25. Carmer 17 nach Hilgorad – die Klause ‚Bellums Halt’
Als ich an diesem Morgen erwache, ist mir noch klar, was ich geträumt habe. Von den weiten Ebenen meiner Kindheit in Ersont ging es weiter zum Drekenhorst, der Feste in der die angehende Kriegerschaft Galadons herangebildet wurde. Ich sah mich da stehen, einsam und verlassen, als der alte Lothar und sein Sohn Sigbert, der bald mein Alter hatte, mit meinem Pony davon zogen, einen letzten Gruß zum mir herüber rufend. Die Zeit in Drekenhorst war hart, entbehrungsreich, einsam. ‚Bindet euch an nichts, außer euren Eid, den König und die Viere!’ hat einer der Lehrmeister, der grimmige und stets finster dreinschauende Hermfried Lallus von Greven gesagt, denn ‚wer an nichts gebunden ist, den kann kein Verlust schrecken oder zaudern lassen.’. Damals wehrte ich mich gegen solch eine Einstellung, später, im Laufe der Jahre in Drekenhorst, befolgte ich diesen Rat. Zumindest zu Teilen. Denn in meinem Traum, da sah ich auch meine besten Freunde. Der rotschöpfige Dietmar, jüngster Sohn eines reichen Barons aus Sae, stets gut gelaunt und lebensfroh. Der andere, Yorrik Nyflander wurde im Nordland geboren, als Sohn eines Ritters und einer Nordländerin. Damals schon war er einen Kopf größer als ich, aber im Gegensatz zum gewöhnlichen Nordmann von feingliedriger Statur und auch sonst ein Mittelreichler durch und durch, sieht man von der Größe ab.
Die beiden nun halfen mir in den langen Jahren, die ich Drekenhorst zubrachte. Ich sollte meinem Vater dankbar sein, denn die Ausbildung war hart – ohne Frage, aber überaus auch sehr hilfreich. Denn ziemlich jeder Ort ist besser zum Lernen geeignet, als die weiten Grasländer Ersonts mit ihren grasenden Viehherden und einsamen Gehöften. Und ich lernte, als Kind schon Mann zu sein. Wir wurden nicht behandelt wie Kinder, junge Burschen … sondern wie richtige Männer. Seis die Schärfe des Tones, die Waffen- und Körperübungen oder die harsche Disziplin. Es setzte schon mal Hiebe, wenn wir aus lauter Dummheit bei einem von Dietmars Streichen erwischt wurden. Wenig Kindheit ab dem Alter von acht, neun Jahren, dafür immerwieder: Ehre, Stärke, Loyalität.
Dann ein harscher Wechsel, als nächste sah ich meine Schreckensstunde im Traum. Es war während des Khalandra-Feldzuges, ich nunmehr einer der Burschen im Gefolge der Ritter Hermfried von Wolkenstein (eines wohlhabenden Grundherrn aus Ersont, nahe der Saalhornschen Besitzungen) und Rolof von Hartenstein. Die älteren Zöglinge Drekenhorsts zogen mit dem Heer, verteilt auf verschiedene Ritterbanner. Yorrik und Dietmar waren bei mir. Bei mir, als wir die Trosspferde und den Lagerplatz bewachten, als draußen auf der Walstatt die Schlacht tobte. Und als plötzlich eine Gruppe Barbaren auf ihren kleinen hässlichen Pferden auf uns zustürmten, mit mörderischem Geschrei ihre großen einhändigen Äxte schwingend. Yorrik hielt sich heldenhaft, ob seiner Größe und Kraft konnte er die Hiebe seiner Gegner abwehren. Ich schlug mich leidlich, konnte aushalten, bis ein Duzend Ritter sich von der Schlacht gelöst und zu unserer Unterstützung herbeigeeilt waren.
Als ich zu mir kam, war die Schlacht geschlagen. Yorrik hatte eine Wunde am Arm davongetragen, einige Kameraden waren gefallen. Und unter ihnen, war zu unser aller Gram auch Dietmar. Niemand hat gesehen wie es passiert ist, aber ein Axtstreich hat ihn so sehr verletzt, dass er kurz darauf starb. ‚Bindet euch an nichts …’ – und trotzdem habe ich bitterliche Tränen vergossen. Allein. Ohne das ein anderer es sehen sollte.
Vielleicht war es das vertraute Pfeifen des Windes, vielleicht aber auch die Ruhe und Zeit, die all das in mir wieder zu Tage gefördert, sich in einen tiefen, unruhigen Schlaf eingeschlichen haben. Im Laufe eines Lebens verdrängt man viel, vergräbt es tief in seinem Innersten, dort wo niemand es findet. Viele leben ihr Leben, ohne jemals auf diese Erinnerungen zu stoßen. Aber andere finden sie, ob sie danach graben oder nicht.
Ritter Fedral ruht noch, das Schwert auf den Knien sitzt er an der Treppe, die in den Hof hinab führt. Er muss es nicht tun, er hätte nicht hierher kommen müssen, er hätte seinen Platz an der Spitze der Falkenritter nicht verlassen sollen. Und doch tat er es – ohne Pflicht, nur aus dem Gefühl der Treue heraus. Ich bin wieder in Gedanken, muss jetzt aber etwas tun. Es sind noch ein paar Botlaibe da, ebenso wie Fisch, Mais, zwei Kohlköpfe und Obst. Begnüge mich mit Brot und Mais, stelle dem schlafenden Ritter einen Teller mit Dörrfisch, einem Apfel und einem halben Graubrot hin. Dann gehe ich zu den Pferden, sie sind ruhig wie immer. Doch macht mir Sorgen, dass ich nun vier Pferde zu versorgen habe. So beschließe ich, nach dem Gebet neues Futter zu suchen.
Fela steht schon hoch am Himmel, als ich mich vom Schrein Bellums zurückziehe und mich gen Südosten wende. Rechterhand das, was einmal Rohehafen war, auf der anderen Seite des Dunkelsundes. Links nur Öde. Nach einer Weile komme ich zu den Ruinen eines Blockhauses, Tod und Verwesung darinnen. Weiter folge ich dem Ufer, kehre meine Schritte aber dann nach Norden. Nichts als trostlose, staubige und tote Ödnis. Plötzlich ein Strand vor mir, Sand hat sich an den Ufern abgelagert, Schwertpflanzen wachsen zwischen den Steinen. Mühsam ist der Weg durch den feuchten, schweren Sand, es dauert eine Weile bis ich hindurch und wieder auf dem Weg in Richtung meiner Klause bin.
Da ich am Vormittag nichts brauchbares fand, breche ich nach einer Stärkung wieder auf, diesesmal in Richtung der schwarzen Brücke. Das Land liegt still, verlassen da. Nördlich der Brücke findet sich ein Landstreifen am Ufer, auf dem recht viele Kräuter und sogar einige Löwenköpfchen wachsen. Eine ganze Stunde rupfe ich Kräuter aus dem kargen Boden, verstaue sie in meinem notdürftig zu einem Sack zusammengezurrten Umhang. Für einen Tag mindestens wird es reichen um die Pferde zu füttern.
Nun da die Pferde versorgt sind, widme ich mich wieder meinem Gebet. Ritter Fedral kommt leise hinzu, wir beten gemeinsam. Es ist anders, jetzt, wo ich nicht mehr allein bin. Auf der einen Seite bin ich hier, um Ruhe zu finden. Ruhe von allem. Auf der anderen Seite wärmt es mein Herz, nicht vollkommen verlassen zu sein. Ein Gefühl, als stände man in Schatten und Sonnenlicht zugleich.
Fedral fragt mich nach dem Land hier. Ich zeige ihm den seltsamen, kegelförmigen Bau in der Nähe der Klause. Er ist ebenso ratlos darüber, wie ich es bin. Wer hat es gebaut? Wozu? Warum überall die großen Steine, die wahllos in die Ebene geworfen sind? Dann gehen wir weiter am Seeufer entlang, bis wir neuerlich zu Ruinen gelangen, vielleicht die eines Bauernhofes. Plötzlich erhebt sich ein Kreischen, erst eines, dann fallen immer mehr Stimmen ein. Harpyien! Langsam wollen wir zurück, doch plötzlich flattert eines dieser Untiere hinter uns hernieder. Mit dem Wahn in den Augen greift es uns an, will sich auf Fedral stürzen. Rasch ziehen wir unsere Klingen, ich führen einen schnellen, kräftigen Schlag und das Haupt der Kreatur fällt auf die Erde, der Boden der Öde scheint das Blut gierig aufzusaugen. Der Rumpf der Harpyie zuckt, die Beine scharren noch immer, bis Ritter Fedral dem ein Ende setzt. Wir eilen zurück, ehe die Wölfe kommen und sich über den Kadaver hermachen.
In der Klause essen wir ein karges Mahl, danach reden wir lange Zeit miteinander. Darüber, was alles auf einem Ritter lastet. Über das Gefühl der Ohnmacht, über die bitteren Worte des Hochmeisters des Greifen, der in Wut und Zorn den Treuebruch erklärt hat. Fedral versucht mich aufzumuntern, mir Trost zu spenden. Um ihn nicht zu kränken, lasse ich ihn in dem Glauben, es würde ihm gelingen. Er würde nicht verstehen, warum ich in die Öde gezogen bin und auf der Suche bin. Wonach? Nach mir. Denn dies hier ist meine Prüfung. Ganz allein meine.
Er soll nun ausruhen, ich will die Wache übernehmen. Eine ganze Zeit sitze ich still an der Treppe, sehe zu den Sternen auf, die Luft ist klar und seltsamerweise frisch, frei vom allgegenwärtigen Gestank der Verwesung. Nun hat die Müdigkeit ihn übermannt. Leise gehe ich die Treppe hinab, über den Hof, hinaus zum Schrein. Ich muss mit den Vieren ins Reine kommen. Und mit mir. Allein.
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>Das ständige Nachgeben der Klugen begründet die Diktatur der Dummen.<
Graf Hagen Robaar von Saalhorn zu Siebenwind. - <<Charprofil>> Abschied und Verrat. - Der Abschied Graf Hagen Robaars von Siebenwind ............ Ein (ehemaliger) Lehnsherr auf Sinnsuche ............. Hagens Rückkehr - Finsternis' Weg
Zuletzt geändert von Harold Valorum: 25.09.06, 18:23, insgesamt 1-mal geändert.
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