon hell und sie hatte wieder viel zu lange geschlafen, aber ausgeruht fühlte sie sich kein bisschen. Sie stemmte einen Arm gegen die Wand, senkte den Kopf und dachte nach womit sie diesen Tag beginnen sollte. Viel gab es für sie, seitdem sie verbannt wurde nicht zu tun, also würde sie wohl wieder den halben Tag mit Angeln verbringen und darauf hoffen, das Herger ihr am Abend einen Besuch abstatten würde, um das Gespräch von gestern fort zu führen. Sie schnappte sich ihre Angel und machte es sich auf dem Steg vor ihrem Haus gemütlich. Eigentlich durfte sie nicht hier sein, aber das interessierte sie nicht. Es war ihr Haus, das sie damals mit Arlan zusammen gebaut hatte.
Sie warf die Angel aus und lies den Blick über das Meer wandern, welches heute scheinbar völlig regungslos vor ihr lag. Vielleicht hätte sie Fischerin werden sollen, schoss es ihr durch den Kopf. Ein ruhiges Leben führen, dann hätte sie jetzt diesen Ärger nicht ... rasch schüttelte sie diesen Gedanken wie einen lästigen Käfer ab. Sie war Nortravin, sie konnte es nicht mit sich selbst vereinbaren mit ihren Gedanken hinter dem Berg zu halten. Und was hatte sie nun davon? Verbannt von den eigenen Leuten, weil sie nicht wie all die anderen kroch, weil sie stets jedem unverblümt ihre Meinung sagte. Verbannt weil sie den Westhever Rat mit der Wahrheit konfrontierte. Ritterkriecher und Galanortraven hatte sie sie genannt und nichts anderes waren sie in ihren Augen. Die Götter hatten sie verleumdet, sie ließen es zu, dass die Inquisition die nortravischen Götter beleidigten und bestraften, die, die dafür den Inquisitor zusammengeprügelt hatte. Sofort kamen die Ritter mit Kriegsdrohungen, als sie davon erfuhren, und was tat der Rat? Sie krochen zu ihnen und baten um Entschuldigung, Entschuldigung dafür, dass eine der Ihren die Götter verteidigte. Der Rat verriet all das, was das nortravische Volk ausmachte, die Ideale, den Stolz, die Ehre, die Freiheit und die Götter, nur um Frieden zu wahren, Frieden mit einem Volk, welches bei jeder Gelegenheit nach Krieg schrie und gleichzeitig immer wieder mit ihren Bittrufen ankam.
Jedes mal lies sich der Rat darauf ein. Sie eilten den Menschen zur Hilfe, gegen einen Feind, der nicht ihr Feind war, und was war der Dank dafür? Die Ritter drohten mit Krieg. Sie spendeten den Galadoniern alles Mögliche, bauten ihnen Brücken und was war der Dank dafür? Die Ritter drohten mit Krieg und jedes Mal kroch der Rat in den Horst und bat um Verzeihung. Das waren in ihren Augen keine Nortraven mehr, das waren zu groß geratene Hobbits. Sie verrieten Thjareks Gaben. Er gab jedem Nortraven Stärke, Wildheit, Stolz, Mut und Ehre, doch sie nutzen diese nicht, sie wiesen sie ab und verschlossen sich davor, stattdessen war kriechen und Unterwerfung angesagt, aber das sollte nicht bei Thara so sein und nun bezahlte sie den Preis für ihr nortravisches Handeln, weil sie sich nicht wie ein Strohalm von den Rittern und vom Rat der Nortraven beugen lies
Das Ächzen der Planken riss sie aus den Gedanken. Sie erblickte Hrolf, der ebenso wie sie verbannt war, weil er die Methoden des Rates missbilligte. Ohne viel zu Sagen verschwand er in der Hütte um sich etwas zu essen zu machen. Weitere Stimmen ertönten vor dem Haus. Thara konnte diese als Volstaggs und Blaks erkennen, zwei aus dem Rat. Sie erzählten Hagen, dem Skalden, etwas von abbrennen und Arlan, was Tharas Interesse weckte und sie schlenderte zu der Gruppierung. „Was wollt ihr hier?“ fragte die Nortravin die beiden und warf einen skeptischen Blick auf das Fass, auf das Blak sein Bein gestellt hatte und auf Volstagg, der am helllichten Tag mit einer Fackel in der Hand herum stolzierte. Volstagg atmete lange aus und tief wieder ein bevor er das Wort ergriff „Wir bekamen einen Brief aus dem Norland,“ er machte eine Pause und musterte sie abschätzend „von Arlan. Wir sollen seine Hütte nieder brennen.“ fuhr er fort und betonte das „seine Hütte“ besonders. „Seine Hütte?“ wiederholte Thara ungläubig und ihr schossen die Erinnerungen durch den Kopf, wie sie damals gemeinsam diese Hütte gebaut hatten. „Das ist nicht seine Hütte, wir haben sie zusammen errichtet und jeder, der diese Hütte anrührt, dem werde ich eigenhändig die Eier abschneiden und sie ihm ins Maul stopfen!“ rief die Piratin ungehalten. „Warum will er diese Hütter niederbrennen?“ hakte sie in etwas ruhigerem Ton nach. Volstagg zog einen verknitterten Brief aus seiner Tasche und reichte ihn ihr. Sie las das Pergament und eine Welt schien in ihr zusammen zu brechen. Es bestand kein Zweifel daran, dass es Arlans Schrift war.
Volstagg stand da mit starrem, scheinbar gleichgültigem Blick, die Fackel fest in der Hand und Blak nestelte an dem Fass herum. Sie hatte nicht bemerkt, das Hrolf plötzlich neben ihr stand „Was wollt ihr hier, Dörfler?“ grunzte er in einem abfälligen Ton. „Dörfler?“ ein verächtliches Lächeln machte sich auf Volstaggs Gesicht breit. Thara reichte Hrolf das Schreiben weiter. „So, ihr wollt also für Arlan die Drecksarbeit machen, hat er nicht genug Mumm das selber zu machen?“ fragte sie und versuchte dabei so gefasst wie möglich zu klingen. Volstagg machte sich erst gar nicht die Mühe auf diese Frage einzugehen „Du kannst gerne deine Sachen rausholen.“ Entgegnete er gönnerhaft „Ich werde hier nicht weichen! Wo ist Leif, ich will mit ihm darüber sprechen.“ schrie sie aufgebracht. „Geh ihn suchen.“ entgegnete er mit einem geringschätzigen Lächeln.
„Dat schädigt nur unserem Dorf... die Hütte wurde mühsam aufgebaut.“ sagte Ravnir, der mittlerweile sich mit Isbeorn dazu gesellt hatte. „Ich lasse die Hütte nicht abbrennen. Schert euch weg und schickt Leif her.“ wiederholte sie sich. Ravnir und Isbeorn blickten fassungslos drein, als sie die Absichten Volstaggs und Blaks erkannten. „Er soll nach Westhever kommen und es mit eigenen Händen tun!“ brummte Ravnir. „Ravnir, ich glaube nicht, das ich dich gefragt habe.“ war Volstaggs Antwort, woraufhin Ravnir sich abwandte und zum Schrein ging. Hagen und Isbeorn bauten sich schützend vor dem Haus auf. „Thara, du kannst es mir und dir leicht machen, diese Hütte wird brennen. Mir ist es egal ob du mit abfackelst.“ mit diesen Worten sah er zu dem mit Lampenöl gefüllten Fass, welches am Haus lehnte. „Du hast deine Rechte verwirkt, geh und verlasse Westhever und die Halbinsel.“ „Du bist also so feige, das du hinterhältig ein Feuer legst?“ „Ich werde jetzt ein Feuer legen! Isbeorn, geht von dem Haus weg!“ rief Volstagg zu den beiden Sitzenden zu, die gemeinsam ein Lied summten. „Ich will mit Leif darüber reden! Ihr habt nicht die Befugnis darüber zu entscheiden.“ beharrte sie. „Arlan gab mir die Befugnis, sein eigenes Haus zu verbrennen!“ wiederholte er sich. „Ich habe genug!“ mit diesen Worten zog sie ihre Axt und umgriff sie so fest, dass das weiß in den Knöcheln hervor trat. Im selben Moment trat Volstagg mit einer solchen Wucht nach dem Fass, dass es zerbarst und das Lampenöl sich gegen die Hauswand ergoss. Die Fackel, die er in den Händen hielt warf er darauf und sofort entbrannte das Feuer und die Flammen züngelten am Holz hinauf. Das war zuviel! Thara rastete aus und wuchtete ihre Waffe mit der flachen Seite gegen Volstagg, welcher zu Boden stürzte. Keine Sekunde später stürzte sich Blak mit gehobenem Schwert auf sie, konnte jedoch von Ravnir zurück gehalten werden. „Ihr seid des Wahnsinns, so unehrenhaft!“ schrie Hrolf und auch Isbeorn, Hagen und Ravnir schrien Dinge in der Art. Die andern nicht beachtend versuchte Thara das Feuer mit dem Umhang zu ersticken. „Was tut ihr bloß!“ entfuhr es Hagen verständnislos und machte Isbeorn Platz, welcher Schnee gegen das brennende Wandstück warf. „Schnell Wasser!“ Thara eilte über die Planken um einen Eimer Wasser zu holen und schüttete das Nass gegen die Wand. Die anderen taten es ihr gleich, doch es schien alles nichts zu nützen, egal wie sehr sie sich bemühten. „Dat musste nicht sein Volstagg!“ brüllte Ravnir ihm nach als Volstagg zufrieden in Richtung Dorf marschierte.
Das unaufhörliche Klatschen und Zischen von Wasser und Feuer erfüllte die Luft, doch es war sinnlos. Das Feuer fraß sich ohne Rücksicht auf Verluste weiter. „Lasst es brennen.“ sagte Blak ohne größere Gefühlsregung. „Ich sagte: Lasst es brennen!“ schrie er, als er bemerkte, dass niemand ihm Beachtung schenkte. „Halts Maul!“ war die einzigste Gegenreaktion. „So wird das Dorf noch mehr gespalten!“ keuchte Ravnir, während es ihm und den anderen gelang für den Moment, das Feuer daran zu hindern sich weiter auszubreiten.
Thara lies ab von ihren Löscharbeiten, zog ihren Säbel und stürmte auf Blak zu. Doch wieder stellte sich Ravnir in den Weg. „Geh löschen!“ flehte sie ihn beinahe an „Das soll er mir büssen!“ Sie schob sich an Ravnir vorbei und ging auf Blak, der sich mittlerweile auch bewaffnet hatte, los. Ein krachendes Geräuch ertönte, als die beiden Waffen aufeinander prallten. Unzählige Male und voller geballtem Hass wirbelte sie ihren Säbel gegen Blaks Waffe, solange bis er zu Boden ging. Ohne groß nachzudenken zog sie einen Dolch und wollte ihm tatsächlich die Hoden abschneiden. Nur Ravnir, der Thara wegzerrte, hatte Blak es zu verdanken, das alles heute noch am rechten Platz saß. Doch bevor er sie endgültig entfernen konnte zog sie ihm das Messer über die Wange und das Blut sprudelte in einem dicken Strom aus der Wunde..
Den Beschimpfungen Blaks keine Achtung schenkend richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Haus. Aussichtslos, der Brand hatte sich zu sehr ausgedehnt, als das man die Hütte noch retten könnte. Volstagg und Blak hatten ihren Auftrag verrichtet, das Haus war verloren. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck stapften sie in Richtung Dorf. Aus dem Augenwinkel konnte sie beobachten, wie die beiden abzogen „Wartet ihr Feiglinge!“ fauchte sie ihnen nach und setzte zur Verfolgung an. Noch im Rennen zog sie erneut ihren Säbel. Beim Pferdestall stellte sie die beiden dann. Ihr Gesicht teils Blut teils Ruß überzogen. Ohne größere Gespräche anzufangen ging sie auf Volstagg los, welcher ebenfalls seine Waffe zog und auf sie eindrosch. Blak blieb nicht tatenlos und griff zu Gunsten Volstaggs in den Kampf ein. Ein Hieb gegen den Kopf und Thara wurde schwarz vor Augen. Sie kippte in den Schnee und griff sich an die blutende Schläfe. „Geh!“ knurrte Blak sie an und hielt ihr seine Klinge an den Hals. Schwerfällige hievte sie sich auf die Beine und ihr Blick fiel auf das aufspringende Tor. Hagen, Daria und Isbeorn kamen herein. „Thara geh nun verdammt!“ keuchte der vom Kampf gezeichnete Volstagg „Westhever wird nie wieder deine Heimat sein, geh zurück, zu wem auch immer!“ „Wir werden sehen, wie viele Anhänger ihr nach dieser Schandtat noch habt.“ krächzte sie und spuckte den beiden vor die Füße. „Du bist jetzt vogelfrei, also pass auf dich auf!“ kläffte Volstagg mit drohendem Unterton. „Fremde verschwinde, du bist deiner Strafe entgangen.“ fügte Blak eiskalt hinzu.
Thara schob das quietschende Tor auf und stapfte durch den Schnee zurück zu dem brennenden Haus. Es war dunkel geworden und nur die alles zerfressenden Flammen erhellten die Umgebung. Vor dem Haus sank Thara mit den Knien in den Schnee und krallte sich mit den Händen darin fest. Das Blut, welches von der Schläfe ran vermischte sich mit den Tränen, die über die rußbedeckte Wange glitten. Aus zahlreichen Schnittwunde quirlte das Blut hinab und wurde vom Schnee aufgesaugt, wie Wasser von einem Schwamm. Mit gebrochenen Augen blickte sie zu ihrer vernichteten Existenz.
Wieder einmal in ihrem Leben hatte sie beinahe alles verloren. Sie presste die Fäuste zusammen, so fest, das ihre Fingernägel sich tief ins Fleisch bohrten. Alles verloren, weil sie ihre Meinung sagte. Alles verloren durch die Hand von ihren Landsleuten, die Hand von Nortraven. Alles verloren durch den Willen eines Mannes, dem sie vertraut hatte.
Warum so tief? Warum lies der unbändige Schmerz und die Enttäuschung nicht nach? „Nie wieder.“ murmelte sie vor sich hin ohne wirklich die Lippen zu bewegen „Nie wieder!“
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