Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 9.07.25, 01:16

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 9 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Tabula Rasa - OLEANDER
BeitragVerfasst: 30.07.07, 16:38 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
zurück zu SCHWARZ

O L E A N D E R
Bild

1
Im Stadtpark von Ignes, unter den grossen Lindenbäumen, neben einem langgezogenen Schotterweg, der sich durch die ganze idyllische Parkanlage zieht, liegt ein kleiner Spielplatz für Kinder. Wippe, Schaukel und ein Sandkasten in dessen Mitte ein völlig verdrecktes, etwa fünfjähriges Mädchen hockt und sich mit einer Schaufel Dreck in den Schoss ihres weissen Kleidchens schippt. Im Wissen, dass sie bald abgeholt werden würde, hat sie den anderen Eltern und deren Kindern, welche vor wenigen Minuten fluchtartig das Weite gesucht und immer wieder zum Himmel und den sich darin windenden schwarzen Rauchwolken empor geblickt haben, keine Beachtung geschenkt. Die ständigen Verspätungen ihrer Mutter schürte Trotz in der Kleinen. Sie gräbt und gräbt, schmiert braunen Sand auf ihr Kleid und beobachtet fasziniert, wie dessen Farbe langsam in den fein gewobenen Stoff übergeht.

Ein kleiner Käfer mit zwei weissen Punkten auf dem Rücken krabbelt an ihrer Hand vorbei. Mit einem entsetzten Aufquieken lässt das kleine Mädchen die Schaufel fallen. Ein weiterer folgt. Grün mit feinen Rillen im Gehäuse. Rasch steht sie auf, als immer mehr der kleinen Insekten aus der Wiese in den Sand eilen und sich in selbem vergraben, als wären sie auf der Flucht von etwas und würden ihre Erlösung im kühlen Erdereich finden. Den Ursprung ihrer Angst erblickt sie zwischen den zwei dicken Stämmen der Linden. Ein kleiner Junge mit feuerrotem Haar und einem regungslosen Hundeleib an einer Leine steht regungslos in der Ferne und starrt ihr grinsend entgegen.

Ein Schrei lässt die Vögel aus den Baumwipfeln in die Höhe steigen und in die Ferne eilen. Ihre Mutter war zu spät, viel zu spät.


Zuletzt geändert von Mr. I: 2.08.07, 22:46, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 2.08.07, 22:39 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
2
Der tosende Applaus von den ausverkauften Rängen war Lohn genug und auch wenn weder der Magen der Tiere noch der eigene davon zu stopfen war, lebte die Familie Wendolyn doch ausnahmslos für dieses Geräusch. Der schallende Klang aufeinander treffender Hände.
Es ist die letzte Vorstellung des Zirkus in Ignes und während eine bärtige Frau einzig und allein mit ihrer Gesichtsbehaarung die Zuschauer in Staunen und Unglauben versetzt, plant Herbertus, der Direktor und zugleich das unbestrittene Oberhaupt der familiären Sippschaft, zusammen mit seinem Schatzmeister die Weiterreise nach Rowa an der Linfahrt-Bucht. Zwischen den einzelnen Nummern bleibt genügend Zeit um die Buchführung des Ignes’er Aufenthalts abzuschliessen und somit das zur Verfügung stehende Geld für den nächsten Rastplatz auszurechnen. Weit ab von der Begeisterung des Publikums stapeln die beiden klirrende, schimmernde Münzen zu kleinen Türmchen als mit einem Mal eines der aufgeschichteten dekadenten Bauwerke in sich zusammen fällt. „Herbertus, stillsitzen. Wenn du wissen willst ob du es dir leisten kannst die spuckende Rosi gegen ein trockeneres Exemplar von einem Lama einzutauschen, halte.. still!“ Mit einem überspitzt giftigen Nachdruck in der Stimme mahnt der Schatzmeister seinen Vorgesetzten, welcher kurz darauf die patschigen, wurstfingrigen Hände anhebt, als wolle er mit dieser Geste seine Unschuld beteuern. Von Neuem aufgeschichtet ergeben die Dukaten wiederum einen glanzvollen Anblick, welcher so manchen Langfinger dazu bewogen hätte die vielleicht einmal gefassten guten Vorsätze ohne zu zögern über Bord zu werfen. Und wieder fällt das Türmchen schwachbrüstig in sich zusammen. Das Schaukeln des Planwagens war bei diesem sich wiederholenden Male jedoch nur allzu deutlich zu spüren. „Was war das?“ „Ich nicht.“ Die Spuren der Besorgnis sind deutlich auf den harten Zügen des Finanziers abzulesen. Noch einmal klirren die Münzen, bevor sich deren Geräusch in ohrenbetäubende Höhen und in eine erschütternde Lautstärke anschwillt und das Licht, welches durch den grob gewobenen hellen Stoff des Wagendaches scheint, Schatten weicht.

„Mama, jetzt kommt die Olle mit diesem Ding!“ Nervös zupft das Mädchen seiner Mutter am Hemdärmel und deutet mit dem kurzen Zeigefinger auf eine junge, bildschöne Frau mit langem, blonden Haar, welche sich zusammen mit einem Schimpansen in der Mitte des Zeltes positioniert. Gerelda Wendolyn, die erstgeborene Tochter, wusste es die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen und das kleine haarige Etwas aus dem tiefsten Süden Endophals, einst mitgebracht von den vielen Reisen der Familia, tat den Rest. „Meine Damen und Herren! Ich stelle ihnen meinen Freund vor!“ Schwungvoll turnt sich der Affe mit augenscheinlicher Leichtigkeit an ihrem wohlgeformten Körper empor und legt sich vertrauensvoll in Gereldas Arme. „Aaaah“s und erstaunte „Ooooh“s mischen sich unter die beinahe schon teppichartige Monotonie des Applauses. Doch als der Applaus, ja jeglicher Laut im Zelt urplötzlich abbricht, verstummt und ihr treuer tierischer Gefährte mit wilden Schreien von ihr zu Boden springt und das Weite sucht, wacht auch die Direktorentocher aus ihrer Alltagsbeschäftigung auf und bemerkt die Blicke aus den Zuschauerreihen, welche für einmal nicht auf sie, sondern auf irgendetwas über ihr gerichtet sind.
Ein aufziehender Sturm? Was auch immer das Tageslicht ausserhalb des Zeltes raubt, es verdunkelt die Manege gänzlich und jagt Unruhe durch die Bankreihen der Anwesenden. Das leise Klicken der Schlösser an den Raubtierkäfigen, etwas ausserhalb des Sichtbereiches des Publikums, vernimmt kaum jemand. Erst als die von Zauberhand geöffneten Türen mit einem eisernen Schlag aus ihren Angeln springen und die entsetzten Rufe der Zwillingsbrüder Enzo und Rufus Wendolyn, zuständig für die Tierpflege, an die Ohren der angespannten Menge dringen, bricht Panik aus. Angewurzelt, bewegungslos an Ort und Stelle verharrend, beobachtet Gerelda, wie einer der befreiten Berglöwen in die Menschenmenge springt und sich im Hals einer Frau mit einem riesigen hellblauen Hut verbeisst. Blut tränkt die Himmelsfarbe. Wie aufgescheuchtes Vieh auf der Flucht vor der Schlachtbank drängen die Zuschauer durch die engen Reihen und Gänge, fallen hin, werden zertrampelt oder beiseite über die eisernen Sicherheitsstangen hinweg in die Tiefe gestossen.
Das Geräusch von auseinander gezerrtem Stoff holt die Zirkustochter aus diesem irrealen und doch existenten Traum. Die verzerrten Schmerzesschreie werden wieder lauter und gegenwärtiger. Über ihr, in schwindelerregender Höhe, an jenem Punkt an dem alle Bahnen des Zeltes zu einem Spitz zusammenlaufen, reisst die dicke Plane an verschiedenen Stellen und zieht weitläufige Risse bis zum mit Sägemehl bedeckten Boden hin. ‚Es ist ein Sturm’, ein Gedanke, den sie lange und mit aller Ruhe in ihrem Kopf hin und her wälzt, während sich eine der zerborstenen Planenstück an einer am Hauptmast angebrachten Fackel entzündet und innert Sekunden in eine Fahne aus Flammen verwandelt. Im aufgekommenen Wind wild umher schlagend. ‚Ein Sturm der Magie’. Sie beobachtet, noch immer in der Mitte der Manege, inmitten all diesen Leids und Durcheinanders stehend, wie ihre Brüder ob des Feuers die restlichen Käfige der Kleintiere öffnen und dem verstörten Vieh die Freiheit schenken. Rufus, der ältere der beiden Zwillinge rennt durch den dicken, tiefroten Vorhang in den hinteren Teil des Zeltes, aus welchem bereits dicker Rauch quillt. Die Pferde haben dort seit jeher ihre Stallungen. Das letzte Mal, dass Gerelda ihn und die Reittiere sehen würde. Von einer schwächlichen Hand, jener ihrer Mutter Isolde, wird sie in Richtung des Ausgangs gezogen und bevor sie im Getümmel der schreienden Menschen untergeht, bleibt ihr Blick noch einmal an der mittlerweile leeren Zuschauertribüne haften. Dem Chaos zum Trotz sitzen dort etwa ein Dutzend in Schwarz gehüllte Gestalten und mitten unter ihnen ein kleiner Junge mit feuerrotem Haar. Immer wieder leckt er genüsslich an einer Zuckerstange und beobachtet das Treiben in der Manege mit einem breiten Grinsen.


Zuletzt geändert von Mr. I: 2.08.07, 22:47, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 3.08.07, 14:51 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
„Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt. Das hat dieser Mistsack, doch nur gemacht, weil er mich nicht ausstehen kann.“ Henry tritt einen kleinen Stein über den Schulhof und starrt vor sich hin. „Wie geht es deinen Händen, Henry?“ Vorsichtig griff Ina nach den Händen des Jungen und betrachtete sich eine Weile lang das Farbspiel, welches sich dort bot. Seine Hände waren geschwollen und schwankten zwischen roten Striemen und blauen Flecken. Zimmermann hätte wirklich nicht so fest zuschlagen müssen. Henry hatte doch gar nichts Schlimmes gemacht. Gut, er hatte versucht ihr einen Zettel zu zuschieben, aber ihn deshalb gleich so mit dem Rohrstock zu schlagen, war wirklich übertrieben gewesen. Ina hatte schon angst gehabt, dass er Henry blutig schlagen würde. Es war wirklich grauenhaft gewesen, dass Geräusch des herabsausenden Rohrstocks, welcher die Luft durchtrennte und dann das klatschende aufkommen auf Henrys Haut. Sie hatte sie so beherrschen müssen, nicht aufzuspringen, um dem Lehrer seinen Stock zu entreißen und ihn damit selbst zu schlagen, aber was hätte sie ihm schon groß entgegen zu setzen gehabt, eine Zwölfjährige war für den doch weniger als Dreck unter den Füßen. Es war alles so ungerecht. Sicher, es war gang und gäbe, dass man Schüler auf diese Art und Weise züchtigte, aber das hier ging weit darüber hinaus. Zimmermann konnte Henry nicht ausstehen, er misstraute ihm, Ina glaubte sogar fest daran, dass er Henry hasste. Das ganze steigerte sich so langsam, schaukelte sich von selbst immer weiter auf und begonnen hatte es damals nach dieser Fernandosache. Seit dem beobachtete er Henry und bei jeder Gelegenheit ließ er ihn seine Überlegenheit spüren, aber heute war er wirklich zu weit gegangen. Henry würde seine Hände sicher eine Woche kaum nutzen können, so schlimm sah es aus.

Tatsächlich dauerte es ganze vier Tage, ehe die Hände wieder soweit nutzbar waren, dass es nicht mehr so anmutete, als würde ein Gorilla mit seinen Pranken versuchen Feinarbeiten zu leisten. Noch immer schmerzte es ihn zum Teil, je nachdem was er tat, aber er gab Zimmermann kaum die Genugtuung des sichtbaren Schmerzes. Er fraß es in sich hinein und lächelte ihm gerade zu todesverachtend an. ER würde ihn nicht klein kriegen! Niemals! Was machte ihn eigentlich so stur und derart stark, wirklich normal war es nicht unbedingt in seinem Alter. Dann fiel sein Blick auf Ina, welche sich bei ihm untergehakt hatte und ihn munter vollplapperte und er musste lächeln. Ina, ja, sie wahr wohl wirklich seine Stärke. Er wollte sich vor ihr einfach nicht wie ein kleines Kind benehmen, sie hatte es verdient einen starken Menschen neben sich zu haben. Sie brauchte schließlich jemanden der auf sie aufpasste und in dem Fall war eben er das, er war so etwas wie ihr großer Bruder und das würde auch so bleiben. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Ina blickte zu ihm auf und legte den Kopf leicht schräg. „Ich glaub ich war kurzzeitig, sagen wir, abgelenkt.“ „Das hab ich gemerkt. Ich hab im Übrigen gesagt, dass ich das ganze mit Zimmermann keinen weiteren Tag mehr ansehen werde.“ Henry nickte eher langsam und wollte gerade wieder mit den Gedanken abschweifen, als Ina ihn auch schon zu Quint hinüberzog. „Na, Storchenhals, hast du das, was ich von dir haben wollte von deinem Vater besorgt?“ Quint zuckte zusammen, als er nicht nur Ina, wie am Vortag, sondern auch Henry bei ihr sah. Henry, warum musste dieser Kerl nur immer bei der schönsten aller Blumen sein? Sie war so schön und so zerbrechlich. Ein leises Seufzen kam über seine Lippen und ein dümmliches Lächeln überzog sein Gesicht. „Quint!“ Ina verdrehte die Augen. „Warum träumen heute alle um mich herum? QUINT!“ Patsch, für einen Moment hallte die Ohrfeige nach, die Ina Quint einfach so verpasst hatte. Ihr Schlag war nicht sonderlich heftig, aber heftig genug um ihn wieder ins Hier und Jetzt zu holen und auch noch heftig genug um einen leichten roten Abdruck auf seiner Wange zu hinterlassen. „Wieder anwesend? Ja? Fein! Also, hast du es nun oder nicht?“ Wie vom Donnerschlag gerührt nickte Quint recht schnell einige Male. „J..j..ja, i..i..ich hab e..e..es.“ „Braaaav! Na gib schon her, bevor uns hier noch wer zusammen sieht.“ Zwei Fläschchen wechselten den Besitzer und schon zerrte Ina Henry Richtung Schultüren. „Was ist denn das?“ „Wirst du schon noch sehen, sei doch nicht immer so neugierig. Das Ganze wird meine Überraschung für dich.“ Mit einem Schmunzeln ergab er sich dem Mädchen und ließ sich von ihr einfach weiter führen.

Sie ließ ihn tatsächlich zappeln, den ganzen Schultag über. Nicht ein Wort über die Flasche oder was sie damit vor hatte. So langsam wurde Henry unruhig, die Neugier wurde so langsam doch stetig größer. Dann endlich war es an der Zeit, dass sie nach Hause gehen konnten, es war schon später am Tag und nur noch wenige Schüler würden jetzt noch Unterricht haben. Ein perfekter Moment für die Umsetzung ihres Planes. Als Henry Richtung Ausgang strebte, hielt sie ihn zurück. „Warte, Henry. Wir haben noch etwas zu erledigen.“ Die Beiden schlichen durch die Flure und immer wieder schob oder zog Ina Henry in eine Bestimmte Richtung, in die Richtung des Lehrerzimmers. Sie hatte Quint vor zwei Wochen dazu abgestellt, herauszubekommen wer da, wann drin war und jetzt, um diese Uhrzeit dürften nur noch drei Lehrer dort drinnen sein, Reginold Zimmermann, Amnalena Disentis und Ghime Lionell. Irgendwo war es ja dumm, dass er nicht allein war, aber wie sagte man so schön? Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Als sie gerade um die Ecke bogen, kam ihnen allerdings unverhofft dieser Elf entgegen. Lionell bedachte die Beiden mit einem fragenden Blick. „Was wollt ihr denn hier Kinder?“ Ja, was wollten sie hier? Was? Noch als Ina am überlegen war, hörte sie Henry, der ganz souverän, so als wäre es die Wahrheit, antwortete. „Ich sollte für meine Eltern einen Brief im Rektorat abgeben und ich lasse Ina doch nur ungern, allein.“ Sein Lächeln in Worten, hätte wohl gesagt, dass alles in Ordnung ist und man sicher keinerlei Sorgen machen müsste. Lionell nickte und ließ sie gehen, während er nun selbst in das Lehrerzimmer ging. „Aber haltet euch hier nicht mehr zu lange auf und geht nach Hause.“ Dann schloss sich die Tür hinter ihm. Ina blickte über den Gang und atmete erst einmal tief durch. Sollte sie es jetzt noch machen oder es lieber verschieben? Ach, jetzt oder nie. Sie lugte durch das Schlüsselloch und tatsächlich, nun waren genau die Drei dort drin, die drin sein sollte. Als sie sich wieder aufrichtete, schnappte sich einen der Holzstühle, welche überall auf dem Lehrergang verteilt waren und schob ihn so leise wie möglich unter den Türgriff. „Drück bitte mal richtig fest.“ Nur leise war ihr Flüstern zu hören. Henry reagierte sofort darauf und drückte den Stuhl etwas fester unter den Türgriff, so dass dieser vollständig blockiert wurde.

Ina nahm die Flasche aus ihrer Tasche hervor und machte sich daran zuerst einige Tropfen auf die dicken Vorhänge vor den Fenstern zu verteilen, dann auf die Stühle, sie zog eine kleine Spur von der Tür bis zum Gang und besprengte schließlich sehr vorsichtig die Tür. Als das vollbracht war, zog sie die zweite Flasche hervor, die Flüssigkeit darin, war deutlich dunkler und sie goss es auf den Boden, so dass es sich in den Ritzen des Bodens und der Tür verteilte. Henry verfolgte das Ganze und so langsam wurde es ein wenig mulmig. Sie hatte sie doch nicht etwas von Quint so einen Explosionstrank geben lassen? Da könnte doch wer weiß was passieren. Als alles vorbereitet war, zog sie Henry zur Seite und holte einen Kerzenstumpen aus ihrem Rucksack hervor. „Ina, du hast doch nicht…?“ „Doch hab ich. Ich werde das ganze hier anzünden.“ „Das ist viel zu gefährlich. Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“ „Ich habe alles genauestens durchdacht. Vertrau mir einfach. Das Zeug hier vorn ist nicht pur, zumindest nicht, wenn Quint es hinbekommen hat, wie ich es ihm gesagt hab.“ Sie entzündete den Kerzenstumpen an einer der Kerzen, die den Gang erhellten und stellte ihn direkt in die Pfütze der Explosionsmischung. Sie hatte sich von Quint genau erklären lassen, wie dieser Trank reagieren würde. Man durfte ihn nicht zu sehr schütteln, werfen schon gar nicht und auf zu große Hitze reagierte er auch. Sie hoffte nur, dass er auch Recht behielt und das Ganze nicht vorher hochging. Wenn jetzt alles genau so funktionierte wie geplant, dann würde es ausreichen, dass die Hitze der Kerze, sobald sie weit genug hinab gebrannt war, das Ganze zu entzünden. Kaum war die Kerze aufgestellt, griff sie nach Henrys Hand und rannte mit ihm zusammen nach draußen auf den Pausenhof, einen Blick noch hinauf in Richtung des Lehrerzimmers, dann machten sie sich auf den Weg nach Haus. Sie hielten extra noch bei einigen Läden an, in denen sie die Verkäufer genug stressten, dass sie sich auf jeden Fall an sie erinnern würden, dann hörte man auch schon das Glockengeläut, wie man es bei Feuer hören konnte. Ina hielt den Atem an, ob es wirklich geklappt hatte? Am liebsten wäre sie ja zurück gelaufen, aber es wäre einfach nicht gut, wenn man sie dort jetzt sehen würde, also gingen beide genau in die andere Richtung. „Ina, ich hätte nicht geglaubt, dass du für mich so etwas tun würdest.“ „Aaaach, dass war doch nichts. Er hat es schließlich verdient!“ Leicht röteten sich ihre Wangen unter seinem bewundernden Blick.

Was die Beiden nicht mitbekamen war das was an der Schule vor sich ging. Alles lief genauso, wie es sich Ina in ihrem kindlichen Geist ausgemalt hatte. Als der Kerzenstumpen weit genug hinab gebrannt war, wurde es zu heiß und so wurde die Kettenreaktion in Gang gesetzt. Die dünnen Spuren und kleinen Flecken, welche überall auf dem Gang verteilt waren und tatsächlich nicht pur, sondern verlängert waren, entbrannten eher, als dass sie explodierten, nur ging das Ganze so schnell von sich, dass der Gang innerhalb von Sekunden unter Feuerstand. Als der erste Rauch unter der Tür durch in das Lehrer Zimmer kroch, war es Ghime Lionell, der es als erster bemerkte, doch kaum, dass er es gerochen hatte, explodierte auch schon die Pfütze an der Tür, sprengte diese zwar dabei, aber zog auch gleich ein Flammeninferno sondergleichen nach sich, so dass es keine Möglichkeit mehr gab, der Flammenhölle zu entfliehen. Brennendes Holz, Rauch, so vieles was den Raum erfüllte. Zimmermann, lag bereits tot am Boden, er war von einem dicken, brennenden Holzsplitter mitten ins Auge getroffen worden, Amnalena Disentis lag an der anderen Seite des Zimmers und hielt sich röchelnd die Kehle, irgendetwas hatte ihr den Hals tief aufgeschnitten und die ersten Flammen griffen auch bereits nach ihr. Nur Ghime Lionell stand noch, doch brannten seine Sachen bereits, die Flammen leckten an seiner Kleidung hinauf und verwandelten ihn in eine brennende Fackel. Mit letzter Kraft stürzte er auf das Fenster zu und schrie so laut er konnte zwei Namen hinab. „Ina und Henry….“ Wohl wollte er noch weiteres sagen, doch brach er zuvor schon tot zusammen. Die Worte vergingen nicht ungehört, denn einige Leute standen bereits unten auf dem Hof und schauten hilflos zu, wie das obere Stockwerk in Flammen aufging. Das Feuer konnte unter Mithilfe von Magiern schließlich erstickt werden und gerade zu bedrohlich gingen die dunkeln Rauchschwaden in den Himmel hinauf.

Die Schule musste einen Mond lang gesperrt werden um wenigstens die gröbsten Schäden zu beheben, in der Zeit hatten sowohl Ina, als auch Henry mehr als nur einmal Besuch von Ermittlern der Wache, aber ein so gut eingespieltes Team, konnte selbst das nicht zum Stolpern bringen. Sie hatten ja auch mehr als gut dafür gesorgt, dass man sie während des Feuerausbruches an ganz anderen Stellen als der Schule gesehen und wahrgenommen hatte und Inas Tränenausbrüche, über den Verlust so guter Lehrer waren gerade zu Theaterreif gewesen. Selbst die Ermittler konnten nicht umhin sie schließlich in den Arm zu nehmen, um sie zu trösten. Das perfekte Trauerspiel, so perfekt, dass man es bei zwei Kindern einfach nur für die Wahrheit halten musste.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 4.08.07, 14:28 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
3
„Es ist Oleander“, der schmächtige Adjudant durchschneidet mit seiner dünnen Stimme die Stille im Zimmer, vollgestopft mit Männern und einzelnen Frauen, verhangen mit dem süsslichen Rauch einzelner, in Hoffnungslosigkeit entzündeter Pfeifen. Es ist der letzte Raum am Ende eines langen Ganges im turmähnlichen Quartier der Grauen Wacht und während die Lehrer der Akademie und die Ranghöchsten der magischen Schutztruppen mit flüsternden Stimmen die Lage der Stadt diskutieren, lauschen vereinzelte Schüler der Akademie an der dicken, mit Ornamenten verzierten Eichentür.
„Wie kann das sein? Wir haben ein Abkommen mit ihm und der dunklen Gemeinschaft“, Tribald Samuelis, Hochmagus des grauen Pfades und Führer der Truppen erhebt seine Stimme, „WIE KANN DAS SEIN!“ Donnernd rast seine Hand auf den Stadtplan hernieder, ausgelegt auf einem viereckigen Tischchen inmitten der Diskutierenden.
„Es gibt zwei Möglichkeiten, Tribald“, der Adjudant rückt die Karte wieder zurecht. „Entweder es besteht eine Lücke in unseren Reihen, welche durchsickern liess, dass wir aufgrund der nach Ersonts End’ entsandten Truppen derzeit unterbesetzt und somit verwundbar sind, oder es ist eine Verschwörung, deren Ursprung wir augenscheinlich noch nicht kennen.“
„Wie ist der derzeitige Stand der Dinge?“
„Der Angriff auf die Stadt aus dem Untergrund begann zur achten Stund bei Sonnenaufgang in den Parkanlagen. Drei Opfer.“ Der knöcherne Finger des Soldaten deutet bei den Ausführungen auf den von einer geübten Künstlerhand gezeichneten Plan von Ignes. „Der gastierende Zirkus Wendolyn wurde kurz darauf völlig zerstört. Die Zahl der Opfer scheint klein zu sein, jene der Verletzten dafür umso höher. Unter ihnen auch der Sohn der fahrenden Familie. Rufus. Falls euch der Name…“
„Wir haben keine Zeit für Einzelheiten!“
„Vor wenigen Minuten erhielten wir Meldung aus dem Stadtzentrum, dem ersten, zweiten, fünften Distrik, sowie dem Tolkvi-Viertel der Hochelfen über Gestalten in Schwarz und Kreaturen, welche sich anscheinend unter deren Kontrolle befänden.“
Einer der Anwesenden, ein langbärtiger, zotteliger Kauz, haucht einen Rauchkringel gen’ Zimmerdecke, welcher sogleich seine Umrisse und Form ändert und sich zu einem um sich schnappenden kleinen Ungeheuer mit spitzen Zähnen wandelt.
„Genau, Wern, niedere Dämonen.“
„Keine Spielereien!“ Mit einem gezielten Handwisch, reisst Tribald das Rauchfigürchen in der Luft entzwei. „Dies ist eine Angelegenheit, die unser vollstes Können und die uneingeschränkte Professionalität der Grauen Wacht verlangt. Und ich verlange von euch allen, dass ihr meine Aufgaben ohne Verzögerung erfüllt.“ Der Kreis der anwesenden Magier scheint sich noch enger zu schliessen, während alle Blicke auf Tribald Samuelis Lippen haften. „Enia, du informierst die Stadtwache und tauschst unseren Wissenstand mit dem ihren. Der diensthabende Hauptmann soll sich mit Adjudant Dreist treffen und über das weitere Vorgehen ihrer sowie unserer Truppen entscheiden.“ Eine bereits in die Jahre gekommene Dame mit strengen, bitteren Gesichtszügen und einem überbreiten Rockkranz, der ihren Kollegen noch mehr des sowieso schon knappen Platzes raubt, nickt andeutungsweise. „Wern, du setzt dich mit der Bruderschaft des Feuers auseinander und bittest sie im Namen des Gleichgewichts und der Sicherheit von Ignes um ihre Unterstützung.“ Der Zottel verschluckt Rauch und hustet, was wohl von allen als Zeichen der Zustimmung verstanden wird. „Brinsgard. Deine Aufgabe wird es sein die anerkannten Heiler der Stadt und auch jene, welche als Scharlatane verschrien sind um dich zu versammeln. Ihr werdet einiges zu tun haben und Anielle, du bereitest die Schülerschaft darauf vor, dass sie im Falle eines Mangels an Soldaten an die Front geschickt werden. Ich indes, werde mich mit Zirus Landri in Verbindung setzen.“ Wiederum ein Husten, doch diesmal von Entsetzen geschwängert. „Tribald, glaubst du wirklich, dass dies eine gute Idee ist? Ich meine Zirus ist…“ „Zirus ist nur ein Strohhalm unter vielen an die wir uns in den nächsten Tagen klammern werden.“ Der stattliche Hochmagus drängt sich an seinen inzwischen ungläubig tuschelnden Kollegen vorbei und hebt noch einmal seine donnernde Stimme, ehe die Eichentür auf Geheiss seines Handwinks aufspringt und die dahinter kauernden, lauschenden Schüler einige Meter weit den Flur entlang schleudert. „Ich werde es nicht dulden, dass dieses… Balg unsere Statt einnimmt. Und noch weniger dulde ich euer Versagen!“ Mit langen Schritten eilt er den Gang entlang, die weite Magierkluft wehend hinter sich herschleifend. „Und wo bei allen Göttern ist Silentii Timberlin? Sagt ihr, dass es Wichtigeres gibt als diesen Ebbenbach-Fall und sie sich unverzüglich bei mir melden soll!“


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 6.08.07, 21:53 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
4
Das von Mähne bis Huf in Flammen stehende Pferd rennt wild wiehernd aus den letzten Überbleibseln des immer noch qualmenden und an einigen Stellen brennenden Zirkuszelts auf die offene Wiese hinaus. „Meinst du wir sind zu weit gegangen, Liebster?“ Nicht unweit vom grausamen Schauspiel entfernt, in welchem Mensch wie Tier den Tod fanden, sitzt das Ehepaar Ebbenbach auf einer rot-weiss karierten Steppdecke und beobachtet das schreiende, entsetzte Treiben der überlebenden Zuschauer im Hintergrund und jenes des schwächer werdenden Pferdes davor, welches mit stolpernden Schritten direkt auf die beiden zuhält. „Nein, Pfirsichbäckchen. Es hat alles seine Richtigkeit und ausserdem musst du nicht die Verantwortung für Oleander übernehmen. Schliesslich ist dies sein Werk.“ „Aber ich mag Pferde.“ Die Stute fällt hin, rutscht noch ein Stück weit über die frische, grüne Wiese und kommt zwei Schritt vor dem picknickenden Pärchen zum erliegen. „Ich ebenfalls, Herzchen, aber wo gehobelt wird, fallen Spähne. Manchmal sind diese halt gross… verkohlt… und rauben uns die Sicht auf das Geschehen. Wollen wir unser Deckchen an einem Ort aufschlagen? Auch wenn ich zugeben muss, dass es wirklich vorzüglich riecht! Aber weshalb die Decke aus eigener Kraft verschieben, wenn Storchenhals dasselbe mit diesem Kadaver machen kann.“

„Da ist Quint mit unseren bestellten Köstlichkeiten!“ Voller Vorfreude deutet Ina zu den Häusern der Stadt am eindunkelnden Horizont, dessen Himmel immer wieder von farbigem Glühen durchzuckt wird. „Es.. es w-w-w-war ni… nicht so einfach etw-etw-etwas zu finden. Alles zugenagelt. Zwei der Schwarzen mussten… Was ist denn mit dem Pferd?“ völlig ausser Atem stellt der herangenahte Apotheker einen geflochtenen, mit Russflecken gesprenkelten Korb auf die Decke und starrt dabei den qualmenden Pferdeberg direkt neben den Ebbenbachs an, ehe er den Kopf schüttelt als würde er dadurch einen schlechten Traum aus seinen Hirnwindungen entfernen. „Also zwei der Schwarzen m-m-mussten mir erst die Tür zur Wu-wursterei aufsprengen.“ „Ich hoffe für dich, dass nichts zu Bruch gegangen oder schlecht geworden ist, Storchenhals. So lange wir du gebraucht hast.“ Ina widmet sich eingängig dem Körbchen und drapiert einige der Lebensmittel zwischen sich und ihrem Ehegatten. In der Ferne hallt der Schrei von Isolde Wendolyn ob des geborgenen Leichnams ihres Sohnes über die Weite der Grasebene.

„Honigbäckchen, schau!“ Henry deutet am rauchenden Korpus vorbei in Richtung der Stadt, in welche auch ein kleines Fohlen, ebenfalls von den Flammen verschlungen einige wilde Sprünge auf der Wiese, ehe auch dieses ob der gestohlenen Kraft der Glieder in sich zusammenbricht. „Ihr Junges!“ „Ach wie süss“, meint sie zur Antwort ohne aufzuschauen, ganz mit dem Belegen einiger Brote beschäftigt. Würzige, gut abgehangene Wurst. Frisches Vollkornbrot.

„Wie sieht es in der Stadt aus, Quint?“ Seine Hemdärmel fein säuberlich zurückschlagend, wendet sich Henry wieder der Runde zu. „Oleander macht ganze Arbeit. Die Kämpfe finden mittlerweile in einem Grossteil der Strassen und auf dem Marktplatz statt. Hätt’ ich mal auf mein Gefühl gehört als ihr in meinem Laden aufgetaucht seid, und die Fenster verbarrikadiert. Ich weiss ja nicht was da in dem Brief gestanden ist, den ihr ihm gegeben habt aber es zeigt Wirkung.“ „Eine gefälschte Kriegserklärung der Grauen Wacht.“ Dringt es wiederum abwesend, tonlos von Ina her. „W-W-WAS?“ Quint schwankt leicht, macht Anstalten sich am immer noch heissen Pferdekörper abzustützen, besinnt sich aber im letzten Moment eines besseren. „Das könnt ihr.. Ich m-meine, wenn das raus kommt! Dann wird Oleander euch Qualen aussetzen, d-die ihr euch nicht vorstellen könnt. Und ich erst.. Ich habe ihn dann gewissermassen indirekt betrogen, er wird mich… Er wird mich… Bei den Göttern!“ Die unsanfte Ohrfeige von Ina lässt gleichermassen beide von Quints Wangen erröten. Der panische Ausdruck in seinem Gesicht verschwindet jedoch nicht. „Was denkst du was wir erst mit dir machen werden, wenn du nicht bald dieses Zirkusross aus unserem Sichtfeld wegschaffst?“ Sie leckt sich keck ihren Daumen und wendet sich mit einem zuckersüssen Lächeln, sanfter Stimme und einem wunderbar hergerichteten Brötchen an ihren Gatten: „Schnittchen?“


Zuletzt geändert von Mr. I: 7.08.07, 10:35, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 7.08.07, 21:04 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
5
Es klopft.

„Ich bin gleich bei euch.“

Es klopft.

„Ich spute mich, habt noch etwas Geduld.“

Es klopft unablässig und in einem monotonen Rhythmus an der schweren Holztür aus edelstem Tra’avain.

„Die Zeit, niah’ma, läuft weder dir noch mir davon. Dafür ist sie viel zu gerne unter uns.“

Maere Timberlin putzt sich ihre langen, filigranen Hände an der weissen Schürze, eng um ihre wespengleiche Taille gebunden, ab, zieht diese mit einigen geübten Griffen aus und bettet das Stückchen unschuldsfarbenen Stoff auf einer schmalen Anrichte in ihrem reich geschmückten Hausflur. Nur ungern lässt sie sich in der Zubereitung ihres Abendmahls stören, Süssbachforelle mit Feuerlauchgemüse, doch umso häufiger kommt es vor. Nach den Geschichtsstunden ist es üblich, dass der eine oder andere Gast seine Dukatenbörse oder andere Kleinigkeiten im Seancenzimmer liegen lässt und da sie die letzte Gruppe noch nicht einmal vor einer Stunde in die kühle Realität des Tolkvi-Viertels entlassen hatte, wäre genau dieser Fall durchaus denkbar.

Es klopft.

Vor der selbst sie als Hochelfe um mehrere Köpfe überragende Tür bleibt sie stehen und steckt mit einer silbernen Nadel ihre weissen Haare in Windeseile zu einem kunstvollen Gebilde.

Es klopft.

„Zuviel Ungeduld deutet auf einen wankelmütigen, unstetigen Geist“, sie lächelt und spürt den kühlen Stahl des geschwungenen Türgriffs auf der Innenfläche ihrer Hand. Sie hält inne. Für das menschliche Auge kaum sichtbar, zuckt die Spitze ihres linken Ohres.

Es klopft. Wieder und wieder.

Mit der zuckenden Bewegung eines Rehs, welches gerade die Witterung eines Wolfes durch seine Nüstern aufgenommen hat, zieht sie ihre Hand zurück und lehnt sich stattdessen vorsichtig mit einem Ohr gegen das dunkle Holz. Ein leises Knurren.

Es klopft.

„Nennt mir euren Namen, niah’ma.“

Es klopft. Die Scharniere der zweiflügeligen Tür knarren und heben sich ein Stück weit aus ihren Angeln.

„Ich bin nicht gewillt euch Einlass zu gewähren. Geht eurer Wege und lasst mich den meinen gehen.“

Das dröhnende Klopfen wird zu einem merklichen Schlagen und die Gewissheit, dass es sich nicht um einen verzweifelten aber zufriedenen Kunden aus der heutigen Erzählungsrunde handelt zur unheilvollen Gewissheit. Ein Spiegel direkt neben dem geräumigen Eingang wird ob der spürbaren Erschütterung von seinem fest in der Wand versenkten Nagel gehoben und fällt klirrend zu Boden. Maere macht Schritt für Schritt, in geordneter Ruhe, zurück in Richtung der einen Tür zu ihrem Erzählzimmer. Vorbei an der Küche und dem sich darin befindenden Herd auf welchem die Forelle mehr und mehr an einer ungesunden Schwärze gewinnt.

„Dies’ Haus ist nicht für die euren Geister bestimmt. Ihr seid hier nicht willkommen. Wer auch immer ihr seid, verlasst mein Grundstück und…“

Man sagt Tra’avain die Stärke von eisernem Metall, geschmiedet von Zwergeshand nach, doch noch bevor die stolze Hochelfe ihren Satz beenden kann, ergiesst sich ein Meer aus Holzsplittern in den Flur und unter dem Druck dieser detonationsartigen Öffnung schleudert sie nach hinten gegen die nächste Tür auf deren Oberfläche das Wort „LÎND“ deutlich zu lesen ist. Das Knurren bekommt ein Gesicht. Durch die Gischt des aufgewirbelten Staubes, vermischt mit kleineren Spänen und Putz von den Wänden treten zwei in tiefstes Schwarz gehüllte Gestalten. Die Gesichter von den schlundartigen Kapuzen verborgen, ist das Untier, welche sie an einer Stahlkette bei sich führen nur allzu gut zu erkennen. Nichts was die alte Hochelfe bislang in ihrem langen und erfüllten Leben gesehen hatte, mochte für die Abscheulichkeit dieser Bestie auch nur ansatzweise als Vergleich herhalten. Ein rundliches Gebilde aus Fleisch, dessen mit stoppeligen Haaren bedeckte Haut sich immer wieder blasenartig vom Körper weg nach aussen wölbt und die Gesichter jener nachstellt, welche ihr Ende in seinem zahnlosen, höhlenähnlichen Maul gefunden haben. Das groteske Knurren entpuppt sich bei genauerem Hinhören als eine Mischung aus unzähligen leisen Schreien. Keine Augen. Erst auf den zweiten Blick erkennt Maere, dass die Augenhöhlen des Viehs ausgeschabt wurden und stattdessen der Ring der Leine an jener Stelle hinein und aus einem weiteren Loch an der Kopfseite (wohl eine Art Ohr) wieder hinaus führt. Für festen, griffigen Halt. „Wir sind gekommen im Namen Oleanders und wir werden gehen im Wissen unserer Anerkennung, Weib!“

Mit einer Verrenkung, welche sie beinahe den Ellenknochen ihres Armes gekostet hätte, öffnet Maere die Tür hinter sich und zieht sich mühseelig, doch mit erstaunlicher Schnelligkeit rückwärts in das mit Kissen ausgelegte Zimmer. Der goldene Schlüssel wird umgedreht und wieder poltert es gegen den verschlossenen Eingang, noch unablässiger und mit der Kraft von fünfzig Mann. Dann, mit einem Mal ist das Rasseln der Kette zu hören und mit ihm die einkehrende Stille. „Du weisst, dass wir uns auch diesen Weg zu dir bahnen werden, Langohr. So sei nicht töricht und sprich deine letzten Worte. Eine Gnade, derer du uns noch vor dem Herren Angamon dankbar sein wirst. Ein Geschenk!“

Mit der stoischen Schönheit ihrer verbliebenen Würde richtet sich Maere Timbelin auf. Kleine Fünkchen fallen von der mit Schleierwölkchen bedeckten Kuppeldecke hinab und surren um sie herum, wie sie es immer zu tun pflegen, wenn sie das „Zimmer der Geschichten“ betritt. Im bläulichen Schimmer des Raumes steht die Hochelfe regungslos und im unerklärbaren Wissen, dass das was in ihre vier Wände eingedrungen ist auch die restliche Stadt heimsucht. ‚Silentii’, der Gedanke an ihre Tochter weckt Unruhe im ansonsten so ausgeglichenen Gemüt. „Ich…“ Sie wendet sich der Tür zu. „Ich bedanke mich für diese Geste und verlange nicht viel. Nur euer Gehör.“ Während die Entschlossenheit in Maere wächst, legt sie ihre beiden Hände auf die Oberfläche der Zimmertür. [COLOR=royalblue]„Folgt einfach nur meinen Worten und ich werde darauf den Schlüssel in diesem Schloss umdrehen und eure Mühen sollen sich in Form meines Fleisches für euer Tier auszahlen.“


Ein leichter Wind frischt auf, schleicht durch den Raum wie er es schon oft zuvor getan hatte. Die Sternenlichter tanzen auf Geheiss und die Wolken über ihrem Kopf stimmen in den beginnenden Prozess ein, wallen und schwanken. Die Schwarzen vor der Tür warten lauernd in Unwissenheit und halten den niederen Dämon an kurzer Leine. "Nichts müsst ihr tun als meinen Worten gehör zu schenken" , Maere schliesst ihre Augen, „einer Geschichte von jenen, die gekommen sind aus dem Dunkel und bald wieder dorthin zurückgeschickt werden. Sie nehmen Leben die nicht die ihrigen sind ohne den Schimmer eines bohrenden Gewissens oder der Frage nach dem „Warum“. Marionetten in einem grausamen Spiel. So kam es eines Tages an dem Gewalt und Furcht die Strassen der Stadt durchspülten, dass sie vor der Tür einer Hochelfe mit weissem Haar standen, auf die Lettern „LÎND“ starrten und sich fragten, was sie zu bedeuten hätten und ob sie für ihr Vorhaben, das Leben aus der alten Elfe zu saugen, überhaupt von Nöten sein würde.“

Die Blicke unter den schwarzen Kapuzen schweifen hinab zum eben genannten Wort, welches in feinsäuberlichen Buchstaben auf dem Holz der Tür geschrieben steht. „Genug des Geschwafels, Weib! Öffne die Tür oder wir werden es für dich tun. Unser Liebster giert nach deinem zähen, vertrockneten Fleisch!“ Das Knurren, das Geräusch der Schreie schwillt an.

Doch Maere erzählt mit einlullender, gewinnender Stimme weiter: „Wie der Ochse am sprichwörtlichen Berg verharrten die beiden und das mitgeführte Tier vor dem Eingang zu jenem Raum, in dem sich das Objekt ihrer Begierde befand. Mit drohenden Worten befahlen sie der Elfe die Tür zu öffnen. Doch nichts geschah. Nichts, bis auf ein kleines Lichtlein, das sich zaghaft durch das enge Schlüsselloch drängt.“

„Was in des Einen Namen…“ Dumpf dringen die Stimmen der Kuttenträger zu Timberlin hindurch und bekunden, dass ihre Erzählung bereits Wirkung zeigt. Ein heftiger Schlag gegen die Tür lässt sie für einen Moment zurückweichen, ehe sie ihre Hände wieder auf die Tür legt. Auf deren anderen Seite schwirrt ein heller Lichtpunkt aufgeregt durch den Raum und versetzt den Dämon wie seine Halter in helle, nervöse, zuckende Aufregung. „Verfluchtes Ding!“[/COLOR]

[COLOR=royalblue]„Doch es blieb nicht bei dem einen. Zwei, drei, zehn und mehr wurden es. Kleine Lichtlein vom unbändigen Leben verglühender Sterne beseelt sprudeln durch das Schlüsselloch in den Flur des Hochelfenhauses und mit ihnen ein auffrischender Wind. Kühle. Wolkenartige Gebilde dringen durch die Ritzen der Tür und schweben über die Köpfe jener hinweg, die der alten Elfe nach dem Leben trachten.“ Mit einer unpassenden Ruhe und geschlossenen Augen schickt Maere die Worte durch den verbarrikadierten Eingang hindurch und lässt sie auf der anderen Seite Wirklichkeit werden. Kältewölkchen treten aus den Mündern der Schwarzen und aus dem Schlund des mittlerweile unruhigen, immer wieder an der Kette zerrenden Viehs. „Der Wind wird zu einem Sturm…“

Mit einem Ruck werden die beiden Kapuzen der Dunklen nach hinten gerissen. Nur mit Mühe halten sie die Stellung vor der Tür zum Zimmer der Geschichten und versuchen immer wieder mit aller Kraft, mit vereinzelt geschmetterten lodernden Flammengebilden und Mithilfe der Körperfülle ihres Dämons die Tür aufzubrechen.

„…einem Sturm, dem sich nichts und niemand in den Weg stellt.“

Einer der einst Verhüllten verliert den Halt unter seinen Füssen, rollt rücklings und wird gegen die Wand am Ende des Ganges geschleudert, während der andere sich an der ebenfalls torkelnden Bestie festhält.

„Hört meine Geschichte und nur meine Geschichte. Das Haus ächzt in seinen Grundfesten ob des tosenden Windes, der durch sein Innerstes fegt. Das, was die Elfe in all den Jahren ihres langen Lebens angehäuft und in Feinarbeit in den Fluren ihres Heims aufgehängt und gesammelt hat, löst sich aus seinen Verankerungen und bildet einen Strudel der Zerstörung. Die Tür springt auf und zum Entsetzen jener, die nichts denn ihr Leben verlangten, steht die Hochelfe völlig ruhig und mit einem Lächeln vor ihnen.“

Die Tür mit der Aufschrift „LÎND“ reisst aus ihren Angeln und zerschellt am nahen Treppengeländer. Tosend züngelt Maeres weisses Haar nach allen Seiten. Sie lächelt und erzählt weiter mit bedachter Stimme, während sich vor ihr das Gesagte in Erlebtes wandelt.[/COLOR]

[COLOR=royalblue]„Und mit dem Öffnen des Raumes der Geschichten strömt weiterer Wind in den Flur und bricht die Wand zur Strasse hin mit einem Donnern aus ihrem Fundament. Kein Halten mehr. Ein Gemisch aus Stein, allerlei Krimskrams, Staub und Holz, durchzogen von leuchtenden, tanzenden Lichtern ergiesst sich ins Freie. LÎND fegt alles rein und hinterlässt Ruhe. Nichts weiter denn Ruhe.“

Tief ein- und ausatmend bleibt Maere Timberlin stehen, bis sich auch das letzte Staubkörnchen gesenkt hat. Die herausgerissene Wand gibt den Blick auf eine der vielen Strassen des Tolkvi-Viertels frei. Ihre Schritte knirschen auf dem von Trümmern übersäten Boden. Erst bei den drei geschundenen Körpern hält sie inne. Während die beiden in Schwarz bereits regungslos und in ungesund verdrehten Körperhaltungen daliegen, windet sich die Kreatur aus Angamons Reich an einem Holzpflock, wohl aus dem Gebälk des Hauses, welcher ihn mittig aufgespiesst hat.

„Auch wenn es jene Qualen verdienen würde, die es seinen Opfer selbst zugefügt hat“ , Maere erhebt ein letztes Mal ihre Stimme, leise, kraftvoll, „weicht das Leben doch schnell aus des Monstrums Leib und entfleucht zurück ins Dunkel, wo es hergekommen ist.“ Die Bestie stösst ein letztes Knurren aus und schliesst darauf die Lider über die leeren Augenhöhlen.

Benommen wankt Maere Timberlin die Strasse entlang. Hochelfen, Brüder und Schwestern, rennen von Panik getrieben an ihr vorbei, rempeln sie an und immer wieder dringen aus den schneeweissen Häusern ihrer Nachbarn schmerzverzerrte Schreie. Rinnsaale aus reinstem Blut fliessen durch die Rillen zwischen den marmornen Pflastersteinen und in der Ferne erhellen farbige Lichter gefolgt von dumpfem Donner den Himmel über der Stadt. Ihr Heim war zerstört, die Süssbachforelle auf dem Herd bestimmt längst verkohlt. Apathisch, abwesend schwankt die noch vor wenigen Minuten stolze Hochelfe voran und flüstert leise vor sich hin.

„Ihr seid hier nicht willkommen.“[/COLOR]


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 7.08.07, 23:13 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
Henry eilte die Straße hinab. Es war schon viel zu spät, aber seine Eltern hatten ihn nicht vorher hinaus gelassen. Ina würde sicherlich schon ungeduldig auf ihn warten. Er hasste es zu spät zu kommen. Hoffentlich machte sie sich nicht schon Sorgen. Er bog um die Ecke und lenkte seine Schritte in den Park. Immer noch viel zu schnell, hastete er über die sauber gefegten Parkwege und hielt erst inne, als er weiter vorn das Mädchen auftauchen sah. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und sah sich um. “Ina” Seine Stimme ging laut von ihm aus, doch sie schien in Gedanken oder sonst wie abgelenkt, denn erst beim zweiten Mal, als er sie rief, wandte sie sich zu ihm herum und irgendetwas war anders als sonst. So wie sie sich ihm zuwandte, wie das dunkelrote Kleid ihre mädchenhafte Figur umspielte, wie dichtes, schwarzes Haar bei der Bewegung aufwirbelte und wie zu allem Überfluss diese weiße, voll aufgeblühte Rose, welche sie sich hinter ihr Ohr gesteckt hatte, einen wunderschönen Kontrast in ihrem dunklen Haar bildete. Für einen Moment konnte Henry nicht anders, er starrte sie gerade zu an und sein Mund klappte ein Stück weit auf. In dem Augenblick wäre er am liebsten zu ihr gegangen um sie in den Arm zu nehmen und ihr einen kleinen Kuss aufzuerlegen. Er hatte sie schon öfter geküsst, auf die Wange oder auf die Stirn, so wie es eben ein großer Bruder tun würde, für den er sich ja eigentlich fast schon hielt, doch dieses kurze aufflackernde Verlangen nach ihrer Nähe war anders, schien irgendwie sehr viel tiefer zu gehen und hatte nur wenig, nein, eigentlich gar nichts mehr mit den “geschwisterlichen” Gefühlen von sonst zu tun. War sie schon immer so wunderschön gewesen? “Henry, träumst du mal wieder?” Da stand sie auch schon vor ihm und blickte mit einem breiten Schmunzeln zu ihm auf. Er musste einige Male blinzeln, ehe er in die Realität zurück fand. “Ich... Ähm... Da war... Äh... Ach, nichts weiter.” Völlig verstört, brachte er schließlich wenigstens ein halblebiges Lächeln zu stande. Ina hob die zierlichen Augenbrauen ein Stück weit an und betrachtete ihn näher. “Und du bist dir sicher, dass alles in Ordnung ist? Was schaust du mich überhaupt so an, als hättest du mich noch niemals zuvor gesehen?”

Der Nachmittag an sich lief dann allerdings völlig normal ab, sie waren zur Bäckerei gegangen um dort ein Stück Torte zu essen, hatten über die Schule und die Mitschüler geredet und es sich einfach gut gehen lassen. Es war so wie an viele anderen Nachmittagen an denen sie zusammen unterwegs gewesen waren. Doch als er sich abends ins Bett legte, konnte er nicht umhin an sie zu denken. Sie hatte diese wunderschöne, porzellanfarbene Haut und ihr Haar war so dunkel und glänzend, dass man einfach nur hinsehen musste. Es kam ihm fast so vor, als könne so viel Schönheit eigentlich gar nicht wirklich existent auf Tare sein, so als hätte ein sehr begabter Maler seine schönste Phantasie festgehalten und sie wäre dabei heraus gekommen. Es war ihm wirklich niemals zu vor aufgefallen, dass dieses Mädchen die Vollkommenheit in Person darstellte. Jede ihrer Bewegungen hatte so etwas reines und zartes, jeder Blick aus den grünen Augen könnte einen in eine andere Welt entführen, wenn man es nur zuließe. Henry seufzte leise in die Dunkelheit, die durch die dicken samtenen Vorhänge in seinem Zimmer herrschte. Ewigkeiten wälzte er sich in seinem Bett herum und fand und fand nicht in den Schlaf und als die Müdigkeit ihn dann doch noch, spät in der Nacht übermannte, da Träumte er von ihr. Von ihren weich geschwungenen Lippen, ihren grünen Augen und dem seidig schimmernden, schwarzen Haar.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 12.08.07, 19:56 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:52
Beiträge: 14
“Irgendetwas ist doch mit dir los! Möchtest du mir nicht sagen was es ist?” Inas Worte rissen Henry aus einer Art Tagtraum, welchem er sich hingegeben hatte, als er ihr zugesehen hatte, wie sie nachdenklich über den Hausaufgaben brütete. Kleine Denkerfalten hatten sich dabei auf ihrer Stirn nieder gelassen und sie hatte sich die Lippen benetzt gehabt. Seit ein paar Wochen passierte es ihm dauernd, dass Ina ihn auf seine Tagträumereien ansprach, aber nie hatte er ihr irgendetwas gesagt. Er wollte nicht, dass sie sich vielleicht erschrocken abwandte, wenn sie erfuhr, dass er sich wohl doch ein klein wenig, na ja, sind wir ehrlich, sehr in sie verliebt hatte. “Ach, ich denke nur gerade darüber nach, was ich dir zum Geburtstag schenken könnte, schließlich ist der ja schon in ein paar Tagen.” “Du weißt doch, dass du mir nichts schenken brauchst, Henry.” “Ja, schon, aber wenn ich dir nun mal etwas schenken möchte, dann musst du damit leben.” Kurz grinste Henry frech auf und wuschelte ihr über das Haar, dieses dabei völlig zerzausend. “Henry Ebbenbach! Lass das, ständig zerzaust du mich, obwohl du genau weißt, dass ich das nicht ausstehen kann. Genauso wie du in letzter Zeit dauernd so gemein zu mir bist. Man könnte glatt meinen, dass du mich seit ein paar Wochen nicht mehr leiden kannst und deshalb so unausstehlich bist.” Ina packte ihr Sachen zusammen und schob alles in den ledernen Schulranzen. “Ich geh jetzt nach Hause, wenn du dich wieder normal benimmst, dann sag bescheid.” Mit den Worten rauschte sie auch schon aus dem Zimmer und verließ das Haus der Ebbenbachs.

Henry seufzte leise aus. Was sollte er nur tun? Er konnte ihr das unmöglich sagen, aber genau deshalb hielt er sie auch ein wenig auf Abstand. Er wollte einfach nicht, dass sie merkte, wie gern er sie doch hatte. Andererseits war es auch nicht besser, dass sie nun wütend auf ihn war. Wenn das noch lang so weiter ging, dann würde sie sich von ihm abwänden und ihn nie wieder sehen wollen und das wollte er nun wirklich nicht. Völlig nieder geschlagen und in Gedanken versunken, ging er nach draußen und wanderte durch die Straßen der Stadt. Ihm musste doch irgendeine Lösung einfallen, bei der er sich ihr nicht offenbaren musste. Warum war nur alles so kompliziert geworden? Es war doch so viel einfacher gewesen, einfach nur eine Art großer Bruder für sie zu sein, als das ganze Chaos jetzt im Moment. Vielleicht würde sie den Gedanken ja auch gar nicht so schlimm finden, dass er ihr ... Freund ... sein könnte. Ja, vielleicht, aber was wenn doch nicht? Was wenn sie ihn auslachte? Bei den Vieren, darüber durfte er nicht einmal nachdenken. Er würde auf der Stelle tot umfallen, wenn sie ihn auslachen würde. Da war er sich ganz sicher. Nein, er würde es ihr nicht sagen. Es war einfach zu gefährlich.

Nach einer ganzen Weile hob er den Blick vom unregelmäßigen Straßenpflaster wieder an und sah sich um. Im ersten Moment war ihm nicht ganz klar, wohin seine Schritte ihn geführt hatten, aber dann brannte das kleine Feuer der Erleuchtung in ihm auf. Er war bis zum Hafen hinab gegeben, noch eins zwei Straßen weiter und er würde das Meer sehen können. Diese Gegend war wahrlich nicht der Ort an dem es ihn hinziehen würde, wäre er bei Verstand. So viel Dreck und Gesindel, allein der Gestank konnte einem gerade zu den Atem nehmen. Gerade als er sich dazu entschlossen hatte wieder kehrt zu machen und zurück zu gehen sah er in einer der kleinen, düsteren Seitengässchen einen jungen Kerl stehen. Kerl? Nun, eigentlich schien er nicht arg viel älter zu sein als er selbst, vielleicht 16, maximal 17 Götterläufe. Ein dürrer Kerl mit fettigen Haaren, bei denen man sich nicht ganz sicher sein konnte, ob sie nun schwarz waren, weil sie es von natur aus waren, oder aber einfach so dreckig, dass keine andere Farbe mehr eine Chance dagegen hatte. Seine Hose ging ihm gerade bis über die Knie und war an den unteren Enden völlig zerrissen, eben so wie sein Hemd. Irgendwie schien alles an ihm schon bessere und vor allem sauberere Zeiten erlebt zu haben. Aber gerade dieser junge Bursche, schien Henry schon eine Weile lang beobachtet zu haben und winkte ihn zu allem Überfluss auch noch zu sich heran, wollte, dass er sich in diese schmutzige Gasse begab, allein der Gedanke daran schien Henry derart absurd, dass er keinen weiteren Gedanken daran verschwenden wollte. Schließlich hatte er weder Spaß daran sich im Dreck zu suhlen, noch daran Bekanntschaft mit den Ratten zu machen, welche sich weiter hinten in der Gasse am Müll zuschaffen machten. “Nu wart doch maaa. Ick beiß dir schon nich. Du schaus so aus, als robbet dich nich so gut geht, so wie de da so rumwanners und dir nen Kopp machs. Komm ick geb dich nen Schnappes aus, wirst sehn, dann wird’s bessa werdn.” Henry schüttelte den Kopf und wollte gerade weiter gehen, als dieser Bursche nochmals das Wort erhob. “Manchma isst gar nich so schlecht, sich bei wem auszulassen, den ma nich kennt. Komm schon, oda hasse Angst vor mich?” Eine Weile lang betrachtete Henry die zerlumpte Gestallt vor ihm, ehe ihm der Gedanke, mit jemanden darüber zu reden, was genau ihn so bewegte, gar nicht mehr so missfiel. Sicher war dieser Kerl da weit unter seinem sonstigen Niveau, aber bei dem konnte er sich wenigstens sicher sein, dass er es auch niemanden erzählen würde. Schließlich kannte er niemanden aus seinem Umfeld und würde wahrscheinlich auch niemals jemanden kennen lernen und so lenkte Henry ein und folgte ihm durch die alte Holztür, welche sich weiter hinten in das Mauerwerk des Hauses schmiegte.

Die Tür führte in die Küche einer Seemansstaverne, wie Henry bald schon feststellte. Der Raum war klein und düster und ebenfalls alles andere als sauber. Irgendwie schien hier seit mindestens 20 Götterläufen nichts mehr in Sachen Sauberkeit getan worden. Es roch irgendwie nach Alkohol, altem Fett und Muff. Der Bengel gebot ihm einen Moment an der Tür zu warten, während er selbst ein Stück weiter in die Küche ging um sich umzusehen. “Keener da, dat is gut. Eigentlich weeß ja keener, dat ick hier ein und ausgeh. Weißte, mein Oller hat hier ma geschuftet, damals so vor 5 Götterläufn oder auch mehr und seit dem hab ick nen Schlüssel für de Hintertüre, aba kennen tut mich hier keen Schwein mehr, aba die habn nen verdammt guts Bier hier rinne.” Der junge Kerl holte kurzerhand zwei Bierkrüge vorn aus dem Schankraum, welche randvoll mit schäumenden Bier waren und gab einen davon Henry in die Hand. “Proscht” Der schmierige Kerl trank einen guten Schluck von dem Bier ab. Henry betrachtete sich einen Moment lang den dreckigen Krug und stellt diesen auf dem nächst besten Tisch ab. “So und wat is dich nu über de Leba gelaufn?” Nach einem kurzen Zögern erzählte Henry tatsächlich von der Sache zwischen ihm und Ina, von seinen Sorgen und Ängsten. Alles floss nur so aus ihm heraus, als wäre Damm gebrochen und das Wasser würde unaufhaltsam zu Tale hinab fließen. Er ließ tatsächlich nichts aus, nicht einmal die kleinen “Unfälle” welche den Leuten auf ihrem Weg so geschehen waren, vom Sturz des Lehrers, über das Gift im Pausenbrot, bis hin zum Brand. Es tat so gut das alles mal jemandem zu erzählen und auch wirklich nichts auszulassen. Es war richtig befreiend und mit jedem Wort mehr, welches er über seine Lippen kommen lies, wurde es ihm immer bewusster. Er mochte Ina mehr als irgendetwas sonst auf Tare und wenn er sie halten wollen würde, so müsste er es ihr gestehen. Als er zu dem jungen Kerl hinüber sah und dessen leichenblasses Gesicht sah, wurde ihm schnell klar, dass er ihn auf jeden Fall einmal nicht gehen lassen konnte. Er wusste nun zu viel. “Es tut gut das alles mal gesagt zu haben. Es ist richtig befreiend.” Der Junge wich vor ihm zurück Richtung der Türe, nur langsam, Schritt um Schritt und immer darauf bedacht Henry nicht aus den Augen zu lassen. “Aber weißt du, ich glaube, dass ich dir das ein oder andere zu viel erzählt habe und du wirst sicherlich verstehen, dass ich dich mit dem Wissen nicht hier raus lassen kann, nicht wahr?!” Henry lächelte zu ihm hinüber und mit katzenhafter Gewandtheit hatte er sich ein Messer aus einem Messerblock geschnappt und war zu ihm hinüber gespurtet. Als sich der Schmutzfink herumwandte um die Tür zu öffnen und hinauszustürzen, da stach Henry auch schon mit dem Messer auf ihn ein, einmal, zweimal, dreimal, dann sank er langsam auf die Knie hinab und hauchte mitten auf dem dreckigen Boden der Taverne sein Leben aus.

Henry zog ihn etwas zur Seite weg und betrachtete sich den dürren Leib seines Opfers. Eigentlich war es fast zu schade ihn einfach so liegen zu lassen, schoss es ihm noch durch den Kopf, ehe er das verdreckte Hemd aufschnitt und sich den Block mit Messern von der Anrichte holte. Man könnte ja eigentlich einmal sehen, was für Schaden welches Messer so anrichten konnte. Wissen war immer gut und man weißt ja nie wofür man es noch brauchen könnte. Mit diesem Gedanken wurde die dreckige Tavernenküche zum Experimenttierraum. Jedes einzelne Messer wurde sorgfältig geprüft, wie weit es einschneiden konnte, wie es in der Hand lang bei jedem einzelnen Schritt und so weiter und so fort. Ob Ina das ganze hier eigentlich auch interessieren würde? Ina, süße, liebe Ina. Henry lächelte auf beim Gedanken an sie, wobei fast wie von selbst das letzte Messer wieder über die Haut des Toten glitt, gedanklich völlig bei Ina, schnitt das Messer in seiner Hand fast wie von selbst ein “Henry liebt Ina” in den toten Leib. Als es ihm gewahr wurde, konnte er nicht anders als grinsen. Genau so war es. Er liebte sie und er würde es ihr sagen. Er zog den Umhang fester um sich herum, um einige kleine Blutspritzer auf seinem Hemd und seiner Hose zu verdecken und verließ die Taverne durch die Hintertür, durch welche er in sie gelangt war. Kurz blickte er auf die belebte Straße, doch keiner kümmerte sich um ihn, jeder dort war so mit sich selbst beschäftigt, dass er die Leiche sogar auf die Straße hätte werfen können, ohne das es jemanden interessiert hätte. So verschwand er schließlich unbemerkt in den Menschenmassen.

Einige Tage später war es soweit, Ina hatte Geburtstag und Henry hatte sich fest vorgenommen, dass er es ihr heute sagen würde. Er hatte ihr ein goldenes Kettchen gekauft gehabt, welche ein filigranes Herz als Anhänger hatte. Es war einfach perfekt für sie. Völlig nervös stand er schließlich am Morgen vor ihrer Haustür und klopfte, wie er es immer tat. Der Dienstbote bat ihn herein und dann wartete er in der Eingangshalle auf sie. Als sie die Stufen gerade zu hinab schwebte, schlug sein Herz bis zum Hals hinauf. Vielleicht war es doch nicht gut es ihr zu sagen. Doch als sie dann vor ihm stand und ihn anlächelte zerschmolz er fast schon wie Butter in der Hitze Felas und er fasste sich ein Herz. “Hier, für dich Ina. Alles gute zum Geburtstag.” Er reichte ihr das kleine Etui mit der Kette darin und beobachtete jede Regung ihres Gesichts, als sie das Etui öffnete. “Oh Henry, es ist wunderhübsch.” “Dreh... Es doch einmal herum.” Ungewohnt zögerlich kam es ihm über die Lippen, was Ina dazu brachte ihn einen Moment lang forschend anzusehen, ehe sie den Blick auf das kleine Herz hinab senkte und es umdrehte. In fein geschwungenen Lettern war dort zu lesen “Ich hab dich lieb.” Ina sah von der Kette wieder auf und lächelte ihn einen Moment lang unsicher an. “Ich wollte dir das schon lange gesagt haben, Ina, aber ich habe mich nie getraut. Ich mag dich mehr als ich es bisher zu gegeben habe. Du bist so ... wunderschön und ich kann mir kaum vorstellen je ohne dich zu sein.” Verlegen drehte sich die Spitze seines Schuhs auf dem Parkett herum und er senkte den Blick ab, abwartend starrte er auf den Boden, wobei er auf alles gefasst war, nur nicht darauf, dass sie ihm einen Kuss auf die Nasenspitze gab. “Ich hab dich auch lieb, Henry.” Henry blinzelte einige Male, wobei er sich in der Zeit erst einmal bewusst werden musste, was gerade geschehen war und dass sie auch so empfand wie er, ehe er zu lächeln begann und sie einfach in seine Arme schloss.


Nach oben
 Profil  
 
 Betreff des Beitrags:
BeitragVerfasst: 13.08.07, 16:37 
Einsiedler
Einsiedler

Registriert: 3.07.07, 14:48
Beiträge: 29
6

„Wer ist dieser Oleander?“
„Darüber spreche ich n-nicht.“
„Ach, Storchenhals, Quint, liebster aller alten, noch lebenden Freunde, du kriegst auch eine Ecke von einem dieser wunderbaren Schnittchen. Der Hunger steht dir mit dicken Lettern ins Gesicht geschrieben. Also, wer und was ist Oleander?“


***

Das surrende, surreale Dröhnen in ihrem Kopf, welches sich über die gesamte Schädeldecke zieht und in einem hammerartigen Pochen in ihren Schläfen endet, lässt ihre Bewebung unkoordiniert wirken und die sonstige Geräuschkulisse in dämpfende Watte tünchen. Wären die Schmerzen nicht gewesen, so hätte dieser Zustand durchaus mit jenem während einer Geschichtsstunde mit ihrer Mutter verglichen werden können. „Herr Rino?“ Stockend, das kornblonde Haar tief und wild im Gesicht hängend, erhebt sich Silentii Timberlin. Holzsplitter des auf ihrem Kopf zerborstenen Stuhles regnen zu Boden.

***

„I-ihr versteht mich nicht. Wir sprechen nicht darüber. Man sp-p-pricht nicht über ihn. Nicht für Geld, nicht für Ruhm und auch nicht für einen Bissen Brot.“
„Und für dein eigenes Leben, Quint?“ Ina dreht das spitze, mit Butter bekleckerte Messer in ihrer Hand herum und drückt es sanft an des Apothekers langen, storchenähnlichen Hals. Sie lächelt. „Du warst uns eine unverzichtbare Hilfe aber sollten wir merken, dass sich dieser Vorteil in einen störenden Kropf verwandelt, müssen wir uns von diesem trennen. Mit einem sauberen Schnitt.“


***

Silentii schwankt zur Seite, stützt sich am säuberlich aufgeräumten Schreibtisch des Stadtwachen-Archivars auf. Die dickliche Luft ist mit dem Duft von verbranntem Papier erfüllt. Atemraubend. „Rino?“ Sie hustet tonlos. „Ri… Die Rauchsäulen.“ Mühselig, schwankenden Schrittes tastet sich die Hochelfe in der weich fallenden Gewandung der grauen Wacht den Möbeln des Büros entlang in Richtung des einzigen Fensters, welches diesem düsteren, engen Raum ein wenig des verblassenden letzten Tageslichts schenkt. Sie bemerkt sie spät, die farbigen Lichter aufglimmenden und verglühenden Lichter, die ihr Gesicht durch das matte Glas hindurch erhellen.

***

„Glaubt ihr an das Böse?“ Quint senkt seine Stimme zu einem mahnenden Flüstern. „Ich würde mal schätzen, dass wir oftmals mit diesem Wort in Verbindung gebracht werden“, Henry, Ina und der Apotheker, sitzend auf der im Vergleich zum nahen Donnern im Innern des Stadtkerns, ruhigen Wiese, stecken ihre Köpfe zusammen. „E-e-eure Namen werden verblassen, wenn Oleander mit dieser St-stadt fertig ist. Ihr wisst nicht, was ihr mit diesem gefälschten Brief getan habt.“ Die Ebbenbachs blicken sich, wenn auch nur kurz, in die Augen, welche im Halbdunkel der einbrechenden Nacht nur schwer auszumachen sind.

***

Tränen sammeln sich in den Augen der Hochelfe. Der Anblick, der sich ihr hinter den ungeputzten Scheiben bietet, entbehrt alle dem, was sie sich als Folge des noch vor kurzem aus verschiedensten Schornsteinen entwichenen schwarzen Qualms hätte vorstellen können. Blitze in verschiedensten Farben zucken aus den Stäben und Händen, jener, die sich in Fronten, über den gesamten Markt verteilt gegenüber stehen. Silentii erkennt Enia, wie sie zusammen mit einigen Schülern hinter einem der Stände kauert und unbeholfen, panisch gar in einem dicken Buch blättert, nach einer Lösung für die Misere sucht. ‚Erstklässler’, zischt es Silentii durch die durchgewühlten, immer noch pochenden Gedanken. Wie schlimm muss es stehen, wenn man die Jüngsten der Novizen in eine Schlacht schickt? Ein weiterer Funken, einer unter vielen, trifft den besagten Marktstand und lässt die Enia samt ihren Schützlingen in einem berstenden, erst explodierenden Feuerball untergehen. Holz wird zerstückelt und zerschellt in alle Richtungen. Silentii wirft sich auf den Boden der Wachstube, als über ihr ein dicker Pflock das Glas des Fensters durchbohrt. Kreischende Scherben rieseln zu Boden.

***

„Jedes Licht, welches i-ihr dort hinten über der Stadt er-er-erblickt ist gleich einem Leben, das erlischt. I-ich kann mir nicht vorstellen, da-dass das in eurem Sinne ist.“
„Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster, Storchenhals. Du sollst nicht unser Wirken hinterfragen, sondern unsere Frage beantworten.“
„I-ich wollte euch n-n-nicht…“
„…und ausserdem ist es ein Geschenk an jene, welche in der heutigen Nacht in Morsans Hallen eintauchen dürfen. Jedes dieser Lichter lässt die Erinnerung an uns, an die ‚Gräueltaten der Ebbenbachs’, verblassen. Und wenn es soweit ist, können wir uns unserem Tagewerk wieder ohne lästige Verfolger zuwenden.“
„Wer ist Oleander? Sprich, Quint!“
„N-nun gut…“


***

Schwerlich schleppt sich die Hochelfe zur Türe hin. Scherben bohren sich durch ihre Robe hindurch in die weiche Haut und das darunter liegende zarte Fleisch. Mit der versammelten Kraft, in ihren Armen ruhend, zieht sie sich am Türknauf auf ihre Beine zurück und öffnet die einzig verbliebene Abgrenzung zwischen ihr und dem tosenden Kampf in den Gassen von Ignes. Körper von Menschen, Elfen und Zwergen pflastern den Marktplatz. Körper von Unschuldigen die zwischen die Fronten einer eigentlich ruhenden Fehde geraten sind. Hinter einer Hausecke sucht Silentii Schutz und beobachtet weiterhin das Treiben, die Schatten der Schwarzen im Schein des Feuers, als sie von einer kräftigen Hand an der Schulter gepackt und gegen die schmutzige Mauer gedrückt wird. „Wern!“ Erleichtert fällt sie dem zotteligen Kauz, in dessen grosser Hand wie immer eine entzündete Pfeife ruht, in die Arme. „Wern, niah’ma, was ist hier los? Was ist geschehen?“ Der in selber Kutte wie sie selbst gekleidete Mann blickt sie panisch an und zieht ebenso hastig an seine Pfeife. Der aus seinem Mund entlassene helle Qualm wandelt sich über den beiden in erläuternder Form in verschiedenste Figürchen, welche unübersehbar miteinander einen Kampf austragen. Als diese kurze Zeit darauf wieder zusammenfallen und sich zu einem einzigen Gebilde erheben, dem eines kleinen Jungen mit wildem, unbändigem Haar, stösst Silentii ungläubig hervor: „Oleander?“ Wern nickt. Die zerzausten, verklebten Haare bleiben in seinem eben so unsauberen Bart verhakt. Die kleine Rauchfigur scheint zu wachsen. „Niah-ma, ich habe es verstanden“, meint die Hochelfe und macht einen Schritt zurück. Der Zausel zuckt mit seinen Schultern und tut es ihr gleich. Weiter wächst die weisse Gestalt aus Qualm an, bis sie ab Boden die Grösse eines kleinen Jungen erreich hat. Ein breites, unheilvolles Grinsen schneidet sich in einer Schneise durch den Rauch. „Hör bitte auf damit, Wern.“ Doch dieser drückt sich ängstlich gegen die Backsteinmauer hinter sich, ob des Verlustes über die Kontrolle seiner eigenen Magie entsetzt. Die qualmende Silhouette setzt sich in Bewegung, während der Schlitz im vermeintlichen Gesicht, das eingeschnittene Lächeln immer breiter, verzerrter wird. Mit einem Satz springt es den lumpigen Mann an, welcher darauf mit einem stummen Schrei die Pfeife aus der Hand fallen lässt und in einer breiten Rauchschwade verschwindet. Schockiert hebt Silentii ihre langfingrige Hand vor den Mund, Tränen bahnen sich ihren Weg über die wohlgeformten Wangen und fallen hinab auf den dreckigen Boden. „Nur noch Schall und Rauch“, ein Kichern dringt aus der dunklen Gasse vor ihr und als sie die trotz der Finsternis die feuerroten Haare des Jünglings, welcher Schritt für Schritt auf sie zukommt, erkennt, bleibt der schönen Hochelfe der stockende, vom Weinen erschütterte Atem im Halse stecken. Nur einige Schritte von ihr entfernt bleibt Oleander stehen, geht in die Knie und streichelt den an seiner Leine angeketteten kopflosen Hundekadaver. „Lass uns spielen!“

***

„Er ist m-mit einer natürlichen Begabung für die dunklen Künste geboren. Mit einem abartigen, gefühllosen Geist un-und einem Herze aus Stein. Vor etwa dreissig Jahresläufen“, Quint senkt seinen Kopf und den damit verbundenen Blick auf die gemusterte Picknick-Decke. „Wie ist das möglich?“ Ina reicht Storchhals ein Stück von ihrem Brötchen. „Es ist nur d-das Anlitz eines Jungen, das er auf sich trägt. Sein Vater, Zirus Landri, ein hier in den Re-re-regionen bekannter und gefürchteter schwarzer Hochmagus, bürdete Oleander, in der Angst, dass sein begabter Zögling einst seinen eigenen P-platz in der Riege der Arkanen einnehmen könnte, den Fluch der ewigen Kindheit auf und hielt so Oleanders M-m-macht im Zaum.“

***

Mit einem nachschallenden Schrei aus goldener Kehle wird Silentii in einem hohen Bogen aus der engen Gasse heraus auf den Marktplatz geschleudert. Dumpf schlägt sie auf den mit Blut überzogenen Pflastersteinen, zwischen all den geschundenen, verlebten Körpern auf.

***

„Zirus zog alsbald w-weiter ins Landesinnere um seinen Wirkungsbereich a-au-auszuweiten und liess seinen Sohn in Ignes zurück. Doch nicht ohne vorher zu dessen Schut-tz ein Bündnis mit den ansässigen Magiern der grauen Wacht zu schliessen. Dieses Bü-bü-bü-Bündnis besagt, dass in gegenseitigem Einverständnis die Waffen ruhen und die Existenz der Gegenpartei in Stillschweigen akzeptiert werden soll. Dieses Bü-Bündnis habt i-ihr gebrochen, Ina und Henry.“

***

Am Boden liegend erblickt die Hochelfe links von sich, unweit entfernt, die verkohlten Körper von Enia und ihren Schülern. Zusammengekauert. Von ihrem weiten Rockkranz ist nichts weiter den das Stahldrahtgestell übrig geblieben. Silentii hebt ihre Hand in Richtung des grinsenden Rotschopfes an und lässt über deren Fläche ein violettes, pfeilähnliches Gebilde erscheinen. Worte, von elfischer Zunge gesprochen, jagen das Geschoss preschend und surrend in Richtung des Rotschopfs.

***

„Doch Oleander blieb nicht untätig. Sein Ei-einflussbereich, seine Kra-f-f-ft trotzte der kindlichen Gestalt und er scharte mehr und mehr Menschen um sich. Mit ihnen mein Vater und somit auch ich. Wobei ich nichts weiter denn ihr Laufb-b-ursche spielen durfte, über Jahresläufe hinweg. Verborgen in den heimischen Wohnzimmern, in den Kellern der Stadt, organisierten sie sich und w-warteten ab, bis sich eine Gelegenheit bot, zu welcher sie ihre Überlegenheit a-au-usspielen konnten. Das Ergebnis wütet derzeit durch die Strassen.“

***

Mit einem Handwisch schmettert Oleander den magischen Pfeil aus der Luft. Abgelenkt von seinem ursprünglichen Ziel, durchschlägt er die bebende Brust eines jungen Mannes, welcher eben panisch sein Haus verliess und über den Platz türmte. Wie ein nasser Sack fällt dieser um. „Wie töricht von euch. Ich weiss, dass euch euer hoch gelobter Astrael wohl nicht gerade mit einem Übermass an Intelligenz gesegnet hat, doch etwas mehr Grips hätte ich euch schon zugetraut, das muss ich sagen“, Oleanders weiterführender Handwink lässt Silentiis Körper wehrlos vom Boden abheben. Schwebend richtet sie sich auf, die Arme weit abgestreckt.

***

„S-s-seine Gnadenlosigkeit kennt keine Grenzen und die Schäden, die e-er derzeit anrichtet sind nicht absehbar.“

***

„Wir… Wir hatten einen Vertrag, Oleander.“ Schwach röchelt die Hochelfe zum sommersprossigen Jungen herab.
„Den ihr gebrochen habt.“ Ein Ruck durchwandert den Körper der Vertreterin der Grauen Wacht. Ihr Kopf wird von unsichtbarer Hand an den Haaren nach hinten gerissen. Goldblonde Haarbüschel fallen.

***

„…und ihr könnt hoffen, dass er nicht hinter euren Schwindel kommt. D-d-denn sonst droht euch Schlimmeres denn der einfache, verkraftbare T-t-to-tod.“

***

„Nichts… Wir… haben nichts gebrochen… das Bündnis eingehalten.“ Blut rinnt ihr von der entstellten, ausgerissenen Schädeldecke über die Wangen und zieht selbe Bahn wie die Tränen es kurz zuvor zu tun pflegten.
„Mama sagt, man soll nicht lügen“, wiederum erschallt ein Kichern, wirr und markerschütternd über den Markt und wieder durchläuft Silentiis Körper den selben ruckartigen, magischen Bewegungen wie zuvor. Schwebend in der kühlen Abendluft, knickt ihr ausgestreckter Arm nach hinten ab. Brechende Knochen.

***

„Was hab-habt ihr nun vor?“

***

Vom Schmerz gezeichnet, presst die einst stolze Hochelfe ihre Worte zwischen den bebenden Lippen hervor. „Wer… hat ihn gebrochen?“
„Euer gesiegelter Brief, du dummes Ding! Der, den mir dieses Pärchen da vorbei gebracht hat. Komische Boten…“
„Namen…“
„Was weiss ich.“ Mit gerümpfter Nase und auf eine kindlich aufmüpfige Art verschränkt Oleander seine Arme und dreht sich ab. Silentiis zweiter Arm bricht unter der Geste ihres Peinigers.

***

„Daran h-habt ihr nicht gedacht, stimmts? Dass das rausk-kommen k-könnte.“
„Ich nehme dir gleich dein Abendbrot weg, Quint!“


***

„Ebbenbach oder so.“
Schlaff hängt der Leib der mittlerweile regungslosen Hochelfe in der Luft und in ihren tiefblauen Augen flammt für einen Moment lang die gewonnene Erkenntnis und das Bewusstsein der verlorenen Jagd auf, ehe der matte Schleier des vergangenen Lebens ihren Blick einhüllt und sie unter dem heimtückischen Grinsen des Rotschopfs, der sichtlich das Interesse an seinem Spielzeug verloren hat, fällt ihr Körper zu Boden. „Langweilig.“

***

„Wir gehen von hier weg“, Henry schwieg während der ganzen Erzählung und steht mit diesen Worten unvermittelt auf.
„Aber Honigschäuzchen, weshalb sollten wir unsere Stadt verlassen? Ich meine, hier sind wir geboren. Hier haben wir uns das erste Mal geküsst. Hier sind wir den Bund unserer Ehe eingegangen. Hier ist unsere Geschichte, hier in Ignes.“ Ina streicht die Falten ihrer Bluse glatt und ergreift die dargebotene Hand ihres Gatten. Sie erhebt sich.
„Auch wenn ich es ungern zugebe, mein Pfirsichbäckchen, Storchenhals hat Recht. Wir haben die Situation vielleicht ein klein wenig unterschätzt. Was nützt uns unsere Geschichte, wenn die unsre Zukunft nicht gesichert ist. Ich habe nie zugelassen und werde niemals zulassen, dass dir etwas geschieht“, er macht eine kleine Pause und setzt dann sein gewohnt süffisantes Lächeln auf. „Du wolltest doch schon immer mal in die Südlande, mein Liebes, nicht wahr? Palmen, Kapern, gebräunte Haut…“
„U-u-und ich hätte d-da die richtigen Reisführer!“ Fällt Quint in das turtelnde Gespräch ein. „Aber nur wenn ich mit darf. Schliesslich wird ich h-hier ebenfalls in Stücke g-g-gerissen, wenn ich bleibe und euer Betrug auffliegt.“ Henry packt den Apotheker am Kiefer, drückt diesen schmerzhaft ein und dreht seinen Kopf so nach links und nach Rechts. Die Ohren inspizierend. „Was meinst du, Ina’lein, brauchen wir noch ein Packtier?“
„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich meine Kleider alle alleine schleppe, Henry!“
„G-g-gut, dann kommt. Wir müssen nur schnell bei meinem Laden vorbei.“


***

„DU UNARTIGER BENGEL!“
Die dunkle, donnernde Stimme hallt über die Dächer der gesamten Stadt hinweg und lässt Oleander in seinem Tun inne halten. Am Ende des Marktes stehen zwei bärtige Gestalten. Die eine grau, die andere in schwarze Tücher gehüllt.
„Papa?“ Der kleine Junge kneift seine Augen zusammen um in dem Chaos aus Feuer und Rauch etwas zu erkennen.
Zirus Landri nähert sich, ohne das sichtbare Anzeichen von Schritten, schwebend und die pechschwarze Kluft mit sich schleifend. Hinter ihm, unweit, der Leiter der grauen Wacht, Tribald Samuelis.
„DU WARST UNGEZOGEN! EIN UNGEZOGENES ROTZIGES BALG,

OLEANDER!“

weiter zu GÖTTERSPIELPLATZ


Zuletzt geändert von Mr. I: 13.08.07, 18:11, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 9 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de