Es war schon hell, als sie den Turm in Südfall wieder erreichte, unter einem Arm ein Bündel geklemmt. Das Rauschen des Meeres, das Tosen der Wellen, die sich an den Felsen der Küste brachen und das Kreischen der Möwen, die im Wind auf- und abtrieben, waren ihre Begleiter, während sie über die Brücke, dann am Wasserfall vorüber sich dem Turm näherte - ihre Heimat seit nun mehr als einem Götterlauf. Ein gewohntes Bild und eine gewohnte Geräuschkulisse, die sie bald würde tauschen müssen gegen die Geräusche, Gerüche und den Anblick der Stadt, allen voran der nahen Burg.
Die Burg. Sie drückte mit etwas unwilliger Miene die Türen auf, sah sich nur flüchtig um, doch wie gewohnt lag der Turm ruhig da, so dass sie still hinauf zu ihrer kleinen Kammer wanderte, die ihr vor ein paar Monden Bastean überlassen hatte. Die Burg war eigentlich ein Ort, den sie gerne aufgesucht hatte. Zum einen hatte sie unter den Bewohnern die ein oder anderen angenehmen Zeitgenossen kennengelernt, zum anderen versprach ihr Anblick auch stets ein Wiedersehen mit ihm, Yves.
Die Tür zu der Kammer war rasch aufgeschlossen, sie warf ihr Bündel auf das Bett und liess ihren Blick flüchtig herumschweifen. Viel wollte sie nicht einpacken. Dann fiel ihr Blick auf rote Rose, die in einer Vase stand, in voller Blüte und prachtvoll. Wie hatte er ihr doch die Zeit versüsst, als Nuir von ihr gegangen war. Anfangs fand sie sein Verhalten im Bezug auf die Magie arg abergläubisch und teils amüsant, war aber dennoch froh das ein oder andere Mal einen Begleiter zu haben. Dann folgte das kleine Picknick in der leeren Taverne in Südfall, ehe es zu diesem scheinbar ewig langen Blick in der Werkstatt der Burg kam.
Die Burg. Und damit war sie wieder angelangt an das, was an ihrer Seele so nagte. Derweil zog sie sich um, wechselte ihre Robe sowie Rock und Hemd gegen robustere Kleidung und eine leichte Lederrüstung aus. Der Ratssitzung am heutigen Tag hatte sie eigentlich nur aus ungewohnter Langeweile beigewohnt. Das, was sie erledigen wollte, war geschafft, den Schreiner, den sie treffen wollte, um mit ihm einige Preise und Angebote für den Turm zu bereden, hatte aufgrund der Umbauarbeiten bereits seine Werkstatt geschlossen und das einzige, was ihr Sorgen bereitete, war noch scheinbar weit fern - das Gespräch mit ihm.
Nachdenklich durchforstete sie ihre Taschen und Kistchen, eine Flasche, die ein Etikett mit dem Wort "Antidot" trug, schlug sie in ein paar Stofflagen und steckte sie in eine Tasche am Gurt, griffbereit für den Notfall, wenn ihre arkane Kraft nicht mehr reichen würde. Tastend gingen ihre Hände in die Innenseite der Stiefel, ergriffen den schmalen und flachen Griff eines Dolches und wieder nickte sie zufrieden. Ein wenig trügerische Sicherheit brauchte sie schlichtweg.
Es war nach der Sitzung, als er sie erwartete. Gläser mit Wein standen bereit, dazu ein Mahl auf den Tellern, doch nach Essen war ihr nicht zumute. Nun sollte er also näherrücken, der Zeitpunkt, an dem sie nun endlich erfahren sollte, was hinter alledem sich verbarg. Die Einladung zum Ball, die Art und Weise, wie er in dem Brief seine Worte an sie gerichtet hatte - es war nicht nur verdächtig, es war geradezu auffällig und offenbar hatte auch ihr Lehrmeister nicht so recht den Mund halten können, hatte sie doch den Brief in seinem Labor gefunden. Dass ihr das Ganze immer unangenehmer wurde, sorgten schon Worte von Sir Steiner, der anscheinend eine bereits entflammte Liaison vermutete.
Die Worte nahmen ihren Lauf und sie war ihm dankbar dafür, als er endlich das aussprach, was sie kaum über ihre Lippen bringen konnte. Der Zeitpunkt, um ihre sorgfältig zurechtgelegten Worte, die sie seit gut drei Tagen immer wieder durch ihren Kopf gegangen war, von sich geben zu können. "Ich kann eure Gefühle nicht erwidern." Dann wäre mit Sicherheit, so dachte sie, ein "Warum?" gekommen. Nun wäre es etwas kniffelig geworden. Eine Lüge wäre nicht richtig gewesen. Aber die Wahrheit, dass sie sich ausgerechnet in einen Knappen, der keine Bindung eingehen durfte, verliebt hatte, durfte sie auch nicht zugeben. Also hatte sie sich einen gewissen Satz an Worten zurechtgelegt, mit denen sie nicht direkt gelogen, aber auch nicht die volle Wahrheit erzählt und so noch Yves in die Bredouille gebracht hätte. Tatsächlich kam ihr erster Satz auch über ihre Lippen, doch was danach kam, liess in ihr wieder den Wunsch aufkeimen, Tare möge sich auftun, sie verschlucken und nie wieder rausgeben. Er wusste von ihrer Liebschaft und da Tare weiterhin ruhig blieb, wurde sie schlichtweg blasser als üblich im Gesicht, ihre Haltung sackte in sich ein und sogleich klopfte ihr Herz rascher, ängstlicher. All die Heimlichtuerei, all das Verstellen war umsonst. All die Momente, in denen sie schmerzlich gehofft hatte, offen zu ihm stehen zu können und sei es auch nur, um die Frauen, die ihm schöne Blicke zuwarfen, ganz legitim vertreiben zu können. Sie hatte für ihn geschwiegen, hatte für ihn so manches Mal unter diesem Versteckspiel geradezu gelitten, heimlich neidische Blicke denjenigen zugeworfen, die offen ihre Gefühle zeigen konnten. Aber vielleicht war sie zu offen gewesen. Der Streit am Vorabend, die gemeinsamen Ausritte und noch dazu wussten doch mehr, als ihr bisweilen lieb war, von ihrer Beziehung.
Bittend richtete sie ihre Worte an ihn, doch das, was er sprach, war nicht der erwartete Groll. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn er sie beschimpft und sie mit barschen Worten hochkant aus der Burg geworfen hätte. Es wäre ihr zwar auch nicht lieb gewesen, aber es hätte sie nicht so getroffen, wie die Worte, die er sprach, der Blick, den er ihr zuwarf. Er liebte sie.
'Du bist auch so dämlich, Althea', schalt sie sich innerlich, während sie im Keller des Turmes nun etwas Proviant einpackte, nur nebenher in ihren Vorwürfen von Gedanken wie 'Ich sollte bald Proviant für den Turm besorgen' unterbrochen. Ja, dämlich. Eigentlich hatte sie genug Sorgen. Der Umzug, die Besorgungen dafür, dann ihre diversen Nachforschungen, die Magisterarbeit, Unterricht geben und nehmen - da war eigentlich keinerlei Platz für Liebe und schon gar nicht für dieses Wirr-Warr, was sie derzeit so mitnahm.
So kam es zu dem Entschluss, schon als sie den Weg von der Burg fort in Richtung des Stadtkern von Falkensee nahm - sie würde ein paar Tage von allem 'fliehen'.
Etwas Schreibzeug noch mit einpacken, das Pferd satteln, eine leichte, eher weiche Lederrüstung dazu tragend und eben alles Notwendige eingepackt, um für ein paar Tage die Einsamkeit, die Öde und die wahren Probleme dieser Insel zu suchen. Ja, wahre Probleme. Die wahren Probleme, so sprach sie innerlich mahnend zu sich, waren eben nicht ihre Beziehung und wer nun mit ihr zum Ball wolle und wem man den Vorzug zu geben hätte. Die wahren Problem befanden sich hinter dem Wall und hatten die Angewohnheit mit schöner Regelmässigkeit diesen zu überwinden, sei es auf zwei Beinen und mit lauten, primitiven Gegrunze, sei es auf einem Ross und in schwarzer Rüstung oder seien es gleich acht Beine auf einmal.
So sass sie auf ihrer kleinen Kaltblutstute, ritt um die Hauptstadt herum, während sie Gedanken wie 'Jetzt bist du wirklich übergeschnappt' beiseite strich. Es war verrückt, aber vielleicht würde es ihr helfen wieder klare Gedanken zu fassen. Wie würde ihr Ziehvater und früherer Lehrmeister doch mit ihr zürnen, wüsste er, was für ein Tohuwabohu sie angerichtet hatte.
Kurz vorm Wall lenkte sie die kleine Kaltblutstute noch einmal durch ein lichtes Waldstück, stieg ab und führte sie an den See heran, um sie zu tränken und selber ein stummes Gebet an die Viere zu richten. Noch ein letztes Mal hingen ihre Gedanken für längere Zeit bei Yves und sie bat Vitama im Stillen, sie möge ihn beschützen, dafür sorgen, dass er in seiner Ausbildung nun nicht straucheln würde und auch ihm galten noch ein Teil ihrer Gedanken, während ihr Blick einen längeren Moment zur Burg rüberstrich. Mögen die Viere sie beide schützen.
Dann jedoch stieg sie wieder hinauf, wandte das Ross herum in Richtung des mächtigen Walles und mit nun entschlossener Miene ritt sie in Richtung des Tores...
Zuletzt geändert von Althea: 24.03.07, 04:30, insgesamt 1-mal geändert.
|