Kühle modrige Luft schlug ihr entgegen als der alte Wärter die quietschende Eichentür aufsperrte, die den Zugang zu den Kerkern und Verliesen der Stadt Falkenstein frei gab. Ein rundes Gewölbe, das einzig und alleine eine in Stein gehauene, schlüpfrige Wendeltreppe beherbergte, tat sich vor ihr auf. Die ausgetretenen Stufen, die schon seit Jahrhunderten in regelmäßiger Benutzung standen, führten steil hinab in eine Finsternis, deren Ende nicht zu erahnen war. Der Wächter entzündete zischend seine Fackel an einer anderen und wandte ihr das pockennarbige Gesicht zu. „Bleibt immer hinter mir junge Frau, diese Sprossen sind tückisch und wenn Ihr stürzt, dann wird der alte Ben Euch schon auffangen!“ er präsentierte ihr ein zahnlöchriges Lächeln, das erkennen lies, dass ihm ein solches Malheur nicht ungelegen kommen würde. Ein Grund mehr für sie bei dieser Sache die Augen offen zu halten.
Mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend folgte sie dem spärlichen Fackellicht, das an dem glitschigen, mit Moos überwucherten Mauerwerk gespenstische Schatten warf. Schatten, die nicht da sein sollten und es vermutlich für die weniger Intuitiven auch nicht waren. Gebilde, die nun an den Wänden einen höhnischen Tanz vollführten, als wollten sie Akora und ihre Dummheit hier her zu kommen verspotten. Tatsächlich war sie mehr gezwungener Massen hier, denn freiwillig. Vor drei Tagen hatte sie die Stadt erreicht und wollte von hier aus weiterreisen nach Siebenwind, doch vorher war es nötig sich das Kleingeld für die Überfahrt im örtlichen Hospiz zu verdienen. Dank einiger netten Herren und eines tiefe Einblicke schenkenden Wamses hatte sie auch mehr als nötig zusammen gekratzt und wollte sich gerade daran machen ihre Sachen zu packen um sich nach einer Überfahrt zu erkundigen, als die Tür aufsprang und eine düster drein blickende Wache nach einem Arzt verlangte. Die anderen Heiler zögerten, lang genug, dass dem Soldaten der Geduldsfaden riss und er einfach den nächststehenden mitnahm, was zu ihrem Leidwesen Akora war. Sie hatte keine Ahnung, was die anderen zum Zaudern gebracht hatte, aber es bedurfte nicht der Hellsicht um zu wissen, dass ihr eine Aufgabe bevor stand, die keine Annehmlichkeiten versprach.
Es wurde heller und die Treppe fand abrupt ein Ende in einem ebenmäßigen, platt getrampelten Erdboden. Zur rechten Seite hin waren in gleichmäßigen Abständen Fackeln in Halterungen eingelassen und flackerten, von keinem Luftzug gerührt, müde vor sich her.
„Einfach gerade aus den Gang entlang und halte dich immer an der Wand Mädchen, sonst reißen dir die Hundsfötte die Kleider vom Leib, was ich ihnen nicht mal übel nehmen kann.“ Der alte Ben grinste sie lüstern an, wandte sich jedoch ab um mit einem schwerfälligen Grunzen den Aufstieg zu beginnen.
Sie nahm sich seinen Rat zu Herzen und hielt sich rechts, als sie den Bereich der Kerker erreichte. Der Geruch von Schweiß und Kloake strich ihr penetrant um die Nase, als sie den Bereich erreichte, an dem dicke Gitterstäbe eine Meute von, wie Tiere zusammen gepferchten, Gefangenen vom Weg trennte. Diebe, Schläger und Wegelagerer, die nichts so schlimmes verbrochen hatten, dass es eine Einzelzelle rechtfertigte und nach Absitzen einiger Monate wohl wieder auf freiem Fuß waren, schätzte sie.
„Hey Schönheit,“ vernahm sie die Stimme eines hageren Mannes, der sich an die Eisenstäbe drängte und sich durch die fettigen langen Haare strich „ich habe hier etwas besonders großes für dich, du brauchst nur herkommen und deinen Rock zu lupfen!“ er lies die schäbige Sackleinenhose herunter und präsentierte sein steil aufgerichtetes Glied, dass er mit eindeutigen Bewegungen zwischen den Gitterstäben vor und zurück schob. Akora hielt in sicherem Abstand inne, musterte erst den Mann mit einem Anflug von Erheiterung eingehend und dann ohne rot zu werden sein Gemächt. Einen kurzen Moment war trotz der vielen eingesperrten Menschen nur das Knistern der Fackeln zu hören, bis sie entgegnete: „Was auch immer du mit groß meinst, mein Liebster, das was du mir da gerade zeigst, ist es nicht.“
Sie schenkte dem Besitzer des verwelkenden Glieds ein bezauberndes Lächeln, während die Zeugen ihrer Worte in ein schallendes Gejohle verfielen. Einer, der es wagte dem Gedemütigten aufmunternd auf die Schulter zu klopfen bekam schmerzvoll die Faust von selbigem ins Gesicht und taumelte geradewegs in die Arme der Nächststehenden. Mit hochrotem Kopf und einem Blick, der töten konnte fauchte er zu Akora hin: „Warte bis ich hier raus komme, dann werde ich mir dich schnappen und dich so richtig durch f….!“ „Schweigt!“ unterbrach eine gebieterische Stimme das allgemeine Gemurmel „Ihr alle!“ Sofort erstarb das Gelächter. Die Insassen zogen sich in die Zelle zurück, als hätte der soeben herangetretene junge Mann eine ansteckend, tödliche Krankheit. Mit einem Ausdruck, der keinen Widerspruch duldete fixierte er die Gefangenen.
Der Umhang und der Wappenrock, die den Neuankömmling als Geweihten Bellums auswiesen, war das erste was ihr an ihm auffiel und erst sekundär das tadellose, schöne Antlitz und die penibel zurückgebundenen blonden Haare. Ein Mann, dem die Frauen zu Füssen lagen und der zweifelsohne nicht davor zurück schreckte vielen der Frauen dann auf die Beine zu helfen und sie dazu zu bringen sich woanders hinzulegen. Etwas unerbittlich Hartes lag jedoch in seinen Zügen, etwas, das vor keiner Grausamkeit der Welt zurück schrecken würde, wenn es dazu dienen konnte seinen Willen zu erfüllen.
„Dies ist nicht der richtige Ort für eine Dame!“ raunte er ihr zu, hakte bestimmend unter ihrem Arm ein und führe sie mit einem gewinnenden Lächeln den Gang weiter hinab. „Mein Name ist übrigens Gilbarath Dakorvian und der Eurige, Heilerin?“ „Lilia Arastis.“ Log sie ohne auch nur mit der Wimper zu zucken den Namen vor, den sie in diesem Ort benutzte und mit dem Wissen, dass alles was sie nun sagte und tat ihren Untergang bedeuten konnte.
Je tiefer sie in die unterirdischen Katakomben gelangten, umso stickiger wurde die Luft um sie herum. Der Untergrund war gesäumt von Pfützen, die sich wiederum von dem Wasser, das von der Decke tropfte, nährten. Der Weg führte sie vorbei an verschlossenen Kerkertüren, hinter denen die verschiedensten Laute zu hören waren. Der dem Wahnsinn nahe Singsang eines Kinderliedes aus männlicher Kehle. Kratzen von Fingernägeln über Schiefer. Von leisem Wimmern hin bis zu wütendem Gebrüll. Jeder Ton des Leidens war vertreten.
Sie erreichten eine massive eisenbeschlagene Tür, die Gilbarath rasselnd aufschloss. Noch weiter den Gang hinab war das Knallen einer Peitsche zu hören und das darauf folgende gepeinigte Schreien eines Menschen, das in ihren Ohren tierisch klang.
Ihr Herz machte einen Aussetzer, als sie erkannte, was sich in der Zelle vor ihr offenbarte. Eine Frau lag dort auf verwanztem Stroh, ausgemergelt und man hatte sich nicht die Mühe gemacht ihren nackten Leib mit was auch immer zu bedecken. Wie ein verendendes Tier, dessen Tod besiegelt war, das aber nicht von allein sterben konnte und für das der Schlachter noch keine Zeit gefunden hatte, lag sie da. Die roten Haare waren büschelweise ausgerissen und da wo einst volle Lippen den anmutigen Gesichtszügen ein zauberhaftes Lächeln verliehen war nur nicht eine blutige Masse übrig geblieben.
Die Schultergelenke waren ausgekugelt, was darauf schließen lies, dass man sie mit auf den Rücken gebundenen Armen hatte aufziehen lassen. Weiß schimmerten die Knöchel an den Stellen hervor, wo Finger von den Händen abgetrennt worden waren, während beide Daumen augenscheinlich Bekanntschaft mit einer Daumenschraube geschlossen hatten. Rote Striemen auf dem Oberkörper zeugten stumm von der Geißelung durch eine Rute. Die Symbole der Vier waren ihr mit einem scharfen Messer tief in die milchig weiße Haut geschnitten worden und die Beine trugen die Merkmale eines zuvor getragenen endophalischen Stiefels.
Akora wandte den Blick ab. Sie hatte Verwundete von Schlachtfeldern gezogen, heraus quellende Gedärme wieder an die dafür vorgesehenen Stellen positioniert und war nicht gerade zimperlich, aber bei dem Anblick von dieser bewusst zugefügter Grausamkeit verschlug es sogar ihr den Atem. Wer war zu so etwas in der Lage? Die Kirche. Sie kannte die Antwort noch ehe Gilbarath sie aussprach.
„Die peinliche Befragung hat die Wahrheit aus dieser Hexe heraus gelockt,“ begann er mit verächtlicher Stimme zu erzählen „sie hat gestanden und wird noch viel mehr gebeichtet haben, wenn ich mit ihr fertig bin. Mit den Dienern des Einen hat sie es des Nachts, als sie sich unbeobachtet wähnte, getrieben, die Dirne.“ Er löste die Verschränkung seiner Arme, trat in die Zelle hinein und ging in die Hocke. Zärtlich, wie ein Geliebter strich er der Gepeinigten mit den Fingerkuppen über die Haut. Die Frau begann am ganzen Leib vor Angst zu zittern. Ihr Blick starr vor Entsetzen und Hilflosigkeit auf Akora gerichtet. Sie mochte alles sein, aber eine Hexe war die vor ihr Liegende nicht, wie Akora nur zu gut erkennen konnte. Gilbarath fuhr fort ohne das Augenmerk von seinem Opfer abzuwenden „Sie hat sich beschmutz, als ich sie aufziehen lies. Hat immer wieder unwürdig gekreischt und geschrieen, während sie gestanden hat jungen Müttern die Kinder aus der Wiege gestohlen zu haben um sie mit dämonischen Wechselbälgern auszutauschen. Oh, wie sie geweint hat, als sie erzählte, wie sie letzten Bellum die Ernte mit einem riesigen Unwetter vernichtet hat und doch lag keine Reue in den Tränen der Hexe. Sie weinte vor Freude!“ vollendete er den letzten Satz empört und schlug der Wehrlosen, das Jochbein zertrümmernd, die Faust ins Gesicht, was der Gefolterten das Bewusstsein raubte.
Er stellte sich hinter Akora, legte ihr in einer Geste der Überordnung die Hände auf die Schultern. Ein eiskalter Schauer ran ihren Rücken hinab, als sie seinen warmen Atem in ihrem Nacken spürte, als er sich ihrem Ohr näherte um leise, als gälte es ein Kind zu beruhigen fortfuhr „Sie hat die Männer verhext mit ihrer Schönheit. Ihre Lenden zum Kochen gebracht mit einem einzigen Lächeln. Wohin sie kam hat sie Streit gesät. Doch die Vier werden ihr in ihrer unendlichen Gnade vergeben, wenn wir ihren sündigen Körper erst den reinigenden Flammen übergeben haben.“ Er schwieg andächtig und zog sie enger an sich heran. Sie wollte ihn wegstoßen, ihm eine saftige Ohrfeige geben, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass sie so enden würde, wie die Frau in der Zelle, wenn sie es tat.
Tarnung ist alles. Sie wandte sich ihm zu mit dem hinreißendsten Lächeln, das sie zu bieten hatte. „Ihr seid ein großartiger Mensch, uns alle so hingebungsvoll von dieser Hexenplage zu befreien.“ Säuselte sie liebreizend, obwohl sie ihm lieber ins Gesicht gespuckt hätte. Er gab ihr einen Klaps auf den Po, was ihr ein vorgegaukeltes, verlegenes Weiberkichern entlockte, aber innerlich rief sie die alten Mächte an um ihn zu verfluchen. Impotenz für die Ewigkeit war noch eine viel zu milde Strafe, aber die Einzigste, die sie mittels eines Kusses auf seine Lippen anbringen konnte.
Er schob sie mit einem erhabenen Gesichtsausdruck von sich. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, meine Liebe. Ich möchte, dass Ihr tut, was in Eurer Macht steht um sie zu heilen. Sie soll in einer Woche erneut verhört,“ bei diesem Wort umspielte ein hämisches Lächeln seine Züge „werden und ich gedenke noch sehr viele weitere Geständnisse aus ihr heraus zu bringen. Tu also was du kannst, damit ihr Körper weitere Torturen ertragen kann. Wie es einer Hexe gebührt.“ „Alles was Ihr wünscht, Hochwürden.“ Intonierte Akora mit gekonnt gespielter Unterwürfigkeit.
Wie es einer Hexe gebührt. Sie kniete sich auf den Boden und nahm aus der alten braunen Umhängetasche diverse Ampullen, Verbände und sonstige Utensilien, die augenscheinlich der Heilung dienten. Unter den fachunkundigen Augen des Geweihten behandelte sie die Wunden, renkte die Glieder wieder ein, bestrich die Blessuren mit wohl duftenden Salben und flösste der Frau, als sie es das normalste der Welt, das Gift ein, das sie in vier Tagen von ihrem Leid erlösen würde. Das sie vor weiterer Folter und vor der Hölle am lebendigen Leib verbrannt zu werden, bewahren würde. Vier Tage. In vier Tagen war sie weit fort von hier. „Ich habe meine Arbeit getan, Hochwürden!“ Wie es einer Hexe gebührt.
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„Probleme können nicht von den Personen gelöst werden, die diese erst verursacht haben.“
Zuletzt geändert von Thara: 8.08.06, 21:07, insgesamt 1-mal geändert.
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