Das dämmrige Licht des zugrundegehenden Lagerfeuers erhellt die Höhle nur teilweise. Schatten tanzen an den Wänden, geworfen von zum trocknen aufgehängten Kräutern, Tropfsteinen und einem Spinnennetz, in dessen Mitte eine dicke und fette Spinne sitzt. Acht kleine Augen blicken von dort in die Finsternis, während acht kleine Beine die feinsten Luftbewegungen erspüren, die das Netz in Schwingungen versetzen. Ein leicht fauliger Gestank liegt in der Luft, eine Mischung aus Blut, getrockneten Kräutern, abgestandenem Wasser, verwesendem Fleisch und Ork, doch das scheint die Spinne nicht zu stören. Ebensowenig die Gestalt, welche es sich vor dem erlöschenden Feuer bequem gemacht hat, sofern man bei dem festen steinernen Boden, der jedoch nicht kalt, sondern unnatürlich warm ist, von solchen Begriffen wie "bequem" reden kann.
Menschen. Warum waren die Menschen so, wie sie nun mal waren? Machte diese Frage einen Sinn? Alles konnte man hinterfragen, denn nur wer hinterfragt, der kann verstehen und nur wer versteht, der vermag zu beherrschen. Dass das Geschlecht der Menschen schwach war stand außer Frage. Aber die Art und Weise dieser Schwäche verblüffte ihn immer wieder aufs Neue. Es war ein reizvolles Spiel, die Schwächen auszuloten und, gleich eines scharfen Dolches, hineinzustoßen...
Fassungslos starrte die junge Menschenfrau ihr Gegenüber an. Ringsum zwitscherten die Vögel, die Bäume waren voller bunter Blätter, die sie freimütig an die Luft und den mit Moosen und Gras bewachsenen Boden verschenkten. Fela stand hell und freundlich am Himmel und ließ die Szenerie geradezu romantisch erscheinen. Zumindest, wenn man von dem fassungslosen Blick absah, und davon, dass das Gegenüber der jungen, teils von Brandnarben entstellten Frau, kein modischer Galan war, der ihr ein liebevolles Lächeln schenkte, sondern ein Ork, der mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Neugierde die Reaktion der Frau betrachtete. Auch wollte der gezackte Dolch, der mitten durch die Hand der jungen Frau gerammt worden war, nicht in die friedliche Szenerie passen. Ihr Gesicht verlor zunehmends an Farbe, doch kam kein Ton über ihre Lippen.
... die Gesichter der Menschen waren wirklich eindrucksvoll. Nicht nur, dass sie mit ihrer zartroten Farbe fleischig und hässlich wirkten, wie der Rest ihres haarlosen Fleischkörpers, nein, wenn man ihnen Angst machte, oder Schmerzen bereitete, so wurden die Gesichter hell und bleich, sodass nicht nur ihr Gehabe, sondern auch ihr Aussehen immer mehr dem einer Made glich. Passend. Auf der anderen Seite konnte man jedoch auch ihre Gesichter rot färben, wenn man sie dazu brachte, zornig zu sein. Auch das war ein durchaus interessantes Spiel, auch wenn es schnell langweilig wurde. Die Menschen waren eben doch zu leicht zu manipulieren, als dass es dauerhaft herausfordernd wäre. Er erinnerte sich an die junge Novizin dieses Magierturmes, deren Gesichtsfarbe in das rot eines stück blutigen Fleisches übergegangen war, während sie schnaubend und zischend ihre Verwünschungen zum Besten gab oder mühevoll verschluckte.
Ein leichtes Grinsen erscheint auf dem Gesicht des am Feuer sitzenden Orken. Ein paar Funken steigen auf, als er frische Holzstücke in die Glut wirft. Einer der Funken beschädigt auch das Netz der dicken Spinne, doch ist diese gerade damit beschäftigt, eines der eingesponnenen Opfer auszusaugen. Mit nachdenklichem Blick sieht der Ork, der von der Spinne keine Notiz zu nehmen scheint, auf das knisternde Feuer.
Er musste weitere Beobachtungen und Versuche dieser Art machen. Nicht nur mit Menschen und Elfen, sondern am besten auch mit Zwergen, doch das war nicht leicht. Ein Zwerg war wie ein tollwütiger Hund. Man konnte ihm, aus sicherer Entfernung, beim Toben zuschauen, solange er einen nicht bemerkte, oder aber gegen ihn kämpfen, oder einen Bogen um ihn machen. Die Zwerge wühlten im Boden herum und waren haarige kleine Maden mit Äxten und Hämmern, ebensogroß wie sie selbst. Mehr wusste er nicht über sie, und es wurde Zeit, das zu ändern. Die Elfen hingegen versteckten sich in den Wäldern und waren mehr die Diener der Naturgeister als ein wirklich ernstzunehmendes Volk. Andererseits war es eine belustigende Tätigkeit, sie gegeneinander aufzubringen oder sie mit Macht oder Wissen zu konfrontieren und ihre verzweifelten Reaktionen darauf zu betrachten. Jedoch würde er auch weiterhin sein Studium der niederen Arten vor allem auf die Menschen beschränken. Nicht, dass diese von ihrer Art her so interessant waren, aber alleine ihre Vielzahl und ihre Bedeutung auf dieser Insel machte das Wissen über sie wertvoll. Auch musste er zugeben, dass er beeindruckt darüber war, wieviele von ihnen, trotz mangelndem Wissen, Einfluss auf die Geister nehmen konnten. Selbst wenn sie nur bruchstückhaftes Gebrabbel einer alten Sprache, die sie selbst nicht verstanden von sich gaben, um damit die Geister zu Handlungen zu bewegen, ohne sie wirklich zu sehen, den Blick nur auf das Ergebnis, nicht auf dessen Ursprung gerichtet, so war die Vielzahl dieser Magier, ebenso wie manche der nur halb beherrschten Geister, dennoch bemerkenswert.
Der Ork wirft ein paar getrocknete Kräuter in das Feuer. Es kracht und knistert leise und aromatischer Rauch steigt davon auf und verdrängt die anderen, fauligen Gerüche in der Höhle.
Die neue Sklavin konnte ebenfalls Erkenntnisse bringen. Zumindest hatte sie ein paar Fragen aufgeworfen und noch mehr halb vergessene Fragen in den Vordergrund geschoben. Ein Menschenweib, das bei Orken aufgewachsen war. Menschen waren schwach, Orken waren stark. Aber wieviel davon war von den Göttern direkt gegebene Stärke und wieviel entstand durch den harten Überlebenskampf? Wie veränderte sich der Körper durch das harte Leben in der Steppe, im Vergleich zu dem verweichlichten herumlungern in den Städten? Ohne Zweifel war dieses Menschenweib stärker als viele ihrer Artgenossen und verfügte über einen für menschliche Verhältnisse ausgeprägten schmerzunempfindlichen Geist. Doch gab es auch körperliche Veränderungen? War ihr Herz stärker, ihre Knochen härter als die eines anderen Menschen? Er hatte versucht das herauszufinden ...
Dämmriges Licht erhellte den Teil der Kanalisation nur spärlich. Ein leichter Nebel lag über dem Boden und ein Gestank nach Exkrementen und anderen wenig appetitlichen Dingen erfüllte die Gänge. Hier und da war das Plätschern und schleimige Fließen des Abwassers zu hören, ebenso wie einzelne Tropfen, die von der Decke in das Abwasser oder auf die Steine fielen. Eine junge Frau presste sich halb liegend an die schmutzige, feuchte Wand. Ihr freiliegender Busen hob und senkte sich rasch, während sie mit etwas geweiteten Augen nach vorne, auf das Messer starrte. Dieses, ein gezacktes Kupfermesser, an dem noch ein wenig verkrustetes Blut klebte, lag in der Hand eines schmächtigen Orken, der mit nicht gänzlich unterdrückter Abscheu auf die Frau an der Wand blickte. Die gänzlich entkleideten Frau mit deutlich kräftigerer Statur, welche scheinbar freiwillig und ruhig neben der anderen auf dem kalten Boden lag würdigte der Ork keines Blickes.
Schlimm genug, dass sie sich, als sie von seinem eigentlichen Vorhaben hörte, nämlich dem Vergleich der Innereien, nicht nur des Äusseren, weigerte, ihn gewähren zu lassen... es hatte sich auch noch herausgestellt, dass es nicht einmal eine Frau war, sondern ein Mann, der mit Hilfe der Geister sein Auge getäuscht hatte. Wieviel von den abstrusen Behauptungen Tarnuks wahr gewesen war, konnte er nicht abschätzen. Vermutlich versuchte er mit seinen Worten nur, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, jedoch konnte man das Verhalten von Menschen nie so genau einschätzen. Ein magischer Stein, anstelle eines gewöhnlichen Herzens. Wirklich ein interessanter Gedanke. Er würde dem später nachgehen.
Die Menschen, und der Elf, die er danach am Wall getroffen hatte, zeigten ebenfalls sonderbares Verhalten, kaum dass er auf sein Vorhaben zu sprechen gekommen war. Was war so schlimm daran, einen kleinen Ritz in den Bauch zu bekommen, ein, zwei Knochen freizuschaben, das Herz freizulegen? Sie hatten versucht, ihm Gründe zu nennen, warum es schlecht wäre, dies zu tun. Er konnte keinen davon akzeptieren und nur die wenigsten auch nur ansatzweise verstehen. Immerhin hatten sie ihn auf neue Ideen gebracht. Einen Elfen würde er ebenfalls irgendwann aufschneiden, um sein Inneres mit dem von Menschen und Orken zu vergleichen. Auch die Idee, einen Sterbenden aufzuschneiden, und die Veränderung, die der Leib beim Austritt des Geistes durchmachte, mit eigenen Augen an den Innereien zu beobachten war ausgezeichnet.
Es gab viel zu tun.
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