Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 12.07.25, 05:39

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 10 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: ROT
BeitragVerfasst: 3.07.07, 15:17 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
R O T

Bild



1
Sie flohen durch die engen Gassen dieser verdammten Stadt, deren verdammten Strassen sich mit feinadrigen verdammten Gässchen kreuzten, wie die Fäden eines klebrigen Spinnennetzes. Und er wird ihnen folgen. Sein Kopf pocht als würde darin eine Horde breithüftiger Weibsbilder einen endophalischen Fruchtbarkeitstanz aufführen, seine Zunge noch immer pelzig von der auf- und bereits wieder abgestiegenen Übelkeit, welche ihn im Garten überkam. Selbst seinen geprüften Magen hatte der Anblick der Gräberlandschaft unter dem Kirschbaum zum umdrehen veranlasst. So verstand er auch den jungen Aspiranten, kaum aus dem Schoss seiner Mutter entflohen, welcher sich im Schwall auf die gut gepflegten Rosen übergeben hatte. Er war nicht der einzige.

Abgeschnittene Finger, ausgehöhlte Augen. Ein Körper, zwei, drei, zwanzig, sechsundzwanzig. Drapiert, dahingeworfen, verbuddelt, zersäbelt, in wohlproportionierte Stücke zerteilt. Erdhaufen an Erdhaufen, Leib an Leib.

Den wolkenverhangenen, regnerischen Nachthimmel über sich, das würgende Muttersöhnchen zu seinen Füssen. Er lehnt sich gegen einen der pompösen Eingangspfosten zu diesem wunderschönen, gepflegten Garten (die Leichen mal aus dem Bild gestrichen) und entzündet eine Pfeife Dämonenkraut. Die Welt ist schlecht geworden in dieser Nacht.


Zuletzt geändert von Mr. I: 8.07.07, 12:26, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 4.07.07, 06:14 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
So wie es immer war, so wie es immer sein wird. Ein Junge und ein Mädchen, ein erster Blick und dann auf ewig verbunden, als würden zwei Leben mit einem mal ineinander verflochten und zwei Lebewesen zu einem werden.

Ein schöner Tag, Fela schickte ihre wärmenden Strahlen hinab. Überall im Park blühten Blumen, welche ihren süßlich, lockenden Geruch verbreiteten. An der Hand der Mutter lief ein junges Mädchen über die gepflegten Wege und blickte mit staunen immer wieder umher. Wie war der Park doch schön, eine kleine Oase in mitten der Stadt. Immer wieder zog sie an der Hand der Mutter, wollte in eine andere Richtung als sie, aber immer wieder wurde sie daran gehindert, ihrem Tatendrang zu folgen. So viel Neugierde schlummert in der Kleinen, dass sie sie kaum noch zügeln konnte. Alles wollte sie sehen, alles berühren, an Blumen riechen und kleine Hunde streicheln. Das Leben könnte so schön sein, wenn da nicht der strenge Griff der Mutter wäre, welche sie immer wieder dazu zwang ihr nach zu trotten.

Ein Stück weiter weg, saß eine andere Frau auf einer der Parkbänke und zupfte immer wieder penibel an ihrem Kleid herum, es immer wieder richtend, als würde jeder kleine Windstoß ihr Kleid völlig aus der Fassung bringen. Ihr Blick ruhte auf dem kleinen Jungen, welcher unweit von ihr über die Wiese tollte. Völlig frei und ungebunden rannte er über das Gras und lief zu dem kleinen Teich hinunter, welcher sich in der Mitte des Parks ausbreitete und mit seinen sanften Ufern gerade zu zum spielen aufrief. Was könnte schöner sein für ein Kind wie ihn, als seine Freiheit derart zu genießen. Selbst die mahnenden Worte seiner Mutter waren hier nicht mehr als das leises zirpen einer Grille, man konnte es wunderbar ignorieren, wenn man wollte und genau das tat er nur zu gern.

Die beiden Kinder hätten sich nicht sehen, niemals treffen müssen. Ein jeder hätte das Leben so fortgeführt. Wäre langsam größer und erwachsen geworden. Sie hätte irgendwann, irgendjemanden geheiratet. Er hätte vielleicht noch Tare erkundet, ehe er bei irgendeiner Frau seinen eigenen kleinen Hafen gefunden hätte. So hätte es sein können, so wie es oft ist, aber dass Leben wollte es anders.

Als die Kleine endlich ihrem Wissensdurst nachgeben durfte und ihre Mutter sie zum spielen schickte, wanderte sie von Blume zu Blume, um an jeder einzelnen zu riechen. Es war so herrlich endlich das tun zu können was sie wollte und nicht das tun zu müssen, was ihr auferlegt wurde.

Ja, so waren Kinder, frohgemut und ausgelassen, so waren sie und so werden es auch bleiben und das egal wie viel Zeit ins Land gehen wird. Eine wahre Freude ihnen in ihrer kindlichen Natürlichkeit zuzusehen. Ihrem Spiel zu folgen und vielleicht selbst an die eigene Kindheit dabei erinnert werden, getragen werden zu den Tagen völliger Unschuld, nur um dann mit einem Lächeln auf diese Zeit zurück zu blicken.

Im Schatten einer alten Linde, sollte sich nun das Schicksal der beiden Kinder erfüllen. Der Junge hatte einen, für Kinder, wahren Schatz gefunden, einen kleinen Käfer mit feuerroten Punkten. Völlig fasziniert, wie es nur ein Kind sein kann, betrachtete er diesen kleinen Käfer, wie er auf seinen dürren Beinchen über den Boden krabbelte. Ewigkeiten schienen zu vergehen. Ewigkeiten, in denen der Junge diesem Käfer zusah, wie er immer weiter und weiter krabbelte, sich über Gräser hangelte und an kleineren Steinchen aufzog um über dieses oder jenes, für den Käfer fast unüberwindbar wirkende Hindernis zu kommen. Es hätte noch Zyklen so weiter gehen können, aber im nächsten Moment war es zu ende.

Der Junge stieß hart mit seinem Kopf an einen anderen, völlig überrumpelt blickte er auf und erblickte zum ersten Mal das Mädchen. Lange schwarze Haare umrahmten das eher vornehm blasse Gesicht der Kleinen, grüne Augen funkelten auf und schon ging die rechte Hand zum Kopf auf, um vorsichtig alles abzutasten. Sie tastete sich mit den von frischer Erde verdreckten Fingern über ihre Stirn, auf der Suche nach einem Hörnchen oder gar einer Wunde. Voll konzentriert wirkend biss sie sich dabei sacht auf die Seite ihrer Unterlippe. Erst als der Junge sie wieder auf den Käfer aufmerksam machte, welcher mittlerweile ein gutes Stück den Baum hinauf geklettert war, wurde das Suchen nach Blessuren wieder nebensächlich. Zu zweit betrachteten sie sich nun dieses kleine Wesen, welches immer noch bestrebt war, so schnell wie möglich aus ihrer Reichweite zu kommen. Die Kleine sah sich um und lehnte sich vor, sich dabei einen gerade einmal handgroßen, flachen Stein greifend. Einen Moment lang spitzte sie die Lippen etwas und sah nochmals nachdenklich auf den kleinen Krabbelkäfer, ehe sie den Stein auf diesen hinunter schnellen ließ. Langsam hob sie den Stein an und beide Kinder betrachteten den grün-bräunlichen Fleck, welcher das letzte Überbleibsel des Käfers darstellte und wie aus heiterem Himmel, wohl nur die Götter wussten, was ihn dazu gebracht hatte, küsste er sie auf die Wange.

Völlig perplex hockte die Kleine da, doch noch ehe sie sich weitere Gedanken über den Kuss machen konnte, wurde sie auf die Füße gezogen und ein Donnerwetter an Worten ging über sie hernieder, als ihre Mutter ihrer habhaft wurde. Fast zeitgleich, war auch der Junge von seiner Mutter eingefangen worden und durfte sich dieselbe Litanei anhören, wie das Mädchen. Fast wie in Trance jedoch, schien es beide nicht wirklich zu stören, ihre Blicke wollten sich einfach nicht trennen. Erst als der Junge von seiner Mutter geohrfeigt wurde und sich der Abdruck der Hand auf seiner hellen Haut deutlich rot hervorhob, wurde der Beiden Blickkontakt jäh unterbrochen.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 8.07.07, 15:27 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
2
Das Knacken unter einem seiner gefiedelten und mit Schweinefett eingeriebenen Stiefeln lässt ihn reflexartig den linken Fuss anheben. „Opfer Nummer siebenundzwanzig“, bemerkt er trocken vor sich hin. Der zu Brei getretene Käfer, dessen Kleid wohl einst zwei rote Punkte zierten (soweit man dies in dem grün-bräunlichen Masse und im Licht der dämmernden Nacht ausmachen kann), verklebt das Profil seines Schuhwerks und der ironische Ausruf lässt gar den Jüngling in böser Vorahnung vom garnierten Rosenbeet empor schauen. Entsetzt und schrill ist dessen Lachen als er seinen Vorgesetzten, balancierend auf einem Bein, erblickt. Ebenso schnell überkommt ihn wieder die immerwährende Übelkeit ob der Gräueltaten und zwingt ihn zurück auf alle Viere. „Lenzius!“ Schnellen Schrittes löst sich eine der triefenden Schemen aus der Menschenmenge und stapft über den mittlerweile matschig getretenen Boden des Gartens. Das eingeübte Strammstehen des aschblonden Soldaten mittleren Alters und bleichen Gesichts vor ihm täuscht nicht über dessen zitternde Lippen hinweg, welche sich wie zwei nervöse Schlangen vor dem Ableben gebären. „Lenzius, neuer Befehl. Das Einsammeln der Beine soll Taninko für dich übernehmen. Du besorgst mir erstmal etwas womit ich dieses verdammte Mistvieh von meiner Sohle kratzen kann und dann besteht dein einziger Auftrag darin deinem Kameraden“, ein kurzes Nicken über seine Schulter, „beiseite zu stehen, währenddem er den Rest seiner Gedärme auskotzt.“

Er war nicht der fürsorgliche Typ. In keinster Weise. Dies hatte ihm in manch' vergangener Nacht dabei geholfen seine Frau, ohne einen beissenden Gedanken, den Anflug eines schlechten Gewissens, auf ihre Seite der Bettstatt zurückzustossen, wenn sie mal wieder nach unsäglichen Dingen wie „Zärtlichkeit“ oder „Zuwendung“, geschweige denn „ein bisschen Zeit für mich“ gierte. Wie er so geworden war? Wieso werden, wenn man es von Anbeginn an sein kann. Der Kleine über dem Blumenbeet würde es ihm noch danken, dass nicht er sondern einer seiner Mitstreiter die Hand auf die bebende Schulter legen wird und jene, welche für dieses Gräuel, diesem Widerhandeln gegen alles Menschliche verantwortlich sind, würden ihn mit selbem Dank überschütten, wenn er ihnen, ohne nutzlose Emotionen den Prozess machen wird.

Während der letzte der grob gewobenen Leichensäcke verschnürt wird und sich die ausgehobenen Gruben mehr und mehr mit dem kühlen Wasser des niederprasselnden Regens füllen, leert sich der einst gepflegte Garten, welcher nun der Latrine eines Orkenstammes in den Tiefen Ravels glich. Soldaten kehren heim in ihre warmen Stuben um die einschneidenden, alptraumhaften Erlebnisse ihren Frauen zu erzählen und von jener Platte der heimischen Herde springt die Kunde über den Fund von sechsundzwanzig Leichen im Garten der verschwundenen Eheleute Ebbenbach über, auf viele anderen Haushalte von Ignes, wie ein Lauffeuer in den trockenen Steppen der Njari-Wüste.

In seinem trockenen Nachtgewand und mit starrem Blick gen’ Zimmerdecke liegt der ermittelnde Leutnant Antonius Dantler in seinem Bett. „Anton, komm, halt mich. Das könnte ich jetzt gebrauchen, du weißt ja gar nicht, was heute auf dem Markt los war!“ Meta, einstige Schönheit, heutige Tratschtante der Stadt und verwelkte, übergewichtige Herrin des Hauses Dantler, ergreift ihres Ehegatten Hand. Behäbig richtet er sich auf und schwenkt den angestrengt gleichgültigen Blick in ihre Richtung. „Weib, diese Hände haben heute Nacht in Erde gewühlt. Die Hand die du hältst zog Gebeine und halbfaule Überreste von Frauen und Männern aus schlammigen Blumenbeeten. Diese Finger pulten die zerstampften Überreste eines Käfers aus dem Profil meines linken Stiefels, weil der angewiesene Soldat nicht in der Lage war mir ein Stöckchen oder ein Messer aufzutreiben und sich lieber neben seinen Kameraden kniete und mit ihm und dem eigenen Mageninhalt die Rosen eines verschwundenen Ehepaares düngte.“ Mit einem von Abscheu gezeichneten Gesicht reisst sie ihre wulstige Hand aus der seinen und das erste Male seit langer, langer Zeit, wurde Antonius nicht dazu gezwungen seine Frau auf ihre Seite der Bettstatt zu verweisen. In überzeugter Freiwilligkeit tat sie dies in selber Nacht von alleine.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 10.07.07, 00:30 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
3
Der weisse, wallende Rauch aus dem glimmenden Kern seiner Pfeife lechzt der niedrigen Zimmerdecke entgegen. Der tiefe Zug brennt in seinen Lungen. „Woher kam der Hinweis?“ „Stand’ in einem Brief. Kurz und bündig. Wurde am Wandeltag, nachts unter genau dieser Tür durchgeschoben“, Rino deutet an Antonius vorbei zur Tür des kleinen, stickigen Wachlokals. Dieser Rino, es schien ihm in dieser klaustrophobischen zu behagen, gehörte er doch nicht erst seit einem Jahrzehnt zum eigentlichen Inventar des Lokals. Nebst Stuhl, Tischchen und einem Regal voller zerfranster, ausgeleierter Bücher und Akten. Was eine Seele in der Viere Schoss wohl dazu veranlassen kann ihren Lebensalltag in solch einem engen Büro zu verbringen während vor der eben benannten Tag ein, Tag aus das Leben bebte? Gewohnheit? Sicherheit? Alle diese grausamen, linkischen und erbärmlichen Verbrechen nur auf Papier mitzuerleben ist wohl so als ob man Pfeife mit normalem Tabak anstelle vom halblegalen Dämonenkraut, dessen Geruch langsam doch stetig die Wachstube füllt, raucht. Rino lässt sich nichts anmerken, zu lange kannte er denn verbissenen und begabten Antonius Dantler. Und ob dessen Genialität in der dargebrachten Arbeit nun in einer göttergegebenen Gabe oder aber dem regelmässigen Genuss einer Droge gründet, war ihm egal. „’Damit die werten Herren der Stadtwache nicht von der unsäglichen Langeweile geplagt werden’“, zitiert der Archivar einen vor ihm abgelegten Schrieb, „mögen Sie das Anwesen an der Laubgasse, Nummer 3 aufsuchen und unter dem alten Kirschbaum graben. Die Früchte desselben sind im Übrigen süss wie Zucker! Kosten Sie, so es Ihre wertvolle Zeit zulässt’. Keine Unterschrift, kein Siegel.“

Einige weitere Lungenzüge und eine freundliche Verabschiedung später findet sich Anton vor der Wachstube in der normalerweise rege belebten Marktstrasse wieder. Zu früh war der Morgen. Was den Umstand, dass der alte Rino bereits zu dieser Zeit des Tages den Staub seiner Papierberge einatmete umso tragischer machte. Antonius stopft seine Pfeife nach, zündet sie an und zieht. Das dumpfe, bereits abklingende Gefühl in seiner Stirngegend wird augenblicklich aufgefrischt. Kurz schwanken die gepflasterten Steinen der sauberen Strasse vor seinen Füssen und als sein gesenkter Blick vor den eigenen geputzten Stiefeln zwei weitere, purpurne Schuhspitzen erkennt, hebt er den Kopf an. Das weisse, grinsende Gesicht des vor ihm stehenden Clowns scheint so unpassend wie der Gedanke an eine schnelle Lösung dieses Falles. „Nicht so trübseelig, Dicker! Der Zirkus Wendolyn ist in der Stadt! Eine Vorstellung heute Abend, die andere Morgen zur Mittagsstund’! Lama-Streicheln kostet nix!“ Ein anpreisendes Stückchen Billigpergament, welches das Gesagte in schriftlicher Form unterstreichen soll, wird dem Leutnant widerwillig in die grobe Hand gedrückt. „Verpiss dich, Orkenvetter!“ Hüpfend und merklich unbeeindruckt schnellt der Artist weiter die Strasse entlang, dem noch immer leeren Marktplatz entgegen.

Ein verschwundenes Ehepaar. Sechsundzwanzig geschundene Körper, die einzelnen Arme und Beine gar nicht erst gezählt. Eine Nachricht ohne Absender. Kirschen so süss wie Zucker. Er hasste das Gefühl wie der berühmte Ochse an einem augenscheinlich unüberwindbaren Berg, bestehend aus mangelnden Spuren und nicht vorhandenen Hinweisen, stehen zu müssen. Mit Schwung wirft er den zusammengeknüllten Zettel des Zirkusheinis ins Halbdunkel des dämmernden Morgens, ehe ein schriller Schrei durch die Gassen schallt. In den Häusern, säumend die Strasse zum Marktplatz, werden Öllampen und Kerzen entzündet. Für einen kurzen, wirklich sehr kurzen Augenblick zuckt Antonius Hand zurück und er überlegt sich ob der penetrante Clown wohl sein unflätiges Wegwerfen der verteilten Werbung bemerkt hätte und ihm, wie seine Frau dies immer mal wieder zu tun pflegte, eine Moralpredigt über die Kosten von unwichtigen Dingen halten wolle. Doch in selbem Moment als Rino hinter ihm das Fenster öffnet um nachzufragen was seine bibliothekarische Ruhe im Büro eben aufgerüttelt habe, schnellt Dantler los in Richtung der Marktstände. Nicht etwa in der stillen Hoffnung das erste Mal in seinem Leben einen weinenden, hysterischen Clown zu sehen, denn viel mehr im stillen Wissen, dass einer der bislang fehlenden Hinweise in diesem aussichtslosen Fall, am Ende dieser Strasse auf ihn warten würde.


Zuletzt geändert von Mr. I: 10.07.07, 18:15, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 10.07.07, 06:04 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
Hohe Regale gingen bis unter die Decke und jedes von ihnen quoll gerade zu über von Büchern. In anderen Häusern hätte vielleicht dicker Staub auf den Büchern gelegen, doch hier war alles tadellos sauber, so sauber, dass ein einfacher kleiner Fleck sofort ins Auge gefallen wäre. Genau in der Mitte des Raumes stand ein Schreibpult, daran sitzend ein kleiner Junge. Wenn man sich das Ganze so betrachtete, konnte man nur zu dem Schluss kommen, dass der Junge in all der Bücher, in all dem Wissen um ihn herum, völlig versank, irgendwie unterzugehen schien.

„Landadel, Dienstadel und was dann?“ Die Stimme des betagten, grauhaarigen Lehrers hallte durch den Raum. „Manchmal glaube ich, dass du zu dumm bist auch nur eins und eins zusammen zu zählen.“ Schnelle Schritte brachten ihn vom bundverglasten Fenster zum Pult des Jungen und mit einem zischenden Geräusch, schnellte auch schon das hölzerne Lineal auf die Finger des Kindes hinab. Henry zog den Kopf ein, presste die Lippen aufeinander und hielt sich die Finger, auf welchen sich langsam aber sicher der rot glühende Striemen abzeichnete, wo gerade das Lineal aufgekommen war. Er hasste diesen Kerl, diesen Lehrer. Einmal zögern und schon hatte man bei ihm verloren. Der Kleine wusste nicht mehr wie viele Schläge er schon einkassiert hatte, nur weil er einmal eine falsche oder gar keine Antwort gegeben hatte.

Sicher, er war ein intelligenter Mann, zumindest behaupteten dass immer seine Eltern, sie sprachen oft in den höchsten Tönen von diesem alten Mann. Henry lauschte ihnen häufig abends, wenn er eigentlich schon im Bett sein sollte, aber warum sollte man schlafen, wenn man doch gar nicht müde war? Es war um so vieles interessanter den Großen zuzuhören, wie sie Land und Leute herzogen. Abends verwandelten sich selbst seine, ach so peniblen und sittsamen Eltern in missgünstige Monster und wie sie sich manches Mal das Maul über die Nachbarn zerrissen. Es war eine wahre Pracht, selbst für einen kleinen Jungen wie ihn und so saß er oft auf den Stufen, versteckt hinter dem marmornen Treppengeländer und hörte ihnen zu.

„Hast du schon gesehen, die Tranveris haben sich schon wieder eine neue Kutsche geleistet, dabei hat sie die alte schon fast an den Bettelstab gebracht.“ Deutlich konnte selbst Henry den Neid aus jedem der Worte seiner Mutter heraus hören. „Und wenn man sich diese Kutsche betrachtet, reiner Pfusch sag ich dir. Da passt nichts übereinander und dieser billige Stoff. Also ich würde mich ja an deren Stelle in Grund und Boden schämen.“ Hier ging es um die Kutsche, da um das Haus neben an, welches gerade umgebaut wurde und beim nächsten Mal um die Braut des einen da von irgendwo. Pure Bosheit, gezuckert mit einem Hauch gespielten Mitleides. Dieses tückische hinter der spießbürgerlichen Fassade, war so anziehen für Henry, der seine Eltern sonst immer nur von der gesitteten Seite zu sehen bekam, dass er es immer wieder riskierte ihnen zu lauschen, auch wenn es schon manches Mal in heftigen Schlägen geendet war.

Ein weiter Schlag auf seine Finger, brachte Henry wieder in die Gegenwart zurück. „Träum nicht!“ Mit einem leisen Seufzen konzentrierte sich der Junge wieder auf seine Aufgaben. Bald schon war der Unterricht vorbei, immer wieder sagte er sich das und schließlich war es tatsächlich soweit. Für Heute hatte er seine Pflichten erledigt und er wurde hinaus gebeten, was sich klein Henry natürlich nicht zwei Mal sagen lies. Endlich konnte er das tun was er wollte und das erste was er tun wollte war … Krach schlagen. Er griff sich einen Stock und rannte mit diesem an dem gusseisernen Zaun entlang. Tock, tock, tock. Wie gut, dass seine Eltern das nicht bis zum Haus hören konnten. Und dann verfing sich sein Blick an einer großen, roten Haarschleife, welche schwarzes Haar zusammen hielt. Er kletterte auf den Zaun und starrte dem Mädchen nach, welches gerade von einer Frau, welche dieselben schwarzen Haare hatte, wie die Kleine, über die Straße gezogen wurde. Das war sie! Sie war das erste Mädchen, was er nicht als doof eingestuft hatte, aber die Sache mit dem zermatschten Käfer hatte ihn wirklich tief beeindruckt.

Hastig blickte sich der kleine Junge um, ehe er behände über den Zaun kletterte und dem Mädchen folgte. Er musste ihnen nicht lang nachlaufen, bis die beiden in einer Schneiderrei verschwanden, welche schräg gegenüber seines Elternhauses war. Er stellte sich an das prächtig geschmückte Schaufenster und drückte sich die Nase an diesem platt. Henry betrachtete sie eine ganze Weile lang und dachte darüber nach, warum er sie überhaupt geküsst hatte. Man küsst keine Mädchen! Aber irgendwie war es ihm richtig erschienen, da vor ein paar Tagen im Park. Er starrte sie gerade zu durch das Schaufenster an und wäre dort sicherlich auch noch eine Ewigkeit gestanden, wenn, ja wenn da nicht plötzlich die Hand gewesen wäre, welche ihn, wie so oft am Ohr zog. „Du Lausebengel. Na warte, dass erzähle ich heute Abend deinem Vater, mach dich also schon einmal darauf gefasst, dass du morgen nicht mehr sitzen können wirst!“ Die unnachgiebige Hand seiner Mutter zerrte ihn am Ohr zurück zum Haus und als Fela zur späteren Stunde wieder einmal hinter den Dächern der Stadt unterging, lag ein kleiner Junger geschunden und mit schmerzendem Rücken, welcher etliche Schläge mit einem ledernen Gürtel hatte einstecken müssen, in seinem Bett und weinte sich in den Schlaf.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 10.07.07, 19:46 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
4

Dies war sein Kampf. Der Funke, welche sein beinahe schon erloschenes Feuer wieder zu entfachen vermochte. Nach Jahren der Monotonie und Gewohnheit füllte endlich wieder ein Fünkchen Leben die alternden, müden Glieder des unterforderten Leutnants. Keiner seiner jüngeren Kollegen hätte die Häuser schneller an sich vorbei ziehen lassen, wären sie die gleiche Strasse entlang, dem immer noch grell erklingenden Schrei entgegen gerannt. Der Kampf wird zur Schlacht als sich vor ihm die Gebäudefronten öffnen und den Blick auf den morgendlich verschlafenen Marktplatz freigeben. Hatte er sich bei der Bergung der Gebeine aus dem Garten der Ebbenbachs darauf verlassen können, dass ihm die Opfer allesamt unbekannt waren, oder ihr Aussehen sich so sehr deformiert hatte, dass eine Identifizierung und die daraus persönliche Betroffenheit ausgeschlossen war, konnte er dies im vorliegenden Fall nicht behaupten.

Mittig auf dem Platze steht der Stand eines Händlers, bereits mit Auslage (verschiedenste Kleider, Tücher und Schuhwerk) belegt. Die Silhouette einer Schneiderpuppe direkt daneben. Und noch bevor Antonius sich über die Ausmasse des Gedankens an den Fehler, der dieses Bildnis aus dem Alltag eines Ignes’ers Markttages in sich trägt, bewusst wurde, sieht er aus den Augenwinkeln, wie der Clown bewusstlos, von der Ohnmacht übermannt, auf den gepflasterten Boden knallt. Die restlichen Werbezettelchen für den Zirkus Wendolyn taumeln erst noch einige Augenblicke trunken in der Luft, ehe sie es ihm gleich tun. Stille breitet sich aus und Dantler nähert sich dem einzig benützten Stand. Langsam. Der Fehler liegt im Detail. Der aufmerksame Beobachter, selbst ein geübter Ermittler wie Antonius Dantler einer war, erkennt erst auf den zweiten Blick die Schrecklichkeit, welche dem bemalten Hampelmann hinter ihm das Bewusstsein geraubt hatte. Über die weiblichen Rundungen der Schneiderspuppe wurde die Haut des Rumpfes eines jungen Mannes gespannt. Fachmännisch. Der Kopf des Jünglings, welchen Dantler eindeutig als Eduard Niderberg, den persönlichen Schneider seiner Gattin, erkannte, liegt seitlich auf dessen Schulter. Die leblosen Augen wie den Mund vor Entsetzen weit aufgerissen. Wieder fühlte der gestandene Ermittler dieselbe Übelkeit in ihm empor steigen, welche ihn in der Nacht zuvor bereits zu übermannen versuchte. Blut tropft auf den Sockel der Puppe. Nicht unweit, vor der Auslage, in einer Reihe von fuss- bis kniehohen Stiefeln, steht ein Paar in welchen die Beine des Schneiders stecken. Ordentlich eingeordnet. Dantler hatte die Situation unterschätzt. Dies war weder Kampf noch Schlacht. Dies war von diesem Zeitpunkt an sein ganz persönlicher Krieg und das Gefühl, dass er diesen brauchte wie seine tägliche Pfeife mit Dämonengras, war selbst ihm unheimlich.

„Antonius, was ist denn los?“ Rino und ein paar Anwohner, meist noch in ihre Nachtgewänder gekleidet, stehen neben dem umgekippten Clown und stubsen, pieksen, treten diesen in die Seite. „Und weshalb liegt der hier rum wie ein Sack Mehl?“ „Rino!“, seine Stimme ist herrisch und klar, „hohl Verstärkung!“ Der kräftige Klang, welcher ihm über den Platz entgegen schallt, lässt Rino unverzüglich Spuren. Seit Jahren hatte er ihn in dieser Art nicht mehr vernommen. Voller Leidenschaft und Tatendrang. Mit den vorsichtigen Schritten einer pirschenden Waldkatze schleicht Anton um den im Schrei ermordeten und gehäuteten jungen Mann herum. Auf die nach seinem Knöchel greifenden Hand reagiert er mit einem Sprung zur Seite. Surrend rast sein Schwert aus der Scheide. Die Spitze der Waffe auf den dunklen Hohlraum unter der Verkaufstheke gerichtet. „Helfen sie mir.“ Die Überraschung würde wohl zu seinem stetigen treuen Begleiter werden, sollte er diesen Ermittlungen weiter folgen. Denn dort, unter der Theke, zusammengekauert in einer dunklen Lache aus Blut und mit leiser, flehender Stimme kauert sie, deren Kirschbaum Früchte so süss wie Zucker trägt: Ina Ebbenbach.


Zuletzt geändert von Mr. I: 11.07.07, 16:20, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 11.07.07, 05:15 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
„Du bist schon wieder gewachsen, wenn du so weiter machst, landen wir noch am Bettestab und das nur, weil du jede zweite Woche etwas Neues zum Anziehen brauchst.“ Die kleine Ina verdrehte die Augen, wie theatralisch ihre Mutter doch sein konnte. Was konnte sie schließlich dafür, dass sie wuchs? Nichts! Anstatt sie sich darüber freute, meckerte sie ständig nur herum. Außerdem war es ja nicht so, als wären ihre Eltern arm. Sie wohnten in einem großen, weiß getünchten Haus, mit so vielen Zimmern, dass man sich fast darin verlaufen konnte und ständig war man von irgend einem Bediensteten umgeben. Manchmal glaubte sie, dass sie nur Ballast für ihre Eltern war. Sie wurde hin und her gezerrt und gezottelt und oft auch einfach an das Kindermädchen abgetreten. Wie oft hatte Ina schon eine, für sie, dringende Frage gehabt, die sie unbedingt von ihrer Mutter oder ihrem Vater hatte beantwortet haben wollen und was war? Kaum kam sie in das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer, in dem Samt und Brokat die Oberhand hatten, schon wurde sie wieder verscheucht und wenn sie nicht gleich gehen wollte, hatte es auch oft zur Folge gehabt, dass sie sich eine Ohrfeige eingefangen hatte. Wenn sie darüber nachdachte, mit ihrem kindlichen Verstand, wurde ihr mit jedem Tag klarer, dass sie ihre Eltern nicht leiden mochte. Hass war es wohl noch nicht, aber eine Art natürlicher Abneigung gegen die Beiden, einfach weil alles wichtiger zu sein schien, als sie selbst.

Die Tür wurde aufgemacht und ein strenger Fingerzeig ihrer Mutter, veranlasste sie aus dem voll gestopften Kinderzimmer zu trotten und sich ihrem Schicksal zu ergeben. Was ihr Schicksal an diesem Tag war? Ein Besuch beim Schneider, denn, so sagte zumindest ihre Mutter, sie sah unmöglich aus, das Kleid war mittlerweile viel zu kurz und zeigte zu viel Bein, auch wenn das bei Kindern doch eigentlich egal sein sollte. Jeder Schritt weiter steigerte nur ihre Unlust zum Schneider zu gehen. Immer wieder wurde an ihr herum gezerrt. „Bleib nicht stehen.“ „Trödel nicht so.“ „Wenn du so weiter machst, dann werde ich dich einfach ins Heim abgeben, dann können die sich da mit dir rumschlagen.“ Ja, Ina hasste sie wirklich und hätte sie es bisher noch nicht, dann sicherlich nach dieser Drohung. Das einzige Glück an der ganzen Sache war, dass der Schneider nicht allzu weit entfernt war, nur einige Straßen, die das Haus von ihm trennten. Und jetzt stand sie auf diesem dämlichen, kippeligen Stuhl, in dem Laden, der vor Protz und Tant nur so aus den Fugen zu gehen schien. Ständig fingerte dieser widerlich, schmierige Schneider an ihr herum, nahm an den Armen Maß, an den Beinen, die Hüfte. Sehnsüchtig ging ihr Blick Richtung der Schaufenster hinaus. Wie schön wäre es doch, jetzt dort draußen einfach so herumtollen zu können?!

Es dauerte einen Moment lang, ehe sie den kleinen Jungen vor dem Fenster erblickte. Das war er doch? Oder nicht? Doch! Dieser Junge, der sie gestern auf die Wange geküsst hatte. Was wollte der wohl hier und warum zerdrückte er seine Nase so an der Scheibe? Irgendwie schien er nicht einmal zu bemerken, dass sie ihn gesehen hatte und das obwohl er sie die ganze Zeit ansah. Wieder zuppelte der Schneider an ihr herum, nahm noch hier und da Maß, ehe sie dann nach einer Ewigkeit endlich von dem Hocker runter durfte. Als ihre Mutter endlich abgelenkt war durch eine schwerwiegende Diskussion, ob es lieber Baumwollstoff, oder doch etwas besseres sein sollte, schlich sie weiter Richtung Tür. Sie wollte diesen Jungen unbedingt fragen, warum um alles auf Tare er sie geküsst hatte. Irgendwie ging ihr das nicht aus dem Kopf. Bisher hatten Jungen ihr höchstens mal an den Zöpfen gezogen oder ihr auf die Füße getreten, aber dieser Kuss nagte an ihr, weil sie ihn einfach nicht einzuordnen wusste. Als sie an die Tür kam, war er jedoch schon weg, schnell huschte sie auf die Straße und saß sich um. Wo war er nur hin? Er konnte doch nicht vom Erdboden verschluckt worden sein.

Gerade als sie sich wieder umdrehen wollte, um in die Schneiderei zurück zu gehen, sah sie ihn doch noch, wie er am Ohr hinterher gezogen wurde. Ein kurzer Blick zurück zur Schneiderei, dann lief sie über die Straße, wobei sie die Kutsche, welche gerade die Straße entlang rollte, erst sah, als die Pferde schon vor ihr Scheuten. Sie riss die Augen weit auf und starrte die zwei dunkelbraunen, hoch gewachsenen, edlen Rösser an. Angst, Panik, sie könnte zertrampelt werden. Für einen Moment herrschten nur noch diese Gedanken über sie, dann riss sie sich zusammen und machte beherzt einige Schritte weiter vor, wobei ihr auch ihr eigentliches Anliegen wieder einfiel. Das Geschrei des Kutschers völlig ignorierend, saß sie sich wieder um und so konnte sie gerade noch den letzten Blick auf den Jungen erhaschen, wie er in das Haus gegenüber der Schneiderei gezerrt wurde. Da wohnte er also, dass würde sie sich merken müssen. Sie wollte noch weiter gehen um zu sehen, wie die Leute dort in dem Haus hießen, aber da wurde sie schon herum gerissen und eine Ohrfeige landete schallend auf ihrer Wange. Autsch!

Der restliche Tag war mit ihrem ausreißen bereits vorgegeben. Kaum hatte ihre Mutter sie unter Schimpfen und Toben nach Hause gebracht, wurde sie in ihr Zimmer gestoßen und dieses abgeschlossen. Kein Kuchen, kein Abendbrot, wenn sie Glück hatte, würde sie morgen früh wieder ein bescheidenes Frühstück bekommen, aber das auch nur mit Glück, aber das war ihr egal, eigentlich kreisten ihre Gedanken nur um eine Frage. Wie konnte sie es schaffen, dass sie den Jungen absichtlich wieder sah?

Als der Morgen, nach einer eher durchwachten Nacht, anbrach, wusste sie die Antwort. Eine kleine Lüge konnte ihr weiter helfen, aber nicht heute. Nach gestern, wäre es keine gute Idee gewesen irgendetwas von ihren Eltern zu erbitten.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 13.07.07, 00:57 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
5
Zwischen der dreizehnten und fünfzehnten Stund’ des Tages, wenn so manch fleissigem Arbeiter bereits der Rücken schmerzt und Schwielen die schuftenden Hände übersäen, treffen sich die Damen der selbsternannten gehobenen Schicht zum all-nachmittäglichen Umtrunk in Meta Dantler’s Wohnküche. Ein reichhaltiges Kuchenbuffet, Tee aus allen Teilen des Königreiches und Geschwätz im Niveaubereich der Kanne mit welcher das heisse Getränk eingeschenkt wird, bilden die wichtigsten Zutaten für eine illustre Runde.

„Ich sage euch, meine Lieben, die alte Tritterley am Ende der Strasse machts nicht mehr lange. Ihre Kinder waren bereits da mit Meterband, Stift und Pergament. Letzthin. Haben wohl Mass für die letzte aller Kisten genommen.“ Wenessa Rimelda Emerson, Quark-Sträusel-Kuchen. Das zierliche Persönchen mit dem eingefallenen Körper, der unsagbar dünnhäutigen Nase und der beinahe schon nach innen gewölbten Oberweite hat ein Faible für Flaschen. Sowohl bei der Wahl ihres Mannes, einem leitenden Angestellten im Stadthaus, als auch wenn deren Inhalt etwas Hochprozentiges füllte. Im Stillen natürlich, einer Dame von Welt angepasst. Heute bleibt sie bei Hagebuttentee.

„Die olle’ Schabracke Louisa Titterley war im Quartier? Hätte mir das wer gesacht und ich hätt’ ihren schnuckligen Kopf vom Hälschen getrennt. Schnipp-Schnapp. Aber is klar, dass sich die nur blickn lässt, wenn die eigene Mudder den Löffel abgibt. Wo is’ eigentlich der Kirschkuchn?“ Die lauteste Stimme am Tisch. Erna Schild, gefüllte Fleischkarpfen. Ist das Glück so manchem Zeitgenossen untreu, scheint es Erna auf Schritt und Tritt zu folgen und stellt den einzigen Grund dar, weshalb dieser Berg von Frau an besagtem Tisch innerhalb von Metas Anwesen Platz nehmen darf. Die gelernte Metzgerin heiratete den wohl bekanntesten Waffenhändler des Landkreises. Emilius Schild hatte vor Kurzem bei einem Unfall mit einem seiner Schwerter beide Augen verloren, kurz nachdem sein Verhältnis mit Louisa Titterley in der Klatschspalte des hiesigen Boten gelandet war. An einen „Unfall“ glauben die wenigsten, welche bereits Bekanntschaft mit seiner zauberhaften Gattin gemacht haben. Im Wissen keine weiteren Augen mehr zu besitzen, verheimlicht Emilius bis heute, dass er sich weiterhin mit der jungen Titterley trifft.

„Werteste, der Kirschkuchen wurde bis anhin doch immer von Ina gebracht. Das letzte Mal vor vielen Wochenläufen. Meta, Liebste, haben deine Ohren bereits neue Kunde über ihren Verbleib vernommen?“ Die Hochelfin Minerva Esterell, Zimtplätzchen mit Kräuterbeigabe, überragt die Damenrunde um eineinhalb Köpfe. Ein Schnippen ihrer zarten Finger lässt die gusseiserne Teekanne mit einer eleganten, von Geisterhand geführten Bewegung empor schweben und sich über ihrer eigens mitgebrachten Goldrandtasse entleeren. Im Wissen, dass sie all ihre Freundinnen eigenhändig und in beständiger Schönheit zu Grabe tragen wird, lässt sie die oftmals keifende Atmosphäre der Gesprächsrunde mit Ruhe und Gelassenheit ertragen.

Meta Dantler hatte sich wie an jedem Tag für ihre Kolleginnen zurecht gemacht. Die Augenbrauen gezupft, das Haar zu zwei mächtigen Kringeln an beiden Kopfseiten zusammengebunden und ihren wohlgenährten Körper in einen Zweiteiler aus Seide gepresst. Endlich wurde der Bogen gespannt, damit sie die neuste aller Neuigkeiten, frisch von ihres Mannes Lippen, in Umlauf bringen konnte. Brannte es ihr doch, seit sie heute Morgen aus dem Bett gestiegen ist, unter den Fingernägeln. „In ihrem Garten wurden sechsundzwanzig Leichen gefunden!“ Wenessa hustet in ihre Tasse und die eben noch galant dahinschwebende, von Minervas Zauber geführte Teekanne fällt scheppernd auf den Tisch. „…und Ina und Henry sind verschwunden.“

„Sind sie nicht.“ Die dunkle, tiefe Stimme durchschneidet die eben entstandene, betroffene Stille. Antonius führt die sich voranschleppende, blutbespritzte Ina behutsam vor die versammelte Runde. Ihr mit dunkelroten Flecken besudeltes, triefendes Kleid hinterlässt von der nahen Eingangstür bis in die Stube eine breite, schleifende Spur auf den weissen Fliessen. „Ihr gackernden Hühner schweigt in der Viere Namen und du, Meta, holst eine Schale warmes Wasser. Wir gewähren Frau Ebbenbach Unterschlupf solange ihr durchgedrehter Mann noch auf freiem Fusse ist.“ Meta schnellt hoch, ihr Stuhl kippt nach hinten um. „Wi-wir grüssen dich Ina, sch-schön dass…“ „Wasser, Weib!“ Dantlers Stimme war noch immer von einer Leidenschaft beseelt, welche er selbst schon lange verloren glaubte. Sie schnellt los, schliddert kurz, mit ihren dicklichen Armen rudernd über die Blutspur und verschwindet alsbald ums Eck’.

Ohne falsche Scham kramt Wenessa in ihrer Tasche und zieht ein kleines Fläschchen Birnenbrand hervor. Wenn dies kein nachvollziehbarer Grund war in der Öffentlichkeit einen zu kippen, würde der Moment wohl niemals kommen. Unter Schnauben und mit einer dümmlich hochgezogenen Augenbraue durchbricht Erna die eiserne Kluft des Schweigens: „Ja is ja alles schön und jut. Aber du, Ina, sach mal, du hast nicht zufällig einen deiner Kirschkuchn mitgebracht?“


Zuletzt geändert von Mr. I: 13.07.07, 14:55, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 14.07.07, 04:42 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
Eine Woche war vergangen und Ina hatte auf braves, liebes Kind gemacht, immer mit dem Hintergedanken, dass sie nur auf die Weise etwas erbitten konnte. Sie hatte sich das neue Kleid, welches sie gestern abgeholt hatten, angezogen und selbst eine dicke Schleife ins Haar gemacht. Das rot des Kleides und der Schleife unterstrichen auf edle Weise das schwarz ihrer Haare und ihre blasse Haut. Kerzengerade und mit einem gerade zu als liebenswert zu bezeichnenden Lächeln ging sie hinunter ins Esszimmer, wo sich ihre Eltern bereits, an dem großen Kirschbaumtisch zum allmorgendlichen Frühstück, eingefunden hatten. Der Tisch quoll wie immer gerade zu über von Brot, Brötchen, Wurst, Käse und Marmeladen. So viel Essbares, wie man in einer ganzen Woche nicht hätte essen können. Die goldenen Umrandungen der Porzellanteller funkelten kurz auf, als eine leichte Windböe durch das geöffnete Fenster ins Innere strömte, die Gardinen aufbauschte und sich Felasstrahlen für einige Augenblicke über den Frühstückstisch ergossen. Ihr Vater saß wie immer an der Stirnseite des langen Tisches, ihre Mutter direkt gegenüber. Ihr eigener Platz lag genau dazwischen, welchen sie, nach einem kleinen, eigentlich völlig überflüssigen, Knicks und einem wohlerzogenen „Guten Morgen, Vater. Guten Morgen, Mutter.“, ansteuerte.

Inas Vater sah nicht einmal von seiner Zeitung auf, nur ein leises Gebrummel, aus welchem man mit viel Mühe und Phantasie ein „Morgen, Kind“ rekonstruieren konnte, drang von ihm hinüber und ihre Mutter war viel zu beschäftigt damit sich Marmelade auf das Brötchen zu schmieren, als dass sie überhaupt reagiert hätte. So setzt sich Ina auf ihren Platz, nahm die Stoffservierte und legte sie auseinander gefaltet, wie es sich für die feine Gesellschaft gehörte, auf ihren Schoß. Das Frühstück an sich lief äußerst ruhig ab, wenn man vom leisen Gebrösel der Brötchen und dem Rascheln der Zeitung einmal absah. Als schließlich alle soweit waren, dass man hätte aufstehen können um seinen Tagesgepflogenheiten nachzugehen, fasste sich Ina ein Herz. „Ich hätte da eine Bitte, Mutter.“ Mit einer Tonlage, wie man sie eigentlich eher von Erwachsenen, denn von Kindern gewöhnt ist, brachte sie die Worte etwas gedämpfter hervor. Ihre Mutter hielt mitten in der Aufwärtsbewegung inne, welche sie eigentlich vom Stuhl befördern sollte und setzte sich zurück. Ein eher kleiner Wink gestattete Ina weiter zu sprechen. Ein Wink, nicht einmal ein Wort, oh wie Ina dieses Getue doch verabscheute, aber sie riss sich zusammen, schließlich wollte sie ja etwas. „Ich würde gern einen Jungen aus der Tempelschule besuchen gehen. Man sagte uns, wir sollten bis zum nächsten Mal einige Dinge zusammen herausfinden. Hättest du etwas dagegen, wenn ich da heute hingehe?“ Die Kleine hielt den Atem an, ob ihre Mutter auf die Ausrede mit der Tempelschule hereinfiel? Wenn sie auch nur annähernd wusste, welche Kinder sich dort aufhielten, so würde ihr Plan gleich ins Wasser fallen, aber eigentlich glaubte sie nicht daran, schließlich interessierte sich ihre Mutter nur für sich selbst. „Du weißt wo der Junge wohnt?“ Die Kleine nickte nur andeutungsweise, noch immer die Luft anhaltend. „Dann sag es Beranie, sie wird dich hinbringen.“ Sie holte tief Luft, als sie bemerkte, dass sie diese die ganze Zeit angehalten hatte. Sie hatte es tatsächlich geschafft, nun sah sie zu, dass sie schnellstmöglich ihr Kindermädchen fand.

Es kostete sie einen geschlagenen, halben Hellzyklus, Beranie davon zu überzeugen, dass sie sofort dahin müsse und nicht erst nach dem täglichen Privatunterricht, aber sie hatte es geschafft, auch wenn es noch ein paar Lügen mehr bedurfte, aber es würde sich lohnen. Ihre Neugierde machte ihr schließlich zu schaffen und sie würde nicht noch länger auf Antworten warten. Diesmal zerrte die Kleine, die Erwachsene hinter sich her. Es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen zu diesem Haus zu gelangen um dort anzuklopfen. Was er wohl sagen würde, wenn sie plötzlich da war? Ob er sich überhaupt noch an sie erinnern konnte? Je näher sie dem Haus kam, desto nervöser wurde sie. Vielleicht war es ja auch gar nicht so gut das zu machen. Zu spät. Da war das Haus schon, das große Gartentor, die Haustür und Beranie klopfte bereits an. Als die Haustür von einem Mann im dunklen Anzug und Handschuhen, offensichtlich ein Bediensteter, geöffnet wurde, fiel der Kleinen erst auf, dass ihr Plan einen nicht gerade kleinen Haken hatte. Sie wusste gar nicht, was sie hier sagen sollte, warum sie da war, sie wusste ja nicht einmal den Namen des Jungen. Fieberhaft überlegte sie, sie hatte den Namen schon einmal gehört, im Park, als sich ihre Wege getrennt hatten, aber wie in der Viere Namen war dieser Name noch mal? Der Mann blickte abwartend auf die Kleine hinab, die schließlich mit Bestimmtheit sagte: „Ich möchte gern zum Sohn des Hauses.“ Bitte lasst ihn keine Geschwister haben. „Das Thema worüber er heute mit seinem Lehrer...“ Hoffentlich hatte er überhaupt einen Hauslehrer. „…spricht, sollte in meinem Beisein erklärt werden, da meine Hauslehrerin es für angebracht erachtet. Ich weiß nur nicht mit wem das abgesprochen worden ist.“ In ihrem Blick lag bei den Worten etwas, was ein Bediensteter kaum einfach so abtun konnte, denn wenn sie etwas von ihrer Mutter gelernt hatte, dann den herablassenden Umgang mit dem Personal, jetzt hoffte sie nur, dass das auch von Kind zu Personal funktionierte. Wieder hielt sie die Luft an, als die Endlosigkeit der Stille sich überl sie egte, ehe man ihr tatsächlich die Tür öffnete und den Weg hinauf wies ins Studierzimmer. Schnell schickte sie Beranie noch nach Hause, mit den Worten, dass sie schon zurück gebracht werden würde und eilte dann die Treppen hinauf.

Die dunklen schweren Türen, welche zum Studierzimmer führten waren schon beeindruckend, überall waren kleine und eher fein gehaltene, aber gerade darum so edel wirkende, Schnitzereien angebracht und auch der kupferne Türknauf, war ein eigenes kleines Kunstwerk, ein Löwenkopf, dessen Augen einen gerade zu anzustarren schienen. Die Kleine schluckte schwer als sie die Hand an den Knauf legte. Es gab einfach kein zurück mehr, also Augen zu und durch und nur wenige Augenblicke später stand sie auch schon im Studierzimmer. Kaum ein Blick für all die Bücher und die schönen bunten Fenster, legte sich ihr Blick sofort auf den Jungen, welcher mittig an seinem Schreibpult saß. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sie betrachtete. Noch bevor er irgendetwas sagen und sie vielleicht damit sogar verraten konnte, erhob sie das Wort und erklärte in schlichten Worten, dass man sie hergeschickt hatte, weil ihre Hauslehrerin erkrankt wäre und man es gern sehen würde, dass sie hier am Unterricht teilnahm. Sie wüsste zwar nicht, wer das mit wem abgesprochen hätte, aber da sie den Sohn des Hauses ja schon länger kennen würde, wäre es nicht verwunderlich, dass sie nun hier wäre. Mit jedem weiteren Wort von ihr sah Henry sie mit stetig wachsendem Erstaunen und Respekt an.

Der Hauslehrer lies sich tatsächlich mit diesen Worten abspeisen und lies sie neben dem Jungen platz nehmen. Wobei er ihr sogar den Stuhl zu recht rückte, unangenehmer Weise tätschelte er auch dabei an ihr herum, strich ihr kurz über die Schulter und den Rücken. Ein Schauer ging durch den kleinen Leib und Ekel stieg in ihr auf, aber sie sagte nichts. So saßen die Beiden still an ihren Tischen und taten das was man so tat, sie lernten. Wobei Henry des Öfteren das Lineal zu spüren bekam, was die Kleine jedes Mal zusammen zucken lies. Er tat ihr einfach Leid, so etwas hatte er nicht verdient. Was aber fast noch schlimmer war, nach jedem zusammen zucken, kam dieser schleimige Lehrer zu ihr und tätschelte ihr den Kopf, streichelte ihr über die Wange oder die Arme und er sah sie die ganze Zeit so seltsam an. Er war ihr einfach unangenehm und fast schon wünschte sie sich, gar nicht erst hergekommen zu sein. Sie hatte das Gefühl, dass dieser Mann nichts Gutes im Sinn hatte. Niemals zuvor hatte ein Erwachsener sie derart angefasst. Übelkeit stieg mit jeder Berührung in ihr auf. Was konnte der nur von ihr wollen? Tief in ihre Gedankenwelt verstrickt bemerkte sie nicht einmal den Blick mit welchem Henry das Treiben seines Lehrers begutachtete. Konnte man einem kleinen Kind Hass als Gefühlsregung zusprechen? Normal würde man wohl nein sagen, wenn da nicht Henrys Blick gewesen wäre, der gerade zu vor Hass nur so Feuer fing.

Eine Weile ging so herum und es wurde eine kleine Pause angesetzt in der die Beiden etwas Zeit für sich hatten, da der Hauslehrer hinab in die Küche gegangen war um das zu tun, was er dort immer tat. Er flirtete mit der Kammerzofe der Hausherrin herum, nur um ihr einige Gläser des guten Whiskys der Herrschaften abzuschwatzen. So waren die Kinder allein in dem Zimmer. Ina hatte es sich auf der Fensterbank gemütlich gemacht und Henry stand vor ihr, wieder lag in seinem Blick Bewunderung für dieses Mädchen. Er hatte noch nie ein Mädchen kennen gelernt, was derart lügen konnte, ohne auch nur einen Anflug von roten Wangen zu bekommen und vor allem, was log, nur um in seiner Nähe zu sein. Das Ganze war irgendwie faszinierend und wurde immer faszinierender, als sie ihm ihre Geschichte erzählte, wie sie es überhaupt geschafft hatte herzukommen. Die Frage nach dem Kuss jedoch, blieb ungestellt zwischen ihnen im Raum stehen und obwohl es beide beschäftigte, traute sich keiner auch nur ansatzweise an diese, für sie, weltbewegenden Dinge heran. Doch nicht lange währte ihre Zweisamkeit an und der Lehrer kehrte zurück. Er hatte dieses Mal dem Whisky deutlich mehr zugesprochen, als gut für ihn war. Seine Wangen glühten rot, der Blick war leicht getrübt und sein Atem roch übel nach Alkohol.

Hatte er Ina bereits vor der „Zwischenmahlzeit“ schon viel zu viel Beachtung geschenkt, so verstärkte sich dies nun umso mehr. Ständig stand er hinter ihr und betatschte sie wo er nur konnte. Ihr wurde immer unwohler in ihrer Haut. Was wollte er nur von ihr? Immer wieder rutschte sie ein Stück zur Seite oder vor auf ihrem Stuhl um seinen schwitzigen Händen zu entkommen, aber alles half nichts, immer wieder drängte er sich ihr näher. Hier, weil sie einen Schreibfehler gemacht hatte, da weil sie eine Antwort richtig gegeben hatte. Die Zeit zog sich wie zähflüssiger Honig dahin und sie dachte schon, dass sie diesen Kerl wohl nie wieder loswerden würde, aber schließlich war es doch so weit. „Wenn du möchtest, darfst du gern wieder kommen, Ina. Du bist ein sehr fleißiges Kind und eine wahre Freude.“ Wiederkommen? Mit Sicherheit nicht, niemals würde sie diesem schleimigen Kerl auch nur wieder zu nahe kommen.

Als die Drei das Studierzimmer verließen und sich der Treppe zuwandten, war das was kam, so unwirklich, dass sie es erst gar nicht wirklich realisierte. Der Lehrer ging vor ihnen her und hatte schon die ersten beiden Stufen hinab genommen, als Henry sich entschlossen hinter ihn begab und ihn so fest schubste, wie er nur Kraft aufbringen konnte. Der Mann verlor das Gleichgewicht, fuchtelte wie blöd mit den Händen in der Luft herum und stürzte schließlich diese endlose Treppe hinab. Ein lautes Poltern und ein Schreien hallte durch die große Eingangshalle, ein Knirschen, als würde man einen dicken Stock zerbrechen, dann wurde es still. Einen Moment lang blickte der Junge hinab zu dem völlig verdrehten Leib des Lehrers. Es wirkte so seltsam, wie die Beine schräg abgewinkelt auf dem marmornen Boden lagen und auch der Kopf, der unnatürlich weit zurück gedreht war, war ein Anblick, den beide Kinder wohl so schnell nicht vergessen würden. Henry drehte sich zu Ina um und lächelte sie sanft an, was irgendwie völlig skurril und unpassend in diesem Moment wirkte und seine Worten waren sanft und leise. „Er wird dich nie wieder anfassen.“

Als die Hausangestellten endlich im Treppenhaus angekommen waren, gellte ein neuerlicher Schrei durch das Haus, dieses Mal von der Zofe, welche auch sofort danach in Ohnmacht viel. Schnell war festgestellt, dass es keine Rettung mehr für den Hauslehrer gab. Er war tot. Als man zu den Kindern hinauf sah, saßen sie dort auf der obersten Stufe, Arm in Arm, als würden sie sich so gegenseitig trösten wollen. Die Ruhe die Beide umgab, deutete man als Schock über das Geschehene. Als man beide schließlich trennte um Ina schnellst möglich nach Hause zu bringen und Henry in sein Zimmer, sah die Kleine noch einmal zurück zu dem Jungen und noch im Gehen, kurz bevor sie zur Tür hinausgeschoben wurde, hörte man ihre seltsam ruhigen Worte zu ihm gehen. „Fast wie der Käfer mit den roten Punkten.“


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 16.07.07, 00:47 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
6
„Rino, nimm bitte Folgendes für deine Akten auf: ‚Frau Ina Ebbenbach, gebürtige Moiritz, bestätigte am Mondtag, dem 6. Sekar, 14 nach Hilgorad, dass ihr Mann, Henry Ebbenbach, für die Tötungen an dreizehn Bürgern der Stadt Ignes und vierzehn Freien verantwortlich ist. Das letzte Opfer, Eduard Niderberg, wurde vor einem Tageslauf im Rahmen seiner engsten Familie beigesetzt. Frau Ebbenbach wurde von ihrem Gatten nach den Verbrechen als Geisel genommen und konnte sich in einem unachtsamen Moment aus dessen Klauen befreien. Sie findet derzeit Schutz im Hause Dantler an der Biniasgasse im zweiten Distrikt.’“ „Denkst du, dass das eine gute Idee ist, sie bei dir unterzubringen, Anton?“ Rinos Hand gleitet mit der geübten Schnelligkeit eines langjährigen Beamten im Namen der allerheiligsten Krone über ein säuberliches Blatt Pergament und hält das Gesagte in eben denselben Worten fest, wie sie Dantlers Mund verlassen. „Lass meine Sorgen nicht zu deinen werden, alter Freund. Deine Aufgabe ist es diesen Fall in aller Munde zu halten. Jeder Soldat, jeder noch so unwichtige Laufbursche der diese Wachstube betritt soll von diesen Gräueltaten erfahren. Der Name Henry Ebbenbach soll wie ein drohendes Schwert über der Stadt harren und zur Vorsicht ermahnen. Zumindest bis ich ihn gefasst habe.“

Die Nacht schleicht schon lange durch die Strassen und klopft mit dem mitgebrachten eisernen Wind gegen die Fenster der schlafenden Bürger, deren müde Glieder sich vom Tagewerk erholen. Regen hängt abwartend in den Schleierwolken über den nicht allzu fernen Hügeln. Die Luft ist von Feuchtigkeit getränkt. Während Antonius mit gesenktem Kopf, die glimmende Pfeife im Mundwinkel, seinen Weg nach Hause antritt, entfliehen Rinos mahnende Worte der Vorsicht aus seinen Gedanken und machen der betäubenden Schwerelosigkeit des Dämonengrases platz. Er war zufrieden. So zufrieden, wie er es schon seit Jahren nicht mehr war. Dantler wusste, dass er dieses Spiel gewinnen würde, früher oder später und dass er es geniessen würde diesen Bastard von Ebbenbach am Strick baumeln zu sehen. Einen Logenplatz würde er sich reservieren lassen, Brot und Wein mitbringen, im Jubelgesang des gemeinen Pöbels einstimmen und er würde diesem menschlichen Abschaum im Stillen danken. Danken dafür, dass er ihm das unwillentliche Geschenk der verlorenen und zurück gewonnenen Leidenschaft, seiner Lebensfreude, gemacht hat. Preschend fegt eine Windböe durch die Stadt und verrichtet die Arbeit eines Fegers, welcher gerade dabei war die noch leuchtenden, schwankenden Öllaternen an den Lampenpfosten zu löschen.

Vor der grossen zweiflügeligen Tür zu seinem Haus hält der mittlerweile lächelnde Leutnant inne und macht sich daran die Pfeife im Blumentopf unter der angerosteten Klingel auszudrücken. Meta mochte keinen Qualm innerhalb ihrer Mauern. Ihrer Mauern. Von der Beschwingtheit des vergangenen Tages gepackt, drückt Antonius die Pfeife zurück in seinen angehobenen Mundwinkel und tritt ein. Seine Mauern, seine Pfeife, sein Dämonengras, sein Rausch, sein bald eintreffender Erfolg. Die geschmackvolle Einrichtung, wie das gesamte Innere des Hauses liegt im aschfahlen Grauton der Nacht. Mit etwas Glück würde er sein nach Zärtlichkeit hungerndes Weib bereits schlafend vorfinden und so schleicht er auf leisen Sohlen durch die Wohnküche zur Treppe. „Herr Dantler?“ Leise flüsternd dringt die Stimme von Ina aus der Dunkelheit des oberen Stockes zu ihm herab. „Herr Dantler seid ihr es?“ „Ina? Ich bin es.“ Wie gerne hätte er ihr gesagt, dass er nicht er selber, sondern ein geläuterter, erwachter, ins Leben zurückbeorderter Antonius Dantler sei, doch an der Unsicherheit in ihrer Stimme machte er fest, dass ihr dies wohl einen unnötigen Schrecken eingejagt hätte. „Ich habe Angst. Ich meine, was ist, wenn Henry mich hier findet?“ Schritt für Schritt, Stufe für Stufe erklimmt er die breite Treppe und während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen, erkennt Anton Inas Konturen, zusammengesunken auf dem obersten Treppenabsatz sitzend. „Er wird euch hier nicht finden. Ich und meine Frau sind für euch da, Tag und Nacht. Die Tür ist mit drei Schlössern gesichert.“ „Ich habe Angst...“ Mit einer wackeligen, wohl auf das Dämonengras zurückzuführenden Drehung, setzt er sich neben sie und legt ihr beruhigend den Arm auf die dünnen, schmalen Schultern.

„Wisst ihr, Herr Dantler, als ich das Wesen erkannte, welches in Henry schlummerte, tat ich nichts. Ich tat einfach nichts, hätte jedoch so viel verhindern können. Männer verloren ihre Frauen, Kinder ihre Eltern. Weshalb habe ich nichts getan?“ „Ihr dürft euch nicht die Schuld an den Untaten ihres Gatten geben, Werteste.“ Ein leiser Teppich aus gedämpftem Flüstern umgibt die beiden. „Henrys Augen hatten immer die Farbe von frischem Gras, hell und erquickend. Ich war wohl von der Farbe so geblendet, dass ich nicht hinter sie sehen konnte“, ein kurzes Schweigen, ehe ihre sanfte, ruhiger gewordene Stimme wieder an sein Ohr dringt. „Ich habe einmal gehört, dass der Tod in Endophal nicht dunkel ist, sondern von Farben erfüllt. Kunterbunt. Was denkt ihr, Antonius, welche Farbe hat der Tod?“ Als würde sie auf die gestellte Frage keine Antwort erwarten, greift sie seine Hand von ihrer Schulter und führt sie behutsam auf ihre rechte Brust. Er zuckt zurück. „Helft mir, Anton.“ „Frau Ebbenbach, das geziemt sich nicht.“ Seine Worte klingen so gekünstelt abgeneigt, dass er beinahe gelächelt hätte und wieder macht sich das nicht unangenehme Ziehen des Dämonenkrautes auf den Weg von seinen Schläfen bis zu seiner Stirn. Benebelte Sinne. Ihre Konturen scheinen sich für einen Moment aufzulösen und mit dem Dämmerlicht zu verschwimmen wie Wasser, welches vom Krug in die Tränke zurückgeleert wird. Das zweite Mal als sie seine Hand zur vorgesehenen Stelle auf ihrem Körper führt, ist kein Erwehren zu spüren. "Lasst mich das Grün seiner Augen vergessen. Lasst mich alles vergessen.“

Es war das Gefühl der Berührung, ihr Atem aus dem Dunkel, heiss glühend an seinem Hals, welcher selbst den Rausch aus seiner Pfeife, mittlerweile freiwillig gelöscht, an Intensität übertrifft. Die dumpfe Vorahnung, dass gleich seine Frau mit einem Nudelholz, dick wie ihre eigenen Oberschenkel aus dem Schlafzimmer gestürmt kam, verflog ebenso schnell, wie der der Funke schlechten Gewissens eine Frau in einer traumatischen Situation auszunutzen. Er ist ein alternder Mann dessen Glück in den letzten Tagen kein Ende zu nehmen schien und er ist ein Mann, der sich nach Jahren mit einem gefrässigen Ehedrachen gerne von den schönen Seiten der Zärtlichkeit und Begierde überzeugen lässt. Ina knöpft ihre gänzlich knitterfreie Bluse auf, einen Knopf nach dem anderen, und führt seine Hand gleichzeitig tiefer und tiefer in die dabei entstehende Öffnung. Körper an Körper, dicht gedrängt stehen beide auf. Das Bild über ihren Köpfen schwankt, als er sie gegen die Wand zu ihrer rechten drängt und instinktiv, ihrem Atem folgend, nach ihren Lippen sucht. Süss wie Honig. Würzig wie Kapern aus dem tiefsten Süden des Königreiches. Von seinen Trieben geblendet, der Sanftheit ihrer Haut abgelenkt, bemerkt Dantler nicht, wie sich ein Kerzenhalter, von Menschenhand getragen, durch den unteren Teil des Hauses, die Wohnküche, bewegt.

„Liebes, dauert das noch lange? Ich will dich ja keineswegs drängen, doch die Damen hier beginnen mit Sicherheit bald einen unangenehmen Duft zu verströmen und du kennst ja meine empfindliche Nase.“ Als der Kerzenschein auch den oberen Stock erleuchtet und die näselnde Stimme des Mannes den bislang stillen, von seinem eigenen keuchenden Atem erfüllten Raum durchschneidet, fällt Antonius Dantlers Vorhang der Erkenntnis. Ein kurzer Blick über die Schulter hinab, bestätigt sein Gefühl nun selbst den Strick des Galgens um seinen Hals zu fühlen. Um den Tisch, in gewohnter Sitzordnung und die Gesichter in den eigenen mitgebrachten Torten vergraben, sitzen Rimelda Emerson, das Schlachtschiff Erna Schild mit weit aufgerissenen Augen und mit einem von Essensresten überquellenden Mund, Minerva Esterell und seine Meta. Seine Meta, für die er mit einem Mal wieder etwas empfand: Mitleid und Trauer. Ein Quartett erstickt an ihren letzten Bissen. Und neben ihnen Henry Ebbenbach in einem feinen, massgeschneiderten Anzug, einem seichten wohlwollenden Lächeln auf den von einem dünnen Oberlippenbärtchen gezierten Lippen. Antonius greift mit der ihm beigebrachten Schnelligkeit einer Wildkatze nach seinem Schwert und bemerkt, bevor er ins Leere fasst am Schmunzeln in Inas Augen, dass sie es ihm im anfänglichen Akt der Leidenschaft abgeschnallt hatte. „Ich bin gleich bei dir, mein Liebster.“ Zärtlich greift sie mit ihrem Zeigefinger nach Dantlers Hemdkragen und zieht ihn zu einem letzten Kuss zu sich, ehe sie ihn mit demselben Finger ein nur kleines Stück nach hinten stösst und ihn damit des Gleichgewichts beraubt.

Während Antonius Dantler, erfolgreichster Ermittler der Stadt Ignes, mit seinen Armen rudernd dem letzten Schmerz seines Lebens entgegen fällt, liegt sein Blick auf der eleganten Frau am obersten Treppenabsatz. Ihrem pechschwarzen Haar, der hellen Haut und ihren feuerroten Lippen und mit einem Male wurde ihm seine Nachlässigkeit im Rausche der neu entflammten Leidenschaft bewusst. Als er die verängstigte Ina unter dem Stand auf dem Marktplatz hervor zog, als er Rino und weiteren herbeieilenden Soldaten Befehle erteilte, die gaffenden Bewohner in die Schranken wies, als er sich fühlte wie vor vielen, vielen Jahren, bemerkte er sie nicht, ihre roten Lippen. Welches Opfer in Angst und Furcht würde sich während ihrer Geiselnahme regelmässig die Lippen nachziehen? Es wird still um ihn, weit entfernt hört er den einsetzenden Regen gegen die mannshohen Fenster seines Hauses prasseln und während er den Blick weiter zu ihr nach oben gerichtet hält, weiss er eine Antwort auf Inas Frage. Eine Antwort auf die wichtigste Frage seines Lebens. Es fröstelt ihn bei dieser Erkenntnis.

Die Farbe des Todes ist jene der Kirschen in einem einst schönen Garten, dem Blut, fliessend durch dir Fugen eines Pflastersteinplatzes, den zwei Punkten auf dem Rücken eines Käfers. Die Farbe des Todes ist die ihrer Lippen.

ROT.


weiter zu SCHWARZ


Zuletzt geändert von Mr. I: 30.07.07, 16:28, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 10 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de