Mein lieber Rias!

Die lange Seereise zum Festland hat mir die Zeit zum Nachdenken gegeben, Zeit, die mir auf der Insel immer gefehlt hat. Ich habe nun erkannt, dass ich viele Fehler gemacht habe. Nicht so viele wie in meiner Zeit als Söldner und auch nicht so schwerwiegende, aber dennoch Fehler, die einem Dinge kosten können, die wertvoller sind als alles Gold oder alle Titel. Ich war nie ein großartiger Diplomat, das weißt du so gut wie ich. Und das haben wohl auch andere erfahren, diese haben aber oft nicht verstanden, dass ich Dinge nicht sage um zu verletzen, sondern um die Augen zu öffnen. Ich habe mich nie als fehlerfrei verstanden, nie als unfehlbar, aber ich habe immer das gesagt, was ich für Wahrheit hielt. Ich kann von mir heute auch immer noch behaupten, dass ich mir im Spiegel in die Augen sehen kann. Ich glaube nicht, dass dies jeder von sich auf der Insel behaupten kann. Ich habe unterschiedliche Menschen auf meinen Wegen dort kennengelernt.
Ich bin immer noch gespannt, wie die Wahlen in Brandenstein verlaufen werden…

Man kann ja über Marnie sagen was man will, aber sie ist auf jeden Fall eine großartige Diplomatin, im Gegensatz zu mir, was vielleicht auch der Grund dafür war, dass wir ständig aneinander gerieten.

Ich habe vielleicht nicht erreicht der Hafenvogt zu werden, aber ich habe etwas bewegt in Brandenstein, ich habe hoffentlich erreicht, dass sich zukünftig mehr bewegt im Freihafen.

Bitte teile mir in deinen Briefen mit, welche Entwicklungen sich auf der Insel abspielen, mein Interesse ist nicht verschwunden.

Die Seereise selbst verlief recht ereignislos, den Stürmen im Bellum sind wir offenbar noch davongekommen. Finian geht es soweit gut, er hatte mit dem Seegang offenbar deutlich weniger Probleme als ich.
Eine Delphinschule hat unser Schiff eine Zeit lang begleitet und als ich sie ihm zeigte, streckte er seine Hände jauchzend aus und wackelte aufgeregt auf meinem Arm. Allem Anschein nach entwickelt er sich prächtig.
Die Farben, die du mir zum Abschied geschenkt hast, habe ich schon genutzt, aber meine Bilder sind noch nicht sehenswert. Wenn meine Kunstfertigkeit soweit gediehen sein sollte, dass ein Bild deinen Ansprüchen genügen wird, so werde ich es dir schicken.

Auch wenn du glaubst, dass ich dir fern bin, mein Engel, so bin ich doch irgendwie bei dir, ich denke an dich.

Die Viere mit dir!

Guntram

PS: Ich schreibe dir bald wieder...

Ein schlichtes Pergament, beschrieben mit eleganten, eher gemalt wirkenden Buchstaben, gehüllt in einen festen, stabilen Umschlag. Gesiegelt mit dem Zeichen der Familie Gropp, adressiert an die Kernprovinz Draconis, ein bestimmtes Stück Land, macht sich vom Hafen von Brandenstein aus auf den Weg.
Erbricht man das Siegel und schüttelt den Brief heraus, fallen einem getrocknete Rosenblätter entgegen, gefolgt von einem Brief.

Vitama mit dir!

Ich habe deinen Brief erhalten und freue mich sehr, das ihr das Festland sicher erreicht habt.
Die Entwicklung auf Siebenwind willst du wissen? Nun gut.
Marnie hat die Wahl haushoch gewonnen. Telan wurde von den Sammlern in eine Monstrosität verwandelt und musste getötet werden, da sie seinen Körper irgendwie, nachdem er entkommen war und um Hilfe suchte, als Portal benutzten, um Falkensee anzugreifen. Möge er in Frieden ruhen.
Es gab eine Schlacht mit den Orken, in der wir hohe Verluste hinnehmen mussten; in unseren Reihen waren zahllose Verbrecher, die uns kurzerhand verrieten, und die Diener des Einen haben dem Orkenvolk beigestanden, ebenso wie ein Verwalter den Schlachtplan, vermutlich unabsichtlich, sabotiert hat.
Die Truppenmoral ist am Boden, der Inselrat hat sich vor den Orken auf den Rücken geworfen und um Gnade gewinselt, und vorgestern hat das Viertel mit Hilfe einiger Orken - würde mich nicht wundern, wenn es alle gewesen wären! - den Aufstand gepropt. Dabei haben sie Isaah, einem Löwen, mit dem ich mich angefreundet habe, den Schädel eingeschlagen; er hat nun das Gedächtnis verloren, aber wenigstens lebt er noch.
Meine Queste habe ich fort gesetzt: mittlerweile weiß ich, wo Sir Aspins Schwert ist, und habe auch den Schlüssel, Xan's Träne, um dort hin zu gelangen. Es kann nur sein, das die Queste nicht zu erfüllen ist: die Meermaiden sprachen davon, das ich das Schwert sehen dürfte, aber nicht, das ich es haben könnte.
Ich wünschte, du wärst dabei gewesen, als ich die Blume erobert habe. Ich musste Ahnvater Wolf aus den Klauen einer verrückten Hexe befreien, und sie hatte einen üblen Zauber, den sie benutzte, um mich einfach nur zu quälen.
Allmählich gewöhne ich mich daran, alleine zu sein. Es ist schwer, und ich mag es nicht, aber etwas anderes bleibt mir kaum übrig.
Was einen nicht tötet, härtet ab, nicht wahr?
Ich hoffe sehr, das ihr Beiden euch in eurer neuen Heimat wohl fühlt und dort glücklich werdet. Ob ich es hier noch werden kann, weiß ich nicht, denn selbst die Freude auf den Ritterschlag ist gedämpft und irgendwie unwirklich. Vielleicht auch nur, weil ich mich schützen will vor der Enttäuschung, falls ich versage, womit ich jeden Tag mehr rechne, wenn ich über die Worte der Meermaid nach denke.
Ich weiß, ich soll nicht soviel über solche Dinge nach denken, aber es gibt nichts, was mich ablenken könnte von trüben Gedanken.
Danke im übrigen für den Falken. Was bedeutet eigentlich der Name?
Es ist ein prächtiges Tier, nur ein wenig grob, und er beisst mir gerne ins Ohr oder den Finger.
Übermorgen breche ich auf, um die Blume den Meermaiden zu bringen.
Dann ist dieser Brief längst unterwegs und ich muss auf deine Antwort, wenn der Bote dich überhaupt findet, Monde warten.
Und ehe ich jetzt noch viel mehr Unsinn erzähle, weil ich meine Gedanken nicht ordnen kann, beende ich das hier lieber.

In Liebe,
- Zacharias