Die Akademie der Winde zu Ventria Aufzeichnungen eines wandernden Windtänzers.
Die langen Tage meiner Wanderung über den Leib Riens, im weltlichen Sinne Galadons, führten mich weit umher, viele wunderbare oder auch schreckliche Orte sah mein Auge. Doch der schönste Ort den ich je sah, sollte auch der werden, der mich für die folgenden Dutzenden meiner Götterläufe bei sich behielt. Wie ich nun im Scriptorium sitze und dies zu Papier bringe, kommt es mir beinahe so vor, als wäre ich an jenen Tag zurückversetzt, als ich, als eben erst mündig gewordener junger Mann die Straße von Rothenbucht hinab nach Süden wanderte, die Stadt Falkenstein als Ziel vor Augen. Einen kleinen Teil meiner Reise erst hatte ich mich hintergebracht, als ich am Dorf Erwelds Weg vorbei schließlich das Herzogtum Taras betrat. Davon wissen tat ich nicht, hatte ich doch nur Augen für die mich umgebende Schönheit der Natur. Die neugeborenen Lämmer der von den Hirten umhergeführten Herden sprangen auf den den Weg umrahmenden Hügeln umher, das, so mag es mir damals geschienen haben, glückliche Summen der fleißigen Bienen erfüllte die Luft, denn gerade war die Jahreszeit Riens angebrochen. Das Gras auf den Weiden der Tiere und das unter den Kronen der mächtigen Eichen am Wegesrand beschattete war grün und voll, beinahe hochgewachsen, so sah ich auch nicht zum rechten Zeitpunkt einen Sprung Rehe, wohl noch eine Notgemeinschaft aus der Jahreszeit Xans, die Galadon fest in ihrem Griff gehalten hatte. Die Tiere schreckten laut auf, fiepsten und bellten, so mag es mir nahe liegen die Laute der Rehe zu beschreiben, die ein Unerfahrener allzu oft mit den Lauten eines Hundes vergleichen möge, und entfernten sich in den nahen Wald. Mein Blick schweifte gen Himmel, die vereinzelten, weißen Wolken am sonst strahlend blauen Himmel betrachtend. Mit meiner Rechten schirmte ich die Augen dabei ab, denn Fela stand bereits beinahe in ihrem Zenit, sodass ihre Strahlen zugleich stark erwärmend und gleißend von den Gewölben Rilamnors herabfielen. Der Sand des Weges unter meinen baren Fußsohlen knirschte leicht, während ich mich inzwischen darauf verlegt hatte dem lebenslustigen, fröhlichen Gesang der Vögel zu lauschen, der die Dickichte klangvoll erfüllte. Aus der Betrachtung der idyllischen Natur gerissen wurde ich von einem großen Fuhrwerk, das von einer kleinen Nebenstraße auf den Hauptweg, auf dem ich ging, abbog. Es war ein, wie für das Herzogtum Taras allzu passender, Wagen des fahrenden Volkes. Eher kastenförmig mutete er an, als er an mir vorbeifuhr, doch in gemütlicher Geschwindigkeit gezogen von einem zottigen, alten Wallach, der sich schwer in das teils zerfledderte und ausgeblichene Leder seines Geschirrs lehnte, gelenkt von einem mit läutenden Bimmelchen besetzten Halfter, von dem die Leine zur Bank des Fahrers führte, von dem ich nicht viel sah, denn er saß auf seiner Holzbank, die vor dem Kastenwagen angebracht war unter einem hölzernen Schutz vor den Strahlen Felas, oder, je nach Wetterlage, wohl auch den Tränen Xans. Als er nun so an mir vorbeizog streckte er seinen rechten Arm zur Seite aus dem Schatten des Felaschutzes heraus, sich dabei leicht mitlehnend, und winkte mir breit grinsend zu. Viele Glöckchen, die, vor meinen Augen verborgen, an seiner kunterbunten Kleidung bimmelten ließen erneut keinen Zweifel an seinem Berufsstand. So auch war der Wagen grell mit verschiedensten Farben bemalt, vorherrschend waren die einfach zu gewinnenden Farben Blau, aus dem Färberwaid gewonnen, und Braun, das die Färber aus Rinden und Wurzeln zu gewinnen verstanden. Überschwinglich preisten mehrere, teils übereinander gemalte Schriftzüge die Vorzüge und Heldentaten des Wunderheilers an, dem dieser Wagen wohl gehörte. Ich wandte meinen Blick ab, gerade noch rechtzeitig, um nach rechts zur abbiegenden Straße zu sehen. Eigentlich war ein Abweichen vom Weg nicht geplant, aber meine Neugier war endgültig erfasst von dem an dieser Weggabelung platzierten Straßenschild. Aus einfachem, morschem Holz aufgerichtet kündete es von der Stadt Ventria, die in jener Richtung liegen sollte. Darunter war mit zwei Ketten aus Eisen gehängt ein ungleich kunstfertigeres Schild aus himmelsblau lackiertem Eisen, das, meine Augen mochten es kaum glauben, von einer Akademie der Winde kündeten. Leicht lehnte ich mich auf meinen knorrigen Wanderstab und fuhr mir mit einer Hand nachdenklich über den Nacken, ehe mein Blick an mir herabschweifte. In meiner alten, zerschlissenen Pilgerrobe, noch dazu ungewaschen und mit Haaren, die allzu lange keinen Bader mehr gesehen hatten, würde man mir wohl keinen Eintritt erlauben. Aber sie zumindest zu sehen würde mir schon eine Inspiration sein und so lenkte ich den Gang meiner Füße jene abzweigende Straße hinab, mich nun aufgeweckter und neugieriger umsehend. Bald konnte ich in der Ferne, fast schon ausser Sichtweite am sich verblauenden Horizont erkennen, dass ich eine Halbinsel betrat. Ein Blick auf meine Karte, die, von einem dünnen Lederbändchen gehalten, von meinem Hals hing, bestätigte mir dies. Für einen Augenblick fiel mir auf, dass diese Halbinsel wie eine Pfeilspitze aussah. Oder eine Federspitze. Die Wälder am Wegesrand wurden rarer und spärlicher, auch die Vegetation an sich ging zurück, das Gras wurde zu einer steppenartigen Matte und Grillen zirpten im Unterholz der kleineren, knorrigen Bäume, während meine Füße mich sicher meinem Ziel entgegen trugen. Vor mir konnte ich, wie eine Landkarte ausgestreckt, Ventria sehen. Umgeben von einer hohen, wehrhaft anmutenden Holzpalisade konnte die Stadt durchaus als solche bezeichnet werden. Durchzogen von mehreren Kanälen des hereinfließenden Meeres erinnerte das Bild der Stadt an jenes Schachbrett, dass ich erst am gestrigen Abend in der Taverne zu Gesicht bekommen hatte. Die Architektur der Häuser spiegelte wieder, was schon die Büsche und Sträucher impliziert hatten. Der Großteil war nur zu kleinem Teile aus Holz erbaut, obgleich die meisten mit getrockneten und im Laufe der Trocknung braun gewordenen Schilfhalmen bedeckt waren, sah man sonst nur vereinzelt eine Stütze oder eine Querstrebe aus altem, vielfach von Rissen durchzogenem Eichenholz. Soviel wie auf diese Art erbaut werden konnte, hatten die Bewohner der Stadt aus Stein verfertigt. So machten die meisten Häuser einen eher gedrungenen, geduckten Eindruck, die gute Hälfte auch bedeckt von einem niedrigen Flachdach aus Steinen und das ganze Bild der Stadt war eher grau und trist. Die Straßen waren schlammig, ausgehöhlt und betreten von den zahllosen Stiefeln des einfachen Stadtvolkes. Nur wenige Felder in der Umgebung der Stadt, die meist zum Anbau der Rüben und des Kohles, der Kost des einfachen Mannes, dienten, zeugten davon, dass wohl, wie zu vermuten gewesen war, Fisch das vorherrschende Nahrungsmittel hier war. Aus dem allgemeinen Schmutz und der Geducktheit der restlichen Stadt erhoben sich direkt am Meer, gelegen am Hafen, die imposanten Lagerhäuser und Kontore der reicheren Kaufmänner und Bürger. Dort, wo die Straßen gepflastert waren, lief nicht mehr das einfache Volk herum, sondern Karren, geschoben von den Laufburschen und Arbeitern, transportierten die Waren von den Schiffen, die so regelmäßig anlegten, dass man dabei zusehen konnte, erst zu den Kontoren, um sie dort zu prüfen und anzumelden und schließlich in die Lagerhäuser, bewacht von dem wachsamen Blick des Hafenmeisters und seiner Helfer. Lange Stege aus uraltem scheinenden Holzplanken erstreckten sich tief in die Bucht hinein und kaum ein Platz dort war frei für ein anlegendes Schiff, waren doch schon viele von zahlreichen Anderen besetzt. Am meisten zog ein Handelsklipper des Königreiches die Blicke auf sich, ein prächtiger Viermaster, dessen güldene Verzierungen weithin strahlten und um dessen Wachen, die den treppenartigen Aufgang zum Deck bewachten, jeder einen Bogen machte, der es nicht auf eine tüchtige Tracht Prügel anlegte. Die Segel aus feinstem Leinen waren im Moment gerefft und vermittelten doch einen Eindruck von der Erhabenheit, die sie, vom Atem Ventus’ erfüllt zeigen mussten. Zahlreiche andere Handelsschiffe waren hier und dort zu sehen, schließlich, von jener Pracht an die entlegensten Stege gedrängt, auch die alten, windschiefen und holzwurmzerfressenen Kähne der Fischer, so jene nicht bereits hinausgefahren oder bereits zurückgekehrt waren. Ich schüttelte, von fern das Schauspiel des Stadtlebens betrachtend, stumm den Kopf und sah mich weiter um. In so eine Stadt würde ich nicht gehen, da bevorzugte ich doch eine Nacht in der Wildnis, bedeckt von Rilamnors Schwingen, um beim Zählen der Gestirne einzuschlafen. Der aufwecksame Blick meiner jugendlichen, braunen Augen schweifte über die Landschaft ehe ich auch schon etwas gar merkwürdiges ausmachte. Linker Hand des Weges erstreckte sich in einer Entfernung von etwa zehn Minuten zügigen Gehens eine Nebelwand aus dem Nichts. Verwundert trat ich einen Schritt in jene Richtung, ein Trampelpfad führte dort in eine Senke hinab. Nebel sollte es bei solch einem Wetter eigentlich nicht geben, auch hatte es längere Zeit nicht mehr geregnet. So beschloss ich dieser Sache auf den Grund zu gehen und ging guten Mutes auf den Nebel zu, bis ich ihn schließlich, eine gute halbe Stunde, nach Felas Stand zu urteilen, starr und unbeweglich wie eine Wand vor mir aufragen sah. Auf die Entfernung hatte er näher gewirkt, als er es tatsächlich gewesen war, so wie ein großes Gebirge nah scheinen mag, doch der Weg dorthin viel länger dauern mag, als ein Wanderer veranschlagen würde. Langsam, beinahe instinktiv wohl, hob ich meine rechte Hand und tippt den Nebel an. Leicht waberte jener an der Stelle an der ich ihn berührt hatte, ebenso, wie eine Wasserfläche wohl erzittern mag, wenn man ein Steinchen hineinwirft. Kreisförmige Wellen gingen durch den Nebel, ehe sie auch schon wieder verebbten. Wie es zu erwarten war, war meine Fingerkuppe leicht angefeuchtet von dem Nebel. Ich fasste etwas Mut und trat einige Schritte voran, bis mich der Nebel völlig umgab. Schon nach wenigen Augenblicken, Wimpernschlägen gar, fühlte ich meine Kleidung wie eine zweite Haut feucht an mir haften. Mein Blick reichte nicht einmal mehr weit genug, um meine Füße zu sehen, ebenso, wie ich das Gefühl hatte, dass meine Ohren die Geräusche der Umgebung nurnoch wie durch ein Büschel Watte gedämpft wahrnahmen. Eine unbestimmte Furcht, eine Panik ergriff mich und Gedanken rasten wie Turmfalken im Steilflug durch meinen Kopf. Was wäre, wenn ich in eine Falle gelaufen wäre? Sollte meine Reise hier bereits zu Ende sein? Ich machte mir schwere Vorwürfe, mein Blick verschwamm noch mehr, als ich fühlte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Dann war der Spuk vorbei. Von einer starken Windböe getrieben zerriss der Nebel um mich herum wie ein dicker Vorhang aus Samt von einem Dolch zerschnitten werden würde und ich hatte, zwar durchnässt, aber froh, noch am Leben zu sein, wieder freie Sicht. Und jene freie Sicht raubte mir beinahe erneut den Atem, dieses Mal jedoch vor Ergriffenheit, gar vor Ehrfurcht. Ungeachtet der spitzen Steine, die überall aus dem Boden ragten und bereits meine baren Füße malträtiert hatten sank ich auf die Knie nieder und schloss andächtig die Augen, leise zu meinem Herren betend. Auf diesen Anblick hatte mich wahrlich nichts vorbereitet. Ich wusste sofort, dass ich den Weg zu der Akademie der Winde gefunden hatte. Breiter im Umfang als vier Junge Drachen wohl ihre Schwingen strecken können, ragte mehrere hundert Schritte vor mir aus dem Boden eine massive Stele aus wolkenweißem, reinem und unfassbar glattem Stein in den Himmel, man könnte fast meinen, er würde ihn berühren. Erst bei näherem Hinsehen erkannte ich durch die Entfernung winzig gewordene Fenster, und Stützstreben, sodass ich erkannte, dass es sich nicht um einen einzelnen Turm handelte. Es handelte sich um hunderte, vielleicht gar tausende Türme und Terrassen unterschiedlichster Größe, zusammengehalten von dünnen, bogenförmigen Streben aus dem selben weißem Stein. Die Architektur der Akademie schien mir mit nichts vergleichbar, das ich je zuvor gesehen hatte. Kein einziges Fenster war verglast, sodass der Wind wohl ungestört hindurch wehen musste. Es gab keine eckigen Formen, alles war geschwungen und elegant, aber nicht rund und kindlich mutete es an, sondern erhaben und vielfältig, wie die Winde und der sternenübersäte Himmel zum Dunkelzyklus selbst. Dutzende Schritte über dem Boden zweigten vom Hauptturm in regelmäßigen Abständen freischwebende Brücken aus Stein zu, so schien es mir, schwebenden Nebentürmen, vom selben anmutigen, beinahe elfischen Stil wie der Rest des Turmes. Insgesamt mag es sich wohl um ein Dutzend Nebentürme oder mehr gehandelt haben. Einige flogen tatsächlich, wurde mir später klar. Gehalten durch Magie und Glauben der Studenten, aber wie an vielen Stellen des Turmes selbst war die Statik des Gebäudes bis in das kleinste Detail so genial bemessen, dass es an ein Wunder grenzen mochte. Eben in jenem Moment kam erneut eine Windböe auf und trug eine Melodie heran, die ich seitdem immer wieder gehört habe und nie vergessen werde. Der Turm selbst spielte sie, denn als die Winde durch die Fenster und Öffnungen pfiffen wurden die Winde umhergeleitet und durch zahlreiche Engen gedrückt, wie es bei einer Flöte der Fall sein mag. So glich auch der Klang jenes Bauwerkes einem einzigen, durchdringenden Loblied, auf der größten Flöte Tares wohl gespielt, an den Herren, Ventus. In meine Richtung gewandt ragte eine riesige Pforte auf, deren Flügeltüren aus hellstem Buchenholz weit aufgeschwungen waren. Und zwischen jenen Türen stand mit ausgebreiteten Armen, die einen Willkommensgruß verkündeten, eine Gestalt, die mein Leben für immer verändern wollte. Dort stand, wie ich heute weiß, mein Lehrmeister. Denn nun bin ich alt und grau geworden. Mein Leben trug ich zu in der Akademie der Winde dort, lernte von Glauben an den Herren und angemessen zu ihm zu beten, verfeinerte meine Künste im Spielen der Hirtenflöten, der Syrinx, so auch in den meinem Herren gefälligen Künsten der Sternenkunde und des Lesens der Zukunft im Vogelflug und der Kunde von jenen herrschaftlichen Geschöpfen. Die Wunder jener Akademie aber zu beschreiben wäre an jener Stelle zu viel, denn viele Bücher könnten gut damit gefüllt würden. Hunderte, fast tausende Studiosi der Winde verbringen ihre Lehrjahre hier und so gleicht der Hochturm des Ventus, wie man ihn nennen mag, einer kleinen, eigenen Stadt, zu der noch, im Laufe der Zeit hinzugekommen, die dutzende Zelte der Besucher und Pilger hinzukamen. Aber auch der Turm selbst ist in ständigem Wandel inbegriffen, wie die Winde selbst. So beherbergt er eine ständig wachsende Zahl von Lehreinrichtungen für alle Künste, die mit den Winden im Zusammenhang stehen. So mag dies auf die Musik natürlich zutreffen, aber auch auf die Vogelkunde, die Meteorologie, den Tanz zur Melodie des Windes und vielem mehr. So schließe ich mit jenen Worten meinen Bericht. – Priester der Winde Gnaden Stephanus Simulacrum.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..." Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον
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