Ein kühler Windhauch zog durch die charaktervolle Hütte, in der die junge Frau in dieser Nacht Schutz gesucht hatte. Ein Fuß zuckte kurz und verzog sich eilig unter die dünne Decke. Es war ruhig – das Heulen der Wölfe schien fern, die Stadt ruhte endlich, der junge Mann am Boden schnorchelte hier und da und zupfte den Stoffumhang näher um sich. Er hatte nicht lange überlegt, als sie ihn um Unterschlupf bat – nicht weil er sich etwas daraus zu erhoffen schien, nein. Der natürliche Beschützer in ihm erwachte vermutlich, als er die blutigen Kratzer und Prellungen sah, die ihren sonst so jungen Körper heimgesucht hatten.

„Ein Bär am Morgen“, Ilana hatte auf die Prellungen an Bauch und Armen gedeutet. „Äste, Steine und Sträucher auf der Flucht am Abend“, ihre Finger deuteten auf die geschundenen Füße, eine Platzwunde am Kopf und verschiedenste Hautrisse. Die Verletzungen waren vielseitig – manche waren dem ungeübten Auge gar unsichtbar, doch sie zeugten vom Kampfgeist dieser Frau. Sich zu Boden werfen und um Hilfe schreien passte nicht zu ihr. Er war oft mit ihr auf der Jagd, doch erst jetzt wurde offensichtlich, welches Blut durch ihre Adern floss.

Nun lag sie hilflos auf dem alten, knarrenden Bett in seiner Hütte. Der Schweiß schimmerte kalt auf ihrer Stirn, ihre Träume belagerten das Bewusstsein und hielten sie gefangen. Immer wieder tauchten verzerrte Fratzen auf, deren knochige Hände nach ihr griffen. Sie wollten sie aufschlitzen, zerreißen, ihr Innerstes stehlen und betrachten, wie es starb. Das Knacken der Knochen hallte zwischen ihren stummen Zischlauten, während die Hände fast schwebend näher und näher kamen – so unaufhaltsam und unwirklich.

Ein müder Kopf hob sich vom Boden, als er jene seltsamen, erstickten Angstschreie der Schlafenden vernahm. Ihr Gesicht schien blass. Mondlicht ließ die Schweißperlen darauf glitzern. Sie wehrte sich gegen jenen Anflug von Tod, der ihre Gedanken heimsuchte. Sie kämpfte. In ihren Träumen hatte sie vermutlich längst den Speer in der Hand und warf ihn mit festem Blick auf ihr Opfer. Triff sie, ja! Sie haben es nicht anders verdient!

Er konnte nicht wissen, dass ihre Träume andere Pfade gingen. Sie stand nicht kämpfend einem Heer Seelenfresser gegenüber. Die Knie waren hochgezogen, um den Bauch zu schützen, während Ilana mit panischem Blick in der Ecke saß. Die knochigen Hände kamen noch immer näher – Geht! Mein Bauch gehört mir, verdammt! Sie kamen näher und näher, während aus der Ferne dunkle Augen gelassen auf ihr ruhten.

Ein Aufschrei. Ilana fuhr aus dem Bett hoch, sah sich einige Male hektisch um, bis sie den Ort, an dem sie geschlafen hatte, erkannte. Der flache Atem stockte kurz, bis er eilig weiter seinen Dienst verrichtete. Mit zitternder Hand wischte sie den Schweiß von der Stirn. Es war bereits morgen und aus der Ferne drangen erste Marktgeräusche an ihr Ohr.
Erschöpft sank der Kopf erneut zum Kissen, während die müden Augen an die löchrige Zimmerdecke starrten. Ihre Muskeln waren nicht bereit, das Bett frühzeitig zu verlassen. Doch in den Augen der jungen Frau schimmerte Wut – gegen wen sie sich wirklich richtete, war selbst Ilana nicht klar. Sie kannte das Gefühl, es trieb sie stets zur Jagd hinaus. Es war Ansporn der Stadt zu fliehen, zu kämpfen, sich zu behaupten. Es war ein Feuer, das niemand so zu Gesicht bekommen sollte. Es war ihr Innerstes – war Leben.