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XIV. Kapitel
offenbart eine plötzlich entbrannte Sorge und einen merkwürdigen Traum, sowie einen Hauch von Auseinandersetzung mit Religiosität.
Unsicheren Schrittes tapste Hali durch das schläfrige Halbdunkel des Treppenhauses des Ordensgebäudes, in das von draußen schwammiges Laternenlicht fiel. Der Weg zu den Schlafgemächern, nur mit einem kleinen Umweg zum Büro. Eine Zeit lang starrte er von dort aus über die Dächer der Stadt und gen dunstumhülltes Ödland. Doch als er sich umwandte, was hing da für ein merkwürdiger Umschlag zwischen den Buchkanten aus dem Regel heraus? Hali ging darauf zu und öffnete ihn. Es klimperte metallisch. Ein paar Schlüssel waren darin und ein Brief an Cen. Das, was darin stand, klang verdächtig nach einer Art Abschiedsbrief ohne Wiedersehen, und Hali war umso mehr getroffen, dass sie ihn nichts hatte wissen lassen! Unversehens auf den Gaul geschwungen und die Gassen entlang in den Wald, durch den Wald, zum Turm gedonnert. Nichts. Die ganze Nacht hindurch graste Hali die Insel von Kopf bis Fuß ab. Keine Spur. An welchen Ort könnte sie sich nur verkrochen haben? Als er sich diese Frage so stellte, da erreichte er auf einmal eine merkwürdige Hütte im Wald. Moosig, unheimlich und mit einem akoraschen Pflanzenkübel vor dem Eingang. Keine Frage, wer immer hier hauste, Akora hatte etwas damit zu schaffen. Und da sie das Antlitz der Welt scheinbar getilgt hatte, war die Möglichkeit groß, dass sie sich vielleicht darin verkrochen hatten. Wild hämmerte Hali an der Tür, stemmte sich dagegen, rief; keine Reaktion. Geschlagen und enttäuscht musste er den Rückzug antreten.
Dies sind die Momente, da man versteht, warum die vorbildlichsten Stoiker das vielleicht erfüllteste Leben führen, denn wenn man jedem Menschen mit gleicher kaltherziger Sachlichkeit begegnet, dann hat man zwar keine wirklichen Freunde, aber dafür auch niemanden, ob dessen man sich sorgen oder grämen müsste. An einem solchen wäre Akoras spurloses Verschwinden genauso gleichgültig vorübergegangen wie das des Alashar. Diese Nacht schlief Hali unruhig, und er hatte einen seltsamen Traum ...
„Und seht! Grimmig blicken die Götter auf diesen Tag, denn es ist der Tag, an dem Tare vom Nichts verschlungen wird! Jenes Nichts, dem die Gohor ehedem wie heut die Sahor die Stirn boten, doch die Zeit der Welt ist abgelaufen!“ – Tosend schallte die gebietende Stimme, selbst das Donnern der gegen die felsigen Küsten preschenden Sturmwellen übertönend, um mit diesem dann im Einklang einer einzigen Symphonie das letzte Lied zu spielen. Ein monumentales Getöse. Herrisch und allmächtig. Doch dann umfing Dunkelheit das Land, graue Schatten, die immer schwärzer wurden. Der rasende Lärm verklang und wich einer leisen, traurigen Melodie. Müde und lethargisch kroch der Schall, von der Schwere der Luft erdrückt, in Halis Ohr. Es war, als senke sich der Himmel: Die Wiesenhalme und Blumen ließen die Kopfe sinken, die Blätter der Sträucher hingen kraftlos an den schwachen Zweigen, das Gebälk der Wälder knarrte und ächzte unter der Last des fallenden Äthers. Mutter Erde war alt geworden und konnte all das Leid, all den Schmerz, nun nicht mehr tragen. Haltlos fiel alles hinab und erschlug, was vielleicht schon vor Jahrtausenden gestorben wäre, gäbe es keine Güte in der Welt. Ein sachtes Flüstern ging durch die Lüfte, breitgetragen vom beißenden Wind: „Und hört! Grimmig schimpfen die Götter auf diesen Tag, denn es ist der Tag, an dem Tare vom Nichts verschlungen wird! Und fühle! Fühle, wie die Wärme der Hochheiligen dich verlässt, da sie sich trauerbeladen abwenden.“ Unangenehm eisig prickelte es auf der Haut, Wärme verließ alle Leiber und alle Materie. Mut und Kraft, Liebe und Hoffung, Verstand und Wissen, Frieden und die Träume, alles schwand. Alle Elemente, ungebändigt. Chaos brauste auf. Unfassbar und unerträglich. Ein grollender Ton dominierte und wurde immer lauter. Zu einem Knall steigerte er sich, so wie tausender Blitze Krachen. Dann Stille, ohrenbetäubende Stille, wie in einer einsamen Wüste. Sanft wisperte ein mildes Lüftchen. „Dies ist das Ende. Und du bist tot.“
Hali schlug die Augen auf, drückte sich auf und saß keuchend im Bett. Einsam ist die Welt, trostlos und kalt. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb die frommen Halt darin finden, sich an das dem Diesseits Entrückte zu klammern. Alles wird gut, und spätestens in der dritten Sphäre sehen wir uns wieder, wenn wir in jenem Segensreich erwachen. Wohl sollten wir aber schon zu Lebzeiten den Göttern unseren Huld erweisen, dass sie uns nach der Folter des Lebens derart entlohnen. Und wohl ist es habgierig und eigensinnig, vorzeitig durch die eigene Hand in jenes Land einzugehen, ohne dass man von Morsan berufen wurde. Fürwahr, welch Erkenntnis. Aber als er so in theologischen Gedanken war, da fiel es ihm plötzlich wieder ein: Wo steckt Akora? Und wie spät ist es überhaupt? Ein Gang ins Arbeitszimmer, in dem ein kostbares Exemplar namens „Uhr“ hing, erschien Hali jedoch zu anstrengend. Hm, Uhrzeit ist auch so ein Wunderding ... Aber in jedem Falle war es Nacht, und nachts sollte man für gewöhnlich schlafen.
_________________ Gespräch unter Fischen:
Zuletzt geändert von Hali: 1.06.06, 16:27, insgesamt 1-mal geändert.
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