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Nach einem langen Tunnel, den er auf Knien und Händen überwinden musste, und in dem die Düsternis vorherrschte, war das Licht des kleinen, kargen Tals blenend, als er endlich hinaus kroch und den Rücken streckte.
Unwillig, die Augen schließend, schüttelt er das Erdreich aus dem zerzausten Blondhaar und stand auf, klopfte beiläufig Dreck von den kettenbewehrten Knien, sah sich um und trat aus der Kuhle, die den Tunnel abschloss.
Nach einigen Augenblicken hatten sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt und der stechende Schmerz ließ nach, so das er sich auf seine Umgebung konzentrieren konnte.
Der Boden hier war weitaus trockener, nur wenig Pflanzenbewuchs bedeckte ihn, verkrüppelte Bäumchen und harte, zähe Gräser.
Die Wände des Tales gingen steil in die Höhe, es wirkte eher, als wäre hier ein Kind in eine Kuchenmasse getreten, und ungefähr so ließ sich auch die Form des langgestreckten Tales beschreiben.
In der Mitte etwas schmaler, war es vorn und hinten leicht gerundet, wobei die Spitze erhöht lag und ein Zaun oder so etwas am anderen Ende zu sehen war.
Der Einschnitt war höchstens 100 Schritt tief und hatte keinen weiteren erkennbaren Eingang.
Ein wenig Felalicht fiel hinein und beleuchtete nur eine Stelle, an der eine mitleiderweckend schäbige, schiefe Hütte ihr trostloses Dasein fristete.
Der kastenförmige Bau sah aus wie aus Trümmern, Treibgut und was sonst noch so zur Verfügung stand zusammen gezimmert, noch dazu ohne große Ahnung oder auch nur Liebe.
Sonderlich Stabil mutete es entsprechend auch nicht an, ausserdem fehlten Fenster, nicht einmal eine Tür war eingehangen in dem mehr oder weniger als Eingang erkennbaren Loch an der Seite, die dem Berg ab und dem Durchgangsloch zugewandt war.
Darin konnte er eine bucklige, alte Frau erkennen, deren fleckiger Spitzhut während der hektischen Arbeit, die sie verrichtete, aufgeregt wippte.
Ihr buntes Gewand wirkte ebenso schäbig wie die Behausung, deren Inhalt sie eiligst zu durchwühlen schien, als suche sie etwas Lebenswichtiges.
Vorsichtig trat er näher, warf einen weiteren Blick ringsum, sichernd, ehe er die Alte ansprach.
Er musste vorsichtig sein: vermutlich hielt sie ihn für einen Räuber oder einen Diener des Einen, und er hatte nun wirklich nicht vor, einer alten Frau Leid zuzufügen, auch nicht, indem er sie erschreckte.
"Ehre den Vieren!" rief er, weit weg noch stehend, um ihr Zeit zu geben, ihn näher in Augenschein zu nehmen.
Das war ein Fehler: die Alte schrie auf, lies den zerbeulten Topf, den sie gerade durchstöbert hatte, fallen und deutete auf ihn.
"Du wirst ihn nicht bekommen!" kreischte sie, dann bewegte sie die Hände als wolle sie etwas zu sich ziehen.
'Oh oh.'
Alarmiert warf der Knappe sich zur Seite, als ihre verkrümmten Finger auch schon etwas nach ihm Warfen, das nach grünen, durchsichtigen Seilen aussah.
Sie fielen dort, wo er eben noch gestanden hatte, zu Boden, um dann da zu erblühen und den Boden kurzfristig mit Blumen, Gesträuch und anderem wild wucherndem Grün zu bedecken. Sonderlich freundlich sahen die dornbewehrten Pflanzen allerdings nicht aus, und auch nicht schön.
"Ich will euch nichts tun!" versuchte er, die Alte, die noch immer schimpfte, tobte und keuchte zu besänftigen, und trat aus dem Windschatten des Gebäudes, in den er sich geflüchtet hatte, direkt vor den Eingang.
"Bitte, beruhigt ... Au!"
Erneut hatte sie den Zauber nach ihm geworfen und diesmal war er voll hinein gerannt; schmerzhaft schlangen sich die durchsichtigen Fäden um ihn, nur um dann materiell zu werden und ihn einzuschnüren.
Sie krochen wie lebendig geworden um seinen Leib, zogen seine Beine zusammen und schlangen sich um seinen Hals, banden ihm die Arme an den Leib.
Hastig gelang es ihm noch, die Hände nahe seines Gürtels unter zu bringen, ehe auch die Gelenke umschlungen waren und sie fest an den Bauch gepresst wurden.
Schwankend stand er da, während um ihn herum das faule Grün hässliche Blüten warf und die Dornen ihn durch das Kettenzeug hindurch piesackten, aber wenigstens nicht ernsthaft verletzten.
Wieder kreischte die Alte, direkt vor ihm nun, zu ihm hinauf "Er gehört mir! Du wirst ihn mir nicht nehmen!"
"Ich .. will .. gar nichts.. nur .. "
Die Ranken schnürten ihm die Luft ab, während sie sich enger zogen, und doch gelang es ihm, die Finger einer Hand nach unten tasten zu lassen und den Griff eines seiner vielen Dolche und Arbeitsmessers zu fassen zu bekommen.
Nur ein bisschen mehr!
Aber schon konnte er fühlen, wie die Ranken sich schmerzhaft zusammen zogen; wollte die Alte ihm alle Knochen im Leib brechen?
"Halt den Mund! Du bekommst ihn nicht, er ist mein, er gehört mir, niemand kann das ändern!" giftete sie und deutete auf ihn, kreischte grell und schmerzhaft.
Und dann explodierte die Welt um ihn herum, versank in einem chaotischen Farbengewirr, in dem Rot und Schwarz dominierten, in dem es nur ihn gab und den Schmerz, der wie flüssiges Feuer durch seine Adern rollte und alles fort brannte, was nicht Schmerz war.
Irgendwer schrie gellend, ein entsetzlicher Schrei des Schmerzes, aber wer, war ihm gar nicht klar; die Ranken schlangen sich fester, begannen unter dem Knacken seiner malträtierten Knochen, ihm die Luft abzuschnüren und aprupt brach der Schrei ab, doch der Schmerz blieb.
Riss ihn jemand in Stücke?
'Mach dem ein Ende!' flehte das Kind in ihm, wimmerte und wollte fliehen, doch wohin?
Die Fesseln, die nun in sein Fleisch schnitten, die Dornen tiefer hinein trieben, hätten ihn selbst dann gehalten, wenn er nicht die Kontrolle über fast jeden Muskel verloren hätte.
Würgend und keuchend sackte er in die Knie, für einige Herzschläge lang die Kontrolle nur durch den eisernen Wunsch, nicht zu sterben, über seine Muskeln zurück erlangend, und dann gelang es ihm endlich, den Dolch fest zu packen und aus der ledernen Scheide zu ziehen.
Ein Zucken und die erste Ranke war durchtrennt, gab ihm einen Hauch von Zuversicht zurück, während der Griff des Schmerzes mit jedem verstrichenenen Augenblick stärker wurde.
'Lass mich sterben...'
'Nein!'
Stur stemmte er sich gegen den Wunsch, einfach aufzugeben, und wieder gab eine Ranke nach, so das seine Hand nun aprupt frei war.
Hoffnung ströhmte durch seinen Geist, half ihm, die Disziplin herbei zu zwingen, die nötig war, um unter Schmerz zu denken, dann sackte er nach vorne weg und schlug der Länge nach auf.
Schwindel machte das Denken noch schwerer, aber er hatte erreicht, was er wollte: die Ranken gaben nach, und als er aufhörte, sich zu regen - welch Wohltat für seinen geschundenen Körper! - da ließ wenige Herzschläge später auch der Schmerz nach. Hörte auf.
Sie hielt ihn für besiegt, ließ ihren Zauber fallen, und alsbald darauf fielen auch die erstickenden Ranken von ihm ab, getränkt von winzigen Tropfen seines Blutes.
Mühsam den Atem ruhig haltend verhielt er sich still, lauschend, das Prickeln seiner Glieder, in die das Blut zurück kehrte ignorierend so gut es ging.
'Das fällt, mal wieder, nicht so wirklich unter auf mich aufpassen, oder?' überlegte er und hätte gelacht, wenn ihm nicht so verdammt schlecht gewesen wäre.
Er hörte die Alte zufrieden Schnauben, dann strich sie an ihm vorbei, doch ehe sie hinaus gelangen konnte, hatte er sich hinauf gestemmt und sie am Hals gepackt.
Erschrocken, ja panisch quiekte sie, starrte den besiegt geglaubten entsetzt an, dann riss sie die dürren Finger hoch und warf Flammen nach ihm, die jedoch an seinem Panzer nicht mehr verursachten als Rußflecken und ein bisschen verbrannten Stoff am Umhang.
Ein wenig grob stieß er sie gegen die Hauswand und schämte sich sogleich: er konnte doch keine Oma verprügeln!
Unschlüssig wischte er sich das Blut vom Hals, wo die Dornen ihm in die Seiten eingedrungen waren, und schüttelte den Kopf.
Immer noch bemühte sie sich darum, ihn anzugreifen, obwohl er einen harten Griff um ihr dürres Genick gelegt hatte, es ihr jederzeit brechen konnte, so mager wie sie war.
"Was ist hier los? Bei Bellum, wie siehst du denn aus?"
Kurz sah er zur Seite; Mirian stand da, verschmutzt, eine Fackel in der Hand, der Blick erschrocken auf ihn gerichtet.
Dann fiel ein Schatten von oben herab und kreischend stürzte sich ein Gargoyle aus dem fahlgrauen Himmel hinab.
Hastig schob der Knappe die abwechselnd schimpfende, fluchende und flehende Oma in ihre windschiefe Hexenhütte, um sie vor dem Unwesen zu schützen.
"Ich kümmere mich drum!" verkündete die Ritterin zufrieden und zog ihr Schwert, um sich auf die Bestie zu stürzen.
"Also gut, alte Frau. Wir unterhalten uns jetzt!" schnappte er in Richtung der noch immer an seinem Arm hängenden Alten, die verzweifelt nach ihm trat.
Seufzend ließ er sie los, so das sie auf das Lumpenbett purzelte.
Doch statt das sie nun bereit gewesen wäre, mit ihm zu reden, sprang sie sofort auf, trat ihm gegen das Schienbein und rannte hinaus.
Keuchend bekam er gerade noch ihren Umhangsaum zu fassen und hielt sie auf, damit sie nicht in den Kampf draussen geriet, als ein roter Schatten herab segelte, kaum größer als ein Rabe, und auf ihrem Rock nieder ging.
Sofort gellten ihre panischen Schreie durch den ganzen Talkessel, dann klirrte etwas, das er nicht sehen konnte, und ein panisches "Nein!" folgte.
Die Alte entriss sich mit einem Ruck seinem Griff und floh an der kämpfenden Ritterin und dem Gargoyle vorbei, nur um wenige Schritt später mit einem mörderischen Krachen sich aufzulösen.
"Ups." stellte der mitgenommene Jüngling verblüfft fest, richtete den Blick auf seine Freundin, die den Steinmann gerade mit einem rundumschwung ihrer Klinge den Kopf abschlug und sich ihm zuwandte, ehe noch die Kreatur zu Boden gegangen war.
"Was bitte ist hier los? Und warum siehst du aus als hättest du südendophalische Disziplinstraditionen ausprobiert?"
"Hä?"
"Egal. Schau mal, da ist ein roter Vogel." sie deutete hinauf und er trat hinaus, folgte mit dem Blick ihrem Deut.
Tatsächlich, da saß ein leuchtend rot gefiederter Vogel, einem Raben ähnlich, dessen kluger Blick sie neugierig musterte.
Im langen Schnabel hielt er einen Schlüsselbund.
Ehe die Beiden noch etwas sagen konnten, breitete der Vogel seine Schwingen aus und schwebte zu Boden, wo er wie der General einer siegreichen Schlacht vorrau schirtt, jede Bewegung vom Klingeln des Schlüsselbundes untermalt.
Achselzuckend folgte Zacharias dem Vogel.
Er war schon von Zimmerpflanzen gerettet worden, warum also nicht einem Vogel hinter herlaufen?
Mirian zögerte länger, dann kam sie hinterher.
Sie erreichten alsbald die Palisade, in der sich nun eine Tür zeigte, die von einem schweren Vorhängeschloss gesichert war.
"Verstehe. Würdest du mir bitte die Schlüssel geben?" wandte er sich freundlich an den Vogel, der auf ihn zu hopste und die Beute vor ihm im Dreck liegen ließ.
"Vielen dank."
Unter einem schmerzerfüllten Ächzen - die Verletzungen durch die Dornen waren nicht schwer, aber schmerzhaft! - hob er ihn auf und trat zu der Tür, entriegelte sie und spähte hinein.
Dort saß, ein wenig abgemagert und mit misstrauischem Blick, der schönste und eindrucksvollste Wolf, den er jemals gesehen hatte.
Ein prächtiges Tier, bestimmt, in den Wäldern zu herrschen, nicht, in einem kaum von Licht erfüllten Verschlag vor sich hin zu vegetieren!
"Du bist frei." erklärte er sanft dem misstrauisch leise knurrenden Wolf, trat ihm aus dem Weg und warf die Schlüssel auf den Boden zurück.
Es dauerte etwas, dann folgte der Wolf seiner Aufforderung, durchschritt die Türe - und lief los, an den Menschen vorbei. Wenige Schritte später war er verschwunden.
"Gehen wir?"
"Gute Idee. Du siehst aus wie Dreck."
"Lass dich mal von einer verrückten Oma foltern, dann reden wir weiter, ja?"
"Oh je. Ich hatte dir doch den Befehl gegeben, auf dich acht zu geben!"
"Ach, das war ein Befehl? Sag das doch."