Bei mir bleibt nur die Dunkelheit. Die Schatten die mir drohen und mich zugleich umschmeicheln. Die mich verführen, um mich ganz einzunehmen.
Und die Sehnsucht. Die mich innerlich verzehrt.
Ich habe sie gerettet, weil ich sie liebte. Weil sie alles ist was ich je retten konnte. Eine gute Tat ... für ein Leben erfüllt von Sünden, das schon längst verloren ist.
Aber sie, sie wird leben können. Ein schönes und ein gutes Leben erhalten. Sie wird nicht wie ich, niemals, das darf sie nicht. Sie soll ein guter Mensch werden, fern von Ihm und seinem Schmerz, seiner bittersüßen Qual mit der er mich bereits eingefangen hat. Ich hatte keine Wahl.
Und ich habe die Wahl für Sie getroffen. Sie wird kein schlechter Mensch, niemals. Und wenn ich sie niemals wieder sehen würde.
Ich habe nicht versagt. Nein. Ich habe etwas gutes getan, ich habe ihr kein Leid angetan!
Vor wenigen Tagen.
In einem Hafen Siebenwinds... .
"Ich bitte euch, inständig. Sorgt um sie, nehmt sie mit euch. Ihr werdet sie in ein Kloster bringen, oder einen Tempel. Einer der Vier, auf dem Festland.
Sie soll ein gutes, ein schönes Leben erhalten."
Die Nortravin packte, so merkwürdig sanft, dass man glauben könnte ein großes, zahmes Ungeheuer vor sich zu sehen, den Korb aus den Armen der jungen, schwächlichen Frau, die ganz im Gegensatz, so müde und erschöpft zu sehen war, dass man glauben könnte das Ungeheuer hätte sein schwächliches Opfer soeben gestellt.
"Sie ist wunderschön..." - "Ja, das ist sie. Ich werde sie behüten. Seid froh dass es kein Junge ist, den hätt' ich über Bord geworfen. Männer gehören alle über Bord geworfen."
Die junge Frau starrte die Nortravin einen moment lang mehr erschöpft als erschrocken an.
Wenn selbst die Kraft fehlt wütend zu werden, dann muss es bald vorbei sein, dachte sie nur einen Augenblick später.
"Ich liebe dich, Maria. Deine Mama wird immer, immer bei dir sein, das verspreche ich dir. Du wirst ein gutes und ein schönes Leben haben."
Ein liebender, sehnsüchtiger Kuss berührte die Stirn des quäkenden Neugeborenen, als seine leidliche Mutter es, wie in einem Nimmerwiedersehen-Abschied, ein letztes mal sanft in die Arme schloss und zurück in seinen Korb legte. Ein hübsches Kind, so wunderschön. Die helle haut, die Pausbacken in dem Kindchengesicht, die großen, braunen Augen und der rote Flaum von Haar, der den Kopf des neugeborenen Mädchens umgab, wie das Gefieder eines eben erst geschlüpften Kükens, es doch nur spärlich bedecken würde.
Dann ging sie ... . Sie sah nicht einmal zurück, als ihr junger Begleiter, ein Mann, so dekadent und doch entzückend niedlich, dass er selbst diese grobschlächtige Nortravin um den Finger wickeln konnte, mit der Kapitänin verhandelte.
Ihre Gedanken, geteilt von Schmerz und Sehnsucht, erleichtert von der Gewissheit, wenigstens ein Leben, ein geliebtes Leben bewahren zu können, wenn schon nicht ihr eigenes, schwirrten träge um die Schreiben her, die sie ihrem Kind wohlbehütet in den Korb legte.
Eines war leicht zu finden, steckte in der Seite der unzähligen beschützenden Stoffe und Decken, die das Kind umschlangen.
Zitat:
Ehrwürdiger Vater, ehrwürdige Mutter.
Ich sende euch, in der Hoffnung das richtige zu tun, meinen größten Schatz.
Ich bitte euch und hoffe auf die Gnade Vitamas, die doch ein unschuldiges, hilfloses Kind nicht seinem Schicksal überlassen würde, meine geliebte Tochter bei euch aufzunehmen.
Sie soll ein gutes und ein schönes Leben erhalten. Ein Erfülltes, ohne den Schmerz und das Leid zu sehen das ich sah, erhielt und immer spüren werde.
Ihr Name ist Maria. Sie wurde geboren auf der grausamen, schrecklichen Insel Siebenwind, zu der sie niemals zurückkehren soll.
Ich bitte euch inständig, ehrwürdige Klosterväter und Mütter, nehmt meinen Schatz bei euch auf und gewährt ihr ein gutes Leben. Es ist das wichtigste, was ich je besaß.
Dem Boten der sie bringt, ihm gab ich meinen gesamten Besitz an Dukaten. Richtet ihm meinen unendlichen Dank aus, wenn er bei euch ankommt und ihr meine Tochter unversehrt in den Armen halten könnt.
in der Hoffnung, das richtige getan zu haben,
und in ewiger Sehnsucht und Schmerz.
M. M. Estrella
Ein weiterer Umschlag, tief verborgen unter dem Kind.
Zitat:
Geliebte Maria,
wenn es kommt wie ich hoffte, und so kommt es leider nie, dann liest du diese Zeilen wenn du dein zwölftes Jahr erreicht hast.
Ich bin deine Mutter und mein Name ist deinem fast gleich. Du kennst mich nicht, doch ich kenne dich. Ich träume von dir, jeden Augenblick. Und in jedem Augenblick zerreißt mein Herz vor Sehnsucht, dich in meinen Armen zu halten.
Ich bitte dich, mir zu verzeihen, weil ich nicht die Stärke hatte dich bewahren zu können. Doch ich muss dir gestehen, dass ich und niemand sonst dich vor dem bewahren könnte, was dich erwartet hätte, hätte ich dich bei mir behalten.
Doch das konnte ich nicht tun. Du musst verstehen, dass ich keine Wahl habe in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, in der Hoffnung du wirst sie einst lesen. In einer Kammer, die ganz dir gehört. In einem warmen Bett, oder unter einem Baum. Im Sonnenlicht.
Ich habe keine Wahl, und ich weiß, dass ich das richtige tue. Für dich alleine, mein geliebtes Kind. Damit du ein schönes und ein gutes Leben haben kannst.
Ich weiß, dass du stark sein wirst. Und wunderschön. Du bist meine Tochter, Maria, es muss so sein und nicht anders.
Und darum weiß ich, dass du verstehen wirst, was ich getan habe.
Sei stets bereit die Verantwortung zu tragen für das, was du tust, mein Schatz. Und sieh stets das Gute und versuche das Gute immer bei dir zu behalten. Dann wird dein Leben so, wie ich es erhoffe, und wie ich es dir niemals hätte bieten können.
Denn ich bin,
nur ein Schatten,
der manchmal lacht,
und sehr oft weint.
Er ist der Schmerz,
der mich daran erinnert,
dass ich sein bin, ganz allein.
Lebe wohl mein geliebtes Kind,
und lebe ein gutes und ein schönes Leben.
Deine Mutter