Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 9.07.25, 21:18

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 10 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: SCHWARZ
BeitragVerfasst: 16.07.07, 01:52 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
zurück zu ROT

S C H W A R Z

Bild


1
Die Spuren sind zu offensichtlich. Auf den ersten Blick erkennbar. Doch welch’ hartes, Genick-brechendes Ergebnis das blinde Vertrauen in die vorliegenden Fakten und das eigene überschätzte Talent haben kann, lässt sich am völlig verdrehten Körper des ehemals zuständigen Ermittlers erkennen. Dantler hiess er angeblich. Es war ihr egal. Es musste ihr egal sein. Zu schnell wird der Blick fürs Wesentliche abgelenkt auf unwichtige, störende Faktoren.

Ein säuerlicher Geruch schwebt unheilvoll über der grotesken Szene eines leblosen Teekränzchens in dieser grosszügig eingerichteten Wohnküche. Gift. Der Schaum an den Mundrändern der vier Opfer ist ein untrügliches Indiz dafür, dass diese Ebbenbachs ihr Handwerk verstanden. Der Herd des todbringenden Stoffes scheint ein Kirschkuchen gewesen zu sein. Am teilweise erbrochenen Mageninhalt auf der schneeweissen, mit Spitzen verzierten Tischdecke ist eindeutig zu erkennen, dass dies die einzige Speise war, die von allen verköstigt wurde.

Nach einer geschwungenen, abschliessenden Notiz in ein sauberes Lederbüchlein, dreht sie sich zu den zwei anderen Soldaten herum. Während sich einer weit über einen grossen Pflanzenbottich beugt, sich herzhaft und lautstark übergibt, liegt die Hand des anderen beruhigend auf seines Kollegen Schulter. An dessen gelangweilten Blick macht die hochgewachsene Elfe fest, dass der arme, fürsorgliche Tropf diese Aufgabe nicht zum ersten Mal ausfüllt. Nach einem kurzen Überlegen, einem Suchen nach den passenden Worten, wendet sie sich jedoch in aller Stille von ihnen ab und verlässt das Anwesen an der Biniasgasse zielgerichteten Schrittes. Der abgeklungene Regen hatte in der vergangenen Nacht die Luft rein gewaschen und auch wenn ihr die Zeit langsamer denn jedem anderen durch die Adern fliesst, drängt sie unbarmherzig und pochend mit der Gewissheit auf weiteres Unheil.


Zuletzt geändert von Mr. I: 17.07.07, 23:00, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 17.07.07, 19:53 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
Regen pladderte auf die kleine Gesellschaft nieder, die im Halbkreis um das geöffnete Grab herum standen. In tiefem schwarz gekleidet, die frisch gebackene Witwe mit ihren zwei Kindern, dem sechs jährigen Thomas und dem 10 jährigen Reinhold, schienen untröstlich, ob des Verlustes ihres Ehemannes und Vaters. Tränen mischten sich auf ihren Wangen mit dem Regen und leises Schluchzen mit dem sanft aufkommenden Wind. Familie und Freunde versuchten den Dreien Trost zu spenden, aber nichts konnte den Fluss der Tränen zum versiegen bringen. Eher monoton erklang über all dem Weinen die Stimme des Geweihten, der diesen letzten Weg begleitete. „Er war ein guter Ehemann, Vater und Freund für uns alle. Eine Stütze der Gesellschaft und ein guter Lehrer für viele.“ Etwas abseits hinter allen anderen standen vier weitere Personen, zwei Kindermädchen und zwei weitere Kinder. Henry musste sich ein selbstzufriedenes Lächeln verkneifen. Er ließ den Blick über die Anwesenden gehen und erkundete ihre Gesichter und ihre Augen, schon erstaunlich, dass er tatsächlich Familie gehabt hatte, hätte er ihm fast nicht zugetraut. Sein Blick glitt zur Seite neben sich ab, wo dieses bewundernswerte Mädchen mit den schwarzen Haaren stand. Standesgemäß heute in schwarzer Seide gekleidet, kleine schwarze Handschuhe über den Händen, einer dicken schwarzen Schleife auf dem Kopf und einem grazilen schwarzen Regenschirm in ihren Händen. Immer wieder strich sie sich mit dem schwarzen Spitzentaschentuch unter den Augen entlang. Tiefe Trauer lag in jeder ihrer Bewegungen, doch wenn sie den Blick zu ihm gehen ließ, so konnte er anderes in ihrem Blick erkennen – Faszination, auch sie beobachtete die Leute ringsumher, mit einer gewissen Distance und Neugier, immer wieder gut verdeckt unter einem Wimpernschlag oder einem leisen Schniefen.

Einige Stunden später saßen die beiden Kinder in Inas Spielzimmer. „Tut es dir leid, das alles?“ Ihre Stimme klang angenehm warm und weich und ihr Blick legte sich direkt auf den Jungen. Einen Moment lang schien er sogar zu überlegen. „Ich sollte ein schlechtes Gewissen haben. Ich sollte schreien und weinen und meine Dummheit betrauern, so wie ich ihn betrauern sollte, aber irgendwie …“ Seine Stimme verfestigte sich und der nächste Satz kam ihm völlig überzeugt über die Lippen. „Er hat es verdient gehabt, schon allein dafür, wie er dich angesehen und berührt hat.“ Für einen Moment blickte er fast schon ängstlich zu ihr rüber, als hätte er Angst davor, dass sie nun vielleicht doch noch vor ihm zurückschrecken und die Ewigkeit, die in ihrem nachdenklichem Blick lag schien seine Befürchtungen zu untermauern. So vieles schoss ihm in der Zeit durch den Kopf. Wie war er überhaupt auf die Idee gekommen seinen Lehrer die Treppe herunter zu stoßen? Das war doch nichts, was man einfach so tat, oder doch? Geschah so etwas öfter und man hörte nur nie etwas davon? Wenn er jetzt sagen würde, dass er schuld daran war, vielleicht, dass er gestolpert war, was würde passieren? Vielleicht sollte er es wirklich gestehen, wegen ihr, die ihn immer noch so seltsam nachdenklich ansah. Sie trug dieses Geheimnis nun auch schon einige Tage mit sich herum, ohne sich irgendwem anvertraut zu haben, das musste doch für ein Mädchen furchtbar sein und auch das jemand umgekommen war, wegen ihm, musste ihr doch eigentlich sehr nahe gehen, sie von Innen auffressen. Er musste sich stellen, musste es unbedingt jemanden erzählen. Es war falsch gewesen. Mit einem Schlag leerten sich seine Gedanken und er senkte die Augenlider hinab, genau in dem Moment, als sie ihm einen kleinen Kuss auf die Wange aufdrückte, so wie er es im Park getan hatte. „Noch nie hat jemand irgendetwas für mich in Bewegung gesetzt. Meinen Eltern war es immer egal, wie es mir ging und was mir zugestoßen ist. Sie denken nur an sich selbst. Du bist der Erste der an mich gedacht hat. Danke, Henry.“ Alles war in Ordnung, es war also nicht falsch gewesen, nein, es war sogar richtig gewesen. Sie hatte es ihm gerade eben bestätigt. Er hatte sie nur beschützt und sie war es einfach wert sie zu schützen.


Zuletzt geändert von Mrs. I: 17.07.07, 19:54, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 19.07.07, 20:01 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
2
„Was ist denn bloss mit diesen Kreaturen los, Henry? Schau sie dir an, wie sie dort stehen, dicht an dicht. Allesamt in schwarze Stoffe gehüllt und erst diese feuchten Äuglein. Noch nicht einmal die Hälfte des Tränenwassers, welches am heutigen Tage vergossen wird, entsteht durch so etwas wie ehrliche Anteilnahme oder tiefe Trauer. Und jemand sollte der alten Dame Titterley sagen, dass das Schwarz ihres Oberteils die Leberflecken in ihrem Gesicht betont.“

Vor der angelaufenen Fensterscheibe, nicht unweit vom Häuschen des Friedhofwächters, einem schusseligen alten Mann, dessen eingeschlagene Laufbahn zum geweihten Diener des Morsan im Dasein eines Leichenbuddlers endete, entfernt, steht die Trauerfeier zur Andacht der Familie Dantler. Es nieselt und die Wolken hängen tief, lechzend und in Fetzen gerissen über den nahen Ausläufern einer Hügelkette. Kreuze und einfache als auch Grabsteine grössten künstlerischen Könnens ragen aus dem raspelkurz geschnittenen, getrimmten Rasen. Soldaten der ewigen Ruhe, stramm stehend in Reih und Glied und zwischen ihnen ein Teppich aus Menschen in tiefschwarzen, verschleierten Gewändern.

„Sie verstehen uns nicht, mein Pfirsichbäckchen. Sie verstehen nicht, dass sie uns eigentlich dankbar sein müssten für die Chance, welche wir ihnen schenken. Viel lieber ekeln sie sich vor Gebeinen, Schädeln und anderen Körperteilen, welche sie nicht nur selbst auf dem Hals tragen, sondern gar noch zum tasten, fühlen und schmecken brauchen. Tagtäglich. Doch wenn es abgeschnitten ist, verzieht ein gebürtiger Edelmann, die Dame von Welt das Näschen. Apropos Näschen, meine Teuerste, wie findest du den Wein? Er hat einen leichten Stich ins Erdbeerige, nicht wahr?“

Das Stönen unter der mit billigen Schnitzereien und anderen Kerben ausgeschmückten Holztischchens an welchem die Ebbenbachs sitzen, wird mit einem kräftigen Tritt von Ina zum verstummen gebracht. Die kleine Hütte war nicht der Palast Hilgorads, doch für einige Worte zwischen den beiden mit Blick auf die stattliche Ansammlung der Trauernden unter freiem Himmel genügte sie.

„Mein Liebster, du weißt doch, dass ich nicht dein Gespür für solch’ feine Nuancen habe.“

„Ebenso wenig wie jene, die dort am Grab der Dantlers stehen. Jeder einzelne könnte aus dem Tode etwas über das Leben lernen, es in seinen Grundzügen verstehen. Man würdigt nicht Antonius Taten im Dienste der Stadt, man traure nicht um das grosse Herz und noch grössere Mundwerk seiner Gattin, nein. Sie suhlen sich im Selbstmitleid wie die Säue im Dreck von Bauer Simons Hof. Wie geht es dem alten Simon eigentlich?“

„Du hast ihn mit seinem Handpflug überrollt, Spitzschnäuzchen, schon vergessen?“

„Wie recht du doch hast. Er wollte mir mit seiner vom Rum gelähmten Zunge angefaulte Erdäpfel aufschwatzen. Haben wir der Witwe Blumen geschickt?“

„Ein Bund prächtigster weisser Lilien, Henry.“

„Gut, wo war ich stehen geblieben?“ Und wieder entrinnt ein tiefes, von Schmerz erfülltes Stöhnen unter dem Tischchen hervor, welcher sich kurz darauf ruckartig anhebt und wieder absenkt. „Liebes, könntest du bitte? Bevor er unseren kostbaren Tropfen hier zu Fall bringt.“ Mit einer liebkosenden Umarmung greift der Mann mit dem markanten spitzig-schmalen Schnäuzchen auf der Oberlippe, Henry Ebbenbach, nach der Flasche Wein. „Es ist gleich erledigt, mein Brummbärchen.“ Mit einem Lächeln, zuckersüss und liebevoll, taucht die edle Schöne, Ina Ebbenbach, unter den Tisch. Ein weiteres Schütteln, ein lautes Knacken als bricht eine starke Hand einen dürren Zweig und ehe er sich versieht, sitzt seine Angebetete wieder kerzengrade, in gelernt fraulicher Haltung vor ihm. Lächelnd.

Amüsiert wendet er sich wieder dem Fenster und dem Treiben in fünfzig Fuss Entfernung zu. Die Gesellschaft löst sich langsam auf. Während einige den nassen Heimweg antreten, verharren weitere und diskutieren angeregt über die Grausamkeit der Tat, die Liebenswürdigkeit des verschiedenen Ehepaares und den wunderbaren Mirabellenkuchen von Meta, welcher nie wieder in ihren Bäuchen landen würde.

„Ist sie das?“ Henry drückt seinen weissen Zeigefinger gegen die kalte Scheibe und führt mit der anderen Hand das Weinglas zu den dünnen Lippen. In der Ferne, etwas abseits der schwarzen Trachtengruppe, steht eine grosse, zierliche Hochelfe. Aus den weiten Ärmeln ihrer zu grossen aschgrauen Robe ragen zwei feingliedrige Hände hervor und machen emsig Notizen in ein ledernes Büchlein. „…und wenn ja, was konntest du über sie in Erfahrung bringen?“

„Das ist sie. Silentii Timberlin. In etwa zweihundert Jahre alt. Tochter von Elionn und Maere. Er arbeitet als Buchführer der hiesigen Schatzkammer und sie gilt als eine durchaus empfehlenswerte Geschichtenerzählerin. Das werte Fräulein Timberlin gehört der Grauen Wacht des Turmes an und wurde von eben diesem beauftragt mit ihrem spitzigen Näslein unsere Fährte aufzunehmen.“ Ina leiert die Fakten kühl und sachlich herunter und er putzt ihre Umrisse auf der matten Scheibe frei, beobachtet ihre Gestik und Haltung. „In ihrem Abschlusszeugnis der arkanen Akademie, welche sie mit der Jahrgangsbestnote abschloss, wurde aus goldenen Kehlen ihr Gespür für die Feinheiten gelobt. Wie dies auszulegen ist… Schleierhaft. Ihre Arbeit hatte in jüngster Vergangenheit aber meist Hand und Fuss und wurde von ihrem unerschütterlichen Willen vorangetrieben. Sie mag Violinenkonzerte und ausgiebige Schaumbäder.“

„Durchaus zu erkennen an ihrer makellosen Haut. Ich bin mir sicher, dass man noch nicht einmal mit dem grössten Monokel Tares eine verschmutzte Pore finden würde“, Henry zurrt innig seine rechte Bartspitze. „Doch wir sollten nun gehen, meine Liebe. Wie mir scheint ist das Fräulein Timberlin eine ebenbürtige Gegnerin. Auch wenn sie noch nicht weiss gegen was sie sich stellt, die Graue Wacht stärkt ihr den Rücken und vor einer solchen Armee an Magiern sollten selbst wir uns hüten.“

Er hilft ihr in den Mantel aus feinstem Schwarzbärenfell. „Was hast du vor, Honigschnäuzchen?“

„Dieses Mal machen wir unsere Finger nicht schmutzig, Ina. Es werden genügend zuckende Hände vorhanden sein, die uns diese Arbeit abnehmen werden. Doch zunächst müssen wir die richtigen Fäden ergreifen und die Figuren damit in Position rücken. Es steht ein Besuch an.“

„Ein Besuch? Aber habe ich auch das Richtige an, Henry?“ Mit einem leichten, galanten Knicks hält er ihr die Tür auf, welche sie durchquert und blitzschnell ihr schwarzes Schirmchen empor schwingt um sich gegen die spärlichen Nieseltropfen zu schützen. Inas Gatte greift in die Tasche seines Gehmantels und zieht eine glänzende (wohl gar polierte) Münze aus deren Untiefen hervor. Surrend kreist sie, von ihm geschnippt, durch die Luft und landete schwingend auf dem hölzernen Boden des Häuschens unter dem Tisch an dem sie eben noch gesessen sind. „Für die Unkosten“, meint er trocken und wendet sich dann wieder seiner Ina, der Blüte seines Lebens zu, „und glaube mir mein Schatz, Quist wird es egal sein in welcher Gewandung du seine Giftküche betrittst.“ Erinnerungen dämmern in ihren Gedankengängen beim Klang dieses Namens. „Storchenhals.“

Eng umschlungen, Arm in Arm und mit erhabenen Schritten verlässt das Ehepaar Ebbenbach den Friedhof von Ignes und die geschnippte Münze unter dem Tisch surrt hell auf, als sie zum erliegen kommt. Die ängstlichen Augen des ebenfalls darunter gekrümmten Friedhofwächters entbehren jeden Funken Leben. Das grosszügige Geschenk für seine unfreiwillige Gastfreundschaft lässt sich mit gebrochenem Genick schlecht entgegennehmen.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 20.07.07, 17:08 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
3
Mit der drückenden Schwere ihrer müden Knochen erklimmt Silentii die Treppen zu ihrem Elternhaus, einem übermässig schmalen und hohen Gebäude am Ende einer Reihe von Behausungen derselben Bauweise. Das Tolkvi-Viertel im fünten Distrikt von Ignes wird beinahe ausnahmslos von Hochelfen bewohnt. Ein Umstand der durchaus seine Spuren hinterlassen hat. Die Mauern der Umgebung strahlen mit ihrer in zartem Weiss gehaltenen Farbe (nur etwa die Hälfte besteht aus originalem Marmor) eine Mischung aus Erhabenheit und Hochmut aus und selbst in den kleinsten Details, wie den feinen Schnitzereien im Tra’avain der Haustür zur Wohnung der Timberlins, erkennt man das Gespür der Elfen für die einfache Schönheit. Die Häuserzüge wurden vor Jahrtausenden mit fachmännischer Hand um den Tolkvi Ly, einem künstlich angelegten See in Form eines riesigen Buchenblattes, erbaut.

Silentiis Schritte werden vom weichen, dunkelgrauen Teppich gedämpft, als sie die Türschwelle hinter sich lässt. Das Reich ihrer Mutter, unverkennbar. Der enge, beinahe fünf Schritt hohe Flur wird von einem Sammelsurium an Gegenständen aus aller Welt geziert. Masken, Gemälde, an Schnüren aufgehängte, baumelnde Steine und viele gemalte Bilder die ihren Vater zu Lebzeiten zeigen. Wie eingeengt sie sich doch früher zu Kindszeiten in diesem Gang, die Ader des Gebäudes, welche alle Zimmer miteinander verbindet, gefühlt hatte. Luftraubend. An Küche und Schlafgemach vorbei, klopft die blonde Hochelfe an die leicht schiefe Tür am Ende des Flurs. Das Wort „LÎND“ prangt in geschwungenen, von Frauenhand verfassten Lettern neben dem Türknauf. Gedreht. Geöffnet. Während der nicht alltägliche Anblick jene Besucher, die das erste Mal das „Zimmer der Geschichten“ ihrer Mutter betreten als erste Reaktionen mit offenen Mund im Türrahmen stehen bleiben lässt, nickt Silentii in die Runde der sechs Menschen, die auf unzähligen weichen Kissen und mit angewinkelten Beinen auf dem Boden sitzen. Der hohe Raum, dessen Decke die Form einer nach aussen gewölbten Kuppel bildet, ist von einem leichten Windzug erfüllt. Ein Säuseln. Kleine Wolkenfetzen hängen träumerisch im oberen Teil des Zimmers und werden hie und da von umhersurrenden, sternen-ähnlichen Lichtpunkten entzwei gerissen, ehe sie wieder zueinander finden. Magie, Mystik und die Worte von tausenden Geschichten füllen den Raum in welchem ihre Mutter ihre Geschichten zu erzählen und mit ihren Zuhörern gemeinsam zu erleben pflegte.

„Sah’lien Silentii, du siehst müde aus.“ Ein seichtes Lächeln ziert die Lippen der weisshaarigen, stolzen Hochelfe auf welche sich die gänzliche Aufmerksamkeit der Anwesenden zu kanalisieren scheint. „Das bin ich auch, Mutter.“ „Liebe Gäste, wenn ich euch meine Tochter vorstellen darf“, Maere Timberlin macht eine gütige Geste mit ihrer Hand. „Vielleicht magst du ja der letzten, einer kurzen Geschichte des heutigen Tages mit uns folgen, mein Kind? Danach können wir reden.“ Die junge Elfe setzt sich an den für sie frei gemachten Platz und senkt ihr Haupt. Weich fallen die hellblonden Haare in ihr Gesicht. Sie weiss was jetzt kommt. Die Worte ihrer Mutter würden säuselnd, wie der Wind selbst, der diesen Raum auf magische Weise füllt, an die Ohren der Hörenden dringen und sie entführen in Welten, tief in einem unbekannten Teil ihres Verstandes. Sie würden die Worte empfinden, die beschriebnen Empfindungen fühlen und die Figuren vor ihren Augen sehen, als stünden sie keinen Schritt entfernt. Maere Timberlin erhebt ihre Stimme.

Zitat:
„Ich will Euch erzählen eine Geschicht’ von stämmigen Bräuten, Neid und einem Apfel. Sagt, erinnert ihr euch an jenes Feste der Zwerge? Welch Pracht. Welch Bärte. Welch Braten. Habt ihr ihn nicht immer noch in deiner Nase? Der Duft. Schmeckt ihr die Zartheit des Fleisches noch auf euren Zungen? Die Grösse von vier Kühen hatte er. Jaja. Es ward an einem Tage, an dem die Sonne hoch über einer, mit Schnee, gefallen in der Nacht zuvor, bedeckten Landschaft stand. Morsan. Kühle und eisiger Atem. Ein jeder war gekommen, obschon keine Einladungen verschickt wurden. Der Dwarschim mit dem flammenden Haupthaar. Die rundliche, wohlgenährte Tochter des familieneigenen Bäckers. Ein eigenbrötlerischer Schmied, seinen Hammer niemals aus der Hand legend. Viele mehr. Und wir. Zwei Elfen. Inmitten eines Völkchens aus Haaren und erhobenen, wohl überraschend grossen Biergläsern. Eine Ehre. Wenn man bedenke, dass ich nichts anderes für jene Ladenden getan habe, als ab und an in ihrer Taverne, beim lauschigen Lichte einer Laterne, Geschichten vorzutragen. Die hohe, steinerne Halle ward reich geschmückt. Rüstungen, schimmernd und auf Hochglanz poliert gingen Hand in Hand mit Blumen, deren Blüten, gross wie ich sie noch nie zuvor sah, geknüpft und zusammengefügt zu wundersamen Gebilden. Hängend von der kaum sichtbaren Decke und aufgestellt inmitten der Wartenden. Viele Köpfe. Viele hungernde und knurrende Mägen. Welche jedoch alsobald verstummten. In einem Kleid wie es farbenfroher nicht hätte sein können stand sie unter dem grossen Torbogen. Die Braut. Von stämmiger Natur und einem Kranze aus weissen und blauen Blumen auf dem Kopf. Ein einprägender Anblick. Ohne weiteres Zögern riss sich die Menge auseinander. Einen Weg zur Mitte der Halle bildend. Offene Münder. Offenes Getuschel. Hatte sie etwa abgenommen? Wie viel dieses Kleid wohl wieder gekostet hat? Und überhaupt, welch Glück sie habe. Entschlossenen und festen Schrittes durchschritt die Dame des Tages den freigelegten Pfad, gesäumt von Freude, guten Wünschen und Neid. Drei Gestalten, nur noch schemenhaft mag ich mich an sie erinnern, empfingen sie. Und mit ihnen der zu Vermählende. Zitternd am ganzen Körper. Was natürlich nicht zu sehen war, doch zu hören. Ein klimperndes goldenes Kettenhemd. Kein einfacher Schritt für einen Manne, musst du wissen mein Engel. Die ewige Bindung. So… ewig halt. So war das bei unserer Trauung unter den Linden bei Mondeschein natürlich ganz anders. Versteh mich nicht falsch. Doch wollen wir nicht von der Geschichte abweichen. In feierlichem Tone ergriff einer der Gestalten das Wort. Und es sollten noch viele Wörter folgen. Zu jedem weiteren gesellte sich wiederum ein knurrender Magen, eben noch geschwiegen nun nach seinem verdienten Lohne für das lange Warten fordernd. Dann ward es soweit. Das Fest. Rauschend und erlösend. Erhobene Biergläser. Fallen gelassene Vorsätze. So stritt man sich noch während den Feierlichkeiten darüber was nun der Höhepunkt sei. Der hemmungslose Tanz der vollschlanken Bäckerstochter auf dem zu unstabilen Tische oder der althergebrachte Brauch des Apfels. Geschnitten in zwei Hälften. Liegend vor dem Brautpaare. Der Anzahl Kerne gleich sollen Kinder aus der Frucht ihrer Liebe entspringen. So sage man. Ein kleines Zwergenmädchen, kaum den eigenen Stoffwindeln entwachsen, hatte die ehrenvolle und zugleich wichtige Aufgabe mit seinen kleinen Fingern die Samen aus der Frucht Gehäuse zu pohlen. Welch gute Gelegenheit die gelernten zählerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Ein Kernchen. Auf den Boden geworfen. Zwei Kernchen. Auf den Boden geworfen. Drei Kernchen. Auf den Boden geworfen. Und so kam der Moment an welchem des Mädchens Künste an ihre Grenzen gelangten. Ganz im Gegensatze zu den Kernen. Offene Münder. Offenes Getuschel. Und ein Brautpaar rückwärts vom Banke fallend. Ein Granatapfel! Der aufklärende Zwischenruf. Gefolgt von erleichtertem Raunen und schallendem Gelächter. Welch übler doch lustiger Streich. Jaja, die Dwarschim wussten es kecke Witze zu reissen. Das Brautpaar lachte nicht. Regungslos am Boden liegend, die Augen weit aufgerissen. Herzen lieben. Herzen versagen. Eheringe verbinden. So versagten die ihrigen an diesem, ihrem schönsten Abend gemeinsam. Noch lange brauchte es bis alle, auch wir, die traurige Nachricht erfuhren. Und so ging man nach Hause. Ohne sich zu verabschieden. Man würde sich ja an der Bestattung sowieso wieder sehen. Und schon wieder müsse der Bart gekämmt und das Kettenhemd poliert werden. Man ging nach Hause mit einem merkwürdigen Gefühle im Magen und der Frage was es wohl an der Bestattung zu Essen geben werde. Braten?“


„Was ist los, meine Silentii? Erzähl.“ Die zahlenden Gäste haben das Haus der Timberlins verlassen und werden sich in den einbrechenden Abendstunden wohl noch selbst öfters die Frage stellen, wie es möglich sei, dass man einen nicht vorhandenen Schweinebraten alleine durch die Kunst des Erzählens auf der Zunge schmecken kann. „Ich wurde von der Grauen Wacht auf den Fall Ebbenbach angesetzt, Mutter.“ Maeres ansonsten meist strahlendes Gesicht verdunkelt sich, einem Himmel gleich, der von schwarzen Wolken überzogen wird.

„Weshalb hast du es nicht abgelehnt? Du weißt aus den Erzählungen, welche die Stadt derzeit unterwandern, dass Schlechtes und Abgründiges die beiden begleiten. Der erste Ermittler, ein Herr Dantler, wurde…“

„Ich komme gerade von der Zeremonie zu seinem Gedenken, Mutter. Ich bin auch nicht hier um mich von meinem Wege abbringen zu lassen, sondern um dich um etwas zu bitten.“
Maere nickt.

„Pass auf dich auf. Es ist eines dieser Gefühle, die einem übermannen und sich nicht mehr aus dem Kopfe bringen lassen. Diese Ahnung. Als ich vorhin auf dem Friedhof stand, hatte ich mit einem Mal das Gefühl beobachtet zu werden und hier her kommen zu müssen, um dir nur eines zu sagen: Pass auf dich auf, Mutter.“

„Treib einer alten Elfin nicht die Furcht in die Knochen, Silentii. Du weißt doch, dass ich noch vorhabe einiges von dieser, der unseren Welt zu sehen und mit meinen Geschichten umherzureisen. Endophal, die Hochlande, Siebenwind… Und das werde ich mir gewiss von niemandem nehmen lassen. Du hast dich in eine dunkle und gefährliche Höhle vorgewagt, mein Kind und ich weiss, dass meine Rufe dich nicht zurück an die Oberfläche bringen werden aber lasse dir gesagt sein: Wenn das Böse die Überhand gewinnt, sei klug, lasse davon ab und komm hier her zu mir.“

„Ich weiss nicht wie ich es beschreiben soll, Mutter. Nenne es Intuition. Aber ich habe das Gefühl, dass wenn mich die Spur zu den Ebbenbachs bringt, es egal sein wird wo ich bin. Die Schwärze, die aufkommende Dunkelheit wird alles überziehen.“


Zuletzt geändert von Mr. I: 20.07.07, 17:09, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 23.07.07, 20:50 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
Überspringen wir ein paar Jahre, aus den kleinen Kindern werden…. ältere Kinder. Kurz blicken wir noch einmal zurück, was die letzten 4 Jahre über geschah. Alles in allem kann man sagen, dass es eher eine ruhige Zeit gewesen war, dafür, dass sie so stürmisch begonnen hatte. Die Kinder hatten es nach einer Weile tatsächlich geschafft, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie zusammen unterricht werden sollten und so kam es, dass Henry, nachdem sein Lehrer ja auf so tragische Weise das zeitliche gesegnet hatte, zu Ina nach Hause kam um dort von ihrer Lehrerin mit unterrichtet zu werden. Hier und da fielen den beiden noch Käfer und kleinere Tierchen zum Opfer, aber eigentlich war es nicht mehr als kindliche Neugierde die einfach befriedigt werden wollte. So hätte es sicherlich noch lange Zeit gehen können, wenn da nicht ein kleines Detail gewesen wäre, was schließlich dazu führte, dass die Beiden wieder umdenken mussten und so sehen wir wieder in die Gegenwart.

Wieder kommt man zusammen an einem Grab, dieses Mal ist es das von Inas Hauslehrerin. Man könnte nun meinen, dass die Beiden wieder irgendwas gestört haben könnte an ihr, schließlich weiß man ja, dass sie sich nicht alles gefallen lassen, aber weit gefehlt. Fräulein Renatru starb an Herzversagen, irgendwann vor drei Nächten, hatte ihr Herz einfach seinen Dienst eingestellt und sie war in Morsanshallen eingegangen. Es waren nur wenige bei der Trauerzeremonie anwesend, scheinbar hatte das Fräulein Renatru, weder viele Verwandte, noch viele Freunde gehabt in ihrem Leben und Ina und Henry waren auch nur dort, weil es der Anstand verlangte. Das Gerede war fast dasselbe, wie damals, als sie Henrys Hauslehrer zu Grabe getragen hatten. Aber eigentlich, hörte weder er noch sie dem ganzen wirklich zu, den beiden gingen die ganze Zeit über andere Gedanken durch den Kopf. Was wenn sie jetzt wieder getrennt werden würden? Das war etwas, was beide sich einfach nicht mehr vorstellen konnten, sie waren einfach zu gute und zu vertraute Freunde in all der Zeit geworden. Ina blickte zu Henry rüber und musste den Kopf dabei etwas anheben, da er mittlerweile schon ein gutes Stück größer war als sie. Sie konnte es sich einfach nicht mehr vorstellen ihre Zeit ohne ihn zu verbringen. Mit ihm konnte man so herrlich alles untersuchen und hinterfragen. Das würde ihr wirklich fehlen, wenn man sie nun wieder auseinander reißen würde.

Die Trauerfeier neigte sich langsam dem Ende zu und beide verließen den Friedhof. Sie liefen still nebeneinander her, beide in ihren eigenen Gedanken versunken, bemüht das Problem zu lösen. „Ich hab es.“ Henrys Stimme zerschnitt die Stille wie ein scharfes Messer dünnen Stoff. „Wir sagen einfach, dass wir zusammen auf die Privatschule hier in der Stadt wollen.“ Eine Weile lang grübelte Ina sichtlich darüber nach. „Denkst du denn, dass wir in dieselbe Klasse kommen würden? Ich mag nicht allein unter irgendwelchen anderen sein.“ „Zur Not kann man mit Geld alles bewerkstelligen, schließlich sind wir ja auch auf demselben Wissensstand, also wird das schon irgendwie gehen.“

Es war nicht sonderlich schwer beide Eltern davon zu überzeugen, sie waren eh froh, wenn die Kinder nicht die ganze Zeit um sie herum waren und auch der Schulleiter konnte mit etwas Nachdruck und der ein oder anderen weiteren Dukate davon überzeugt werden, dass beide in die selbe Klasse kamen. Irgendwie war es ja aufregend, es war für beide das erste Mal, dass sie auf eine Schule gingen, Privatlehrer waren einfach etwas völlig anderes. Und dann war es soweit, der Tag X. Henry und Ina standen vor dem großen massiven Schultor. Fast wie aus Reflex griff Ina nach Henrys Hand, als sie den ersten Schritt auf den Weg setzten, welcher rechts und links von großen Bäumen gesäumt war. Ihr Weg führte sie direkt ins Direktorzimmer, wo noch einige Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht wurden, ehe die beiden dann schließlich zu ihrer Klasse gebracht wurden.

Es war fast so, als würde man ein Tier im Zoo sein, alle, wobei alle aus 12 Leuten bestand, starrten einen an, begafften die beiden Neuen regelrecht, die vorn stehen und sich erst einmal vorstellen mussten. Als sie das schließlich hinter sich gebracht hatten, wurden ihnen noch zwei Plätze etwas weiter hinten zugewiesen und der Unterricht nahm seinen gewohnten Gang. Es war nicht schwer dem Unterrichtsstoff zu folgen, eigentlich kannten beide schon das was hier gerade verlangt wurde und so war es doch leichter als sie es befürchtet hatten. Die nächste Anspannung kam erst, als die Pause ausgerufen wurde und alle hinaus in den Schulpark hinaus mussten. Eigentlich war es ja ein schöner Ort, überall waren weite Wiesenflächen und Blumenbeete angelegt worden, wobei man die Wiesen tatsächlich auch betreten durfte, allerdings waren da die neugierigen Mitschüler, die die Pause eher zu einem Spießruten lauf machten. Die Beiden hatten kaum fünf Minuten für sich, ständig kam jemand neues mit immer wieder neuen Fragen. So hatten die Beiden sich das Ganze dann doch nicht vorgestellt gehabt, aber es würde auch vergehen, bald schon würde der Alltag einkehren und sie hätten wieder mehr Ruhe.

Alltag, ja so etwas hielt schnell Einzug, selbst in der Schule, nur drei Tage später, waren sie soweit von allen akzeptiert und aufgenommen worden, nur einer hielt sich immer ein gutes Stück entfernt, was aber weniger etwas mit Ina und Henry zu tun hatte, denn er war schon immer der jenige gewesen, den man hänselte, wenn man nur einen Augenblick Zeit dafür wand. Er war der Junge des Apothekers, Quint Fingerling, ein kleiner schmächtiger Kerl, der zu allem Überfluss auch noch stotterte, aber gerade er, war doch irgendwie interessant für unsere Beiden, wenn man ihn etwas einschüchterte, könnte man vielleicht das ein oder andere von ihm verlangen. Man würde sehen, die Zeit würde schon zeigen, ob man etwas brauchbares finden würde.


Zuletzt geändert von Mrs. I: 24.07.07, 21:48, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 24.07.07, 18:21 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
4
„Alter Freund!“
Quint Fingerling, der nach Jahren unter der Fuchtel seines herrischen, missmutigen Vaters dessen Apotheke am Marktplatz von Ignes übernommen hatte, räumt gerade Regale ein, als er ob der gespielt freundlichen Stimme in seinem Nacken zusammenzuckt. „Ich wusste doch, dass ihr es seid. Ich w-w-wusste es schon a-als ich den Schneidersjungen über seine eigene Puppe gestülpt gesehen habe.“ Weiter, als ob er die Ebbenbachs in der Eingangstüre durch stetiges Ignorieren aus seinem Kopf vertreiben könnte, räumt der schlacksige, schwächliche Monokelträger Fläschchen um Fläschchen auf ein leeres, frisch abgestaubtes Brett. Säfte gegen den Husten, Pülverchen für eine „Ist das eine Begrüssung, welche eine Dame von Welt erwarten darf, Quint?“ Ina stützt sich mit einer lasziven Bewegung weit über den Verkaufstresen in die Richtung des Apothekers Rücken und zieht einen Schmollmund.

„Jaaa, komm Kleenes, noch ein bisserl weiter, man sieht da schon fast was! Lehn dich nur noch ein Stückerl vor!“ Nur sehr langsam schwenkt der Blick der Ebbenbachs zum Fensterbrett hinüber und was sie eben noch als unnütze, abscheuliche Dekoration wahrgenommen haben, starrt mit einem Male aus dunklen, tiefen Augenhöhlen in Inas üppigen Ausschnitt. „Lutz du alter Schwerenöter! Zieh deine madenzerfressene Zunge wieder ein und kau weiter!“ Im grellen Schein des Schaufensters hängen an einfachen Haken zwei löchrige Schrumpfköpfe. Männlein und Weiblein. „Komm schon, Trine, hättest du noch deine Beine, Schenkel und was da sonst noch so dazugehören würde, müsste ich nich’ nach anderen strammen Mädels Ausschau halten.“

„Quint Fingerling, ich wusste ja um deine Einsamkeit aber dass du nun gar die Toten ihres verdienten Schlafes beraubst, damit sie dir Gesellschaft leisten“, Henry tippt den wahrscheinlich weiblichen Kopf (festgemacht an den etwas längeren, strähnigen Einzelhaaren und dem kläffenden Unterton in ihrer Stimme) und noch ehe er sich versieht, schnappt Trine zwar ins Leere aber beinahe mit seiner Fingerkuppe als Beilage. „Sie wurden mir g-g-geliehen. Bis sie von der alten Endophalin, die hier auf Durchreise w-war, si-si-sind die beiden damit beauftragt Kräuter zu zerkauen und die Öle von den Blättern zu trennen. Ab-aber deswegen seid ihr nicht hier.“ „Scharfsinnig wie eh und je, unser Storchenhals, nicht war Honigbäckchen? Nur schade, dass er diese Gabe unter den unzähligen Schwächen seines kümmerlichen Geistes begräbt.“ „Was wollt ihr?“ Ob Fingerlings kaltschnäuziger, patziger Antwort schnellt Henry in katzenhafter Manier über den Tresen hinweg und drückt den überrumpelten Apotheker mit einem kräftigen Ruck gegen das säuberlich aufgeräumte Regal. Ein Flakon fällt klirrend zu Boden.

„Trine, alte Schabracke! Halt dein Gebiss mal für einen Moment still, da rappelts mächtig im Karton!“

„Halt deine vorlaute Zunge im Zaun, Storchenhals! Du weißt heute wie damals in der Schule, dass ich keinen Augenblick zögern würde sie dir aus deinem Hals zu reissen und meiner Frau zu reichen, welche sie in ihrer mit flüssigem Schmalz gefüllten Pfanne goldbraun braten und zum Nachtmahl anrichten würde.“ Henrys zischende Stimmlage scheint kaum mit dem ansonsten ruhigen Äusseren zu harmonisieren. Das Ende seines Spitzschnäuzers zuckt. „I-i-i-ch werden tun wonach ihr verlangt. Aber b-b-b-bitte tut mir nichts.“

„Ein Schlappschwanz wie du einer bist, Lutz, siehste? Wo bleiben die echten Männer? Jene auf den weissen Schimmeln in schimmernden Rüstungen?“ „Und der kranken Veranlagung auf lederne Schrumpfköpfe zu stehen?“

Ina schreitet, vom Geplapper der beiden Beobachter im Schaufenster unbeeindruckt, mit vornehmen und doch drohenden Schritten um die Theke herum und zupft dabei die schneeweissen Handschuhe von ihren Fingern. „Wir brauchen einen Schlüssel von dir, Quint. Nicht mehr und nicht weniger.“ „Sch-sch-schlüssel? Meine Hausschlüssel könnt ihr haben, da findet ihr etwas Geld in der kleinen Schatulle in meinem Schlafzimmer.“ „Für wie gewöhnlich hältst du uns, Storchenhals? Du hast Kontakte zu einer Gemeinschaft deren Gesinnung es verlangt, dass sie im Dunklen agieren.“ „N-n-ein, d-das… Ich ka-a-ann das nicht.“ Henry senkt seine Stimme und säuselt mit selber Lieblichkeit in des Apothekers Ohr, welche schon die Begrüssung zu Beginn dieses unangenehmen Besuches begleitet und drohendes Unheil aus längst vergangenen Zeiten angekündigt hatte. „Alles was wir wollen ist eine Anhörung, eine Audienz. Und ob du kannst oder nicht ist irrelevant, denn wir können und das dürfte dir durchaus bewusst sein.“

„Pscht, Staubbacke, hörst du was die da tuscheln?“ „Kein Sterbenswörtchen, Trine, die wollen was vor uns verheimlichen. Wären wir doch nur näher dran.“ Ohne weiteres Zögern schwingt der weibliche Schrumpfkopf zu seinem Nachbarn, beisst diesem zielsicher das blumenkohlartige Ohr ab und spuckt es in hohem Bogen zu den dreien hinter dem Verkaufspult. Sie verfällt in ausgelassenes, grunzendes Lachen. „Als ob das etwas nützen würde!“ schreit Lutz empört auf. Staub quillt aus seinem Mund und sinkt im Scheine Felas auf die Auslage des Schaufensters nieder. „Tut es nicht aber so vertreibe ich mir wenigstens die Zeit, bis die wieder lauter werden“, gluckst Trine.

„Wir sind bei der Grauen Wacht in Ungemach gefallen, Quint“, Ebbenbach wischt mit seinem Handrücken das staubige kleine Öhrchen von der Schulter des Apothekers, „sie haben eine Hochelfe mit dem Namen Timberlin auf uns angesetzt und wo sie ist, sind einhundert weitere arkane Soldaten nicht weit. Unsere Motivation für ein Gespräch mit der dunklen Gemeinschaft dürfte also auch für deinen minderen Geist nicht allzu schwer nachzuvollziehen sein.“ Henry zieht die Weste des Apothekers mit einigen Handgriffen zurecht und lässt mit einem Schritt zurück von ihm ab. „I-i-ich bin nichts weiter als ein Laufbursche. Zu mehr hab’ ichs trotz des Einflusses meines Vaters nicht gebracht.“ „Du bist der Verlierer in diesem Lebensspiel, Quint“, Ina legt ihre mittlerweile entblösste Hand auf seine schmale Wange. Die Röte frischen Blutes schiesst Fingerling in den Kopf und vor allem in die Region der zarten Berührung, „aber du bist der Verlierer mit dem Schlüssel zu einer weiteren Obsiegung von uns. Führe uns hin, Storchenhals, damit du besagtes Leben im Kleinen noch ein wenig auskosten kannst.“ Quint kann ihr nichts abschlagen. Nicht ihr. Wie sehr es ihn doch grämt, dass ihr einst reines Herz für diesen Widerling von Ebbenbach schlägt und unabdingbar an das pumpende schwarze Organ in dessen Brustkorb gebunden ist. „Ihr überlegt am besten schon jetzt w-w-was ihr sagen wollt. Wenn ihr dort zögert, ists vielleicht schon zu spät.“ Die Scherben des zerbrochenen Fläschchens knirschen unter ihren Schuhen als die drei die Apotheke verlassen.

„Gehn’ die einfach ohne sich zu verabschieden. Fleischklöppse.“
„Lutz, ich glaube ich hab genug gehört um zu wissen, dass wir die nich’ zum letzten Mal gesehen haben.“ Die beiden Schrumpfköpfe drehen sich in die Richtung der Ebbenbachs, welche hinter einem sichtlich unsicheren Quint Fingerling über den Marktplatz davoneilen. „Und weisste was? Wenn das passiert was ich denke, dann musst du dir dein verbleibendes Ohr richtig fest an deine trockene Birne binden, wenn du es behalten willst. Denn hier haben wir Logenplätze, alte Dörrpflaume!“ Trine schaukelt im Schaufenster hin und her.
„Körperlose Nervensäge.“
„Trockenobst.“
„Ich liebe dich!“
„Ach, sei doch still.“


Zuletzt geändert von Mr. I: 24.07.07, 21:46, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 26.07.07, 15:53 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
5
„Folgen sie mir und ziehen sie bitte den Kopf ein“, mit einer Kerze in der Hand öffnet Rino, der Archivar der Stadtwache, eine niedrige Tür zu einem dafür umso höheren Raum. Silentii folgt ihm. „Die Akte „Ebbenbach“ liegt auf dem Tisch. Falls sie noch etwas brauchen, ich bin jederzeit gerne für sie da.“
„Sie kannten die jüngsten Opfer Meta und Antonius Dantler persönlich, nicht wahr?“
„Meta nur flüchtig, mit Antonius teile, ich meine, teilte ich einige meiner schönsten Erinnerungen an die vergangenen Tage der Wache. Er war ein guter Mann und gute Männer haben es nicht verdient auf diese ruhmlose Weise in Mosans Hallen einzugehen.“ Der gräuliche, eingefallene Rino wendet sich von der imposanten Hochelfin, welche ihn um mindestens zwei Köpfe überragt, ab. „Ich bin in der Wachstube.“ Silentii Timberlin richtet ihre Aufmerksamkeit auf die schmale, hohe Kammer, deren Ende sich in der undurchsichtigen Dunkelheit weit über ihr findet. Pergamentrollen, dicke Bücher, der muffige Geruch von vergilbtem Papier und warmen Kerzenwachs sowie dicker, luftschwängernder Staub erfüllt die Kammer in der zahlreiche Verbrechen der Vergangenheit und dem Vergessen übergeben wurden. Nur eine dicke Mappe liegt auf einem viereckigen Nussbaumtischchen und scheint gegenwärtiger denn vieles, was Silentii bislang gesehen hatte. Sie setzt sich und schlägt mit einem Fingerzeig die Akte auf. Ihr Blick rast über das Geschriebene und nimmt es in sich auf. Das Licht der einzigen Kerze wirft düstere, von Vorahnung geschwängerte Schatten ins Archiv und lässt Figuren längst vergangener Zeiten, längst vergangenen Lebens über die Regale tanzen.

Bild

Bild


Zuletzt geändert von Mr. I: 27.07.07, 10:28, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 29.07.07, 22:54 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
6
Inas geputzte, lange Fingernägel bohren sich tief in das dürre Fleisch von Quints zuckendem Hals. „Giftmischer, ich hätte bis eben nicht an deinem Verstand gezweifelt, doch mittlerweile hege ich rege Zweifel an deinem Wunsch zu überleben.“ Der zitternde Apotheker hustet dumpf auf als er gegen die staubige Backsteinmauer gedrückt wird, welche zusammen mit zwei weiteren jene Sackgasse bildet, die ihn in diese schmerzhafte Situation brachte. „W-w-wartet doch erstmal, nichts ü-überstürzen“, dringt seine Stimme würgend aus der zusammen gequetschten Luftröhre. „wir sind doch da!“ „Wir sind in einer dreckigen Gasse und teilen unsre kostbare Atemluft mit dem Gestank eines verwesenden Hundes da drüben und was noch schlimmer ist, mit dir. Ina, Honigbäckchen, erlösche sein Lebenslicht. Langsam und mit Genuss.“ Henry schürzt seine Lippen, richtet sich das penible saubere Hemd, lehnt sich gegen die Mauer am Ende des Gässchens und fällt ohne jeglichen weiteren Kommentar durch diese hindurch. Von den sauber aufgeschichteten Ziegelsteinen verschluckt. Der Druck um Quint Fingerlings Hals löst sich sofort. „Henry?“ „Ich sagte ja, dass wir da sind“, hustet der Gebräumischer Ina vorwurfsvoll entgegen. „Und ich sagte, dass ich nicht an deinem Verstand zweifle, nicht wahr, Storchenhals?“ Auf ihr süffisantes, gar anzügliches Lächeln in welchem nicht der Schimmer einer Entschuldigung zu sehen ist, nickt er. „So lass uns gehen, alter Freund.“ Nur einen Schritt von der vermeintlichen Mauer entfernt richtet sie noch einmal ihre Frisur, atmet tief ein uns aus und durchschreitet die gemauerte Illusion, wie ein Messer, das durch weiche Butter gleitet.

Die Treppenstufen sind feucht und von Blaumoos bewachsen. Etwa fünfzig an der Zahl führen in eine unterirdische Halle, getragen von hohen, einfach gestalteten Trägersäulen. „Sei vorsichtig Ina“, Quint greift nach ihrer Hand und führt sie die rutschigen Stufen hinab an deren Ende ein ächzender, sich den Kopf haltender Henry sitzt. „Hast du dir etwas getan, Liebster?“ „Nicht so sehr, wie es Storchenhals schmerzen wird, wenn ich ihm nahe bringe wie sehr mich der Umstand stört, dass er nichts von diesem verborgenen Durchgang und der dahinter lauernden Stolperfalle von Treppe erwähnt hat.“ Er richtet sich auf und zurrt seinen Schnurrbart, doch noch bevor er sich der in seinen Gehirngängen entstandenen Strafe für seinen alten Schulkollegen zuwenden kann, dringt ein matter Klangteppich zu den Dreien herüber. Stimmen, zu einem unerkennbaren Brei ineinander vermengt, schallen durch die Halle.

„Wer sind sie? Was wollen sie? Woher kommen sie? Wann gehen sie? Sie sollen gehen. Wir wollen sie nicht. Wollen sie nicht hören. Wollen sie nicht sehen. Wer sind sie? Was wollen sie? Woher kommen sie? Wann gehen sie?“

Wiederum ergreift Ina Henrys Hand. Sucht Schutz in der Berührung, dem Gefühl seiner Haut auf der ihren. Schnell umherrasende Blicke. Blicke ins Leere. Das spärliche Licht, welches von oberhalb der Treppe in den Raum fällt, wird schon nach einigen Schritten von der Dunkelheit verschluckt und lässt selbst dem an die Finsternis gewöhnten Blick nicht die geringste Chance die Mauer aus Düsternis zu überwinden.

„Bluten sollen sie. Schreien sollen sie. Die Luft soll ihre Lungen verätzen. Sie sind nicht gewollt. Nicht gerne gesehen. Wer sind sie? Was wollen sie? Woher kommen sie? Wann gehen sie?“

„Oleander!“ Quints mit einem Male kräftige Stimme schallt dem Getuschel, den flüsternden fragenden Lauten entgegen. „Die Zeit ist nicht d-d-die richtige. Der Ort ist falsch. Doch diese beiden verlangen in ihrem eigenen Namen nach deiner Person und benutzten m-mich, deinen treuen Diener, um in diese Hallen zu gelangen.“

„Er ist schwach. Er ist nur ein Laufbursche. Er ist schwach. Mundtot sollten wir ihn machen. Die Zunge kappen. Wer sind sie? Was wollen sie? Woher kommen sie? Wann gehen sie? Sie sind nicht willkommen.“

„Wir haben Kunde, die für die eure Gemeinschaft von grossem Wert sein wird“, Henry greift in die Tasche seiner Hose und zieht einen zusammengefalteten, versiegelten Brief hervor. „Wir verlangen nichts, denn das ihr das richtige tut, nachdem ihr diese Botschaft gelesen habt.“

„Einen Brief hat er. Sollen wir ihn öffnen? Sollen wir ihn verbrennen? Was tun? Was tun? Einen Brief hat er. Er ist nicht willkommen. Sie ist nicht willkommen. Bluten sollen sie. Wer sind sie? Was wollen sie? Woher kommen sie? Wann gehen sie? Einen Brief hat er.“

„Schschschscht. Ihr müsst jetzt alle ganz ruhig sein. Gaaanz ruhig.“ Der ewige Teppich des Flüsterns verstummt als sich eine feine, dünne Kinderstimme direkt vor den Ebbenbachs und dem mittlerweile einige Schritte zurückgewichenen Quint aus dem Dunkel bildet. Das feuerrote Haar ist das erste, was sich von der Monotonie der Schatten abhebt. Der Rest des kleinen Jungen, sorglos auf sie zu hüpfend, folgt sogleich. „Oleander“, der kreidebleiche Apotheker, auf dessen weissem Hals sich immer noch die Dellen von Inas Fingernägeln abzeichnen, sinkt in einer Geste der Hochachtung und der Furcht auf seine Knie zu Boden. Der etwa zehn Jahre alte Bursche bleibt breitbeinig und mit einem frechen Grinsen auf dem sommersprossigen Gesicht vor den Ebbenbachs stehen. An einer Kordleine, die er in seiner rechten Hand hält, zieht er den bereits mit Verwesungsspuren gekennzeichneten Körper eines enthaupteten Hundes hinter sich her. „Ist der Brief für mich? Ich bin nämlich der Oleander, müsst ihr wissen. Ich wohne hier und ich liebe Briefe!“ Er streckt seine schmierige, dreckige kleine Hand erwartungsvoll Henry entgegen. „Nun, ich bin mir da nicht sicher. Doch da du der einzige bist, der sich uns hier zu erkennen gibt…“ Der Umschlag wechselt den Besitzer und wird sogleich von der Ungeduld kleiner Kinderfinger unsachgemäss aufgerissen. Schnell huscht der Blick aus des Jungen hellblauen Augen über die Zeilen, während sich die Blicke von Ina und Henry treffen. Sie hatten nicht viel Zeit gehabt um vor dem Treffen mit Quint vor wenigen Stunden diesen Schrieb samt Siegel und Unterschrift zu fälschen. Entsprechend dilettantisch ist auch das Ergebnis. Der Umstand, dass der Schrieb nun von einem kleinen Jungen gelesen wurde, dessen Wahrnehmung für Lug und Trug noch nicht richtig ausgeprägt sein durfte, beruhigt die beiden nicht. Mal vom Umstand abgesehen, dass Ina wie Henry klar ist, dass es sich bei ihrem Gegenüber um viel mehr denn ein kleines Kind handelt, würde eben dieses darüber entscheiden ob ihr Plan in die Tat umgesetzt würde oder sie hier und jetzt selbst das Erlebnis „Tod“ aus der ersten Reihe mitverfolgen dürften.

Die Miene, die gelösten, unbekümmerten Gesichtszüge des Jungen erhärten sich. Wort für Wort. „Da will jemand nicht, dass wir hier wohnen, Miko“, meint er zur schlaffen Hundeleiche blickend und lässt diese mit einem durch die Leine laufenden Ruck noch näher zu sich heran schleifen. „Das gefällt uns gar nicht. Gar, gar nicht.“ „Aber du, ich meine ihr könnt etwas dagegen tun. Nicht wahr?“ Mit einem sanften Lächeln kniet sich Ina vor den Jungen hin, „du und dein Miko.“ Der Rothaarige beugt sich etwas weiter vor und flüstert ihr mit kindlicher Stimme ins Ohr: „Der Miko hat ein bisschen Angst, weißt du… Aber du glaubst gar nicht zu was ich alles in der Lage bin.“

Mit einem ohrenbetäubenden Knall entzünden sich über ihren Köpfen an die fünf Kronleuchter, fluten die im Dunkel ob des Echos bereits weitläufig und hoch eingeschätzte Halle mit Licht und lässt sie noch grösser erscheinen. Im Halbkreis um Henry, Ina, Quint und Oleander herum stehen an die einhundert in Schwarz gehüllte Frauen und Männer, starr, abwartend. Eben noch von der Düsternis verschluckt, bilden sie einen unheimlichen Reigen, dessen Aufmerksamkeit gänzlich auf die Vier gerichtet ist. „Habt ihr das gehört, meine Freunde?“ Oleander putzt sich mit dem Handrücken über die kleine Stupsnase und schleift Mikos von Maden zerfressenen Körper über den Boden. Eine braune Spur hinterlassend, die sich bereits an anderen Stellen durch die Halle zieht. „Hier steht“, und hält dabei den Brief mit der kleinen Patschehand in die Luft, „dass die Graue Wacht nicht mehr will, dass wir hier wohnen. Sie wollen, dass wir nirgendwo mehr wohnen dürfen. Und das obwohl wir mit ihnen was’ ganz anderes abgemacht haben. Ist das nicht gemein?“ Die Menge schweigt. „Ich glaube wir müssen uns wehren“, der Junge kichert hell auf. Ein Kichern, das durch sämtliche Mauerritzen, durch die feinen Öffnung jeder Haut dringt und sich in Mark und Bein absetzt. Ina schaudert und selbst Henry spürt Unsicherheit in sich aufkeimen. Unsicherheit darüber, ob das eben in Gang gesetzte nicht ihren eigenen Horizont, ihre eigene Vorstellung über das was unabdingbar geschehen wird, übersteigt. „Wir haben lange genug Männer und Frauen gesammelt, das war ganz schön anstrengend“, die Menge teilt sich ob Oleanders Worten in Richtung des grossen Kamins, „jetzt wird es Zeit, dass die sich mal ein bisschen anstrengen. Schicken wir ihnen einen Brief. Ich liebe Briefe.“


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 30.07.07, 16:14 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
Der Schulalltag war schon irgendwie anders als es der Privatunterricht war. Schon allein, dass um einen herum noch mehr Kinder saßen, war am Anfang für Henry und Ina sehr seltsam. Das schlimmste an allem, zumindest für Henry, war auf jeden Fall dieser Schleimbeutel von Fernando de Turlin. Er war schon 13 und immer noch in der Klasse der Beiden, was er seiner grenzenlosen Dummheit verdankte. Er war so dumm, dass er schon zum dritten Mal in der Klasse sitzen und sich das Gerede der Lehrer anhören musste. Wären seine Eltern nicht so Emporkömmlinge aus Endophal, die durch mehr Glück als Können, an viel Geld und damit auch Einfluss gekommen wären, dann hätte man ihn sicherlich schon längst der Schule verwiesen und das nicht nur aufgrund seiner Dummheit, sondern auch seinem Hang dazu, anderen auf der Schule das Leben zur Hölle zu machen. Interessanter weise, so musste wenigstens Ina feststellen, störte die „Damenwelt“ der Schule seine Dummheit so gar nicht, denn er konnte sich kaum vor anschmachtenden Blicken der Mädchen retten. Wenn man es genau nahm, so musste selbst Ina, die sich nicht einmal in dem Sinne für Jungen interessierte, weil sie einfach noch zu jung war, sich eingestehen, dass er schon ein recht ansehnlicher Junge war. Er war groß, hatte dichte schwarzes Haar, einen schelmenhaftes bis charmanes Grinsen und man konnte schon jetzt bei ihm die ersten Ansätze davon sehen, dass er einmal ein mehr als stattlicher Mann werden würde und seine Augen erst. Wer als Nachkomme eines Endophalies und einer Galadonierin so blaue Augen hatte, und dazu noch die etwas dunklere Haut, der hatte einfach von Natur aus etwas unglaublich anziehendes und faszinierendes und sein Ruf als „böser Bube“ tat dann den Rest.

Eigentlich hatten weder Ina noch Henry viel mit ihm zu tun, was sie auch nicht weiter tragisch fanden, wäre dann da nicht dieses kleine Missgeschick gewesen, was Ina widerfahren war. Es war Pause gewesen und alle tummelten sich auf den Schulhof. Kinderlachen mischte sich mit Rufen und Spielgesängen und mittendrin standen unsere Beiden. Sie waren jetzt schon eine Woche an der Schule gewesen und hatten sich so langsam eingelebt. Sie hatten herausgefunden, wer hier das sagen hatte und einfach nur da war und hoffte nicht auffällig zu werden. Zu letzteren gehörte Quint, den man so herrlich manipulieren konnte und zu dem sie gerade wollten, als Ina stolperte. An und für sich wäre da ja nicht weiter schlimm gewesen, wenn da nicht gerade Fernando ihren Weg gekreuzt hätte und sie mitten in ihn reingestolpert wäre. Es war nicht mehr als ein anrempeln, aber als Ina zu ihm aufsah, sah sie die Wut in seinem Blick und wich vor ihm zurück. „Du willst wohl auch ärger, was? Glaubst du ich hab Probleme damit, dass du ein Mädchen bist? Denkst du, dass ich dich deshalb nicht anpacken würde?“ Die Kälte in seiner Stimme schreckte Ina noch mehr ab und sie verkrümelte sich hinter Henry. Sie hatte wirklich angst vor diesem großen Jungen, der ihr gerade deutlich gedroht hatte. Fast schon gelassen schob Henry die Hände in seine Hosentaschen und sah Fernando hinüber. „Denk nicht einmal daran.“ Da sich standen nun Henry und Fernando gegenüber, Fernando anderthalb Köpfe größer als Henry und doch schien Henry irgendwie keine Angst vor dem Großen zu haben. Das ganze passte nicht in Fernandos Weltbild, bisher hatten immer alle vor ihm gekuscht, selbst noch Kinder in den höheren Klassen, er hatte einfach das gewisse etwas und das wusste er. Die Beiden standen einfach nur da und starrten sich in die Augen. Ein Kräftemessen auf einer anderen Ebene, als es Fernando zu viel wurde ging er auf ihn zu und schubste ihn so fest, dass Henry glatt von den Füßen gerissen wurde und auf dem Boden landete, direkt vor Inas Füße. Jetzt passte das Bild wieder in Fernandos Welt, oder doch nicht? Irgendetwas war noch immer anders, nur was war es? Er brauchte einige Momente, bis er sich im Klaren wurde, dass Henry ihn gerade zu triumphierend anlächelte. Er, Fernando hatte doch gewonnen, aber Henry saß da und lächelte als hätte er gerade eine Schlacht siegreich hinter sich gebracht. Der erste Reflex war, dass er Henry einfach schlagen wollte, aber dieses Lächeln, es hielt ihn mitten in der Bewegung davon ab. Mit einer wegwischenden Handbewegung, mit der er über seine eigene Unsicherheit hinwegtäuschen wollte, drehte er sich von den Beiden weg und ließ sie allein zurück. „Siehst du Ina, so etwas nennt man einen Dummkopf sondergleichen. Er denkt, dass nur weil er stark und größer ist, dass alle vor ihm angst haben müssen und dabei kann man ihn so leicht verunsichern.“

Nach dieser Sache vergingen wieder einige Wochen, Wochen in denen Ina und Henry sich intensiv Quint widmeten. Dieser blasse, unscheinbare Junge hatte Qualitäten, die man ihm gar nicht so ansah. Er kuschte, wenn man ihn nur ansprach und er schien eine Schwäche für Ina zu haben. Henry hatte schon des Öfteren beobachtet, wie er ihr nachgesehen hatte, er verfolgte sie gerade zu mit seinen Blicken, aber er traute sich von selbst niemals näher an sie heran, was auch besser für ihn war, sonst hätte Henry ihn schon längst auf die passende Größe zurück gestutzt. Quint oder auch „liebevoll“ Storchenhals genannt, wurde von den Beiden immer mehr eingespannt, hier mal eine Hausaufgabe, auf die weder Ina noch Henry Lust hatten, da ein Botengang um ihnen etwas zu trinken zu besorgen und jede „Bitte“ der Beiden wurde anstandslos sofort erledigt. So ein Handlanger war schon praktisch.

Der Schulhof war auf gewisse Art und Weise ein Abklatsch der Wirklichkeit außerhalb der Umzäunung. Es gab den, der das sagen hatte, die die einfach nur still kuschten, die Mitläufer eben und die dazwischen, die nichts besseres zu tun hatten als über den Rest zu lästern und sich über sie auszulassen. Da blieb niemand verschont, natürlich alles nur hinter vorgehaltener Hand, aber anders war es im „wirklichen Leben“ ja auch nicht. Wenn man es recht betrachtete, dann hatten die Beiden sich gut in die Hierarchie des Schulhofes eingegliedert und hatten es, ohne große Mühen auch gleich nach weiter oben geschafft, irgendwie hatte das „Pärchen“ eine Ausstrahlung, der man sich nicht wirklich entziehen konnte. Wirklich gemocht wurden sie nicht, aber sie waren akzeptiert und viel wichtiger respektiert von den anderen und hätte Fernando nicht so langsam Anstoß an dem schnellen Aufstieg der Beiden genommen, hätte es auch so weiter laufen können, aber es kam eben doch anders. Irgendwann wurde es Fernando zu viel, er sah sich gerade zu bedroht von Henry und Ina, dabei hatten sie eigentlich anstallten gemacht ihn von seinem Thron zu schubsen, aber schon allein der Gedanke daran, machte ihn rasend. Er musste einfach wieder einmal klar stellen, wer hier auf dem Schulhof das Sagen hatte. Eine passende Gelegenheit bot sich ihm, als eine kleine Ausstellung geplant wurde. Jeder der Schüler sollte sich etwas zum Thema „Magie und Alchemie“ ausdenken und seine Thesen anhand von kleinen Schaustücken darstellen. Henry hatte sich dazu entschieden etwas mehr auf die Alchemie einzugehen, auf die Möglichkeiten, Dinge mittels alchemistischer Untersuchungen herauszufinden und Ina hatte ein wirklich hübsches Schaustück erstellt, in dem sie Alchemie und Magie verglich, anhand von einem Stärkungstrank und einem Stärkungszauber. Es war gar nicht so leicht gewesen, an die passenden Informationen zu kommen, schließlich waren Magier ja so eine eigene abgeschlossene Gruppe, die auch durchaus, auf die „normalen“ mit Hochmut hinab sahen, aber sie hatte es geschafft und war sehr Stolz auf das Schaustück und ihre Aufzeichnungen.

Als der Tag der Ausstellung gekommen war und alle Eltern zur Schule kamen um die geistigen Ergüsse ihrer Kinder zu Gehör und zu Gesicht zu bekommen, schlich sich Fernando zuvor in die große Schulaula in der alles schön aufgebaut war und nur darauf wartete von Menschenmassen durchschritten zu werden. Er betrachtete sich eine Weile lang Inas Ausstellungsstück, sie hatte kleine Pappfigürchen gebastelt, erst vier normale, dann zwei, die Muskeln aufzeigten. An kleinen Pfeilen, die an einer einfach aufgebauten Holzkonstruktion hinab baumelten, klebten Hinweisschildchen auf denen in kindlicher Präzision erklärt war, wie sich der Zauber, oder auch der Trank auf einen Menschen wirkten und nach den Muskelmännchen standen wieder zwei normale, mit den Hinweisen, wie lang in etwa sich das ganze auf den Menschen auswirkte und so weiter und sofort. Fernando musste zugeben, dass da wohl eine Menge Arbeit hinter gesteckt hatte, schon allein die Vorarbeiten, aber es war ihm egal. Er war der Herr der Schule und das würde er jetzt wieder beweisen. Er machte sich also daran, das kleine Meisterwerk auseinander zu nehmen. Er zerbrach Holz, zerriss Pappe und wischte das ganze zum Schluss noch vom Tisch hinunter um darauf herum zu trampeln. Für dieses Schaustück sollte es keine Rettung mehr geben.

Als sich die großen Türen der Aula öffneten und die Leute hineinströmten, war er bereits wieder fort, nur sein Werk war zu begutachten. Ina stiegen Tränen in die Augen, als sie das ganze sah. Die Kleine konnte es einfach nicht fassen, dass jemand so etwas getan hatte und das obwohl sie doch gar nichts getan hatte. Sie konnte nicht anders, als sich leise schluchzend an Henrys Schulter zu vergraben. Das war doch nicht fair. Henry spannte sich deutlich an, als er Ina tröstend im Arm hielt. Seine Gedanken machten gerade zu Sprünge. Wer hatte das wohl getan, und warum? Immer wieder strich er Ina beruhigend über den Rücken, während sein Blick über die Anwesenden ging. Wer hätte einen Grund dazu? Dann blieb sein Blick an Fernando hängen, der weit hinten, lässig an der Wand lehnte und mit einem derart breiten Grinsen hinüber sah, dass es für Henry nicht einmal mehr eine Spur eines Zweifels gab. Er war es gewesen. Er und niemand anderes. Henry verengte die Augen und starrte Fernando an, wobei sein Blick gerade zu düster wurde unter den geballten Gefühlen von Wut und Hass. Langsam verblasste Fernandos Grinsen, dieser Blick, so etwas hatte er noch nie bei einem Kind gesehen. Eiskalte Schauer liefen über seinen Rücken hinweg und er machte sich schnellst möglich aus der Aula davon.

„Storchenhals“ rief Henry schon, als er noch einige Schritte von dem blassen Jungen entfernt war. Es war der Tag nach der Ausstellung und Henry hatte einen Entschluss gefasst. „Dein Vater ist doch Apotheker, nicht wahr?! Er hat Ahnung von den Dingen der Alchemie.“ Quint nickte recht schnell und brachte stotternd ein „Ja“ hervor. Du wirst Ina und mir einen Gefallen tun und wirst es gern tun.“ Die Stimme des Jungen war ungewöhnlich fest und nachdrücklich für ein Kind. „W.. w.. was?“ „Du wirst bei deinem Vater ein wenig Gift entwenden und es mir geben.“ Quint starrte Henry mit großen Augen an, als würde er gerade dem Tod selber ins Antlitz blicken. „D..d..das g.g..geht doch nicht. D..d.d.das kann i..i..ich.. nicht.“ „Und ob du kannst.“ Reflexartig ging Henrys Hand nach vorn vor und erwischte Quint an der Kehle. Du kannst und du wirst es mir besorgen. Hast du mich verstanden? Ansonsten…“ Henry lies den Satz offen stehen und lies den noch blasser gewordenen Quint los, welcher sich erst einmal gegen die Wand lehnen musste, als ihm die Beine zu versagen drohten. Er nickte nur noch hastig und brachte keinen Ton mehr hervor. „Gut, dann haben wir uns ja verstanden. Morgen wirst du es mitbringen, nicht wahr?“ Quint nickte erneut einige Male und Henry lies ihn schließlich einfach stehen und ging seinem geregelten Schulalltag nach.

Am nächsten Morgen, noch vor Schulbeginn fing Henry Quint vor der Schule ab. „Und? Hast du das, was ich wollte?“ „B..b..bist d..d..du dir..s..s..sicher?“ Der starre Blick von Henry, welcher auf ihm lastete, lies ihn aber nur leicht nicken und schon griffelte er aus seiner Schultasche ein kleines Fläschchen hervor, fast schon unscheinbar wirkte es auf Henry, als er es an sich nahm. Eine Weile lang betrachtete er die fast durchsichtige, hellgrüne Flüssigkeit in dem Fläschchen, ehe er es absinken lies. „Sollte es nicht das sein, was ich wollte, werden wir uns widersprechen.“ Mit den Worten verschwand Henry durch das große Tor ohne Quint auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Die Zeit bis zur Pause zog langsam dahin, doch endlich war es soweit, nur eine kleine Ablenkung noch und es würde alles seinen richtigen Gang nehmen.

Jetzt war es an Ina und die Kleine spielte ihre Rolle so gut, dass selbst Henry es ihr fast abgenommen hätte. Sie ging auf Fernando zu und senkte verschüchtert die Augenlider hinab. „Fernando, ich… bitte, bitte.. lass mich in Ruh, ich habe dir doch nichts getan. Ich tu auch alles was du willst, du musst mir nur sagen, was.“ Ein siegessicheres Lächeln lag auf den Zügen des großen Jungen, als er sich Ina zuwandte und damit seiner Tasche mit dem Pausenbrot darin, den Rücken zu drehte. Er ließ sich so von Inas treuherzig verängstigtem Blick in den Bann ziehen, dass es für Henry ein leichtes war, Fernandos Pausenbrot mit einigen Tropfen Gift zu versetzen. Erst waren es nur zwei Tropfen, aber Henry wusste nicht, ob es ausreichen würde und so träufelte er gleich noch 5 weitere darauf. Das sollte wohl reichen. Als Henry an der Tür stand, gab er Ina ein Zeichen und sie zog sich, gekonnt zitternd von Fernando zurück. „Du musst es nur sagen… und ich werde es tun.“ Schon war sie aus dem Raum verschwunden. Henry und Ina setzten sich auf eine der Bänke, welche mitten auf dem Schulhof standen und ihnen so den Blick gestatteten auf alles, was dort so vorging und schon kam auch Fernando auf den Hof. Großkotzig wie immer, pöbelte er hier und da jemanden an, ehe er sich selbst gestatte sein Pausenbrot zu essen. Nach dem ersten Bissen hielt er inne und saß auf dieses hinab, als wäre da etwas nicht ganz so wie es sein sollte. Die Beiden hielten den Atem an, würde er nicht weiter essen, so hätte das alles keinen Sinn, aber der Hunger schien größer zu sein, als der Fremdgeschmack, der ihn zuvor gestört hatte und so verdrückte er das ganze Brot mit wenigen Bissen, er schlang es gerade zu hinab. Jetzt wurde es interessant. Fernando ging noch einige Schritte voran, dann fasste er sich an den Magen und verdrehte die Augen, nach und nach wurde er erst grünlich im Gesicht, dann bleich und schließlich kippte er einfach nach vorn um und blieb reglos liegen. Der gesamte Schulhof war in Aufruhr, Lehrer und Schüler eilten hin und her, Schreie, Gekreische und doch konnte niemand mehr etwas an der Lage ändern. Fernando war tot.

Es gab Ermittlungen, als man feststellte, dass es sich um eine Vergiftung handelte, aber niemand konnte es den Beiden zu ordnen und selbst als man Quint befragte, hielt er die Klappe, denn er wusste, dass er auch so enden würde, wenn er jetzt auch nur einen Piep machen würde, soweit hatte er Henry schon durchschaut und Ina, ja, Ina hätte er so etwas niemals antun wollen. Nicht ihr, nicht dieser wunderschönen Rose inmitten der Disteln. So kam es, dass man den Fall Fernando de Turlin einfach zu den Akten legte und vergaß.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 30.07.07, 16:30 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
7
„Botin, du wirst den Brief schreiben. Na los!“ Eine ältere, rundliche Frau mit raspelkurzen Haaren, die ihre schneeweisse Kopfhaut und ein Muttermal in der Grösse einer Münze durchschimmern lassen, tritt aus der immer noch starren, lauernden Menge der Anwesenden und stellt sich vor den riesigen Kamin inmitten des Raumes. Trockenes, verstaubtes und wohl schon lange nicht mehr gebrauchtes Holz stapelt sich in der Mitte von einem eisernen Rost. Ina wie Henry beobachten jede ihrer Bewegungen mit der Aufmerksamkeit eines Zwergen unter Einfluss von Dämonenkraut. Ihre Gedanken drehen sich unbewusst um die verschiedenen Tötungsarten mit welcher sie den kleinen Jungen aus dem Weg räumen konnten, sollte sich dies nur als Schauspiel, als Hohn über den schlecht gefälschten Brief herausstellen. Unkontrollierbare, beissende Gedanken und das erste Mal wird Ina in eben diesem Augenblick der Stille bewusst, dass sie Angst empfand. Irrationale ungekannte Angst. Sie verstärkt den Druck auf Henrys kalte Hand.

„Schick den Brief von Dach zu Dach, Botin. In Gemächer und Kammern, in die Herzen jener, die unsere Gesinnung teilen. Blut soll sich ergiessen in die Strassen. Blut der Grauen, Blut der Weissen und Blut jener, die sich uns in den Weg stellen. Ein schwarzes Leuchtfeuer des Wandels. Nicht war Miko?“ Der rothaarige Oleander zupft die Leine einige Male in die Höhe und der kopflose Hundekörper scheint voller Zustimmung zu nicken. Ohne zu zögern hebt die kleine dickliche Frau vor dem Kamin ihren wohlgenährten Arm an und lässt den Robenärmel nach hinten rutschen um eine mit klauenartigen Fingernägeln bespickte Hand freizulegen. Tief sticht sie mit dem spitzigsten unter ihnen in ihre eigene Schlagader und zieht anscheinend genüsslich eine tiefe, rote Furche quer über ihren Hals. Die rosige, belegte Zunge hängt ihr lustvoll aus dem Mund, die Augen hält sie dabei geschlossen. Mimik, die auf höchsten körperlichen Genuss, leidenschaftliche Ekstase hinweist. So scheint das darauf folgende Schnippen eines Bluttropfens auf das aufgeschichtete Holz beinahe schon widerwillig, der Trennung von einem lieb gewonnenen Freund gleich.

Nicht lange lässt die gewünschte Reaktion auf sich warten. Kurz nachdem die Botin in sich zusammengesunken ist, beginnen die Scheite jäh zu ächzen. Das Knarren des Holzes wandelt sich in ein verzerrtes Schreien, immer wieder von zahnbrechendem Knacken untermauert, als würde sich jede einzelne Faser gegen den unnatürlichen Vorgang erwehren. Inas Hand schliesst sich pressend um Henrys, der seinen geschäftsmännischen Blick nicht einmal vom Geschehen wendet, geschweige denn mit einer Wimper zuckt. Als die Stille die dunklen Gemäuer wieder einlullt, brechen die Holzstücke auf, bersten und gebären pechschwarzen, stinkenden Rauch, welcher sich mit den Bewegungen einer Schlange erst kurz im offenen Kamin tummelt, um auch sogleich seine Bahn weiter den Schornstein hoch anzutreten.

***

„Rino, schauen sie sich das einmal an“, Silentii hat ihre Recherchen des heutigen Tages bereits in ihr Notizbüchlein übertragen und die Opfer-Chronologie feinsäuberlich abgeschrieben, als sie starr wie eine Salzsäule am grossen Fenster der Wachstube steht. „Keine Zeit, Fräulein Timberlin, keine Zeit. Es wartet noch ein Berg an Akten auf mich.“ Der Archivar richtet sein Monokel ohne dabei auch nur den Blick zur Hochelfin anzuheben. „Ob! es in der Stadt wohl irgendwo brennt?“ Ihre langen, zarten Finger liegen auf der Scheibe und nehmen deren Kühle auf. „Wäre wohl nicht das erste Mal, Fräulein. Erst letzthin fiel die alte Bäckerei an der Mühlestrasse dem Feuer zum Opfer.“ „Aber welche Flammenspeise verursacht Rauch von solcher Schwärze?“ Rinos Monokel fällt auf die vor ihm aufgeschlagene Akte, dreht sich noch einige Male und kommt dann zum erliegen. „Schwarz?“ Knarrend rutscht sein abgenutzter Stuhl über den Dielenboden und droht umzufallen. „Und noch eine! Eine zweite, nein, dritte Säule. Und dort hinten, sehen sie? Aus dem ersten Distrikt, jenem wo das Rathaus steht. Mindestens noch zwei.“ Der kümmerliche Stadtwachen-Archivar stellt sich nur einen Schritt hinter die Ermittlerin, zögert einen Moment, hebt dann jedoch den aufgefangenen Stuhl an und schlägt ihr mit jener Wucht, die seine dürren Arme hergeben gegen ihren Hinterkopf. Leblos fällt ihr schlanker Körper zur Seite. „Es tut mir leid, Fräulein Timberlin aber sie werden es mir noch danken, wenn sie das Kommende, welches bald die Stadt überschwemmen wird, nicht mit ansehen müssen. Das heisst, wenn sie noch Gelegenheit dazu haben, was ich stark bezweifle.“ Angeheizten Schrittes eilt Rino in den Nebenraum und öffnet die Klappe des kleinen, gusseisernen Ofens. Schnell einige Aktennotizen auf feinstem Pergament zusammengeknüllt und in die schlundartige runde Ofenöffnung gestopft, beisst er sich auch kurz darauf in die eigene Hand bis Blut zwischen seinen Zähnen hervorquillt. Und wie das Holz auf den roten Lebenssaft der Botin reagierte, wehrt sich auch das Papier erst gegen die Mischung, welche Rino in den Heizkörper spuckt, doch der nachtschwarze Qualm lässt nicht lange auf sich warten.

***

Das Schnarchen des männlichen Schrumpfkopfes im Schaufenster am Inges’er Marktplatz ist ohrenbetäubend. Staubwölkchen verlassen den zahnlosen Mund und werden mit einem ratternden Schnaufen auch gleich wieder eingesaugt. „Lutz, du unansehnlicher Blasebalg, wach auf, da draussen ist irgendwas los!“ „Was, nein, ich hab nichts mit der Blonden gehabt, ich schwö…“ Schmatzend und schlaftrunken hebt er seine müden Lider an. Ein kleiner Käfer mit zwei feuerroten Punkten auf den Flügeln krabbelt aus der sich darunter befindenden leeren Augenhöhle. „Ich seh’ nichts, mach es weg, Weib!“ Mit einem Ruck zur Seite baumelt Trine mit einem kräftigen Schlag gegen ihren Göttergatten. Der Käfer fliegt weiter ins Innere der Apotheke und die Schrumpfköpfin lacht grunzend auf. „Und bevor du jetzt zu fluchen anfängst, Lutz, schau aus dem Fenster…“ Den stinkenden Mund zum gewohnten Konter geöffnet, verstummt er jedoch schnell wieder. „Beim Barte deiner Mutter.“ Vor der Scheibe, auf dem Marktplatz hetzen Frauen mit ihren Kindern in die Häuser, während die Männer Türen und Fenster verriegeln oder in aller Eile ihre Mistgabeln und Küchenmesser schleifen. Hektik fliesst durch die Gassen wie das pulsierende Blut durch die Adern jener, die Unheil vorausahnen und jene mit einem Blick zum Himmel bestätigen. „Hab ichs dir doch gesagt, nicht? Hab ich, Lutz, du vergammeltes Dörrobst, hab ich. Ich frag mich ja nur wo dieser Quint bleibt um das Schaufenster zu verriegeln.“

***

Sie stehen erhaben und zu dutzenden über der Stadt Ignes. Mit beinahe flüssig anmutenden Bewegungen schlängeln die Rauchsäulen, entwichen aus den Kaminen der dunklen Gemeinschaft zu den weissen Wolken empor, welche ihnen widerwillig Platz machen.
Das Mahnmal, ein Leuchtfeuer des Wandels.
Der Freibrief der Ebbenbachs aus der Verfolgung der grauen Wacht.
Der Tod vieler.
Der Qualm in der Farbe des kommenden Unheils.
SCHWARZ.

weiter zu OLEANDER


Zuletzt geändert von Mr. I: 30.07.07, 22:03, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 10 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de