Ein Traum
- Im Jahre 18 nach der Thronbesteigung seiner Majestät König Hilgorad dem 1. Ap Mer -
Kühle, linnene Laken unter meinen Fingern, noch frisch und mit dem Duft von kaltem Wasser und Lavendel. Es ist still und die Dunkelheit senkt sich wie eine zweite Decke über mich, lässt meine Lider schwerer werden, entführt mich in die Tiefen meiner Erinnerung, meiner Gedanken und die feinen Haare auf meinen Armen stellen sich auf, in der Erwartung an die kommenden, immer wieder kommenden Bilder. Alles in mir sträubt sich gegen das Unausweichliche, stemmt sich gegen den Schlaf der wie ein namenloser Gegner seine eiskalte Hand über meinen Mund legt und jeden Schrei erstickt. Zu lange habe ich gewacht, zu lange die Gedanken und Bilder aus meinem Geist verbannt, zu lange mit mir gekämpft und nun verloren.
Das Rauschen der Blätter wenn der Wind durch die langen Zweige der Weide streift ist das erste was an mein Ohr dringt. Ich fühle die feinen Saiten der Laute unter meinen Fingern und nun dringt auch die Melodie an mein Ohr. Sanft füllt sie den versteckten Raum unter dem Baume aus und scheint sehnsüchtig herbeizurufen was dahinter wartet. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen und ich spüre die tiefe Zufriedenheit die in diesen seltenen Momenten von mir Besitz ergreift, die bange und doch freudige Erwartung. Ich spüre wie mein Herz mir wieder bis zum Halse klopft. Jedes Geräusch außerhalb der Weide lässt einen schmerzhaften aber wundersamen Schauer durch meine Adern fließen und scheint mich von innen zu verbrennen, bis ich das leise Zwitschern des Vogels höre und die Kälte der Enttäuschung wieder nach mir greift. Die Melodie wird verträumter und trauriger, flicht jede Empfindung der letzten Momente mit ein und ich schließe meine Augen, gebe mich dem Traum hin und bade darin wie in den warmen Strahlen Felas.
Etwas setzt in die Melodie ein, Worte sind es nicht die sie begleiten, sondern das sanfte Summen eines Mädchens. Ich halte die Augen noch länger geschlossen um den Moment der Enttäuschung länger hinauszuzögern und das wunderbare Kribbeln auf meiner Haut zu erhalten. Der zarte Duft von Berglilien ist es der mich dazu bringt meine Augen wieder zu öffnen, mich einen Moment blinzeln lässt als ich gegen das Licht, das durch die Zweige dringt, auf ihr Gesicht blicke. Tiefblaue Augen, eine Haut so hell und zart wie die Blätter der Lilie, so sanft geschwungene Lippen und der leichte rote Hauch auf ihren Wangen.
Sie lächelt und es wärmt mich mehr als alles andere, lässt meine Seele singen und die Finger über die Saite der Laute tanzen als hätte ihnen die liebliche Herrin selbst Flügel verliehen.
Der Schatten senkt sich langsam und kaum merklich über den Ort, das Wispern in den Zweigen verstummt und die Töne der Melodie klingen hohl und ohne die Freude die ihnen eben noch innewohnte. Widerwillig und doch unvermeidbar legt sich mein Blick auf sie, ich sehe den flehenden Blick der aus ihrem Innersten zu kommen scheint, das tiefe Blau ihrer Augen noch verstärkt und dann mit den ersten Tränen hinfort gespült wird bis die Augen blickleer sind. Ihr zartes Gesicht verzieht sich zu einer Maske aus tiefstem Leid, Schatten liegen auf ihrer zarten Haut, Entsetzen und Qual auf ihren Zügen und nun höre ich auch den Schrei der erst nach einer Ewigkeit in leises Wimmern überzugehen scheint, bis sie verstummt.
Stille.
„NEIN!“ ... es ist mein Schrei der die Stille zerreißt und doch schaffe ich es nicht mich aus den Fängen des Traums zu befreien, ich höre das hämische Lachen meines Vaters und sehe seine selbstzufriedene Miene die einem verächtlichen Blick weicht als er mich erblickt. „Du Zerrbild eines Mannes... hast du es immer noch nicht gelernt? Du wirst nie ein wirklicher Mann sein, nie. Gib es auf.“ Er zieht den Gurt um seine Hose ab und dieses Lächeln das ich nur zu gut kenne tritt auf sein Gesicht bevor er ausholt, wieder und wieder den Gurt auf meinen Rücken schnellen lässt. Nichts lässt mich glauben das dies immer noch nur ein Traum ist, ich spüre den Schmerz, die Demütigung und den Zorn der in mir aufsteigt. Ich winde mich und versuche mich wieder aufzurichten, aber sein Stiefel drückt mich auf den staubigen Bodes des Hofes. Ich höre die Schreie meiner Mutter im Hintergrund und sehe sie vor meinem Inneren Auge in der Tür der Kate stehen, die Hände vor dem Mund und stille Tränen der Verzweiflung in den Augen. Ihr hochheiligen Viere gebt mir Kraft, ich gebe nicht auf. Niemals.
Der staubige Boden wandelt sich in feuchtmodrigen Waldboden, der Geruch nach Pilzen und welkem Laub dringt in meine Nase und scheint mir im ersten Moment die Luft zu rauben. „Wie kamst du nur hierher, Kleiner? Hat dich dein Herr etwa allein heraus gelassen? Wie dumm von ihm, kleiner Vogel, wir werden dir die Flügel schon brechen und du wirst deinem Herrn die Nachricht getreulich überbringen.“ Dringt die rauchige Stimme an mein Ohr. Ich sehe den Saum des schwarzen Gewandes um die schmalen Beine darunter wabern als wäre es mehr aus Rauch denn aus festem Stoff. Ich höre das Sirren der Klinge durch die Luft und spüre wieder die Klinge auf meiner Haut, wie ich mich nicht mehr regen kann ohne das mich jemand berührt, rieche den fauligen Atem der an meine Wange schlägt. „Dies war nur die erste Warnung, junger Vogel...“ ich zittere und die Kälte die sich meiner bemächtigt hat scheint bis auf meine Knochen zu reichen. Ich bin es nicht wert, wieso hat er mich auserwählt? Ich bin nur ein einfacher Ziegenhirt, kein rechter Mann und dennoch kein Kind mehr. Ich habe ihr nicht helfen können, habe sie im Stich gelassen – wie kann er nur glauben ich wäre für solche Aufgaben geeignet? Oh, ihr Viere, ich hatte gehofft den Anforderungen gerecht zu werden. Ich habe alles getan. Alles. Nehmt mir dies nicht. Das erste Mal hatte ich einen Vater, einen Vater wie ich ihn mir gewünscht hatte. Er macht mir Mut und fordert mich, er ist da wenn es nötig ist und ich spüre mehr Kraft in mir. Ich weiß ich kann es schaffen, ich will es schaffen. Ich gebe nicht auf. Sollen sie nur wieder kommen, ich werde es überstehen.
Ein Peitschenknall, ein Schrei, Stille.
Sanfte Hände auf meiner Haut, Lippen die fest und gleichzeitig zärtlich auf den meinen liegen und der betörende Geruch der mir stets die Sinne vernebelt. Das Gefühl in Sicherheit zu sein lullt mich ein, löst die verkrampften Muskeln meines Körpers und lässt mich freier atmen. Nichts kann mir dieses Gefühl nehmen, nichts diesen Fels in der Brandung zum wanken bringen.
Nur einige Worte.
Wie Gift tropfen die Worte in offene Ohren und lassen einen schalen Geschmack zurück, etwas scheint mein Herz zusammenzudrücken und nimmt mir den Atem. Wie können so wenige Worte alles zerstören? Wie können sie dieses Gefühl von Sicherheit verschwinden lassen mit kaum mehr als einem Lufthauch? Zweifel ist es der gesät wird, der langsam aber unaufhaltsam wächst und mich in meine Fesseln zurückzwängt. Mich die wenigen Momente der Freiheit nur noch als Erinnerung ein ums andere erleben lässt um mich dann vor mir selbst zu ekeln.
Lasst mich los! Lasst mich los...
Ich fühle mich als würde ich im Nichts schwimmen, ich kann nichts hören, nichts fühlen, nichts riechen... nur ein Bild nach dem anderen streift meinen Geist, keine Worte nur immerwieder die aufblitzende Erinnerung.
Der Geschmack ihrer Lippen auf den meinen, wie ich meine Hand in ihren Nacken gelegt habe und sie mit der anderen näher an mich ziehe, den Moment auskoste und dennoch die bittere Wahrheit hinter ihr steht und den Kuss schneller enden lässt als ich es wollte. Der zarte Körper auf meinen Armen, zitternd vor Angst und auf der Suche nach Schutz, nach Hilfe. Mein Name sanft gewispert von ihren Lippen und der freudige Schauer wenn ich ihr in die Augen sehe.
Die klamme Angst als ich zwischen den Zinnen hinaus in die Öde blicke, den schwarzen Reitern auf ihren Rössern gegenüberstehe und unter den Helmen ihre Gesichter erkennen kann. Der eisige Gefühl als sie meine Hand berührte, wie die Kälte in mir aufstieg und einen Moment nach meinem Innersten zu tasten schien. Ich stehe ihnen gegenüber, wir ziehen die Klingen, nur er und ich. Niemand sonst. Ich weiß ich werde verlieren, aber niemals werde ich aus freiem Willen dem Ungenannten und seinen Schergen dienen. Mein Blut ist es was ihr wollt? Holt es euch...
Stimmengewirr in der Taverne, Lachen, Singen und fröhliche Gesichter rings um mich herum. Wohlwollende Gesten und dieses Kribbeln in meinem Bauch wie ich es schon damals beim Lichthochfest hatte. Herrin Vitama, hilf mir meine Hand zu führen, meine Finger auf der Laute, die erst unsichere, dann aber zunehmend festere Stimme die aus meiner Kehle dringt. Ich sehe sie alle, und ich weiß wofür ich es mache. Nicht für die Anerkennung, nicht für mich selbst, nur für ihn. Um wieder ein Lächeln oder einen zufriedenen Zug auf seinem Gesicht zu sehen. Zu wissen das ich es geschafft habe und nicht versagt habe. Nichts scheint zu genügen und jede Anstrengung die ich eingehe wird übersehen. Ich will es schaffen.
Schwarzes Haar das ihr Gesicht einrahmt und das stille Lächeln auf ihren Zügen. Ihre Finger auf meiner Haut, meinem Arm als sie den Verband darum legt. Umsichtig und vorsichtig. Die Kette die seid Wochen schon wie Blei in meiner Tasche liegt ohne das ich mich traue sie ihr zu geben. Die Verlegenheit, die Angst und das Gefühl mit meinem Empfindungen Verrat zu begehen.
Wieder in der Taverne, derbes Lachen, verschwitzte Gesichter und der Geruch von Bier in der Luft. Das Grölen der Offiziere vom oberen Tisch und der Becher vor mir der nie leer zu werden scheint, sich immerwieder füllt und den tiefen Widerwillen in mir weckt. Mit jedem Schluck der feurig meine Kehle hinab rinnt höre ich seine Rufe deutlicher, sein Hohn und seine Verachtung die mir entgegenschlägt. Ich ringe nach Luft, renne hinaus und rieche die kalte Luft des Meeres, spüre wie mein Körper rebelliert als ich auf den feuchten Planken des Piers auf die Knie gehe. Die Hände eines Freundes an meinen Schultern der mir hilft und kurz darauf den Zorn der tief in mir sitzt herausholt, mein Schwert aus der Scheide gleiten lässt und sich gegen seines richtet. Ein wilder und unkontrollierter Kampf der darin endet das ich nach Atem ringend stehen bleibe, er vor mir im Grase – er lebt noch. Doch ich fühle mich am Ende meiner Kräfte und doch befreit.
Unheimliche Geschöpfe um mich herum, umzingeln mich. Sie scheinen von überall zu kommen und in der Dunkelheit kann ich nichts sehen. Ich höre die Schreie der Verwundeten und ich sehe wie er von ihnen eingekreist wird, ich schlage auf die knochigen Wesen ein, versuche zu ihm vorzudringen, ihn zu schützen mit meinem Leben. Ich spüre die ersten Hiebe kaum, dann ein brennender Schmerz in meiner Schulter der sich bis über meinen Rücken zieht und mich dann hinab zieht in die tiefe Bewusstlosigkeit.
Meine Hände zittern als ich sie auf das dargebotene Schwert lege, es scheint unter meinen Händen zu glühen als ich beginne die leise vorgesprochenen Worte zu wiederholen „Ich gelobe im Angesicht der Viere, dass ich meinem Ritter getreulich und ohne Widerspruch dienen werde. Stets duldsam sein und nicht fehl gehen werde. Beharrlich werde ich lernen und nach den Geboten des Kodex leben.“ Und ich vernehme seine Worte, wie er mir ein gerechter Lehrmeister sein will, mich in seine Obhut nehmen und mich schirmen will vor dem Angesicht der Viere. Ich spüre wie etwas hinter mir bleibt als ich auf unsicheren Beinen aufstehe und in sein ernstes Gesicht sehe in dem sich selten ein Zufriedener Ausdruck zeigt.
Ich weiß wofür ich kämpfe
Es gibt nichts was mich von meinem Weg abbringen wird.
Nichts.
Zuletzt geändert von Kya: 17.05.07, 14:13, insgesamt 1-mal geändert.
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