Eine farbige Laterne nach der anderen erlischt unter leisem, höhnischem Zischen. In geraffter, niemals endender Zeit winden sich die grauen Rauchschlangen aus den glänzenden Zinngehäusen hoch zur kunstvoll verputzten Saaldecke und verglimmen in der sauberen, kühlen Luft. Geist des Vergangenen, spielst mir Streich um Streich, lässt mich den verklungenen Applaus hören, das Publikum wie es sich aus Ehrerbietung aus den tiefroten Samtsitzen erhebt um ein Meisterwerk zu würdigen. Mein Meisterwerk. Und hinter dem gefallenen Vorhang, emsiges Treiben. Die Puderquasten-Damen hetzen hinter den ob ihres gelungenen Auftrittes euphorischen Schauspielern her, um sie entsprechend herzurichten, wenn sie sich für den finalen Dank, die tiefste aller Verbeugungen in Reih und Glied, erneut auf die Bühne begeben sollen. Weit oben, zwischen dem Netzgeflecht aus Seilen und hängenden Laternen, unter der Raumeskuppel beglückwünschen sich ein Jüngling und sein älterer Lehrmeister ihre Einsätze für die Kulissenwechsel auf die Sekunde, den Bruchteil genau getroffen zu haben. Geist des Vergessenen, warum lässt du in mir Sehnsucht und die Schmach des Misslingens aufkeimen, ist es nicht Strafe genug das Haus meiner Geburt bald verlassen zu müssen? Doch zeig mir mehr, führe meine Gedanken über die frisch geölten Holzdielen, die enge Wendeltreppe hinab in die weitläufigen Kellergewölbe, hinter dessen unscheinbaren Türen die Schätze von Generationen darauf warten sich im Rampenlicht zu präsentieren. Kleider aus feinsten Stoffen, seidene Gewandungen, aufgestapelt bis zum Anschlag, ausdruckslose Anziehpuppen werden von fleissigen Schneiderinnenhänden mit Kostümen geschmückt. Perlen, Pailletten, silberne und goldene Garnfäden. Und am Ende des langen Ganges, dringen dumpfe, anfeuernde Rufe durch die zweiflügelige Tür, hinter deren morschen Holz sich ein hoher, mit unzähligen Laternen beleuchteter Raum befindet. Wagemutige Künstler balancieren sich auf einem schmalen Brett an einer haushohen Leinwand einige Fuss über Erdboden aus und fertigen auf die Zurufe ihres Chefs ein Kunstwerk sondergleichen, das Bühnenbild für die nächste Aufführung. Doch es wird kein nächstes Mal geben, der kühle Wind des eben eingebrochenen Morsans streift durch die ruhigen Gänge und ergiesst sich in den grossen Saal wie Wasser, das sich in einem Glas sammelt. Geist des Verlorenen, für was Lebe ich noch? Der junge Regisseur sinkt nach vorne und stützt sich mit beiden Händen auf einen der Stühle. „Burlamacchi! Jetzt werd’ mal nicht sentimental und gib mir endlich die Schlüssel ab.“ Rupert Wendel von Reichenberg, Truchsess des Quartiermeisteramtes, seit sein Bruder vor wenigen Jahren spurlos verschwunden ist, ganz nebenbei menschliches Aas im Dienste der Ungerechtigkeit und der mit zuviel Pomade zurück gestriegelten Haarpracht. Abwartend harrt jener hinter ihm und mit ihm, die Hand auf die schwammigen Schultern ihres Neuen gelegt, die schöne Bella, seine langjährige Gemahlin welche ob des schwindenden Erfolgs des Theaters sich den nächst Besten mit mehr Einfluss und fliessender Dukatenquelle gesucht hatte. Nicht genügend Anstand hatte sie besessen als sie in jener regnerischen Nacht aus dem Hause gestürmt ist um nicht gleich zu jenem Mann überzulaufen, welcher schon lange hinter dem Theater Burlamacchi, welches von seinen Eltern mit viel Herzblut und grossem Aufwand zu dem wurde, was es noch vor Jahren war. Ein florierender Ort des Zaubers und der Kunst. „Lass mir wenigstens diese letzten Minuten, Rupert“, kraftlos klang seine Stimme, so kraftlos wie er sich seit Tagen fühlte. „Gib ihm den Schlüssel, Liebster.“ Klimpernd fliegt der fünfteilige Bund durch die Luft und landet in Reichenbergs wurstiger, lechzender Hand. Noch nie konnte er Bella eine Bitte abschlagen, noch nicht einmal jetzt, da sie ihm alles genommen hatte, zumal er ihre Bissigkeit kannte, wenn man ihr widersprach. Mit selber Härte hatte sie ihre kleine Tochter jahrelang geschunden, ihr Tanzschritte eingeprügelt, welche das kleine Mädchen Nacht um Nacht wach gehalten hatten. „Emilia...“ Wieder hatte er sie ob der Flucht in die eigene Welt einfach vergessen. “Eh, Burlamacchi, was machst du jetzt als einfacher, armer Schlucker?“ Den Hohn des Truchsess hinter sich lassend, streift er selben ruppig an der Schulter, während er die langen Treppenabsätze hinauf zum Logenabgang im Eileschritt nimmt.